Dienstag, 26. Februar 2013

Die Leibeigenen des Bundestages


Im Zusammenhang mit der Kritik an den Arbeitsbedingungen von Leiharbeitern bei Amazon wird immer deutlicher, dass das Problem weit größere Kreise zieht. Auch andere Onlinehändler sind betroffen, auch in anderen Branchen werden Gewinne mit harten Methoden erwirtschaftet. Und sogar im Deutschen Bundestag stehen Mitarbeiter unter enormen Druck.

Wahlkampfzeiten bedeuten Hochsaison im Hohen Haus. Bis zu 800 Wahlkampfveranstaltungen absolviert ein Bundestagskandidat zwischen Mai und dem Wahltag im September, begleitet von Wahlkampfhelfern, die ihm größtenteils kostenlos zur Seite stehen. Die Belegschaft der Büros der Abgeordneten verdreifacht sich in der Wahlkampfzeit, die größte Last aber ruht auf den Schultern der Stammteams der Abgeordnetenbüros - im Durchschnitt sind das 7,5 Mitarbeiter, die direkt bei ihrem Abgeordneten angestellt sind.

Und das zu vordemokratischen, vorgewerkschaftlichen Konditionen. Ein Heer von 4700 Beschäftigten ist bei den 622 MdB-Büros angestellt. Die gelten als betriebsverfassungsrechtlich eigenständige Kleinbetriebe und handeln jeden Arbeitsvertrag einzeln aus. Einen Tarifvertrag mit festgezurrten Leitungen gibt es nicht - im Hausjargon des Bundestages werden die Büromitarbeiter nicht grundlos "Leibeigene" genannt.

Ihre Arbeit ist einzigartig. Sie koordinieren unter Zeitdruck, bereiten Reden vor und organisieren Reisen. Dabei wird ein Verzicht auf das im Grundgesetz festgeschriebene Recht der Meinungsfreiheit vorausgesetzt: Abgerodnetenmitarbeiter, die abweichende Positionen zur Partei ihres Abgeordneten vertreten, können die öffentlich nicht äußern. Der Bundestag sei ein „demokratiefreier Raum“, heißt es bei „Verdi Publik“. Mancher Abgeordnete tue sich schon schwer, die normalen Gehaltserhöhungen im öffentlichen Dienst weiterzugeben. Bei der Erhöhung im Jahr 2009 waren es 20 Abgeordnete von SPD und Linken, die Widerspruch einlegten und verhinderten, dass die Erhöhung ihren Mitarbeitern zugute kam.

Außerdem klagen Mitarbeiter über die vielen Überstunden im Wahlkampf, auch am Wochenende. Rund 13 Euro pro Stunde zahlen die Abgeordneten nach Angaben von Verdi - kontrolliert wird die Höhe nicht, jeder Abgeordnete kann mit der ihm zustehenden Pauschale von rund 14.500 Euro soviele Mitarbeitern anstellen, wie er mag.

13 Euro ist ein Durchschnitt, der zwar höher liegt als beim Konkurrenten Amazon, aber  noch immer rund 20 Prozent unter dem Tariflohn im Baugewerbe. Dabei haben die meisten Fraktions- und Abgeordnetenmitarbeiter allerdings einen Facharbeiterabschluss oder sogar studiert oder promoviert.

Die direkt beim Deutschen Bundestag angestellten Mitarbeiter an Eingangsschleusen, Fahrstühlen oder in der Reichstagskuppel sind noch schlechter dran: Für sie gilt ein Tariflohn von 6,25 Euro Brutto, das ist rund ein Drittel weniger als der vielkritisierte Online-Konzern Amazon seinen Mitarbeitern zahlt. "Viele können ihren Lebensunterhalt trotz Vollzeitstelle damit nicht bestreiten", klagt eine Betroffene, "sie müssen zusätzliche Unterstützung vom Staat beantragen".

Eine Antwort gab es auf den Hilfeschrei nicht - wie auch. Trotz der geringen Entlohnung herrscht Rechtlosigkeit hinter den Kulissen des Hohen Hauses. Legende unter Neuanfängern ist die menschenverschlingende "Knochenmühle" der SPD-Abgeordneten Ulla Burchardt aus Dortmund, die von denen, die sie kennen, nur "Ulla Furchtbar" genannt wird. 15 Mitarbeiter kamen und gingen im Büro der Sozialdemokratin in nur vier Jahren, angesichts von Ar­beitszeiten in den Sitzungswochen von 9 bis 22 Uhr kein Wunder. Die meisten Jobs sind zudem befristet und binnen drei Monaten kündbar. Selbst die rund 900 wissenschaftlichen Mitarbeiter des Bundestages sind mit einer Frist von sechs Wochen zum Quartalsende kündbar.

Wahltag ist nicht Zahltag, sondern für viele "Leibeigene" auch immer das Ende der Existenz: "Mein Abgeordneter ist nicht wieder gewählt worden. Wenn ich nicht bei einem anderen unterkomme, bin ich meinen Job los." Hundertfach wurde dieser Satz auch nach dem letzten Urnengang gestöhnt. Wer bei einer Fraktion oder einem Abgeordneten arbeitet, muss immer damit rechnen, dass er nach einer Bundestagswahl seinen Arbeitsplatz verliert, beschreibt die Gewerkschaft Verdi. Die Leibeigenen genießen beim Deutschen Bundestag weder den Schutz einer gesetzlichen Interessenvertretung nach Betriebsverfassungs- oder Personalvertretungsrecht, noch werden ihre Arbeitsbedingungen tarifrechtlich geregelt.

