Samstag, 30. August 2025

Doku Deutschland: Unsere Angst vor der Klimaneutralität

Klimaneutral leben ist für Klaus und Gunhilde Fahljäger selbstverständlich.

Es wird schmerzhaft für viele, aber es ist eben alternativlos. Während andere Staaten aus dem weltweiten Klimakonsens aussteigen, eifersüchtig darauf bedacht, ihre Bürger und ihre Industrie vor den hohen Kosten der einst in Paris vereinbarten Klimamaßnahmen zu schützen, geht Europa entschlossen voran. Zwar reiften nicht alle Blütenträume. Doch im Februar 2024 hat die EU-Kommission ein neues Etappenziel vorgeschlagen: Bis 2040 sollen die Emissionen der Mitgliedsländer um 90 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken. Hart, aber herzlich. Drastisch, aber unumgänglich.

Noch keine genauen Pläne 

Das genaue Klimaziel für die EU festzulegen, ist eine Aufgabe, die das Europäische Parlament noch erledigen muss. Im ersten Jahr nach der Ankündigung sind noch keine genauen Pläne nach außen gedrungen. Noch sortiert sich Europa, um nach dem Scheitern des Green Deal und dem Umschwenken auf Aufrüstung als erste Priorität weiter ein Bemühen um eine nachhaltige und weltweit wettbewerbsfähige Wirtschaft betonen zu können. In deren Mittelpunkt soll eine flexible, saubere Industrie stehen, die für dauerhaften Wohlstand, stabile Arbeitsplätze und eine größere wirtschaftliche Sicherheit in der EU sorgt, ohne dabei das Weltklima zu belasten. 

Für die größte Staatengemeinschaft der Welt ist das ein einfacher Gang. Die Kommission betrachtet die Führungsrolle der Industrie und den gerechten Übergang als zwei Seiten einer Medaille. Da sie sich selbst immer noch als starken globaler Akteur auf dem Gebiet der Netto-Null-Technologien sieht, gilt das ganze Bemühen der EU auch weiterhin dem Festhalten "an Fairness und Solidarität als wesentlichen Elementen des europäischen Green Deal", obgleich dieses größte Klimavorhaben der Menschheitsgeschichte bereits gescheitert ist. 

Zeit und Verzögerung 

Die Politik setzt auf Zeit und Verzögerung. Die Bürgerinnen und Bürger hoffen, das Unausbleibliche werde zu guter Letzt, ganz kurz vor Ultimo,  doch noch abgewendet werden. Aus Angst vor dem Zorn der Menschen, glauben viele, würden die Parteien der demokratischen  Mitte schließlich kurz vor der nächsten EU-Wahl einlenken und einen Kompromiss verkünden: Die Klimaneutralität könnte dann erst 2050 oder 2060 kommen, dafür aber noch neutraler. Die Gemeinschaft bliebe dann, so spekuliert mancher, aufgrund ihrer einzigartigen Rolle als einzige Staatengemeinschaft, die überhaupt unterwegs zu vollständiger Nachhaltigkeit ist, weiter Vorreiter. Sie habe aber die Chance, 440 Millionen Europäer dorthin mitzunehmen.

Von ganz unten aus betrachtet, dort, wo die Betroffenen heute schon bangen und flehen und vergebens rechnen, was aus ihnen werden könnte, wenn das doch nicht klappt, ist die Lage dennoch beunruhigend. Gerade die heute Jüngeren, vor allem aber  die, die schon älter sind, kommen beim Versuch, die Neutralität für sich durchzurechnen, auf keinen grünen Zweig. Mit jedem Monat wächst die Angst, nach einem arbeitsreichen Leben das zu verlieren, was man sich aufgebaut hat. Fatalismus macht sich mancherorts breit. Achselzuckend werden Zumutungen abgeheftet. Eine Familie aus Thüringen plaudert aus dem Nähkästchen...

"Wir sind raus" 

Ich sag’s mal so: Wir sind raus. Klimaneutralität hin, Klimaneutralität her. Wir, das sind Klaus und Gunhilde Fahljäger, seit 25 Jahren verheiratet, seit einem Jahr in Rente und, ehrlich gesagt, ziemlich zufrieden mit unserem Leben. Wir haben 45 Jahre malocht – Klaus im Handwerk, ich in der Kita. Wir waren kaum mal krank, immer einsatzbereit. Kinder? Nein, die sind bei uns nie gekommen. Wir hatten uns, das hat uns gereicht. 

