Montag, 27. August 2007

Das Morgen schon im Heute

Es gibt Lieder, bei denen passen Musik und Text nicht zusammen. Es gibt Bilder, an denen stimmt irgendetwas nicht. Und es gibt Meldungen, die es schaffen, durch die Mitteilung von vermeintlichen Tatsachen Nichtwissen herzustellen. Vor zwei Wochen erst kabelten die Verfasser der Studie "KidsVerbraucherAnalyse" zur Taschengeldversorgung der deutschen Kinder eine Summe von 1,5 Milliarden Euro in die Republik, die Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 13 Jahren hierzulande angeblich jährlich zur freien Verfügung haben. Im Schnitt bekommen Sechs- bis Neunjährige danach die - offenbar sehr exakt ermittelbare - Summe von 14,44 Euro Taschengeld im Monat. Das seien, sind die Verfasser sicher, sechs Prozent mehr als im vergangenen Jahr, PPQ übersetzt: 86 Cent. Zehn- bis 13-Jährige können monatlich im Durchschnitt knapp 30 Euro ausgeben, neun Prozent mehr als im Vorjahr - die Taschengelder steigen damit deutlich schneller als die Löhne.

Dennoch beklagt der Kinderschutzbund, der aus Erwachsenen besteht, die kein Taschengeld mehr bekommen, jetzt, "dass die Zahl der Jungen und Mädchen in Armut trotz der guten Konjunktur im Vergleich zum Vorjahr um 100.000 gestiegen sei." Die Daten, aus denen die wackeren Kinderschützer dies herauslesen, stammen, natürlich, aus einer Studie. Der zufolge leben 2,6 Millionen Kinder in Deutschland bis zum Alter von 18 Jahren von 208 Euro monatlich, Taschengeld eingerechnet. Diese Zahl, sagen die Kinderschützer, erhöhe sich auf etwa fünf Millionen Kinder, wenn man die Familien dazuzähle, die nur knapp oberhalb der Hartz-IV-Grenze leben - was nicht weiter verblüfft. Sie würde sich ganz offensichtlich auch nochmal beträchtlich erhöhen, wenn man das "knapp" wegließe. Oder Taschengeldsperren aus disziplinarischen Gründen berücksichtigte.

Das eigentlich Schlimme aber verdeutlicht eine dritte Meldung, die eben hereinflatterte, wie man einst sagte. Denn trotz Armut und steigendem Taschengeld ist die Lebenserwartung in Deutschland heute höher als jemals zuvor. Als Kind ist man also nicht nur einem höheren Armutsrisiko ausgesetzt, sondern läuft auch Gefahr, länger arm zu bleiben. Als Gründe gelten der medizinische Fortschritt, aber auch bessere Ernährung, Hygiene und Arbeitsumstände, blabla.

Die ältesten Angaben über die Lebenserwartung, die dem Statistischen Bundesamt in Wiesbaden vorliegen, datieren rund 130 Jahre zurück. Damals betrug die Lebenserwartung für einen neugeborenen Jungen gerade mal 35,5 Jahre, ein Mädchen konnte statistisch 38,4 Jahre alt werden. Heute liegen die Zahlen mehr als doppelt so hoch.

Im internationalen Vergleich nehme Deutschland damit aber keine Spitzenstellung ein, klagen die Statistiker, was für die verarmten Kinder wahrscheinlich auch wieder nicht gut ist. Japan zum Beispiel liegt alterstechnisch gesehen weit vor Deutschland. Dort haben Statistiker jetzt schon ausgerechnet, dass im Jahr 2003 neugeborene Jungen 77,6 und Mädchen 84,3 Jahre alt werden werden, können bzw. geworden sein werden, wenn es soweit ist. Wie viel Taschengeld ein 77-jähriger neugeborener Junge im Japan des Jahres 2100 erhalten kann und ob er damit dann noch als arm zu gelten hat, wurde nicht mitgeteilt.

3 Kommentare:

Eisenschwein hat gesagt…

die kinderarmut kennt nur zwei attribute: steigend und wachsend. was sie nicht kennt, sind nachfragen: ist die gleichsetzung von sozialhilfe und armut legitim? würde bei einer verdopplung der hartz iv-sätze auch die armut steigen bzw. wachsen?

Eisenschwein hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
Eisenschwein hat gesagt…

http://debatte.welt.de/
kommentare/33572/
elterngeld+die+nutzniesser
+sind+die+sozial+schwachen?