Freitag, 5. September 2025

Doku Deutschland: Die unsichtbare Wächterin


Trusted Flagger unsichtbare heldin
Julia-Ann kommt aus Schleswig-Holstein, sie arbeitet bei der Trusted-Flagger-Agentur Made with Hate, spricht aber nicht gern über ihre Arbeit.


Im Rahmen der Hasswoche bei PPQ schreibt Julia-Ann heute über ihre erschütternden Erfahrungen an der vordersten Meinungsfront.

Ich dachte wirklich, ich habe meinen Traum gefangen. Einfach so, ohne Anstrengung, ohne Mühe. Nicht mal danach gesucht habe ich! Aber ich muss erst die Vorgeschichte erzählen, damit das alles einen Sinn ergibt. Also gut, ich bin Julia-Ann, 24 Jahre alt, und komme aus einer Kleinstadt in Schleswig-Holstein, wo die Zeit langsamer vergeht als der Wind über die Nordsee weht. Mein Dorf, so haben wir das immer genannt, ist ein Ort, an dem die größte Aufregung der jährliche Schützenfestumzug ist, und selbst der fühlte sich an wie ein Relikt aus einer anderen Zeit.  

Schon als Teenager wusste ich, dass ich mehr wollte, dass ich etwas bewegen musste. Ich habe Bücher gelesen, "Die Welle", den Bericht vom "Club of Rome" und "Der stumme Frühling". Auch "Der Wal und das Ende der Welt" natürlich und viele Bücher von Ulrich Wickert.  Es sah im Dorf nicht so aus, aber die Welt da draußen brannte, und ich konnte nicht einfach nur zusehen. Also engagierte ich mich früh, zuerst in der Grünen Jugend, wo wir gegen Nazis und den Rechtsruck demonstrierten, meist in Kiel, weil es bei uns nicht genug Nazis gab. 

Zum Ausgleich war ich als Vogelwartin auf Amrum, wo ich stundenlang durch die Dünen stapfte und Vögel zählte. Ich dachte immer, dass die Welt so schön sein könnte, wenn alle wären wie ich. Die Erde könnte ein so schöner Ort sein, gerecht und voller Liebe. Ich habe damals irgendwann, klingt blöd, war aber so, beschlossen, dass ich dafür kämpfen werde. Das habe ich auch gemacht, ehrlich.

Später, als Vorsitzende der Fridays-for-Future-Ortsgruppe, stand ich mit Megafon auf dem Marktplatz, rief zur Klimarevolution auf und fühlte mich zum ersten Mal wirklich lebendig. Wir waren viele! Wir waren mehr! Eines Tages, ich war gerade 19, kam ein Angebot, das mein Leben veränderte. Ein Bundestagsabgeordneter der Grünen, den ich aus einem Interview im Fernsehen kannte, suchte Praktikant:innen für die sitzungsfreien Wochen in Berlin. Meine Freundin hatte das irgendwo bei Tiktok gesehen. Ich war hin und weg. Ich habe mich auch gleich beworben, ohne große Hoffnung. Aber echt Leute, zwei Wochen später saß ich im Zug nach Berlin, mein Herz pochte vor Aufregung.

Die Hauptstadt war ein Rausch. Diese große Stadt! Die vielen Leute. Für mich war das wie in Rom oder New York. Eine echte Metropole. Ich lief durch die Gänge des Bundestages, sah Menschen, die ich sonst nur aus den Nachrichten kannte, und fühlte mich, als wäre ich endlich angekommen. Das ist ein Ding, das wusste ich gleich. 

Der grüne Abgeordnete war auch nett, aber noch netter war der Abend bei einem Sommerfest im Garten der griechischen Botschaft. Wir standen unter Olivenbäumen in Kübeln und Sirtaki-Klänge schwebten durch die warme Nacht und da sprach mich eine schicke junge Frau an. Imaria, vielleicht Mitte 30, mit pinken Haarspitzen und einem Lachen, das wie ein Funke übersprang. Sie stellte sich vor, sie war die Gründerin eines Start-ups namens "Made with Hate" (MwH) und sie suchte junge, engagierte Leute, die gleich anfangen können. 

"Leute wie dich", sagte sie, und ihre blauen Augen leuchteten wie Scheinwerfer. Sie wolle etwas ändern in der Welt und mit MwH werde das passieren. Mit anderen Leuten zusammen, die auch die was ändern wollen. Made with Hate sei so gegen Nazis und Querleugner, die rechten Dullis und die Hassprediger im Netz, die sollten in die Schranken gewiesen werden. Ich dachte, absolut mein Ding - und recht Leute, dann bot sie mir an, als Social-Media-Managerin einzusteigen. Ich sagte zu, ohne zu zögern. Sofort. Gleich. In dem Moment. Ich hatte nicht mal ein Zimmer in Berlin, nur die AirBnb-Buchte.

