Donnerstag, 22. September 2011

Auf dem roten Schlichtungsteppich

Wer stellt denn fest, was der "Konsens" ist? Es sind immer kleine Zirkel und Einzelpersonen, die sich die Deutungshoheit über die angeblichen Mehrheiten anmaßen. Eine Handvoll Parteileute, ein paar Popstars und Schauspieler, einige "Aktivisten" und Verbandssprecher besetzen die Mikrofone - und werden ganz vorne in die Nachrichten gehievt. Die eine oder andere Umfrage passt ins Bild, und schon ist eine Mehrheit fabriziert. Es ist diese Resonanzschleife, die das Konsens-Gespinst erst mächtig macht - mehrere Seiten spielen sich ja den Ball zu. Dazu kommt eine Art moralischer Anfangsvorschuss, den die Protestbewegten in unserem Land genießen. Auch wenn ihr Anliegen fragwürdig ist, so wird ihnen doch ein besonderes Engagement zugebilligt. Sie gelten als die Bemühten, als die Aufrechten, als die Besser-Bürger.

Für lautstarke Minderheiten wird der rote Schlichtungsteppich ausgerollt, die meist schweigende Mehrheit spielt überhaupt keine Rolle. Und wenn sie, wie jetzt in Stuttgart, mal über ihren eigenen Schatten springt und große Pro-Demonstrationen organisiert, dann werden diese Menschen offensichtlich als Demonstranten zweiter Klasse aufgefasst. Egal, ob es um Stuttgart 21, die Gentechnik, die Atomenergie geht, es gilt für alle Zukunftsprojekte: Nur wer lautstark dagegen ist, gilt als kritischer und unabhängiger Geist – und somit als satisfaktionsfähig. Für eine Sache zu sein ist in diesem Weltbild den Duckmäusern und Jasagern vorbehalten oder gar gekauften Vasallen des Großkapitals.

Die Waffen sind ungleich verteilt. "Troy Davis hingerichtet - trotz weltweiter Proteste", dichtet die Nachrichtenagentur AFP, als gebe es irgendwo eine geheime Regel, nach dem "weltweite Proteste" automatisch dazu führen, dass Gerichtsurteile aufgehoben werden. Die Sachlage hier ist aus Kinofilmen bekannt: Das Gute sitzt auf dem Todesstuhl, das Böse auf dem Richtersessel, Widerstand ist nötig, Protest moralisch.

Nur wenn der Papst im Bundestag spricht, wabert Unklarheit über die moralisch höherstehende Position durch die Redaktionssäle. Sind die Proteste oder die Proteste gegen die Proteste das Gute? Was muss verdammt, was muss verteidigt werden? Wo doch das eine so egal ist wie das andere?

Bloß nicht an die richtigen Fragen denken, bloß nicht bei komplizierten Sachverhalten einmischen. Neuer nach Bayern? Bitte, Schalke21 erhebt die Stimme. Aber Rettungsschirme, erweiterte EU-Fazilitäten, Mitbestimmungsrechte des Bundestages? Selbst die lautstarke Minderheit schweigt plötzlich eifrig mit der Masse, wenigstens im medialen Abbild der Welt. Die Kuh Yvonne bekam im "Spiegel" neunmal so viel Platz wie die 250 Milliarden teuren Pläne zur erneuten Erweiterung des Euro-Rettungsschirmes. Proteste hat es deshalb nicht gegegeben.

5 Kommentare:

eulenfurz hat gesagt…

Aus Sicht eines Herrschers wäre es weise, den Pöbel mit Nebensächlichkeiten zu beschäftigen und an Marginalien abarbeiten zu lassen, ihn als "Wutbürger" zu adeln, solange er nicht an Grundfesten rüttelt.

ppq hat gesagt…

deshalb wirdc das wohl gemacht. wobei ich glaube, dass es eher daran liegt, dass so eine kuh eben auch fürjournalisten begreifbar ist, ein staatsdefizit dagegen nicht

eulenfurz hat gesagt…

Ja, das ist richtig, wobei sicherlich etwa 80% der Menschen von sich aus so gestrickt sind, daß sie sich lieber mit piependen Poppsternchen oder knuddligen Eisbärchen beschäftigen. 15% Wutbürger kann man halbwegs dirigieren, und die restlichen 5% Kritiker und Nachdenker jeglicher Coleur muß man nur lautstark übertönen oder kurzerhand diskreditieren.

Journalisten haben die Aufgabe, ihre Klientel zu unterhalten, und wenn sie noch anderweitig finanziert werden, die Meinung ihrer Auftraggeber zu rezipieren.

Anonym hat gesagt…

..danke!

ppq hat gesagt…

wofür?

@eulenfurz: so ist es. jedes volk bekommt auchdie medien, die es verdient