Montag, 12. April 2010

Lech mich am Arsch

Er ist ein unersetzlicher Verlust für jeden aufrechten Europäer, ein Anlass, der Trauer freien Lauf zu lassen und die deutschpolnischsowjetische Versöhnung auf ein neues Level zu heben. Lech Kaczynski eint Europa in einem Meer aus Teelichten, ein Tod auf dem Schlachtfeld der Erinnerung, die Kommandos von Kommentatoren zu schwelgerischen Lobeshymnen anregt.

Doch kann dort hinten in Smolensk wirklich der polnische Präsident gestorben sein? Der deutschlandweit bekannt wurde als "Polens neue Kartoffel" und seitdem Qualitätszeitungen und Premium-Sendern zuverlässig als Schurkenschablone für ein imaginäres Finsterpolen diente?

Kein gutes Haar trug Lech Kaczynski zu Lebzeiten auf dem Kopf, wenn den inzwischen ein bisschen vergessenen Schlagzeilen der Jahre 2005 bis 2009 zu trauen ist. Seit der polnische Präsident "als Zwölfjähriger mit seinem Zwillingsbruder Jaroslaw für den Spielfilm "Von zweien, die den Mond stahlen" allerlei krumme Streiche" ausgeheckt habe, so dichtete die Taz stilprägend, sei "ihm sogar der Mond näher als Deutsch- und Russland". Zweifellos ein "Schurke, der die Welt beherrschen wolle", dieser Lech "Katsche" Kaczynski, der seinen rechtmäßigen Nachfolger gerade im Ungarn Gábor Vona findet.

Nein, der Mann, dem heute deutschlandweit eine Sintflut an Krokodilstränen hinterhergeweint wird, war zu Lebzeiten alles andere als ein Liebling der Politikredaktionen. Kaczynski erregte "Aufsehen mit dem Vorschlag, über eine Wiedereinführung der Todesstrafe nachzudenken", prangerte die amtliche deutsche Nachrichtenagentur DPA an.. "Dies wäre nach EU-Recht nicht zulässig". Für die "Welt" stand Kaczynski der "Partei der polnischen Machthaber" vor und für die FAZ "stellvertretend für einen "Rechtsruck in Polen". Zitatlieferanten fanden sich jenseits der Oder-Neiße-Friedesngrenze: Solidarnosc-Führer Lech Walesa warf den Kaczynski-Brüdern vor, "sich das Land mit einem Staatsstreich unter den Nagel reißen" zu wollen. Naheliegend, fand der "Spiegel" heraus, denn "im Weltbild der Kaczynskis heiligt der Zweck die Mittel" und beider Brüder "stecken im Leben zusammen wie Puppen in einer russischen Matruschka".

Nicht nur in Deutschland, sondern auch "zuhause war der als Hardliner bekannte Kaczynski zu Lebzeiten heftig in die Kritik geraten, schilderte DPA später und die "Welt" sah im polnischen Präsidenten jetzt einen "Machthaber, von einem geradezu manichäischen Wahn gepackt". Kaczynski führe einen "Krieg zwischen Licht und Finsternis", in dem "jeder Zwischenton als Zeichen der Schwäche und jede Kritik an der Regierung als ein Bodengewinn des Schattenreiches" gelte.

Ziel des bösen Bruders und seines "Angriffs der Primitiven auf polnisch" (Die Welt) sei es, politische Gegner "gesellschaftlich zu vernichten, die bisherige Elite zu entmachten" und "das heimliche Fortleben der "Volksrepublik Polen" zu beenden". Ein Ziel, das nach Ansicht deutscher Experten mit dem Absturz bei Smolensk erreicht scheint, auch wenn statt der vor einigen Jahren noch auf "mindestens 400.000 Polen" bezifferten gesamten von Kaczynskis Machenschaften bedrohten "Elite" nur ein Flugzeug voller Elitevertreter samt dem weltbedrohenden Schurken selbst starb.

Der Tod, so lehrt nach Michael Jacksons triumphalem Sterbe-Comeback auch der tragische Verlust des polnischen Nationalisten Kaczynski, heilt alle Wunden, er macht Experten abrupt vergesslich und prägt das Bild des Verstorbenen mehr als dessen ganzes Leben. Wer auf Wahrhaftigkeit Wert legt, darf jetzt ruhig einmal laut sagen: Lech mich am Arsch.

1 Kommentar:

nwr hat gesagt…

Lech Krawallo hat auch uns zum Schluchzen gebracht, dank eurer mitfühlenden Worte ...

Größte Tragödie der modernen Welt: Lech Kaczynski segelt nach Walhalla. http://wp.me/sqGTs-tragodie