Dienstag, 28. Mai 2019

EU-Wahl: Die sieben Leeren


In Deutschland haben die beiden Volksparteien deutlich verloren, von den übrigen demokratischen Kräften konnten nur die Grünen kräftig profitieren. Aber wie haben die anderen Länder Europas gewählt? Noch schlimmer! Wie Berlin als grüne Insel in einem faschistisierten Ostdeutschland so schwimmt die Bundesrepublik in einer EU, in der überall Europakritiker ihre hässlichen Häupter heben. Zudem bricht mit dem Wahlergebnis die politische Ordnung in Brüssel zusammen, die allein Europa 30, 52 oder sogar 72 Jahre Frieden beschert hat. Vor den Europawahlen im Frühjahr war von Begeisterung für die EU nirgendwo ein Hauch zu spüren. Keine Straßenfeste, die die Gemeinschaft feiern, keine Jubelarien auf den deutschen Autobahnen und kaum Wahlkampf auf den Straßen des Weltfriedenskontinents. Jetzt aber bricht ein Sturm der Begeisterung für das gemeinsame Projekt los. Europa lebt, und wie!


Diese EU-Wahl könnte ein Wendepunkt für Europa sein, neue Mehrheitsverhältnisse erfordern neue Bündnisse, auch zwischen alten Rivalen. Junge Leute fordern einen Platz im Führerhaus, der Klimaschutz hat sich als zugkräftigste aller akuten Ängste erwiesen und viele neue Akteure werden deshalb in Bälde auf dieses Thema umschwenken. Eine große Chance für neue Steuern, neue Verbote, eine neue Chance für eine Umwelt, die nicht mehr durch Massentourismus und Massenkonsum beeinträchtigt wird.


Die „Schicksalswahl“, an der sich weniger Menschen beteiligten als an der EU-Wahl des Jahres 1994, die heute längst vergessen erscheint, hat Weichen gestellt. Jetzt endlich kann die EU in den kommenden Jahren wieder auf das richtige Gleis geschoben werden. Denn die Gemeinschaft steht trotz aller Krisen nicht am Abgrund. Jetzt beginnt das demokratisch-lebendige Kaupeln und Schachern um die besten Posten, jetzt zeigt die Maschinerie, wie gut sie geölt ist und ob sie wirklich, wie es Kritiker meinen, bei steigenden Kosten immer schlechtere Ergebnisse produzieren kann, während das Zusammengehörigkeitsgefühl der Europäer weiter schwindet.

Aus der Europawahl 2019 kann man sieben Leeren ziehen:

1. Der Rechtsruck in Europa ist dominant. Die bisher drei rechtspopulistischen und nationalistischen Fraktionen kommen zusammen auf 173 der insgesamt 751 Sitze – das sind nur 18 Sitze mehr als bisher, doch überall dort, wo rechte Parteien in ihren nationalistischen Heimatstaaten regieren, wurden sie mit Rekordergebnissen belohnt. Linke Parteien der Mitte dagegen wurden wie Macrons Marsch-Partei abgestraft. Damit dürften die rechten Parteien nur durch eine gemeinsame Anstrengung von allen demokratischen Kräften außen vor gehalten werden – in der Hoffnung, dass sie sich bis zur nächsten EU-Wahl national schon selbst entzaubert haben. 

2. Seit Jahrzehnten steht die Internationale Front aus konservativer Europäischer Volkspartei (EVP) und Sozialdemokraten (SPD) im EU-Parlament. Schulz machte Juncker zum Kommissionschef, Juncker Schulz im Gegenzug zum Boss des Parlaments. Alle anderen hatten in Europa nichts zu sagen, denn die rot-schwarze Groko machte Politik und Posten in der europäischen Volksvertretung einfach unter sich aus. Das wird nun schwieirger, weil zwar Helfer wie die Grünen und die Liberalen bereitstehen, aber nicht genug Posten, um allen ein wenig Glanz abzugeben. Insofern ist diese Wahl eine Zäsur: Sie bedeutet nach 40 Jahren, dass im Augenblick noch nicht feststeht, ob das erst vor fünf Jahren symbolisch eingeführte eiserne Prinzip des Spitzenkandidaten die nächste Woche überlebt.

