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Gegen geltendes Recht zu verstoßen, ist vor allem in großen Medien sehr beliebt. |
Es ist ein Kreuz mit dieser Sache. Kompliziert, unübersichtlich. Kaum mit Worten zu fassen. Alleweil passiert es und immer ist die Empörung groß. Der "Bund verstößt an den Grenzen gegen geltendes Recht", arbeitet die Spiegel-Tochter "Legal Tribune Online" gerade penibel heraus.
Aufgeschreckt sind die Rechtsexperten nicht erst von der jüngsten Weisung des neuen Innenministers zu mehr Grenzkontrollen. Nein, schon die vorübergehende und seit zehn Jahren gepflegte Praxis der Kontrollen an der Grenze zu Österreich seien nach einem Urteil des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofes "zumindest in einem Fall rechtswidrig" gewesen. Klare Schlussfolgerung: "Zumindest in einem Fall hat die Bundesregierung damit gegen geltendes Recht verstoßen".
Das ist kaum zu bezweifeln. Doch warum eigentlich "gegen geltendes Recht"? Wäre es überhaupt möglich, gegen nicht geltendes Recht zu verstoßen? Friedwert Heilecke ist Rechtsassessor und völkerrechtlicher Buchprüfer in der juristischen Bücherei der Universität von Kapstadt, die sich mit globalen Rechtssetzungsstandards beschäftigt. Im Gespräch mit PPQ erklärt der Erperte, der vom Völkerrecht kommt, wie sich "geltendes Recht" vom berühmten "weißen Schimmel" unterscheidet.
PPQ: Herr Heilecke, Sie sind als Rechtsassessor mit globaler Rechtssetzung beschäftigt, haben ihre Doktorarbeit über obsolete juristische Regeln in den Wandeln der Zeitenwenden geschrieben und können die Bewertung des Urteils des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofes sicher erklären, dass die Bundesregierung gegen "geltendes Recht verstoßen" habe. Was bedeutet das genau?
Heilecke: Nun, viel zu erklären habe ich da nicht. Die Aussage, dass die Bundesregierung gegen geltendes Recht verstoßen hat, bedeutet, dass sie gegen aktuell verbindliche gesetzliche Vorschriften oder Normen gehandelt hat, wie sie zum Zeitpunkt der Handlung in Kraft waren. Punkt. Der verwendete Begriff "geltendes Recht" bezieht sich dabei auf die Gesamtheit der zum betreffenden Zeitpunkt anwendbaren Rechtsnormen, Gesetze, Verordnungen oder verfassungsrechtliche Vorgaben, dazu könnten auch EU-Vorgaben gemeint sein, wobei die direkt nicht justiziabel wären. Gemeint ist also Recht, das gilt, umgangssprachlich gesagt Gesetze, gegen die zu verstoßen strafbar ist oder, hier haben wir es ja mit Verwaltungsrecht zu tun, straflos verletzt werden dürfen, nur dass es dafür dann eben mahnende Schlagzeilen gibt.
PPQ: Das leuchtet ein. Aber warum eigentlich "gegen geltendes Recht"? Wäre es überhaupt möglich, gegen Recht zu verstoßen, das nicht gilt? Nur rechtstheoretisch vielleicht?
Heilecke: Die Formulierung „gegen geltendes Recht“ wird verwendet, um klarzustellen, dass die Handlung der Bundesregierung mit den zum Zeitpunkt der Ereignisse verbindlichen Rechtsvorschriften unvereinbar war. Das ist eine präzise juristische Ausdrucksweise, die betont, dass die Normen, gegen die verstoßen wurde, tatsächlich in Kraft waren und Anwendung fanden, also auch hätten beachtet werden müssen. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat im Verfahren offenbar festgestellt, dass die Bundesregierung in dem konkreten Fall ihre Handlung nicht mit den maßgeblichen gesetzlichen oder verfassungsrechtlichen Vorgaben in Einklang gebracht hat. Sie hat also gegen geltendes Recht verstoßen.
PPQ: Das bleibt straffrei?