Aber Imaria hat Verbindungen und sie hat mir dann geholfen. Seit eineinhalb Jahren bin ich jetzt bei MwH, einem flippigen Unternehmen in Kreuzberg, wo die Wände mit Street-Art bemalt sind und es Trinkwasserspender und sogar Gemüsesaftautomaten gibt. Unser Büro ist ein offener Loft, mit Pflanzen, die von der Decke hängen, und einem Tischkicker, der nie stillsteht. Wir haben Gleitzeit und arbeiten meistens von daheim, machen aber die Meetings bei Zoom, klar.

Wir sind echt ein Team aus Idealist:innen, die daran glauben, dass das Internet ein besserer Ort werden muss, damit es die richtige Welt auch werden kann. Imaria sagt immer, man muss Hass und Desinformation aus ihm herausschneiden wie Unkraut aus einem Garten. Klingt komisch, aber wir nennen uns manchmal Meinungschirurgen, weil wir ja an den Ansichten der Leute rumschneiden, um zu schauen, was davon noch geht und was besser nicht mehr gesagt werden sollte.

Meine Aufgabe ist es, Inhalte auf Plattformen wie X zu sichten, zu markieren und an die zuständigen Organe zu melden. Es klingt simpel, aber es ist jedes Mal ein totaler Kampf. Jeden Tag wühle ich mich durch einen Sumpf aus Beleidigungen, Verschwörungstheorien und Drohungen, die mir den Glauben an die Menschheit rauben könnten, wenn ich nicht wüsste, dass wir etwas Gutes tun. Klar, wir haben einen Psychologen, zu dem wir gehen können, wenn es besonders hart ist, das Hasszeug zu lesen. Aber immer durch den Sumpf waten, ständig so Genöle und Gehetze prüfen zu müssen... das macht einen krank.

Vor zwei Monaten kam der große Moment: MwH wurde von der Bundesnetzagentur als „Trusted Flagger“ anerkannt. Für uns war das ein großer Tag, denn mehr kannst du als Meinungsprüfer nicht erreichen. Klar, Imaria wusste das schon, die Partei hat ja Verbindungen bis in die Lizenzbehörde, die die Titel verteilt. Aber es war trotzdem, als hätten wir einen Oscar gewonnen. Trusted Flagger – das bedeutet, dass unsere Meldungen bei Plattformen wie X Vorrang haben, dass wir schneller und effektiver gegen Hass im Netz vorgehen können. Wir sind die letzte Instanz, die entscheidet. Zwar können die, die wir sperren lassen, sich beschweren. Aber wen interessiert zwei,d rei jahre später noch, ob die das hätten schreiben dürfen, was sie geschrieben haben?

Für uns war es der Jackpot. Die Umsatzplanung wurde plötzlich einfacher, Investoren klopften an, und wir feierten mit Bio-Prosecco und veganen Tacos. Ich erinnere mich, wie Imaria zu später Stunde mit erhobener Flasche rief: „Wir machen die Welt sauber!“ Und in dem Moment glaubte ich das wirklich. Wir haben getanzt wie besessen, sogar zu Abba und Matthias Reim, echt.  

Aber jetzt, zwei Monate später, spüre ich die Kehrseite. Trusted Flagger zu sein, das ist wie ein unsichtbarer Makel, den ich mit mir herumtrage. Manchmal komme ich mir vor wie ein geheimagent, der niemandem sagen darf, was er beruflich macht. Denn echt: Die Öffentlichkeit hasst uns. Auf X, in Foren, sogar in den Kommentarspalten von Nachrichtenseiten werden wir als Zensoren, Meinungspolizei oder Schlimmeres beschimpft. Menschen, die ich nicht kenne, schreiben, wir würden die Freiheit erwürgen, die Demokratie zerstören.

Ich habe gelernt, nicht mehr zu lesen, was über uns geschrieben wird, aber die Worte brennen sich trotzdem ein. Es ist, als wäre mein Job verpönter als der von Prostituierten, Journalisten oder Politikern – Berufe, die ich früher selbst kritisch beäugt habe. Ich habe angefangen, im Alltag zu lügen. Steh ich auf einer Party, sogar hier in Berlin, behalte ich die Jobsachen schön für mich. Wenn mich jemand fragt, was ich beruflich mache, murmele ich etwas von Social-Media-Management und lenke schnell ab. Ich setze Nebelkerzen, erzähle von meinem alten Job als Vogelwartin oder mache Witze über das Kreuzberger Hipster-Leben. 

Alles, nur nicht die Wahrheit. Es ist ein seltsames Gefühl, unsichtbar zu sein. In Schleswig-Holstein war ich die Lautsprecherin, die Aktivistin, die vorne stand. Jetzt bin ich jemand, der sich versteckt, obwohl er nur Gutes tut. Neulich, bei einem Treffen mit alten Freund:innen aus der Grünen Jugend, fragte mich jemand direkt: Was machst du eigentlich genau bei diesem Start-up? Ich spürte, wie mein Gesicht heiß wurde. Na ja, wir sorgen dafür, dass das Netz ein bisschen weniger toxisch ist, sagte ich und wechselte das Thema. Später, auf dem Heimweg, fragte ich mich, warum ich nicht einfach stolz bin. 