3. Die Wahlsieger in Europa sind allen Medien zufolge Grüne und Liberale, die 58 Sitze gewannen, nicht Nationalisten, Populisten und Sektierer, die es auf einen Zuwachs von 63 Sitzen brachten. Die populistische Welle in Europa, die Linke und Konservative zusammen ein Fünftel ihrer Sitze gekostet hat, darf nicht wahr sein und man sollte sie deshalb auch nicht herbeireden. Ein Geburtsfehler der Gemeinschaft, der sich nicht mehr kurieren lässt. Kehrte Europa zurück zum alten demokratischen Brauch, dass jede Stimme gleich viel Gewicht haben muss, hätte Luxemburg am Tag nach der Wahl keinen einzigen Abgeordneten mehr im EU-Parlament. Genauso ginge es Malta und Zypern, Estland, Lettland, Slowenien. All die ohnehin peripheren Kleinstaaten, sie wären nicht mehr wie heute mit sieben, acht oder dreizehn Abgeordneten vertreten. Sondern nur noch mit einem oder zweien oder gar nicht, weiße Flecke auf der Europakarte, dominiert von Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien, untergebuttert und unsichtbar, nicht mehr beteiligt an Entscheidungen und damit auch offiziell reduziert zu bloßen Anhängseln der großen Kernstaaten.

4. Wichtiger: Die Liberalen haben durch den französischen Wechsel von der EVP kräftig zugelegt, sie sind drittstärkste Kraft im Parlament. Die Grünen wurden von der sechst- zur viertstärksten Kraft und trotz der Absage Macrons  an „ein Bündnis mit der alten politischen Klasse“ sind sie fast „gleich stark geblieben“, abgesehen von den herben Verluste, die erklärte Alt-Europäer wie die EVP und die Sozialisten einstecken mussten. Die Bemühungen Macrons um eine EU, die nicht mehr so "langsam, schwach, ineffizient" (Macron) ist, wurden dann einfach durch die übliche Inaktivität ausgebremst. In Berlin weiß jeder, dass in den nächsten Monaten hauptsächlich darum gerangelt werden wird, wer den Posten des EU-Frühstücksdirektors nach der als "Wahl" angekündigten nächsten EU-Abstimmung  wird übernehmen dürfen. Maccon möchte selbst jemanden aussuchen, die Deutschen möchten lieber wieder so tun, als handele es sich um eine Personenwahl, bei der Wähler entscheiden, wer gewinnt.

5. Schon jetzt ist klar, dass sich das auch thematisch auswirken wird. Die europäische Politik wird grüner werden, eine CO2-Steuer dürfte bald kommen, für die deutsche Industrie wird das Klima rauer – neue Vorschriften werden die europäische Innovationspolitik beflügeln wollen, dazu aber wird die politische Zersplitterung den Prozess bremsen, weil es für alle Beteiligten noch schwieriger als bisher werden dürfte, gegen den Widerstand anderer zu irgendeiner Entscheidung zu kommen. Wenn nur genügend Europäer Macron, dem neuen starken Mann der Union, folgen würden, dann bräche eine Zeit des Durchregierens an - mit schnellen Lösungen für Klima ("wir gründen eine Klimabank"), für CO2 ("wir senken den Ausstoß auf Null") und Migration ("wir sichern unsere Grenzen"). Warum zuvor noch niemand darauf gekommen war? Nun, Macron sieht besser aus als die meisten, er ist im Unterschied zu anderen auch überzeugter Demokrat, der nur anders handelt, als er spricht, wenn es wirklich sein muss.


6. Die Handlungsfähigkeit der EU nähert sich damit dem Maß an, dass die Gemeinschaft bisher stabil bei der gemeinsamen Flüchtlingspolitik nachweisen konnte. Die neue Zusammensetzung des Parlaments bedeutet aber zugleich, dass Konservative, Sozialdemokraten, Grüne und Liberale wegen der rechtsextremistischen Bedrohung mehr zusammenrücken – je fester diese vier Fraktionen zusammenstehen, ein desto einheitlicheres Bild bietet Europa der Welt. Dahinter steckt die Idee, mit einem nicht von nationalen Parlamenten kontrollierten Eurozonenbudget mehr Geld mit weniger öffentlichen Diskussionen in Krisenländer wie Griechenland transferieren zu können. Organisatorisch würde der jeweilige Zuschussanteil aller Beitragsstaaten in Friedenszeiten völlig ohne Aufsehen abfließen. Im Krisenfall wäre dann der - von keinem Wähler gewählte -Vorsitzende der Eurogruppe die Person, die als EU-Finanzminister mit der Geldgießkanne durch Europa fährt. Nach demselben Muster wurden in der Finanzkrise die sogenannten "Rettungsfonds" gegründet, die in den EU-Verträgen nicht vorgesehen waren.