Dafür haben wir unser Häuschen am Stadtrand von Schmölln, einen soliden Skoda Octavia, sechs Jahre alt, und ein monatliches Einkommen, das uns gerade so reicht, um die Rechnungen zu bezahlen. Gucken Sie mal: Wir sind jetzt 67, das Haus ist von 1996, Gasheizung, Dämmung nach dem Stand der 90er. Nicht top, aber auch kein Schandfleck. Zusammen kommen wir auf etwa 3100 Euro Rente brutto, netto bleibt nach Abzug von Steuern und Krankenversicherung vielleicht noch 2.000 Euro übrig. Dazu ein bisschen was auf dem Sparbuch, private Rentenversicherung, aber sicher keine Schätze, die wir im Garten verbuddelt hätten. 

Gehobene Mittelschicht 

Wir sind, wie man so schön sagt, gehobene Mittelschicht. Zumindest für den Osten. Also: Wir sehen uns so. Und wir sind damit schon fast Exoten, wenn man sich die Zahlen anschaut: Klaus hat gelesen, das die Hälfte aller Rentner mit weniger als 10.000 Euro Sparguthaben in den  Ruhestand geht. Zehn Prozent aller Eigenheimbesitzer schleppen sogar noch eine Restschuld mit, wenn sie endlich daheim bleiben können. Wir stehen also ganz gut da. Keine Schulden. Wir müssen nicht sparen oder beim Einkaufen knappsen. Aber jetzt stellen Sie sich mal vor, wie wir beide klimaneutral werden sollen. Bis 2045? Das ist ja das Ziel. Da kommen wir, sage ich immer zu Klaus, auch nicht drumherum. 

Aber ich sage ihm auch: Das wird an der Realität scheitern. Und zwar nicht, weil wir das nicht wollen. Sondern weil wir es schlicht nicht können. Nehmen wir mal unser Haus: Abbezahlt, gut in Schuss. Kein Luxusbau, aber grundsolide. Wir haben es uns schön gemacht, denn ein eigenes Haus wollten wir immer. Aber das ist eben fast 30 Jahre her! Stand der Technik ist hier Ende des letzten Jahrtausends. Ganz ehrlich, wir haben kein Problem damit. Aber natürlich bekommen wir eins.

Rein und raus 

Gasheizung raus, Wärmepumpe rein. Die Heizkörper müssten getauscht werden, vielleicht sogar Fußbodenheizung. Die Dämmung müsste auf den neuesten Stand, das Dach vielleicht gleich mit. Kosten? Mindestens 50.000, vielleicht auch 150.000 Euro. Fernwärme? Gibt’s hier am Stadtrand von Schmölln nicht, und wird’s wohl auch in den nächsten zehn Jahren nicht geben. Und selbst wenn, wer weiß, was das dann kostet. Jeder Fernwärmeunde ist ja einem Monopolisten ausgeliefert, habe ich gelesen. die machen die Preise, wie sie wollen.

Das Auto ist die nächste Frage. Unser Skoda läuft noch, aber der nächste Gebrauchte müsste dann wohl ein E-Auto sein. Meinetwegen. Aber: Ladesäule im Ort? Fehlanzeige. Also Wallbox in die Garage, Stromanschluss aufrüsten, Elektriker bestellen. Noch mal ein paar Tausender. 

Und das alles nur, damit wir weiter zum Supermarkt kommen – denn ohne Auto geht hier gar nichts. Rechnen wir mal nach: Statistisch gesehen, sagt der Arzt, haben wir noch 10 bis 25 Jahre. Wenn es optimal läuft also bis 2050. Um bis klimaneutral zu werden, was wir ja dann sein müssten, bräuchten wir locker 75.000 bis 200.000 Euro. Geld, das wir nicht haben. Da rede ich nicht drumherum. Wir haben das nicht mal annähernd. Auf der Bank liegen 20.000 Tagesgeld und dann haben wir noch ein Girokonto mit 3.000. Ende Allende! Glauben Sie, dass uns für den Rest eine Bank einen Kredit gibt? Wir sind 67, da lacht jeder Bankberater. "Tut uns leid, Herr Fahljäger, aber bei Ihrem Alter…"

Aber das Alter 

Wir könnten natürlich unser Haus verkaufen. Aber an wen? Wer kauft denn heute noch ein 30 Jahre altes Haus mit Gasheizung und Sanierungsstau? Junge Familien? Die kriegen ja nicht mal mehr einen Kredit, und wenn, dann wollen sie was Modernes, Energiesparendes. Die wollen auch nicht nach Schmölln! Also bleibt uns nur: Augen zu und durch. Hoffen. Bangen. Beten. 

Und wir sind ja nicht allein. Leute wie uns gibt es zu Millionen in Deutschland. Alle sitzen sie in ihren Häusern, verdrängen, was auf sie zukommt, hoffen, dass es schon nicht so schlimm wird. Und wenn doch, dann sind wir vielleicht schon nicht mehr da. Sozialverträgliches Frühableben. Soll doch die Gemeinde die Bude dann klimaangepasst sanieren.