Das Unternehmen selbst will sich zu den Arbeitsbedingungen nicht öffentlich zu diesem Thema äußern. Abgeordnete der Parteien argumentieren, dass die vom Bundestag den Abgeordneten zur Verfügung gestellten Gelder ausschließlich für die parlamentarische Arbeit, nicht aber für Betriebsratsarbeit vorgesehen seien. Selbst ein Gutachten, in dem der Staatsrechtler Bodo Pieroth ganz eindeutig feststellte, dass die Verfassung der Bundesrepublik keine mitbestimmungsfreien Räume vorsehe, änderte nichts an dieser Situation. Einzig und allein Mitarbeitern der Linkspartei gelang es nach jahrelangen Kämpfen, einen Betriebsrat zu gründen.Andere Fraktionen machen sich zwar immer wieder gern und laut für die "Stärkung der Rechte der Europäischen Betriebsräte stark". Verweigern den eigenen Mitarbeitern aber eigene Arbeitnehmerrechte.

"Was können Wähler tun?", fragt der Fernsehsender WDR da zurecht. Immer mehr Wähler würden nicht von Politikern vertreten werden wollen, die ihre Mitarbeiter unfair behandeln. "Die Arbeitsbedingungen werden für Wähler immer wichtiger", erklärt auch Fritz Ryba, Sprecher der Verbraucherzentrale. Doch für den einfachen Wahlbürger sei es schwierig, Politiker und ihre Kleinfirmen zu überprüfen. Bislang gibt es keine Transparenz und keine öffentlich zugänglichen Informationen über die Arbeitsbedingungen im Bundestag. Die Leitmedien, stets um ein gutes Verhältnis zur Macht bemüht, berichten nicht, die politischen Parteien beschäftigen sich zwar mit den Arbeitsbedingungen von Hausangestellten, Schlachthofarbeitern und Callcenter-Mitarbeitern", nicht jedoch mit der Lage ihrer eigenen Büroangestellten, Wachleute, Büroleiter und Sekretärinnen.

Die Initiative "Gute Arbeit im Deutschen Bundestag" sieht die Angst vor Machtverlust als Ursache. "Die Arbeitgeber haben Angst, dass die Arbeitnehmer/innen ihnen in ihr Geschäft herein reden", heißt es in einem Grundsatzpapier. Zudem seien die Abgeordneten "in der Mitbestimmungsfrage von tiefem Misstrauen erfasst". Sie scheinen ihren eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu misstrauen, heißt es bei Verdi. Auch vier Jahre nach dem Versuch, mit der Mitarbeiterinnen-Initiative "Gute Arbeit im Bundestag" Druck auf Veränderungen zu machen, bleibt die Zentrale der deutschen Demokratie, was sie war: Ein „weißer Fleck“ auf der Landkarte der Mitbestimmung - das einzige deutsche Großunternehmen, in dem noch gänzlich ungeschminkte Willkür, unverhohlene Unterdrückung und purer Manchester-Kapitalismus herrschen.

8 Kommentare:

Teja hat gesagt…

Sehr schön, mal wieder schick investigativ da recherchiert, wo es weh tut. Und zwar bei den Kellerleichen der lautesten Schreier. So sind wir das gewohnt vom ppq board.

Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass Sozialisten sich anders verhalten als die von ihnen bekämpften Kapitalisten, sobald sie selber Macht/Geld erlangen. Nur in dem Sinn, dass sie sich verbiegen und noch mehr den imaginären Feind müssen. Und sie verhalten sich oft noch schlimmer, weil es fremdes Geld ist und fremdes Eigentum.

"Bei der Erhöhung im Jahr 2009 waren es 20 Abgeordnete von SPD und Linken, die Widerspruch einlegten und verhinderten, dass die Erhöhung ihren Mitarbeitern zugute kam." - Da jubelte ich innerlich, als ich es las.:)

Teja hat gesagt…

edit meint: "... Feind *bekämpfen* müssen."

ppq hat gesagt…

genau so ist es. was hungerlöhne betrifft, kann man auch gut bei der jungen welt nachfragen

Thomas hat gesagt…

Quod licet iovi, non licet bovi!
Abgeordneten ist doch so etwas lästiges wie ein Betriebsrat nicht zuzumuten! Das bleibt denen vorbehalten, die das Geld erwirtschaften, das die Damen und Herren des Bundestages so gerne verteilen.

R.A. hat gesagt…

Wie so oft bei PPQ: Man kann Satire und Realität nicht unterscheiden.

Anonym hat gesagt…

der text enthält diesmal nicht einmal spurenelemente von satire.

Volker hat gesagt…

@ R.A.
Wie so oft bei PPQ: Man kann Satire und Realität nicht unterscheiden.


Das ging mir das erste mal so vor zwei Jahren. PPQ hat das Gelaber von Kasparick wieder mal mörderisch überzeichneet. Mal sehen, was er wirklich gesagt hat. Und siehe … PPQ hat nur zitiert.

ppq hat gesagt…

@R.A.: das sind die schönsten sachen, wo man gar nichts selbst machen muss