7. Dass die deutschen Unionsparteien und die SPD deutlich weniger Abgeordnete nach Brüssel entsenden als bisher dürfte sich als segensreich erweisen. Damit wird der Einfluss Deutschlands in den beiden stärksten Fraktionen schwächer, andere Staaten können endlich mehr Verantwortung übernehmen. Die FDP konnte zwar leicht zulegen, aber mit voraussichtlich nur fünf von insgesamt 108 Abgeordneten spielen Lindner und seine Leute in Brüssel endgültig keine größere Rolle mehr als die Handvoll grüne Abgeordneter, die derzeit vor Kraft kaum laufen kann. Insgesamt zählt die sogenannte EFA-Fraktion aber 69 Abgeordnete aus 27 Parteien - von der slowenischen Ein-Mann-Unternehmung Verjamem über die katalanische Separatistenpartei Esquerra Republicana de Catalunyabis bis zur rechts-ökologischen deutschen ÖDP. Einheitlichkeit gilt seit Jahren als Ideal von Kommission und Parlament, obwohl das nicht nur dem Konzept des Föderalismus und der vertraglich vereinbarten "Subsidiarität" widerspricht, sondern die EU auch unflexibel macht. Wenn diese Analyse stimmt, nämlich dass in der sich evolutionär entfaltenden Globalisierung Flexibilität eine zentrale Voraussetzung für das soziale Überleben sein wird und dass Flexibilität ohne ständige demokratische Rückkoppelung wiederum nicht denkbar ist, dann können mehr Parteien mit weniger Abgeordenten mehr erreichen als weniger Parteien mit mehr.

8. Chef der Liberalen ist Emmanuel Macron, der seine Pläne vom Ausbau der EU zu einer vollgültigen Transferunion mit Geldpipelines, die nicht mehr über die EZB, sondern direkt von Deutschland in bedürftige Partnerländer laufen, zumindest so lange eilig ausbauen wird, wie ihn die Wähler daheim im Amt halten. Als Chefin der EFA fungiert die Deutsche Ska Keller, die über ein dreiundzwanzigköpfiges Generalsekretariat und ein siebzehnköpfiges Presseteam verfügt, um grüne Physik zukunftsfest zu machen. Gemeinsam werden beide die bisherige Bilanz von 20 Jahren Europabemühungen vom Desaster in einen Triumph verwandeln. Gelang es trotz aller Pakte zur Förderung des Wachstum bisher nicht, den alten Mann Europa zum Hürdenläufer zu trainieren, trotz aller Versuche, Sozialsysteme zu modernisieren, werden Armut und Ungleichheit zwischen Kopenhagen und Nikosia an sofort ebenso schrumpfen wie die Schulden. Die Wettbewerbsfähigkeit der meisten Länder dagegen wird steigen und ihre Uneinigkeit über Ziele und Wege schrumpfen.


5 Kommentare:

Die Anmerkung hat gesagt…

Das mit dieser Frau Keller im hinzugeschummelten Punkt 8 finde ich gemein.

Woher wissen Christoph B. Schiltz und Hannelore Crolly eigentlich, daß sie wie die richtigen sieben Zwerge gelogen haben, äh, die richtigen Lehren wissen?

Godwin hat gesagt…

Die machten zwar beim ÖRR aus der EU-Wahl eine deutsche Wahl – weil Europa, die Welt und der Kosmos schauen ja auf Deutschland – aber die Grünen sind nicht die großen Gewinner. Sogar die Schweden – Heimatland der aktuellen Prophetin – straften die Grünen ab – direkt mit -6%. Die Gewinner sind wie hier richtig aufgeführt die Liberalen (Fraktion ALDE&R) mit +40 Sitzen, dann kommen die Nationalkonservativen (Fraktion ENF) mit +22 Sitzen, dann erst die Grünen mit plus +17 Sitzen. Von den 69 Sitzen der Fraktion Grüne/EFA kommen 47 Sitze aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien; also satte 35 % der EU-Grünen kommen alleine aus Deutschland, knapp 70% aus den drei genannten Ländern.

Die grüne Bewegung ist keine breite europaweite Bewegung, die kommen vor dem Ergebnis aus Irland nur aus 14 Länder. Und grün steht definitiv bei einigen dieser Fraktion nur über der Klingel. Bspw. die LKS aus Lettland strebt den Anschluss Lettlands an Russland an, Putin ist für die der Größte; sehr EU-freundlich. Die Bauernpartei LVZS aus Litauen beruft sich im Namen auf die „Erste Republik“ und ist national eingestellt. Die EH Bildu aus Spanien ist eine baskisch-nationale Partei, die nach linksradikaler Tradition es lange Zeit nicht schaffte, sich von der ETA zu distanzieren. Die auch in dieser grünen Fraktion sitzende ERC aus Spanien strebt die Separation Kataloniens an; soviel zum Einigungsprozess.

