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Hetzjagd auf Fußballspieler: Weitgehend ungestört von Polizei und Justiz terrorisieren sogenannte Ultras den Fußball. |
Sie terrorisieren den Sport, erpressen die Vereine, nutzen Fußballspiele, um absurde Kleinkriege mit auf den Rängen zu führen. Seit Jahrzehnten halten die sogenannten "Ultras" vor allem die unteren Ligen und vor allem die im Osten Deutschlands in Atem. Gerade erst wieder führten die "Ultra"-Fans des tief gefallenen früheren Zweitligisten Hallescher FC vor, wem ihrer Meinung nach der Fußball gehört. Nach einem enttäuschenden 0:0 gegen den Tabellenletzten der 4. Liga stürmten drei Handvoll schwarzgekleideter sogenannten erlebnisorientierter Ultra-Hooligans den Platz. Ungestört von Ordnungskräften und Polizei jagten sie die hektisch flüchtenden Spieler der gegnerischen BSG Chemie Leipzig. Erst nach Minuten gelang es, die Lage wieder unter Kontrolle zu bringen.
Außer Rand und Band
Dabei ist sie dauerhaft schon vor Jahren außer Rand und Band geraten. Regelmäßig zerstören die selbsternannten Fans große Fußballabende. Regelmäßig fallen sie durch organisierte Gewaltausbrüche auf. Zuletzt hatten HFC-Anhänger im April beim Spiel in Jena planmäßig ein Zaunfeld abgeschraubt, um die Anhänger des Gegners angreifen zu können. Das Spiel wurde für 40 Minuten unterbrochen, der Nordostdeutsche Fußballverband verhängte später eine Geldstrafe von 18.700 Euro gegen den HFC. Aus den erstatteten 82 Strafanzeigen, immerhin waren 38 Personen verletzt worden, wurde bis heute keine einzige Anklage. Trotz vorliegender Videoaufnahmen.
Der Sachschaden, den enthemmte, von keiner Ordnungsmacht zu beeindruckende Ultras Jahr für Jahr verursachen, geht in die Millionen. Der Rufschaden, den sie am Image ihrer Heimatvereine anrichten, ist unbezahlbar. Sie sind wenige, kaum ein paar Handvoll in jeder Stadt. Doch die Polizei und Justiz vermitteln ihnen seit Jahrzehnten das sichere Gefühl, unangreifbar zu sein. Wochenende für Wochenende verbreiten sie Angst und Schrecken. Woche für Woche beschäftigen sie Sportgerichte. Sehr, sehr selten nur Strafkammern. Über eine Saison gerechnet kosten sie die Vereine, denen sie angeblich enger verbunden sind als alle anderen, alle "normalen" Fans, Hunderttausende Euro, die für Spielgehälter fehlen.
Freundliche Begleitung
Und doch geschieht ihnen kaum jemals etwas. Die Polizei belässt es bei freundlicher Begleitung. Staatsanwälte schauen weg. Ermittlungsverfahren gibt es allenfalls gegen einzelne Tatverdächtige, nie gegen die fest gefühlten und sorgfältig gegen Einblick von außen abgeschirmten Gruppen der Erlebnisorientierten. Dabei ist deren eigentlicher Charakter unübersehbar. Zwar feiern sich die Ultras aller Klubs als die Unbeugsamen und Unentwegten, die ihre Mannschaft überallhin begleiten, sie anfeuern und damit erst die bei den Tribünenzuschauern so beliebte Stadionatmosphäre erzeugen. Doch verglichen mit dem Schaden, den sie anrichten, ist ihr Nutzen bescheiden.
Es werden Straftaten begangen, oft angekündigt. Und die Staatsmacht interessiert sich nicht dafür. Es werden Straftaten begangen, und an der mafiaartigen Omerta unter den Ultras scheitert jeder Versuch, Täter zu ermitteln. Es werden Straftaten, doch spätestens vor Gericht werden aus Ultras verfolge Unschuldige.
