Donnerstag, 19. März 2009

Die Writer der Apokalypse


Geht sie? Oder geht sie nicht? Game Over oder "weiter so" (Helmut Kohl)? Reicht die "Neuordnung der Finanzmärkte" (Angela Merkel) aus, oder gehören Finanzmärkte einfach mal abgeschafft? Und wenn denn alles zusammenbricht, trotz Abwrackprämie und Rettungsschirmen, wie geht es dann weiter? Fallen alle Menschen weltweit im selben Moment tot um, in dem etwa die "systemrelevante Bank" (Steinbrück) Hypo Real Estate zusammenbricht?

Es gibt diese Sehnsucht, es gibt diese Angst. Seit uralten Zeiten ist die Apokalypse der Augenblick, zu dem es den Menschen magisch zieht. Untergang in Etzels Halle, die letzte Schlacht gewinnen wir. Nur dass wir sie nun verlieren, nicht malerisch, sondern beiläufig. Und dann?

So lange da Sozialismus war, hinter der Mauer, grau angestrichen und in Wollprylaröckchen und Omas Handstricksöckchen, gab es eine Alternative. Die ganze Welt wäre, hätte der Sozialismus gesiegt, wie es wissenschaftlich vorherbestimmt war, ausgesehen wie Perleberg und Luckau, beispielsweise. Backsteingemäuer und Braunkohleöfen, Rieselgrus vom Himmel und einheitliches Trabigedröhn allüberall. Durch den Beitritt Westdeutschlands zum Arbeiter- und Bauernstaat wären der VEB Opel und der VEB VW dazugekommen, die Genossen dort müssen nur noch noch lernen, dass montags Parteiversammlung ist. Auch wenn ein Großauftrag für den neuen Opel Sputnik ansteht.

Die Hoffnung war trügerisch, die Wissenschaft hat versagt. Andersherum hielt die Hoffnung auf den Notausgang nach Westen die DDR überhaupt nur am Leben, zumindest in ihren letzten Jahren. "Ich guck mir das hier an", sagten viele, "bis es nicht mehr geht". Und wenn es nicht mehr geht, hieß das, bin ich weg.

Geht nun nicht mehr. Heute noch jemandem raten, "dann geh doch rüber" ist unmöglich, weil es kein drüben mehr gibt. Alles ist hier, nichts ist dort, außer Kuba und Nordkorea, zwei Länder, in die es die Überzeugtesten nicht dauerhaft zu siehen scheint. Selbst Che hielt es in Havanna nicht aus, selbst Tamara Bunke packte den Koffer.

Der Kapitalismus hat nicht nur gesiegt, er hat seine Gegner umerzogen zu den Kapitalisten, die sie schon immer waren. Seitdem ist die ganze Welt eine geordnetes Ritual, das Reich ewigwährender Eintönigkeit. Aller vier Jahre Wahl, immer dazwischen WM und dazwischen Olympia. Im Frühjahr der ADAC-Tunneltest, danach der Test mit den Raststätten, der immer gespannt erwartete Fährentest und der mit den Brücken. Der Badewasserqualitätstest im Frühsommer kommt von der EU, da ist dann der FC Bayern aber schon Meister. Im Herbst streiken die Fluglotsen oder die Milchbauern oder die Post, das wird jeweils vorher abgesprochen. Der Ölpreis ist immer zu hoch oder niedrig, das Wetter immer zu nass oder zu kalt oder zu warm und zu trocken. Und alle sind immer in Sorge, dass es morgen nicht mehr so sein könnte. Keine Tagesschau mehr! Ein Sonntag ohne Anne Will!

Wird es so sein, wenn die Welt zusammenbricht? Die Welt, wie wir sie kennen? In der die Wurst vakuumverpackt im Supermarkt liegt, das Müsliregal 70 Sorten kennt, Kaffee aus fernen Ländern 2,70 im halben Kilo kostet und ein Telefongespräch nach Australien gar nichts mehr? Wer wird die Regale füllen? Und womit? Wird es überhaupt noch Regale geben? Den FC Bayern? Und Beckmann? Und Kerner? Und die Hitparade und die Oskar-Verleihung.

Die Rechte weiß es nicht, glaubt aber, dass ein wenig rütteln und schütteln schon alles zurechtschieben wird. Dann geht es weiter, neuer Kunde, neue Runde. Her mit dem Klavier! Goldstandard hin, Goldstandard her, so lange jemand was haben will, wird es jemand anders herstellen. Paris Hilton hat Glück, die wird sich immer etwas dazuverdienen können. Aber wer nur Pauschalreise gelernt hat? Und fernsehen? Was wird mit dem?

Die Linke, seit 1982 in Schockstarre wartend auf eine grundstürzende Gelegenheit wie diese, steht um Rat befragt ohne Fachliteratur da. Marx? Deutete Lohnarbeit als Sklaverei. Damit kann auch die Vierte Internationale einem VW-Arbeiter, der gerade seine Aktienoptionen eingelöst und sich einen Pool in den Wintergarten hat bauen lassen, gar nicht kommen. Lenin, Stalin, Mao, Honecker hingegen? Schreckgespenster aus dem Puppentheater der Weltrevolution, die blitzschnell noch das kleinste revolutionäre Fünkchen ausblasen.

Still, so still ist es neben, vor und hinter Oskar Lafontaine und Gregor Gysi, Sarah Wagenknecht und Klaus Ernst. Alternative Gesellschaftsentwürfe sehen hier aus wie Postkarten einer DDR mit Nutella, RTL und "Wetten, dass..." statt Maiparaden. Ansonsten schweigen sie sich aus, im Grundsätzlichen. Neuordnung der Finanzmärkte, aber immer, mehr Regulierung auch, und allenthalben. Abwrackprämie und Rettungsschirm, Reichensteuer und Systemrelevanz, da sind wir einig von NPD bis PDS oder wie sie gerade heißt. Der Kapitalismus gehört gezähmt! Opel muss gerettet werden, damit Deutschland sterben kann. Die Zukunft ist die Fortsetzung der Gegenwart auf einem neuen Kalender, die neue Weltordnung, von der Verschwörungstheoretiker schwärmerisch murmeln, die Sehnsuchtsangst derjenigen, die gern dabei wären, wenn es soweit ist und alles endet.

Aber wie immer, darauf immer wieder jede Wette, wird es das nicht.

4 Kommentare:

Sockenpuppe hat gesagt…

naja, seit hier die texte vorgelesen werden, kann die akopalüze(Schneider)noch warten zumindest bis das nächste hfc-spiel rezensiert ist, danach bin ich sowieso totgelacht

ppq hat gesagt…

das ist unser beitrag zur barrierefreiheit. ich habe auch gelacht

Eisenschwein hat gesagt…

toller text, übrigens

ppq hat gesagt…

ich finde süß, wie sie "helmut kohl" ausspricht. mit diesem kleinen kickser. toll