Heilecke: Das bleibt generell straffrei. Erinnern Sie sich an den Fall des heutigen Bundespräsidenten Walter Steinmeier. Dem wurde seinerzeit bescheinigt, dass er die geltende Verfassung gebrochen habe, als er dem BND-Untersuchungsausschuss die Herausgabe von Unterlagen verweigerte, mit deren Hilfe die Parlamentarier hätten herausfinden können, welche Rolle deutsche Behörden bei der Abwicklung von CIA-Folterflügen mit Terrorverdächtigen an Bord über deutsche Flughäfen gespielt und inwiefern BND-Mitarbeiter während des Irak-Krieges in Bagdad Deutschland zur Kriegspartei gemacht hatten. Für den Verfassungsbrecher ist das unangenehm, aber es hat keine Rechtsfolgen. Steinmeier bekam vom Gericht mitgeteilt, dass er Recht zu Unrecht nach eigenem Gutdünken gesetzt hatte und dass seine Verachtung für die verfassungsmäßige Ordnung zutage trat, als er der gewählten Volksvertretung das Recht absprach, das mutmaßlich rechtswidrige Handeln der Regierung zu prüfen. Aber er konnte nach dem Urteil immer noch problemlos Bundespräsident werden. Das ist ein typischer Verstoß, der in den Medien allgemein als einer 'gegen geltendes Recht' bezeichnet wird, um die Sache wenigstens wichtig klingen zu lassen.
PPQ: Vermutlich ist daran nicht zu zweifeln. Experten haben ja seit den ersten Ankündigungen des damaligen zuständigen EU-Kommissars Dimitris Avramopoulos, dass Grenzkontrollen im an sich offenen Schengen-Raum nach den europäischen Verträgen nur für "einen begrenzten Zeitraum von höchstens 30 Tagen" möglich sind, auf die Gefahr hingewiesen. Trotzdem noch einmal die Nachfrage: Wieso "geltendes Recht"? Wäre es denn überhaupt möglich, gegen nicht geltendes Recht zu verstoßen?
Heilecke: Das ist eine interessante Frage. Nein, es ist wohl nicht möglich, gegen `,nicht geltendes Recht`' zu verstoßen, da ,nicht geltendes Recht' per Definition keine verbindliche Wirkung hat.
PPQ: Die Formulierung, es läge ein Verstoß gegen ,geltendes Recht' vor, erfreut sich aber großer Beliebtheit.
Heilecke: Das erscheint aber so unsinnig wie der Versuch, aus einer leeren Flasche zu trinken. Es geht einfach nicht, das sagt einem schon der gesunde Menschenverstand. Rechtsnormen, die nicht oder nicht mehr in Kraft sind – also aufgehobene Gesetze oder noch nicht in Kraft getretene Vorschriften – können keine Grundlage für einen Rechtsverstoß bilden. Ein Verstoß setzt immer voraus, dass eine verbindliche Norm existiert, die missachtet wurde. Die Formulierung, dass gegen geltendes Recht verstoßen wurde, dient daher oft dazu, die grundlegende Bedeutung wichtiger juristischer Sprache bis in den Grenzbereich des Absurden zu übertreiben, um zu verdeutlichen, wie wichtig und bedeutsam die Entscheidung ist, die da getroffen wurde.
PPQ: Hätte denn ein Verstoß gegen nicht geltendes Recht irgendwelche Rechtsfolgen?
Heilecke: Nein, das ist nicht vorstellbar. Die Bewertung des hier behandelten Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs legt nahe, dass die Bundesregierung neue Bundesregierung möglichst drastisch mit den Spätfolgen einer Entscheidung konfrontiert werden soll, die ja bereits die Vor-Vorgängerregierung getroffen hat. Dazu dient meiner Meinung nach die Formulierung mit dem ,geltenden Recht'.
PPQ: Ist geltendes Recht also so etwas wie ein weißer Schimmel, sobald dagegen verstoßen wird?
Heilecke: Das würde ich so nicht sagen. Die Metapher mit dem „weißen Schimmel“ erscheint einleuchtend, aber nicht ganz treffend. Geltendes Recht ist kein weißer Schimmel, man kann nicht darauf reiten!
PPQ: Kinder nennen es ,doppelt gemoppelt', Wissenschaftler sprechen von Pleonasmen, weil ein Schimmel per Definition weiß ist – es ist also eine redundante Beschreibung. Wenn nur gegen geltendes Recht verstoßen werden kann, erscheint es recht überflüssig, zu erwähnen, dass gegen geltendes Recht verstoßen wurde.