Als gehörten die Stadien ihnen
Selbstbewusst als gehörten die Stadien in Wirklichkeit ihnen, gelingt es den Ultras an jedem Wochenende, unfassbare Mengen von Sprengmitteln an den Ordnern vorbei ins Innere zu schmuggeln. Trotzdem scheint es so, als sei gegen sie kein Kraut gewachsen. In der Definition des einschlägigen § 129 StGB lassen sich fast alle Ultra-Gruppen als kriminelle Vereinigungen erkennen: Mindestens drei Personen, die sich auf Dauer zu dem Zweck zusammenschließen, Straftaten zu begehen, die eine erhebliche Bedeutung haben und mit mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind.
Die erforderliche feste Hierarchie gibt es, ebenso den festen Namen, die gewisse Organisation und eine rudimentäre Struktur mit verbindlicher Mitgliedschaft, mit der sich Mitglieder den Zielen und der Willensbildung der Gruppe unterwerfen, so dass eine Eigendynamik der Vereinigung entsteht. Es ist eine organisierte Gruppe mit einem gemeinsamen Ziel, bei der die Begehung von Straftaten im Vordergrund steht und nicht nur eine untergeordnete oder zufällige Tätigkeit ist.
Dem Druck gebeugt
Die Fußballverbände haben sich schon vor längerer Zeit dem Druck der Freizeitterroristen unterworfen, die in einigen Vereinen bereits Vertreter in den Vorständen platziert haben. Zu deren Brauchtum gehört es, die Durchführung von Fußballspielen mit Hilfe von Rauchtöpfen aus gestohlenen Bundeswehrbeständen oder illegal eingeführten Feuerwerkskörpern aus dem Ausland nach Belieben zu unterbrechen. Stadien werden vernebelt, Raketen fliegen bestenfalls auf den Rasen, schlimmstenfalls gezielt hinein in die zum symbolischen Feind auserkorene Masse der gegnerischen Anhänger.
Gedrängt von ihren Ultras, setzen sich mehrere ostdeutsche Fußballvereine dafür ein, den Einsatz von Pyrotechnik der Kategorie F2, der als Silvesterfeuerwerk ausschließlich am 31. Dezember und 1. Januar erlaubt ist, auch außerhalb dieser Zeit zu gestatten zu stellen, wenn es sich bei den Anwender um Mitglieder einer Ultra-Gruppierung handelt. Eine spezielle Genehmigung der zuständigen Behörden, die bisher meist zwei Wochen von eigens ausgebildeten Feuerwerkern vorher beantragt werden muss, soll nicht mehr notwendig sein, fordern Vereine wie Dynamo Dresden, Energie Cottbus, Hansa Rostock und Union Berlin. Ins Sprengstoffgesetz müsse vielmehr eingefügt werden, dass die bisher vorgeschriebene CE-Kennzeichnung und die amtlichen BAM-Prüfnummern ebenso wegfallen sollen wie die Verbandsstrafen für illegal verwendete Pyrotechnik.
Legal, illegal, scheißegal
Die Vereine, die sich von ihren Fangruppen zu diesem Vorstoß haben drängen lassen, sind der Ansicht, dass bisher von den Fußballverbänden nach Pyrotechnik-Einsätzen rituell verhängten Geldstrafen für die Vereine "nicht zielführend" seien, weil sie die Probleme nicht lösen könnten. Eine Auffassung, die die zuständigen Staatsorgane teilen, ohne damit so öffentlich hausieren zu gehen.
Woche für Woche werden hunderte strafbare Verstöße gegen das Sprengstoffgesetz, nach dem Erwerb, Besitz oder die Einfuhr nicht zugelassener oder nicht konformitätsbewerteter pyrotechnischer Gegenstände mit Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren geahndet werden können, angestrengt ignoriert. Selbst der Umstand, dass die Benutzung von Pyrotechnik inmitten eines vollbesetzten Stadions immer andere Menschen gefährdet werden und damit regelmäßig eine gefährliche Körperverletzung nach §§ 223, 224 Strafgesetzbuch (StGB) vorliegt, führt nie zu strafrechtliche Konsequenzen.