Zynisch in die Zukunft 

Klingt zynisch? Ist aber so. Wobei ich ehrlich gesagt nicht vom Schlimmsten ausgehen. Sehe Sie, unsere Generation wird in den nächsten 20 Jahren die größte Wählergruppe sein. Wenn die Politik so weitermacht, läuft das auf ein Verbot für diese ganze Generation hinaus: Heizen und Autofahren wird für uns zu einem Luxus, den wir uns nicht mehr leisten können. Was dann? Sollen wir im Winter frieren und im Sommer zu Fuß gehen? 

Wir haben uns das mal durchgerechnet. Unsere laufenden Kosten liegen bei etwa 3.000 Euro im Monat. Da bleibt am Ende des Monats nichts übrig, um große Sprünge zu machen. Wenn die EU die Co2-Preise anzihet, dann wird es sowieso eng. Aber verschafft uns das die Luft, irgendwas bauen zu lassen, das uns entlastet? Ja, wie denn bitte?

Ruiniert, aber neutral 

Die Preise steigen, die Energie wird teurer, Lebensmittel sowieso. Und jetzt sollen wir noch zehntausende Euro in die Hand nehmen, um klimaneutral zu werden? Das ist doch kompletter Quatsch. Wir verstehen ja, dass der Klimawandel ein Problem ist. Wir haben schließlich auch Enkel – also, nicht direkt, aber die Kinder unserer Nachbarn. Die sollen auch noch was von der Welt haben. Aber was bringt es, wenn wir uns finanziell ruinieren, nur damit Deutschland als Musterknabe dasteht, während andere Länder weiter fröhlich CO₂ ausstoßen? 

Die Politiker in Berlin und Brüssel reden sich den Mund fusselig. Klimaneutralität hier, CO₂-Bepreisung da. Aber keiner fragt, wie das in der Praxis aussehen soll. Für uns heißt das: Wir sollen investieren, was wir nicht haben, und verzichten, worauf wir unser Leben lang hingearbeitet haben. Wir haben das Gefühl, dass die da oben keine Ahnung haben, wie das Leben hier unten aussieht. Die denken, jeder kann mal eben 100.000 Euro locker machen, das Haus sanieren, das Auto tauschen, und alles ist gut. Aber so läuft das nicht. Nicht in Schmölln, und bestimmt auch nicht in Buxtehude oder Hintertupfingen. 

Das große Verdrängen 

Was machen wir also? Wir verdrängen. Wir hoffen, dass die Politik irgendwann merkt, dass das alles für uns nicht zu stemmen ist. Dass die Ziele zurückgenommen werden, weil sie an der Realität scheitern. Und bis dahin machen wir weiter wie bisher: Wir heizen mit Gas, fahren unseren Skoda, und genießen unseren Ruhestand, so gut es eben geht und so lange es noch möglich ist. Vielleicht kommt ja noch mal eine Förderung, ein Zuschuss, irgendwas. Aber ehrlich gesagt, glauben wir da nicht mehr dran. Die letzten Jahre haben wir genug erlebt: Versprechungen gab’s viele, gehalten wurde wenig. Und genug gegeben, dass es uns hilft, hätte es sowieso nie.

Was wäre, wenn? Manchmal stellen wir uns vor, wie das wäre, wenn wirklich alles verboten wird: Kein Gas mehr, kein Auto mehr. Dann sitzen wir im Winter mit der Wolldecke auf dem Sofa, essen kalte Suppe und träumen von den guten alten Zeiten, als Heizen noch bezahlbar war. Oder wir verkaufen das Haus, ziehen in eine kleine Wohnung in der Stadt – aber auch da wird’s nicht billiger. Vielleicht machen wir es wie die Italiener: Einfach weiterleben, wie es immer war, und hoffen, dass keiner nachfragt. Oder wie die Griechen: Ein bisschen tricksen, ein bisschen schummeln, und am Ende wird’s schon irgendwie gehen.  Wir sind nicht gegen Klimaschutz. Aber wir sind gegen Illusionen. 

Der neue Weihnachtsmannglaube 

Wer glaubt, dass Millionen Rentner wie wir in den nächsten zehn Jahren klimaneutral werden, der glaubt auch an den Weihnachtsmann. Die Politik wird das irgendwann merken – spätestens, wenn die Wähler rebellieren. Bis dahin sagen wir: Viel Spaß beim Träumen, liebe Politiker. Wir machen das, was wir immer gemacht haben: Wir leben unser Leben, so gut es eben geht. Und wenn’s nicht mehr geht, dann geht’s eben nicht mehr. 


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