Donnerstag, 29. Februar 2024

Verrat beim Verfassungsschutz: Geheimnisse auf dem Markplatz

Thomas Haldenwang ist der öffentlichste Geheimdienstchef, den Deutschland je hatte. Auch seine Behörde gleicht einem offenen Buch: Meist bekommt sie von Bedrohungen nichts mit, ihre Interna aber sind Stadtgespräch.

Riesenleck beim Verfassungsschutz, offenbar völlig ungehindert strudeln geheime Daten ab, Akten, Listen, Gutachten und Dokumente, alles liegt der Süddeutschen Zeitung vor, ungeschwärzt und ungefiltert. Der immer wieder von Skandalen geschüttelte Inlands-Geheimdienst, eine weltweit einmalige Einrichtung, die geschaffen wurde, um über jeden Wechsel an der Regierung hinweg die Kontinuität und Unverletzlichkeit der Verfassung zu gewährleisten, steckt einmal mehr tief in Sumpf einer Affäre um Geheimschutz, Geheimhaltung und die Wahrung der Vertraulichkeit.

Offenes Verfahren ohne offenes Ende

Obwohl es sich um ein offenes Verfahren handelt, in dem es um höchste Verfassungsorgane geht, ist es irgendwo in der Riesenbehörde mit inzwischen mehr als 4.200 Mitarbeitern wieder passiert: Noch ehe die entsprechenden Untersuchungen beendet, die Sachverständigengutachten geschrieben und die grundgesetzliche vorgeschriebenen Regularien eingehalten waren, verkündete die Süddeutsche Zeitung von anderen Ende der Republik, dass das BfV die Einstufung der gesamten AfD als "gesichert extremistische Bestrebung" vorbereite.  

Aus dem sogenannten "Verdachtsfall", einem erst im Zuge des gescheiterten NPD-Verbotsverfahrens etablierten Sonderbegriff, unter dem die Partei in den internen Dokumenten der Behörde gelistet wird, würde dann eine der "immer komplexer werdenden Bedrohungen für die freiheitliche demokratische Grundordnung", die der Verfassungsschutz mit Hilfe geheimdienstlicher Methoden überwachen kann. Der Schritt gilt als wichtige Stufe auf dem Weg zu einem förmlichen Verbotsverfahren, wie es der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl für die Partei der "Brandstifter in Biedermannsakkos" bereits 2018 gefordert hatte. 

Härtere Gangart im Wahlkampf

Seinerzeit erfolglos, zuletzt aber hatte sich eine härtere Gangart gegen die in Teilen bereits als gesichert rechtsextrem eingestufte zweitstärkste Partei Deutschlands bereits angedeutet. Wie die Süddeutsche Bundesamt aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz erfahren hat, wolle man dort eine "verschärfte Einstufung der AfD erwirken". Wie genau das vor sich geht, wo wer bei wem was beantragt, um nach welchen wo festgeschriebenen rechtlichen Regularien etwas zu "erwirken", erklärt das Münchner Blatt nicht. Da es sich bei der "Einstufung" um ein behördeninternes Verfahren handelt, ist aber auch so schon bemerkenswert, wie detailliert die Informationen um das "neue Gutachten" mit dem Zweck, "die AfD zur gesichert extremistischen Bestrebung hochstufen", aus den Geheimschutzanlagen des BfV sprudeln.

Auch unter Thomas Haldenwang, dem seit fünf Jahren amtierenden Chef des zivilen und nur für das Inland zuständigen Nachrichtendienst des Bundes, bleibt die Behörde mit Hauptsitz in Köln-Chorweiler ihrem Ruf treu. Immer schon hat der Verfassungsschutz versagt, die darauffolgenden Krisen aber bei bester Gesundheit überstanden. 

Vom Abhören des Kanzlerinnentelefons bekamen die Schlapphüte so wenig mit wie von den Mordausflügen des NSU, das Entstehen von Pegida kam für Schild und schwer der Verfassungsordnung vollkommen überraschend und über die Existenz von National-befreiten Zonen in den verlassenen weiten Dunkeldeutschlands musste seinerzeit der emeritierte Regierungssprecher Uwe-Carsten Heye die zu Fußball-Weltmeisterschaft 2006 anreisenden Besucher aus aller Welt informieren. Das BfV wusste nichts.

Bundesamt für Verdrängung

"Bundesamt für Verdrängung" nennen sie die dem jeweiligen Innenminister unterstellte Nachfolgeorganisation des Reichskommissars für Überwachung der öffentlichen Ordnung, der in der Weimarer Republik ebenfalls ohne polizeilichen Befugnisse und vollkommen erfolglos bei der Nachrichtengewinnung über verfassungsfeindliche Bestrebungen agiert hatte. 