Unwillig, Straftaten zu verfolgen
Das Signal, das der Rechtsstaat an die erlebnisorientierten Jugendlichen und jungen Erwachsenen sendet, ist genauso fatal wie das, das die Vereine empfangen. Den einen gibt er zu verstehen, dass ihm die Vielzahl der von den organisierten Ultravereinigungen begangenen Straftaten - von Verstößen gegen das Sprengstoffgesetz über Körperverletzung, Erpressung, Bedrohung, Diebstahl bis hin zu Sachbeschädigung und Steuerhinterziehung - vollkommen gleichgültig sind.
Die anderen lässt er wissen, dass er nicht gewillt ist, Straftaten nach § 125 StGB, bei denen sich Menschen an Gewalttätigkeiten beteiligen oder eine Menschenmenge dazu anstiften, den öffentlichen Frieden stören, kategorisch als Landfriedensbruch zu verfolgen, so lange sich die Menschenmengen, die sich an den strafbaren Gewalttaten beteiligen, hinter den Mauern eines Stadions befinden.
Privatisierung des Rechts
Eine Privatisierung des Rechts, die es den Veranstaltern von Fußballspielen auferlegt, mit den vom Strafrecht definierten "Menschenmengen" zurechtzukommen, die den "den öffentlichen Frieden" gefährden. Eigentlich sollte der Tatbestand des Landfriedensbruchs mit Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren oder wenigstens Geldstrafen geahndet werden, ganz egal, wo Verstöße gegen den einschlägigen § 125a StGB stattfinden oder"Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit" auch nur angedroht werden. In der Realität hat sich ein extralegales System eingespielt, bei dem nicht die Täter von der regulären Justiz zur Verantwortung gezogen werden, sondern die veranstaltenden Vereine von einer internen Verbandsjustiz nach einem inzwischen fest etablierten Bußgeldkatalog Ablass für schwere Straftaten zahlen.
Dass es zu einer Strafverfolgung kommt, wie sie das Strafgesetzbuch vorsieht, ist seltener als keine Meisterschaft des FC Bayern München. Gelegentliche Verurteilungen erscheinen wie reiner Zufall. In den meisten Fällen werden Ermittlungen nach einigen Monaten ergebnisloser Bemühungen, aus dem Umfeld der mutmaßlichen Täter Erkenntnisse zu gewinnen, eingestellt. Oder aber Urteile fallen, deren erzieherischer Einfluss auf die Szene etwa dem eines Belobigungsschreibens gleichkommt.
Das Rätsel Rechtsstaat
Mit dieser Haltung gibt der Rechtsstaat Rätsel auf, die unlösbar erscheinen. Selbstverständlich wissen die Behörden, welche großen und illegalen Sprengstoffbestände in den Hauptquartieren der Ultragruppen lagern. Selbstverständlich ist ihnen bekannt, dass der schwunghafte und lukrative Handel, den die Vereinigungen mit Fanartikeln betreiben, am Finanzamt vorbeiläuft. Selbstverständlich sind die Köpfe der Organisationen bekannt und die Archive voller Videoaufnahmen mit dokumentierten Straftaten.
Aus irgendeinem Grund aber scheint es den Behörden auch ein Vierteljahrhundert nach der Ablösung der alten Hooligan-Bewegung durch die anfangs durchaus friedlicher auftretenden Ultra-Gruppierungen opportun, die Szene gewähren zu lassen. Selbst die Millionen an Kosten, die deutsche Steuerzahler für die immer aufwendigeren Polizeieinsätze zur Überwachung von Fußballspielen bis hinunter in die 4. Liga tragen müssen, erscheinen offenbar günstiger als die Wiederherstellung von Recht und Ordnung in und um die Stadien durch konsequente Strafverfolgung.
3 Kommentare:
Sie werden in Reserve gehalten für zukünftige Bürgerkriege. In der Ukraine war das gut zu beobachten.
Organisierte Fußballfans waren die aktivsten auf dem Maidan. Jetzt sterben sie an der Front. Dummheit ist immer hilfreich, aber nicht für die Dummen.
Man sollte auch nicht vergessen, dass unsere Polizei was zum Üben braucht.
B.Traven: Die hohen Herren sehen es nicht ungern, wenn sich Proletarier gegenseitig die Fresse einschlagen. Dadurch bleiben ihre eigenen Fressen heil.
(Also, so ungefähr und aus dem Gedächtnis ...)
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