Mittwoch, 11. Juni 2025

Widerrechtliche Zurückweisungen: Asyl per Telefon

Polen baut Zäune an der Grenze
Wladimir Putin hat im Rahmen seiner Strategie der hybriden Kriegsführung Flüchtlinge über Belarusdasfrühereweißrussland in Marsch gesetzt, um die EU zu destabilisieren.

Wie Donnerhall rollte das Urteil des Verwaltungsgerichtes Berlin in der vergangenen Woche über Land. Selbstintime Kenner der Justizlandschaft waren anschließend uneinig. Erlaubt das Urteil nun Rückweisungen an der Grenze?, wie die "Tagesschau" vermutete. Weil es nur welche hinter der Grenze verbietet? Oder ist auch die Zurückweisung Asylsuchender an der deutschen Grenze rechtswidrig, wie die Taz aus der Begründung herauslas? 

Rückabwicklung der Merkelwende 

Das "Spiegel"-Outlet LTO war wenig später sogar sicher, in gründlicher Lektüre ermittelt zu haben, dass "auch Flüchtlinge, die einen Asylantrag stellen wollen, nicht mehr nach Deutschland einreisen können". Diese "große "Asylwende" erfolge genau wie der letzte mündliche Merkelbefehl im Jahr 2015: Diesmal sei es Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) gewesen, dem "ein Schreiben an die Bundespolizei" genügt habe, "um eine neue deutsche Asylpolitik einzuführen". 

Der Plan, nahezu alle Asylsuchenden nun "an den deutschen Grenzen" abzuweisen und damit ein Versprechen umzusetzen, das Friedrich Merz im Wahlkampf gegeben hatte, sei so nicht umsetzbar. Denn auch wenn es sich "physisch klar unterscheiden" lasse, ob ein Einreisewilliger seinen Asylantrag vor der deutschen Grenze oder dahinter stelle – also im Ausland oder bereits im Inland – folgerten die LTO-Experten, sei diese "Konstellation aber eher hypothetisch, denn dazu müssten deutsche Grenzbeamte auf dem Territorium des ausländischen Staates hoheitlich tätig werden dürfen".

Mit beiden Beinen auf dem Grundgesetz 

Faktisch steht der Bundespolizist nicht nur Wache und dabei im wortwörtlichen Sinn mit beiden Beinen auf dem Boden des Grundgesetzes. Er müsste auch, um ein Asylbegehren rechtssicher zurückweisen zu können, nach dieser Lesart ins Territorium des Nachbarstaates hineinregieren, weil sich der Schutzsuchende ja dort befindet, hinter dem Schlagbaum, auch wenn der an den deutschen Außengrenzen ein rein metaphorischer ist. "Ein dies gestattendes Abkommen existiert bislang nur mit der Schweiz", heißt es bei LTO in einem Aufsatz über die "Mythen des Zurückweisungsbeschlusses des VG Berlin". 

Ohne Abkommen aber kein Hinüber- und Hineinregieren. So sieht es aus. Zwar habe das Berliner Verwaltungsgericht ausdrücklich nur über Zurückweisungen von Personen entschieden, die ihr Asylgesuch äußerten, während sie sich bereits im Inland befinden. Doch wie der Gießener Migrationsrechtler Jürgen Bast erläutert, sei das "europarechtlich völlig belanglos". 

Wer wie LTO-Autor Max Kolter weiträumig um die Frage herumschifft, ob Inland oder Ausland eine Rolle spielt, indem er darüber nachdenken lässt, "was wäre, wenn die Person erst am dritten oder vierten Bahnhof hinter der Grenze kontrolliert wird?", sind alle Klarheiten beseitigt. 

Egal, wo der Bahnhof steht 

Wenn der erste Bahnhof hinter der Grenze genauso Inland ist wie der vierte, siebte oder 22., dann tut es kaum mehr zur Sache, wenn der Bahnhof in Warschau oder Minsk steht, in Riga, Athen oder Madrid. Und selbst der Umstand, dass er vielleicht gar kein Bahnhof ist, wäre dann "europarechtlich völlig belanglos". Schließlich steht nicht nur fest, dass eine Zurückweisung an der Grenze wegen fehlender Abkommen nicht möglich ist. Sondern auch, dass es für die Unionsrechtswidrigkeit der Zurückweisungen keine Rolle spielt, "ob der Asylsuchende sein Schutzgesuch am ersten grenznahen Bahnhof oder erst weiter im Inland äußert". 

