Samstag, 8. Mai 2021

Erinnerungskultur: Sophie und die Schamlosen

Das ist nicht Sophie Scholl, sondern eine Schauspielerin. Die Inszenierung bedient ein altbekanntes Klischee: Die Frau an der Seite des Mannes, bewundernd zu ihm aufschauend.


D
as Gesetz ändert sich, das Gewissen nicht, soll sie gesagt haben, ein Satz wie aus dem Wörterbuch des Querdenkers, der meint, über dem geschriebenen Recht zu stehen, weil er in sich hinzulauschen vermag und deshalb weiß, was richtiger als das ist, was der Rechtsstaat für Recht erkannt hat. Ein gefährlicher Glaube, weil er die Gemeinschaft untergräbt. Wenn sich jeder nur noch an das zu halten bereit findet, was er selbst für rechtens hält, dann ist jede Wertegemeinschaft am Ende, auseinandergefasert in Gruppen, die dieses glauben und jenes, dieses leugnen und von jenem noch nie gehört haben.  

Plakatparole für Werbefilme

Das Todesurteil für ein Gemeinwesen aber ist in diesen Tagen Plakatparole für Werbefilme zu einer "einzigartigen Aktion" (ARD), die aus dem Nazi-Opfer Sophie Scholl eine Instagram-Influencerin macht. @ichbinsophiescholl ist ein Account bei der Facebook-Tochter benannt, auf dem SWR und BR eine junge Schauspielerin in eine Figur verkleiden, die so ist, wie sich der Millenial von der Journalistenschule eine 21-jährige Biologie- und Philosophiestudentin im München der 40er Jahre vorstellt. 

Harter Geist, weiches Herz, Kunst & echter Kaffee", so beschreibt das Mädchen sich angeblich selbst, in den liebevoll designten Kulissen der Nazizeit spricht sie von "Uni" und "Berufsoffizieren" und lehnt das Konzept "Vaterland" auf eine wohltuend woke Weise strikt ab. Die "Sophie Scholl" von Instagram würde ihren "echten Kaffee" zweifellos von Starbucks holen, eine "Latte" mit Haselnuss-Geschmack. Und sie hätte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit große Gewissenbisse beimm Trinken, wegen des Pappbechers, der Bauern in Kolumbien, der langen Seewege, der kapitalitsischen Verwertungslogik, der Kuponschneider, wegen des Regenwaldes,  der Gendrifizierung in den Innnestädten, der steigenden Mieten und CO2-Emissionen.

Klischees für den Kampf

Scholl schminkt sich selbstbewusst, aber bio, sie trägt das Haar stets offen und würde nicht auf manchem Bild geraucht, könnte das auch eine Folge von "Tierärztin Dr. Mertens"sein. BR und SWR haben die Wiedergängerin der tapferen Hitlergegnerin als traditionelles Weibchen inszeniert. Auf einem Foto steht sie neben dem Schauspieler, der ihren Bruder Hans darstellt. Bewundernd schaut sie ihn, den mit einer Zigarette welterklärenden Mann, an. 

Hans Scholl, gemeinsam mit dem heute kaum noch bekannten oder irgendwo erwähnten Alexander Schmorell Gründer der Weißen Rose und Verfasser der Flugblätter, die zum Widerstand aufriefen, hat solche Aufmerksamkeit aber auch nötig. Obwohl er es war, der die weiße Rose initiierte, ist es seine Schwester Sophie, die als Symbol gilt. 

Hans ist zu männlich

Hans Scholl ist zwar jung, das spricht für ihn, doch er ist zu männlich, zu weiß, zu wenig divers. Sophie dagegen strahlt, ein feministisches Symbol des Aufbegehrens gegen Faschismus und Patriarchat, das sich idealtypisch einpassen lässt in ein Vergangenheit, die nach  und nach neu designt und nach aktuellen Erfordernissen zugeschnitten wird. Claus Schenk Graf von Stauffenberg etwa verwandelte sich von einem Antisemiten und überzeugten Nationalsozialisten in einen lupenreinen Demokraten, den ein ausländischer Scientologe nicht einmal im Film darstellen sollen durfte. 

Hans Scholls Bedeutung für die deutsche Erinnerungskultur ist heute gemessen an der seiner Schwester denkbar gering. Werte von Google zeigen, dass Hans Scholl medial kaum noch irgendeine Relevanz hat. Der 100. Geburtstag des Widerstandskämpfers vor der Jahren ging öffentlich unter, nur die engsten Angehörigen gedachten des mutigen jungen Mannes. Seine Schwester hingegen wird nicht nur bei Instagram für den aktuellen Kampf gegen Unmenschen und Feinde der Demokratie instrumentiert, sie wird auch  mit einer Sonderbriefmarke geehrt.

Influencen für die gute Sache

Die virtuelle Sophie Scholl, die im Dienst der guten Sache influenct, ist zweifellos eine Frau von heute, von den beiden öffentlich-rechtlichen Sendern designt, um junge Gemeinsinnsenderverweigerer dort abzuholen, wo sie sind. Und das ist eben an den Orten, an denen Werbung und Redaktionelles ineinanderübergeht, an denen Wahrheit aus Dichtung gemacht wird und Geld auf eine rätselhafte Weise Reichweite, die keinen Vernunftsgründen folgt. Das Konzept spricht für die erfundene Sophie, denn nach nur elf Aushängen an der virtuellen Wand des US-amerikanischen Netzwerk-Konzerns folgen "Sophie Scholl" bereits knapp 500.000 Menschen, offenbar begierig darauf zu erfahren, wie das mit dem Widerstand der "Weißen Rose" losgehen und wie böse es am Ende womöglich mit dem Fallbeil ausgehen wird.