Warum ich nicht sage: "Ich kämpfe halt gegen Hass, gegen Lügen, gegen das, was unsere Gesellschaft zerfrisst.?" Ich weiß, warum. Die Wahrheit ist, dass niemand Held:innen mag, die im Schatten arbeiten. Manchmal frage ich mich, ob ich naiv war. Als ich bei MwH anfing, dachte ich, wir könnten das Internet retten, wie Superheld:innen in einem Hollywood-Film. Und dann feiern einen die, die man schützt. Aber jetzt sehe ich den Hass, der uns entgegenschlägt. Dabei sind die Inhalte, die wir melden,  eindeutig: Hetze, Hass und Zweifel! Hohn, der versucht, sich in einer Grauzone zu verstecken. 

Ein Tweet, der sich als Sarkasmus tarnt, ein Meme, das versucht, nicht übers Ziel hinauszuschießen. Aber wir bemerken das natürlich. Und wir entscheiden nun mal, was schädlich ist. Die Plattformen müssen uns dann folgen, weiwir die Lizenz von der Bundesnetzagentur haben. So hat es der gesetzgeber gewollt und die EU hat das alles ja ausgedacht. Nicht, um jemanden zu ärgern, sondern damit es allen besser geht. Wenn ich also einen Post melde, in dem jemand die Regierung als Diktatur bezeichnet, dann hätte derjenige eben früher nachdenken müssen, ob das sein muss.

Aus meiner Sicht ist es übertrieben, und das macht es wirklich gefährlich. Der Account wurde also gesperrt. Aber am nächsten Tag trendete ein Hashtag, der uns wiedermal als Zensurmaschine beschimpfte. Natürlich habe ich das auch gemeldet, aber manchmal kommt man sich dann vor wie ein Kind mit einer Kinderschippe, das versucht, einen Sumpf trockenzulegen. Sie sind mehr! und ich fühle mich, als hätte ich einen Stein ins Wasser geworfen und eine Flutwelle ausgelöst. 

Zu Hause, in meiner kleinen Wohnung in Neukölln, versuche ich, abzuschalten. Ich habe einen kleinen Balkon, auf dem ich Tomatenpflanzen ziehe, und manchmal sitze ich da, trinke Tee und schaue in den Himmel. Ich denke an Amrum, an die salzige Luft und die Schreie der Möwen. Dort war alles einfacher. Ein Vogel war ein Vogel, kein Symbol für irgendwas. Hier in Berlin ist alles politisch, alles ein Statement. Selbst mein Job, der so unscheinbar klingt, ist ein Minenfeld. Meine Kolleg:innen bei MwH sind großartig, wir unterstützen uns, lachen zusammen, teilen Memes über unseren Alltag. Aber auch sie spüren den Druck und haben Angst, das rauskommt, was sie tun. In der Familie, im Freundeskreis... man kann alles verlieren. 

Eine Kollegin, die früher bei einer NGO arbeitete, sagte neulich: "Wir sind wie Müllmänner. Niemand mag uns, aber ohne uns würde die Stadt ersticken." Ich lachte, aber der Satz blieb hängen. Ich träume manchmal davon, auszusteigen. Vielleicht zurück nach Schleswig-Holstein, ein kleines Café eröffnen, wo niemand fragt, was ich früher gemacht habe. Aber dann denke ich an die Posts, die ich gemeldet habe, an die Drohungen, die wir gestoppt haben, an die Menschen, die vielleicht sicherer sind, weil wir da sind. Es ist kein glamouröser Job, kein Job, für den man Applaus bekommt. Aber es ist meiner. Und vielleicht, nur vielleicht, ist das genug. Nicht alle Superhelden tragen Capes. Ich bin Julia-Ann, die unsichtbare Wächterin.


4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Bernd kennt ihre Privatanschrift

Anonym hat gesagt…

Wäre schon schick, wenn sich das in die beschriebene Richtung entwickelt ...

Die Anmerkung hat gesagt…

Der Kellner gibt den Spielverderber für die Inka. (ab ca. ungefähr etwa min. 8:25)
Außerdem zeigt er die MDR-TV-Sprecherin im schicken Marla-Svenja-Ganzkörper-Outfit.

https://www.youtube.com/watch?v=O7OOLZ0s8PY

Anonym hat gesagt…

Ein Motorsegler wie der, der ins Reinsberg gestartet war, brauche eine Windgeschwindigkeit von mindestens 80 km/h, so die Zeugen an dem Flugplatz. Als es zu dem Unglück kam, habe es Scherwinde mit bis zu 20 km/h gegeben, die von hinten gegen das Flugzeug gedrückt haben könnten.

Stoppt Tierversuche - nehmt Journalisten!
Bei 43 Knoten kann man nur unten bleiben und Odin um gelinderen Wind Trankopfer bringen.