Sonntag, 15. Februar 2015

Steinmeier: Gedanken aus der Gruft

Nach dem Gewinn des Fußballweltmeistertitels, der Einigung in der Ukraine, dem Ende von Pegida, dem kompletten Verschwinden der Terrornachrichten aus Frankreich und der anhaltenden Niederlagenserie des Islamischen Staates geraten die großen Menschheitsprobleme früherer Jahre wieder akut in den Blick. Der Klimawandel kehrt mit Macht zurück, Spekulanten müssen bekämpft werden, die Energiewende muss von letzten Atomresten befreit werden und auch die drohenden Gefahren durch Aschevulkane gilt es vor dem grassierenden Themensterben in den deutschen Medien zu retten.

Ganz vorn in der Retterfront wie immer der gescheiterte SPD-Kanzlerkandidat Walter Steinmeier, der sich schon weit vor seinem aktuellen Kotau vor dem Diktator von Weißrussland viele Gedanken über Gerechtigkeit in der Finanzwelt, Lösungen für den Euro und Syrien machte.

Gedanken, die schon heute wieder weitgehend vergessen sind. Zu Unrecht, denn bereits als Steinmeier sie dachte, blieben Griechenland "maximal zwei Wochen Zeit, um die Verhandlungen über internationale Hilfen zum Erfolg zu führen", wie der damalige  Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion vor drei Jahren warnte.

PPQ dokumentiert die anhaltend originellen Ansichten des heutigen Außenministers zum Jahrgedächtnis ihrer Erstveröffentlichung im Bonner General-Anzeiger vom Februar 2012 im Wortlaut.

Wenn Sie als die Bilder aus Syrien sehen und die Weigerung der UN-Vetomächte Russland und China erleben, diese Massaker zu verurteilen, fühlt sich das dann an wie ein Offenbarungseid der Weltgemeinschaft?

Die guten Tage nach der Wahl von US-Präsident Barack Obama und dem Willen in Washington und Moskau, auf den Knopf für einen Neustart zu drücken, sind lange vorbei. Inzwischen streiten die USA und Russland nicht nur über die Raketenabwehr, sondern über nahezu alle entscheidenden Fragen im UN-Sicherheitsrat. Bedauerlicherweise gehört Syrien dazu. Das ist für die Menschen in Syrien dramatisch.

In Libyen hat der Westen, hat die Nato - bei deutscher Enthaltung im UN-Sicherheitsrat - unter französischer und britischer Führung eingegriffen und das Ende des Gaddafi-Regimes beschleunigt. Was unterscheidet die damalige Lage in Libyen von Syrien?

Niemand im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen setzt Libyen und Syrien gleich. Wer bei der Münchner Sicherheitskonferenz vor und hinter den Kulissen hingehört hat, hat auch wahrgenommen, dass weder in der Arabischen Liga noch im Sicherheitsrat noch in der Nato militärische Interventionen geplant werden. Aber die Weltgemeinschaft darf auch nicht wegschauen. Es ist eine internationale Pflicht, den Druck auf das Regime in Damaskus noch einmal deutlich zu erhöhen.

Zum Schauplatz Europa. Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann hat vor der immensen Ansteckungsgefahr für ganz Europa gewarnt, sollte Griechenland tatsächlich in die Staatspleite gehen. Wie ernst ist die Lage tatsächlich?

Sie ist sehr ernst und sie hat sich in diesen Tagen noch einmal zugespitzt. Wir brauchen den Verzicht der privaten Kreditgeber auf mindestens zwei Drittel ihrer Forderungen. Griechenland muss aber auch zu erheblichen Strukturreformen im eigenen Land bereit sein. In beiden Fällen brauchen wir eine Einigung in allernächster Zeit - und ich rede nicht von Monaten, sondern von maximal zwei Wochen. Sonst ist die Lage nicht mehr beherrschbar.

Warum kommt Griechenland mit der Veräußerung seines beträchtlichen Staatsvermögens nicht voran?

Die europäische Vorgabe, innerhalb kurzer Zeit 50 Milliarden Euro Privatisierungserlöse zu erzielen, war ökonomischer Unsinn. Wenn die Käufer wissen, dass in kurzer Zeit verkauft werden muss, führt das zu Ramschpreisen. Wir bräuchten stattdessen ein Treuhandmodell - hier kann man auf die deutschen Erfahrungen nach der Wiedervereinigung zurückgreifen. Die Griechen würden definieren, was der Treuhandagentur zur Veräußerung übergeben werden soll. Die Treuhand kehrt im Gegenzug Geld an die Regierung aus, die damit beispielsweise die Staatsschulden senken kann. Die Privatisierung würde dann über 10 bis 15 Jahre gestreckt.

SPD-Chef Sigmar Gabriel hat die ungezügelten Finanzmärkte als Gegner im Wahlkampf ausgemacht, nicht Angela Merkel. Warum so zahm?

Parteichef Sigmar Gabriel hat gesagt, dass wir nach der zweiten Finanzkrise binnen vier Jahren das Thema Gerechtigkeit zum Hauptthema machen müssen. Es geht doch nicht an, dass die Menschen sich vorschreiben lassen müssen, dass Lohnzurückhaltung und Verzicht die Voraussetzung für die Wiedergewinnung wirtschaftlicher Kraft sind. Und dann wird das Erreichte durch Verantwortungslosigkeit von Anlegern auf den Finanzmärkten wieder zu Fall gebracht. Das macht die Menschen rasend, wenn sie jetzt wieder als einfache Steuerzahler bluten sollen. Deshalb: Gerechtigkeit ist hier keine sozialdemokratische Floskel. Uns muss klar sein, dass daran auch die Glaubwürdigkeit unserer Demokratie hängt.

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