Versprochen sind Dramen und Kämpfe der "letzten zehn Monate" (ARD) der Sophie Scholl, also das Finale, wenn auch ohne das Fallbeil-Kapitel, das nicht ganz SFW wäre für die Generation home school und die Generation "Assasin's Creed". Dafür gibt es den Rest des Schicksals als Marketingaktion, dargeboten mit einer Schamlosigkeit, die Gänsehaut macht. Die Hochglanzbilder, auf denen die "Sophie" vom Reißbrett sich im Duktus einer modernen Feministin über "diesem verdammten Paragraphen 175" empört und beklagt, wie ihr hier zum reinen Objekt reduzierter Bruder "damals das Vertrauen in den Staat verloren hat", erinnern an Hollywood-Filme und Relotius-Reportagen: Alles passt, nichts wackelt.

Begeisterung beim Instagram-Volk

Beim Instagram-Volk, das begierig ist, endlich etwas über die Vorgänge damals zu erfahren, aber keinen Zugang zu Büchern hat, kommen Idee und Umsetzung hervorragend an. "Großartige Idee und Umsetzung! Kreativ, mutig, innovativ, am Zahn der Zeit und ein cooler Schritt in Richtung Aufpeppen geschichtlicher Hintergründe und Setzen in einen modernen Kontext", lobt eine Nutzerin, die "Vielen Dank an den SWR!" bestellt. Scham gibt es hier nicht, keine Grusel davor, ein Leben, das so jung und grausam endete, als Vorlage für eine soap opera zu benutzen, die Inhalte durch oberflächliche Inszenierung ersetzt.

Die Begeisterung dafür ist in den angeschlossenen Medienanstalten riesig und auch in den Kommentaren bei Instagram einhellig. "Sehr schönes und wichtiges Projekt - insbesondere in einer Zeit, in der sich Menschen fühlen wie Sophie Scholl, weil sie unbehelligt auf offener Bühne stehen dürfen, um gegen Pandemiemaßnahmen zu protestieren", meint eine Nutzerin andere, eine andere ist "sicher, wir werden viel neues über sie erfahren". Denn "das ist eine absolut mega Idee - hab Gänsehaut!" heißt es weiter in Vorschulschreibweise, "freu mich drauf was über und von Sophie Scholl von damals zu lernen."


7 Kommentare:

Hase, Du bleibst hier ... hat gesagt…

Vergessen wird gern die Zeit und das Engagement der Sophie Scholl in der Hitlerjugend. Wendehälsinnen gab es schon in dieser Zeit, wenn auch in die richtige Richtung. Bleibt die Hoffnung, dass die Menschinnen, die die kleinen Kobolde mit dem Lastenfahrrad zur BIO-Kita fahren, irgendwann die Schnauze voll haben und die Birkenstock-Sandalen an den Nagel hängen. Alles hat seine Zeit und geht vorüber.

Anonym hat gesagt…

Ja, Hase, die Hoffnung stirbt zuletzt - aber sie stirbt :-(

Die Anmerkung hat gesagt…

DIVERSITÄT IM KINDERBUCH

So bleibt Ihr Baby woke

Stand: 08:39 Uhr | Lesedauer: 6 Minuten

Von Marlen Hobrack

ppq hat gesagt…

@hase: man muss umdenken dürfen, das ist klar. man muss auch geehrt werden dürfen. aber modernisiert werden und dann verwendet? ich finde es unappetitlich

Volker hat gesagt…

Mal ein anderer Aspekt ... Die Figuren.

Es ist kaum noch möglich einen Film zu drehen, wo das Personal von der Physis her die Protagonisten glaubhaft rüberbringt. Was uns in den letzten Jahren an Wehrmachtsoffizieren und SS-Männern vorgesetzt wird, das sind Witzfiguren, die am 1. September 39 vielleicht 3km weit gekommen wären. Spätestens da hätte die Milizia sie verhaftet. Natürlich nur die, die nicht vorher vor Erschöpfung umgefallen sind

Mit dem Widerstand siehts genauso aus. Die zeitgenössischen von Stauffenbergs sind Zombies. Die könnten glaubhaft den sterbenden Schwan rüberbringen. Oder den "modernen Mann", der im Szene-Café mit abgespreiztem kleinen Finger das Designerlöffelchen führend im Latte-Macchiato-Glas rührt und geistreich über Frauen in Führungspositionen sinniert.
Aber nie und nimmer einen, der es mit 36 zum Oberst gebracht hat.

Die Geschwister Scholl waren ein paar Jahre jünger und auch nicht unbedingt kampferprobt. Aber waren das solche Knallchargen wie im aktuellen Film?
Ich kann es nicht glauben.

Anonym hat gesagt…

Wenn man denkt, die haben ihr Pulver erstmal verschossen, kommt der nächste Höhepunkt in der Freakshow.
Dass 500000 dieser Obszönität folgen, lässt einen das Ende der weißen Zivilisation verschmerzen, um nicht zu sagen beklatschen.

Anonym hat gesagt…

lässt einen das Ende der weißen Zivilisation verschmerzen, um nicht zu sagen beklatschen.

Nix da: Thorgeir Havarson: "Liegen werde ich, wenn ich tot bin."