So wie es der Verfassungsschutz seinerzeit verabsäumte, Fußballfans mit "anderer Hautfarbe" (Heye) aus dem Ausland vor Besuchen in Brandenburg zu warnen, obwohl sie Orte dort "möglicherweise lebend nicht mehr verlassen" hätten, ignorierte der Verfassungsschutz zuletzt sogar das sogenannte "Geheimtreffen gegen Deutschland" (Correktiv): Von den Plänen zu Remigration und schneller Abschiebung in großem Stil  hatten die Schlapphüte nichts mitbekommen, bis es die Spatzen am Mitte Januar von den Dächern pfiffen.

Nie nichts wissen

Das ist Tradition in einer Behörde. Der Bundesverfassungsschutz hat bis heute von Nordstream nichts gewusst, nichts von den Terrorplänen Anis Amris, nicht von den russlandfreundlichen Umtrieben der SPD in Mecklenburg oder gar von der viele Jahre andauernden Unterwanderung der Bundespolitik durch russische Lobbyisten, die Deutschland von Kreml-Gas abhängig machten, die Verteidigungsfähigkeiten des Landes ruinierten und Ermahnungen des US-Präsidenten zu mehr Investitionen in die eigene Resilienz mit gezielten Angriffen auf die Schutzmacht jenseits des Atlantik beantwortete.  

Beobachter halten das längst für typisch für ein Haus, in dem nicht einmal ein mittlerweile als Rechtsextremist aktenkundiger "Schläfer" entdeckt wurde, obwohl er jahrelang als Chef der Behörde diente und der heutige Präsident direkt unter ihm. Konsequenzen hatte die endlose Kette an Totalversagen nie: Die von Freunden abgehörte Bundeskanzlerin verzieh dem Verfassungsschutz, dass der nichts hatte ahnen können. Die Medien verzichteten nach NSU, nach Amri, nach Pegida und auch nach dem Bekanntwerden der Verstrickungen der deutschen Sozialdemokratie und etlicher Christdemokraten in die Pläne des Despoten von Moskau zur Abhängigmachung Deutschlands auf jedes Scherbengericht samt Forderung nach personellen Konsequenzen.

Geheimdienst als offenes Buch

Doch wie geheim ist ein Geheimdienst, vor dem zwar alles geheim bleibt, der selbst aber transparent ist wie ein offenes Buch?  Der aktuelle Leak zur geplanten "Massendatenauswertung von Internetinhalten", die nach einer Handhabe durchsucht werden sollen, um beispielsweise "Kontaktlisten und Beziehungsgeflechte bei Facebook" zu nutzen, um die gesamte AfD als gesichert extremistische Bestrebung einzustufen, wirft Fragen nach Deutschlands Sicherheit auf. 

Wenn eine von der Medienkrise geschüttelte und gebeutelte Tageszeitung, die heute nur noch ein Schatten ihrer selbst ist, Zugang zu "internen E-Mails und Vermerken des Inlandsgeheimdienstes" hat, wer liest sonst noch alles mit, was insgeheim getan wird, um die Verfassung zu schützen? Wenn Journalisten wissen, dass "ein Team des Bundesamts schon seit Monaten daran sitzt, ein neues Gutachten zur AfD zu erstellen" und nun nur noch abwarten, wie eine im März bevorstehende Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster ausgeht, wo die Partei gegen ihre Beobachtung klagt, wo überall sonst kennen Organisationen, Parteivorstände, Medienarbeiter und ausländische Agenten die genauen Pläne, Abläufe und Strategien, nach denen der Verfassungsschutz vorgeht?

Die Süddeutsche weiß alles

Eigenen Angaben zufolge verfügt die Süddeutsche Zeitung über den Zugang zu internen E-Mails des Bundesamts von März 2023 an. Auch ein aus dem April 2023 stammender "erster Entwurf einer Gliederung" des geplanten Urteils liegt der Redaktion eigenen Angaben zufolge vor. Das Dokument liste die schon bekannte Kritik des Verfassungsschutzes an Rassismus und Autoritarismus in der AfD auf, enthalte aber auch den neuen Punkt "Verhältnis zu Russland", der intern als wirkmächtiges Argument gilt, aber auch Ängste schürt, dass andere Parteien ähnlich ins Visier geraten könnten. 

Minutiös ist die SZ über den Zeitplan informiert, den Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang (CDU) und dessen Stellvertreter Sinan Selen abgesegnet hätten: Der Ausgang des Berufungsverfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster solle vorsichtshalber erst noch abgewartet werden. Danach erst könne das "Koordinierungsteam" (SZ), das mit der sogenannten Bearbeitung der AfD befasst ist, den Verdachtsfall offiziell ausrufen.


2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ich bin ja auch selber schockiert, dass die SZ solche Hetzartikel über den obersten Schützer der Bundesregierung verbreitet.
Aber das Bild ist gut, es reicht, wenn Haldenwang mit dem Finger auf jemanden zeigt, damit alle wissen, was sie von dem zu halten haben.

Spaziergänger hat gesagt…

Wenn ich diesen Kasper sehe, brauche ich für meine Verfassung einen Schutz.