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Die Wurstentscheidung des EU-Parlaments zeigt deutlich, dass die Europäische Union auch in Zeiten großer Krisen handlungsfähig und entscheidungsbereit ist. |
Der Welt taumelt ungebremst in die Klimakatastrophe. Immer mehr Staaten stürzen über die Klippe zurück in vorzivilisatorische autokratische Zustände. Russland steht kurz davor, bis ins französischen Brest durchzumarschieren und in Deutschland bricht die ehemals so starke Industrie schneller zusammen als die dadurch fehlenden Steuereinnahmen beim Sozialstaat eingespart werden können. Es sieht wirklich nicht gut aus in diesen Tagen.
Schwindende Zuversicht
Hoffnung ist rar, Rettung fern. Auch wenn der Koalitionsausschuss der in Berlin regierenden "Kleiko" (Felix Banaszak) bis in die tiefe Nacht getagt hat, um eine wirksame Medizin gegen die erstarkende rechte Opposition zusammenzubrauen, schwindet bei vielen Bürgerinnen und Bürgern die Zuversicht. Aus Rezession wird nach drei langen Jahren Depression. Kaum, dass Menschen noch dem Hin und Her von Vorschlägen und Rückschlägen, Zumutungen und neuen Abkassierideen folgen.
Ausgeliefert fühlen sich viele, im Herzen spürt mancher die Sehnsucht danach, dass es einfach enden mögen, wie auch immer. Das pausenlose Beschwören der Krise, die Forderungen nach mehr Arbeit und länger, höheren Beiträgen, weniger Widerspruch und mehr Vertrauen, das alles macht die Seelen wund und die Köpfe leer. Seit Angela Merkel vor 15 Jahren verkündete, die Finanzkrise sei so schlimm wie zuletzt der Zweite Weltkrieg mit seinen 60 Millionen Toten, sind der Alarmindustrie die Superlative ausgegangen. Aller zwei, drei Jahre ist wieder etwas so schlimm, schlimmer sogar. Kaum dass sich noch Institutionen finden, denen die Menschen zutrauen, dass sie das Richtige beschließen werden, um das Ruder herumzureißen.
Das EU-Parlament, Anker der Stabilität
Wenigstens aber einen Anker haben wirtschaftliche und gesellschaftliche Stabilität in Europa , wenigstens auf ein politisches Gremium können sich 440 Millionen Europäerinnen und Europäer blind verlassen. Das EU-Parlament, das sich selbst aus seinem Alleinvertretungsanspruch für alle 745,6 Millionen Menschen in Europa gern auch aus "Europa-Parlament" bezeichnet, steht inmitten der grassierenden Krisen nicht am Rande und nicht tatenlos im Wege. In Straßburg, der Hauptstadt der europäischen Demokratie, wird gearbeitet, werden die Verhältnisse geordnet und die Schienen gelegt, auf denen EU-Europa in Kürze zurück an die Weltspitze dampfen wird, nachhaltig, vielfältig und grün.Es sind viele Bausteine, aus denen die mehr als 700 Abgeordneten aus heute noch 27 Staaten - nach dem Ausscheiden der Briten wurden deren Sitze nicht abgeschraubt, sondern unter den verbliebenen Staaten verteilt - die Straße zum nächsten Aufschwung bauen. Zahllose Acts haben sie schon beschlossen, kein anderer Kontinent verfügt über eine so gute "Rechtssetzung", wie es die EU-Kommission nennt. Wie eine zusätzliche Schicht legen sich EU-Vorschriften über jedes nationale Gesetz: Fürsorglich, streng und gut gemeint.
Gerechtigkeitsraum Europa
Der Gerechtigkeitsraum Europa reicht so von der Algarve bis nach Narva, von Dänemarks Nordseestränden bis zu den malerischen Mittelmeerinseln wenige Kilometer vor der Türkei, auf denen griechische Soldaten die europäischen Werte verteidigen. Weil es so wichtig ist, wird dem EU-Parlament regelmäßig viel vorgeworfen. Es sei korrupt, werde von arabischen Potentaten manipuliert und von chinesischen Staatskonzernen an der langen Leine geführt.