Die Weiterungen dieser eindeutigen Lage sind bemerkenswert. Wenn der Bundesbeamte den oder die Schutzsuchenden nicht abweisen darf, wenn der vor ihm steht, sich aber noch im Ausland befindet, weil er den Schlagbaum noch nicht passiert hat, Europarecht ihn aber auch daran hindert, den oder die Betreffenden zurückzuschicken, wenn er erst auf deutschen Territorium gestellt wird, gibt es keine Situation mehr, in der die Bearbeitung eines Gesuchs durch deutsche Behörden nicht zwingend vorgeschrieben ist.

Die EU-Fiktion der Nichteinreise 

Für die Arbeit der Bundespolizei hat das Folgen, die weit über die bisher breit diskutierten hinausgehen. Zwar hat auch die Europäische Kommission in ihrem letzten großen Migrationspakt die "Fiktion der Nichteinreise" als zentralen Pfeiler für den Bau der Auffanglager für die eines Tages geplanten  "schnellen Asylverfahren an den EU-Außengrenzen" vorgesehen. Doch im Licht des Berliner Beschlusses kann es die bisher bereits von der Bundespolizei bemühte Nichteinreisefiktion nicht geben. 

Wer noch nicht drin ist, darf rein. Wer drin ist, darf bis zur Entscheidung bleiben. Selbst wenn aufgrund der Reiseroute der Verdacht naheliegt, dass es sich bei dem Neuankömmling um einen als menschliche Waffe missbrauchte Person handeln könne, die von Wladimir Putin im Rahmen seiner Strategie der hybriden Kriegsführung in Marsch gesetzt wurde, um die EU zu destabilisieren. Die drei vor Gericht siegreichen Schutzsuchenden aus Somalia kamen über Belarusdasfrühereweissrussland nach Europa. Über Litauen umgingen sie die 2021 ausgebauten polnischen Grenzbefestigungen. Anschließend fuhren sie nach Frankfurt an der Oder und dann - inzwischen faktisch eingereist - nach Berlin.

Unbeeindruckt von hybriden Angriffen 

Weder das Verwaltungsgericht noch die Medien zeigten sich von der für hybride russische Angriffe typischen Route beeindruckt. Auch im politischen Raum spielte das typische sogenannte "Moskauer Muster" keine Rolle. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt will Wiederholungen verhindern, indem er demnächst "in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen" lässt. 

Doch ob das noch gelingt, steht angesichts der üblichen Dauer der Verhandlungen zu endgültigen, wirksamen und gemeinsamen EU-Migrationskrisenlösungen infrage. Vom großen Zustrom bis zum letzten EU-Migrationspakt dauerte es neun Jahre. Erst der dabei von Ursula von der Leyen bewirkte fundamentale Durchbruch schuf den Status des "legal fiction of non-entry",  der es erlaubt, Migranten nicht zu erlauben, "to enter the country's territory and instead be kept at facilities on the border", wie die Asylum Procedures Regulation (APR) die europarechtlich nicht völlig belanglose Regelung umschreibt.

Der kühne Migrationspaktplan 

Vor 14 Monaten hatte auch das EU-Parlament die kühne Konzeption von Inländern im Inland, die im Ausland verbleiben, und Lagern an der Grenze, aber dahinter, knapp gebilligt. Die Lager gibt es noch nicht, denn so schnell vermag auf dem alten Kontinent niemand ein paar Container zusammenzustellen. Zum Glück, denn sobald sich die Rechtsfolgen des Berliner Asylurteils erst im Rest der Welt herumsprechen, sind die ohnedies überflüssig. 

Der "historic day", über den EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola im April 2024 gejubelt hatte, er kommt er jetzt, wo bald niemand mehr überhaupt erst kommen muss, um Asyl zu beantragen. Da es egal ist, ob jemand vor dem Schlagbaum oder dahinter um Schutz in Deutschland nachfragt, kann das künftig auch aus jedem Nachbarstaat oder sogar aus dem weit entfernten Heimatland erfolgen. 

Brief oder - wegen der bekannten Unzuverlässigkeit der DHL Group (ehemals Deutsche Post) besser Einschreiben - ans  "Zentrale Ausländerbehörde (ZAB)" oder eines der 549 Ausländerämter (ALA) im Land. Dann in Geduld fassen. An der Möglichkeit, per Onlineformular oder telefonisch Asyl zu beantragen, wird gearbeitet.


1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

OT
Hadmut Danisch nennt eine Leah Greenberg (ein sprechender Name, so wie Stechus Kaktus oder Schwanzus Longus) - aber den riesigen Elefanten mitten im Zimmer sieht er nicht. Besser, redet sich selber ein, den nicht zu sehen.