Quelle: Bei Wikipedia ist direkt oben rechts die Grafik mit der Sitzverteilung, unter Wahlergebnis stehen die Einzelländer und Links zu den Fraktionsmitgliedern.
https://de.wikipedia.org/wiki/Europawahl_2019

Die Grünen sind auch keine Jugendbewegung, die stecken nur viel Geld in NGOs, Kinderaktionen und Werbeagenturen wie Ströer, um Youtuber für verdeckte Wahlwerbespots zu mieten – um jung zu wirken. Da kann der ÖRR (habe gehört, die GEZ-Gebühren können bald als Wahlkampfspende an die Grünen abgesetzt werden) soviel News in Fake verdrehen, wie sie wollen. Fake News Tagesschau:

https://www.tagesschau.de/inland/analyse-europawahl-103.html

Die Grünen haben ein massives Altersproblem, die treuen 68er gehen in die letzte Runde. Am folgenden Artikel wurde noch nicht „nachgebessert“, Analyse der Bundeszentrale für politische Bildung vom letzten Jahr:

„Seit Gründung der GRÜNEN hat sich das Alter ihrer Wählerschaft geändert: Von 80 Prozent ist der Anteil der unter 35-Jährigen auf 10 Prozent gesunken. Auch die soziale Zusammensetzung hat sich gewandelt. Die Wähler der Partei haben überdurchschnittlich hohe Einkommen und sind vornehmlich im Dienstleistungs- und Bildungsbereich beschäftigt.“

https://www.bpb.de/politik/grundfragen/parteien-in-deutschland/gruene/42159/wahlergebnisse-und-waehlerschaft

Die Grünen sind eine Partei der Besserverdiener, der Spitzenbeamten, die haben mehr Wähler unter den Selbstständigen als die FDP - und sind total überaltert. Deshalb die aktuelle Jugend-Propaganda!

Anonym hat gesagt…

darf ich nach der Machtübernahme die Grünen alle vergasen ? ---

Dann bitte mit Kohlenmonoxid, denn diese Zyanidverbindungen hinterlassen in den Wänden danach* so häßliche blaue Flatschen. Aber nicht dort, wo sie soll(t)en.

*Kleiner Mann, was nun? "Ja, wir hatten mal die Wanzen. Aber das haben wir hingekriegt - mit Blausäure."

Nordlandfahrer

Anonym hat gesagt…

@ Anmerkung: Wirklich kein ASS? Wenn, dann bedauerlich - gibt es als Aspirin Complex mit Pseudoephedrin, das Kokain des Armen. Alternativ ratiogrippal von Israelpharm. Mit 200 mg Ibuprofen nebenbei.
Selbst bin ich immer wieder erstaunt über meiner Leber* und meines Magens Leistungsfähigkeit. Anhaltscher Furchenadel, dank Solvay zur Arbeiteraristokratie aufgestiegen, eherne Magenwände, und eherner Körperbau. Trinkfestigkeit etwa auf dem halben Niveau der Russen und Polen. *Itraconazol mit Allolol - und wie ...

Halbgott in Weiß

Gernot hat gesagt…

In den Informationen der seriösen Qualitätsmedien (Schäuble)über die Wahlergebnisse anderer EU-Länder strotzt es nur so von bunten Graphiken mit Grautönen für die "sonstigen" und "fraktionslosen" Abgeordneten. Den Vogel schoss zumindest am Wahlabend die "Welt" ab: 51,8% "sonstige" in Kroatien, Platz für einen hohen grauen Balken in der Graphik, aber nicht für kleingedruckte Informationen darüber, wer das ist und wofür oder -gegen er steht bzw. sitzen wird.
Ich vermute einfach mal, dass vielen dieser Sonstigen und Fraktionslosen eine Nähe zu einer der drei Fraktionen des Bösen unterstellt werden darf.

Nun las ich hier noch, dass manche "Grüne" aus Völkern, die gerade erst ihr Selbstbestimmungsrecht erlangt haben oder sich noch darum bemühen, gar nicht für die Abschaffung ihrer Völker sind (Dank an Godwin). Skandalös!