Heilecke: Nun geltendes Recht ist kein Pleonasmus, sondern ein präziser juristischer Begriff, der einfach klarstellt, dass es sich um Recht handelt, das aktuell verbindlich ist im Gegensatz zu aufgehobenem oder noch nicht in Kraft getretenem Recht und geltendes Recht handelt.
PPQ: Die einzige Art Recht, gegen die sich im juristischen Sinne verstoßen lässt, sagen Sie.
Heilecke: Das ist richtig. Aber wenn gegen geltendes Recht verstoßen wird, wird es nicht automatisch zu einem „weißen Schimmel“ oder etwas Redundantem. Es bleibt geltendes Recht und deshalb ist die Handlung, die dagegen verstößt, rechtswidrig. Der Verstoß bedeutet, dass jemand - in unserem Fall die Bundesregierung -gegen eine oder mehrere verbindliche Normen gehandelt hat, was rechtliche Konsequenzen wie die Aufhebung eines Verwaltungsakts, eine Verurteilung oder andere Sanktionen nach sich ziehen kann.
PPQ: Würde das Recht kein geltendes sein, wäre was der Fall?
Heilecke: Nichts, im Grunde. Oder um die spaßige Anspielung auf den Schimmel aufzugreifen: Geltendes Recht ist ein Gaul, der nur geritten werden kann, wenn er ordentlich aufgezäumt ist. Sonst scheut er, bleibt aber, was er ist.
PPQ: Nur damit unsere Leserinnen und Leser das richtig verstehen: Wenn sich gegen nicht geltendes Recht faktisch nicht verstoßen lässt, weil es nicht gilt, dann ist geltendes Recht das einzige Recht gegen das verstoßen werden kann. Richtig?
Heilecke: Das würde ich unterschreiben, denn das ist absolut korrekt! Gegen „nicht geltendes Recht“ kann man faktisch nicht verstoßen, weil es keine verbindliche Wirkung hat. Nicht geltendes Recht gilt nicht, es setzt keine Grenzen, beschreibt keine Normen, es wirkt auf niemanden und in keine Richtung und hat keinen Anwendungsbereich. Es kann daher nicht verletzt werden. Ein Verstoß setzt ja immer voraus, dass eine aktive, verbindliche Norm existiert, die missachtet wird.
PPQ: Mit anderen Worten hat der Bayrische Verwaltungsgerichtshof mit seinem Verweis auf den Europäischen Gerichtshof (EuGH) und dessen Entscheidung, dass Grenzkontrollen, die länger als ein halbes Jahr dauern, nicht erlaubt sind, die Rechtslage interpretiert, wie sie ist? Er hat nicht versucht, eine nicht existierende Rechtslage als urteilsrelevant zu betrachten, weil eine solche Rechtslage für die Entscheidung nicht relevant ist?
Heilecke: Richtig. Das geltende Recht ist immer das einzige Recht, gegen das man verstoßen kann, weil es die Gesamtheit der zum jeweiligen Zeitpunkt verbindlichen Rechtsnormen umfasst. Eine Unterscheidung zwischen „geltendem“ und „nicht geltendem“ Recht ist letztlich der Versuch, etwas klarzustellen, das klar ist. Um es abzukürzen: Nur gegen geltendes Recht kann man verstoßen, weil alles andere schlicht keine Rechtswirkung entfaltet. Jeder Versuch, gegen Recht zu verstoßen, das nicht existiert, muss scheitern.
3 Kommentare:
>Der Völkerrechtler Stefan Salomon, Junior Professor für Europarecht an der Universität Amsterdam
Wie man diesen supranationalen, ungewählten Thinktank- und NGO-Filz behandelt, macht Trump beim Internationalen Strafgerichtshof vor.
https://apnews.com/article/icc-trump-sanctions-karim-khan-court-a4b4c02751ab84c09718b1b95cbd5db3
Der hat Karim Kahn (der Name spricht für sich) den MS-Account gekappt und jeder Ami, der da mitspielt, kann bei Rückkehr in die USA vor Gericht landen.
Wenn wir gerade bei Karim Khan sind - Der Gute muss gerade feststellen, Niedertracht ist keine Einbahnstraße.
so spielen die großen das spiel
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