Dazu kommt die stete Behauptung, das nach dem Volkskongress Chinas zweitgrößte Parlament der Welt sei gar nicht demokratisch gewählt: Der den "Europawahlen" zugrundeliegende Grundsatz der degressiven Proportionalität wird da kritisiert. Obwohl die Europäischen Verträge klipp und klar festgelegt haben, dass kleinere Länder zwar weniger Abgeordnete haben als größere Länder, die Abgeordneten aus größeren Ländern aber dafür sehr viel mehr Menschen vertreten müssen als ihre Kollegen aus kleineren Ländern.
So viel Gutes
Demokratie 2.0, die auf Gleichheit verzichtet, aber eine hohe Operationalität vorweisen kann. Das EU-Parlament ist eben keine "demokratische Schwatzbude", wie seine Kritiker ihm vorwerfen. Es hat vielmals gezeigt, dass es auf akute Krisen schnell reagieren kann und sich nicht scheut, stabilisierend einzugreifen, wo die Grundfesten der Gemeinschaft durch gezielte Angriffe erschüttert werden. Die EU hat auf diese Weise bereits viel Gutes getan.
Dass es weltweit nur noch ein Ladesteckerformat gibt, ist den Parlamentariern zu verdanken. Dass Internet-Plattformen voll hasserfüllter Verleumdungen Rechenschaft vor EU-Gremien ablegen müssen, verdankt sich einer EU-Idee. Auch die von so vielen so lange ersehnte Neuskalierung des Energieeffizienzindex, die einen übersichtlicherer Farbraum für elektrische Verbrauchsgeräte schuf, fiel nicht vom Himmel. Wie die sogenannte Teller-Verordnung, die EU-Bürger ab 2026 zum Aufessen zwingt, steckt harte Arbeit hinter all diesen Versuchen, Europa sicher und schöner zu machen.
720 Abgeordnete aus 200 Parteien
Von dieser Arbeit lassen sich die 720 Abgeordneten rund 200 verschiedenen nationalen Parteien auch von vermeintlich neu aufschäumenden Krisen nicht abhalten. Ja, es steht nicht gut um Europas Wirtschaft. Ja, die Rechtsextremen stehen bei ihrem Marsch auf die nationalen Parlamente überall schon nahe vor der Tür, teilweise sind sie gar schon eingezogen. Richtig ist auch, dass die Bürokratie der Gemeinschaft derzeit viel damit zu tun hat, die in besseren Zeiten selbst ausgedachten Richtlinien, Regeln, Zwangsanweisungen und Auflagen so interpretieren, dass sie in der Kälte des internationalen Konkurrenzkampfes nicht alles Wirtschaftsleben in Europa erfrieren lassen.
Doch selbstbewusst setzt das Parlament eben auch weiter Prioritäten - auch um zu beweisen, dass kein Grund zur Panik besteht. Inmitten der wilden Stürme, die den alten, morschen Kahn Europa peitschen, kam es so zur denkwürdigen Veggie-Wurst-Entscheidung. 355 Abgeordnete verschafften dem Vorschlag eine Mehrheit, dass Wurst ohne Fleisch in Europa nicht mehr als Wurst bezeichnet werden darf, Fleischsalat nicht mehr als Salat und auch Schnitzel aus getrockneten, gepressten und mit Gewürzen aufgepeppten Sojasprossen einen neuen Namen erhalten muss.
"Soja-Geschnetzeltes" und "Soja-Mulch"
Im Gespräch, so war es auf den Fluren des Parlaments in Straßburg zu hören, ist hier "Soja-Geschnetzeltes" oder auch "Soja-Mulch". Entscheiden aber ist noch nichts, die endgültige Richtlinie mit der Gesamtliste der in der EU erlaubten Neuzeichnungen für Lebensmittel soll erst nach dem Abschluss der abschließenden Formsacheverhandlungen mit EU-Rat und Kommission von einem Bürgerrat erstellt werden.
Wichtig war den Parlamentariern aber das Signal hinaus in die Welt: Europa ist handlungsfähig, Europa kann die entscheidenden Weichen stellen. Auch wenn die EU nicht sofort in der Lage ist, die schicksalhaften Protokolle aus dem Plenum in den vielen, vielen Amtssprachen der Union bereitzustellen, ist das ein starkes Zeichen.
Symbolischer Sonnenblumenkernschinken
Hier im gemeinsamen Rechtsraum, der nach dem festen Willen von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eines Tages bald auch ein richtig gemeinsamer Markt werden soll, wird sich um die wichtigen Dinge gekümmert. Hier werden Menschen geschützt und Unternehmen, die mit billig zusammengekehrten vegetarischen Fleischersatzprodukte wie einem symbolischen "Sonnenblumenkernschinken" versuchen, Verbraucher zu täuschen, wird das Handwerk gelegt.
Das EU-Parlament ist sich keineswegs zu schade, en détail über Burger, Schnitzel und Wurst zu bestimmen. Vielmehr sehen es die Abgeordneten als ihre vornehmste Pflicht an, als "Sprachpolizei" (lto.de) aufzutreten - diesmal "zugunsten der Fleischindustrie", das nächste Mal für irgendjemand anderen, immer aber darauf bedacht, von ganz, ganz oben bis hinunter in die letzte Ecke des Alltags durchzuregulieren.
Dämpfer für Skeptiker
Für die Skeptiker, die die EU als Ganzes für einen schwerfälligen Dampfer halten, der sich als unfähig erwiesen hat, mit dem Tempo des Fortschritts weltweit mitzuhalten, ist das ein schwerer Dämpfer. Der Antrag auf ein Wurst-Bezeichnungsverbot für Wurstwaren ohne Wurst benötigte nur ein Jahr, bis die Mehrheit im Parlament das entsprechende Gesetzespaket durchwinkte.
Jetzt müssen nur noch die 27 EU-Staaten zustimmen, damit das Vorhaben in Kraft treten und dieses Kernproblem im europäischen Zusammenleben aus dem Weg räumen kann. Die Entscheidung des Parlaments gibt den Verhandlungsführern der Volksvertreter jedenfalls ein starkes Mandat in den anstehenden Verhandlungen im sogenannten Trilog mit den Ländern und der EU-Kommission.
8 Kommentare:
Solange weiße Schokolade als Schokolade verkauft werden darf, sehe ich da ein Glaubwürdigkeitsproblem. Das ist eben keine, genau wie seinerzeit die ekelhafte Creck.
https://de.wikipedia.org/wiki/Creck
Aber 'Mulch' für den veganen Ersatzfraß ist eine gute Idee, zugegeben.
Ich lasse mir in Restaurants immer bestätigen, dass das Schwein, von dem das Schnitzel stammt, sich ausschließlich vegan ernährt hat.
...die Sehnsucht danach, dass es einfach enden mögen, wie auch immer ...
Das ist von A bis Z überhaupt der Sinn der Sache!
Kannste glauben.
"Ich lasse mir in Restaurants immer bestätigen, dass das Schwein, von dem das Schnitzel stammt, sich ausschließlich vegan ernährt hat." - Wenn es sich als Allesfresser seine Ernährung aussuchen kann, würde es sich wohl für den Leiter des Schweinemastbetriebes entscheiden.
Völlig OT
... Ist ja bei den den Enkeln von Kapitän Tenkes auch nicht gerade Tagesgeschäft, eher ...
Um ein Haar hätte ich "Eckbert" geheißen, der mit der Klinge glänzt, hamdulillah ging dieser Kelch an mir vorbei. Kinder sind grausam.
Nur für Kenner ...
Möchte jemand dagegenhalten?
Na ja, das DIW ist jeweils zur Hälfte von Bund und Ländern finanziert. In solchen Einrichtungen kann niemand Chef werden, nur weil er fachlich außergewöhnlich gut wäre.
Ist halt ein Zirkus vitilosus (kleiner Scherz): Je mehr die kollektive Verblödung zunimmt. desto mehr nimmt die Zufuhr an Proteinen und Phospholipiden für den Brägen ab. Und je mehr die abnimmt, desto mehr nimmt die Verblödung zu. Positive Rückkopplung, selbstverstärkender Fehler - nichts zu wollen.
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