Sonntag, 12. Oktober 2025

Die Krisen-Koalition: Führende Rolle bei der Bedeutung

Gegen den Abwärtstrend bei der Industrieproduktion setzt die schwarz-rote Koalition Initiativen in den entscheidenden Handlungsfeldern: Bürgergeld, Rentneraktivierung, E-Auto-Förderung und Straßenbau.

Nie wieder, das hatten sie sich geschworen, würden sie bis tief in die Nacht beisammensitzen, um das Land aus einer dieser verteufelten Krisen zu retten. Bei Schwarz wie bei Rot sitzen die traumatischen Erinnerungen an jene legendäre Osterruhe noch tief, als die Besten des Landes schwer übernächtigt und ihrer sieben Sinne nicht mehr mächtig beschlossen hatten, der weltweiten Pandemie mit einer kurzzeitigen Stasisanordnung für alle beizukommen. 

Ein kurzes Koma 

Das Osterpaket sollte Millionen in ein kurzes Koma versetzen, aus dem sie anschließend als geheilt hätten entlassen werden können. Stattdessen knickte die Kanzlerin ein. Die Rettungsmaßnahme wurde aufgehoben. Sie sei unter spätnächtlichem Druck fälschlich beschlossen worden, als niemand mehr habe geradeaus denken können. Es werde nun anders, aber doch "dazu kommen, dass wir das Richtige tun, und dafür stehe ich ein", versprach die Kanzlerin. Keine Osterruhe. Und nie wieder Verhandlungen bis zum Morgengrauen.

Drei Jahre später aber sind die Nächte wieder jung und die Nachfolger von Merkel, Scholz und Maas stehen vor Herausforderungen, von denen ihre Vorgänger nicht zu alpträumen gewagt hätten. Auch Friedrich Merz, Markus Söder, Bärbel Bas und Lars Klingbeil müssen ein Land retten. Und auch diese vier, durch mehr oder weniger unglückliche Zufälle in ihre Ämter geraten, wissen nicht wie. Sicher ist diesmal nur von Anfang an, dass eine Osterruhe nicht reichen wird, die seit inzwischen drei Jahren stabil schrumpfende Wirtschaft wieder auf die Beine zu bringen.  

Die gute Laune der Leute 

Was aber sonst? Die Sozialversicherungsbeiträge wurden schon erhöht, aber niemand weiß, ob das reichen wird, das Wachstum anzukurbeln. Die Gesundheitsministerin erwägt deshalb, die Bürgerinnen und Bürger parallel mit höheren Zuzahlungen für Medikamente zur Kasse zu bitten. Wo immer etwas zu holen ist, muss es genommen werden. Die CO₂-Abgabe  wird das nächste Mal am 1. Januar steigen, diesmal auf 65 Euro pro Tonne, um Anreize für klimafreundlicheres Verhalten zu schaffen. Doch wird das die gute Laune der Leute zurückbringen und sie motivieren, mehr zu konsumieren? 

Dass die EU die Zollschranken um Europa nach dem Vorbild Donald Trumps entschlossen hochzieht und nach billigen Elektroautos aus China auch günstigen Stahl aus Indien draußen halten will, wird bei der angedachten große Infrastrukturoffensive hilfreich sein. Auch, weil dank höherer Materialpreise nicht ganz so viel Bauleute beschäftigt werden müssen. Aber hilft das, die "Stimmung zu drehen" (Merz) und wieder gute "Laune" (Klingbeil) zu produzieren?

Keine Geschichte von Zuversicht 

Bei der finalen Abwägung, die die Spitzen von Union und SPD in den zurückliegenden Krisenmonaten vorgenommen haben, überwog die Skepsis. Zwar war es den drei Koalitionspartnern gelungen, mit der Entsendung neuer Richterinnen ans Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe ein starkes Zeichen großer Einigkeit zu senden. Zudem konnten zur Erweiterung der deutschen Verschuldungsmöglichkeiten weit über die völkerrechtlich bindende Maastricht-Vorgabe hinaus sogar die demokratische Opposition eingebunden werden. So überzeugend, dass selbst die EU-Kommission als strenge Hüterin der Verträge keinerlei Einwände dagegen hatte, dass Deutschland - Stand jetzt - erst nach dem vollendeten Braunkohleausstieg im Jahr 2031 wieder nach den EU-Regeln haushalten wird.

Not kennt kein Gebot. Und wo Ratlosigkeit regiert, wird alles ausprobiert. Die Zahlen der Bundesstatistiker erzählen keine Geschichte von Zuversicht, sondern die der längsten und am meisten beschwiegenen Rezession der Geschichte der Republik. Es dreht sich kein Rad mehr für den Sieg über die schlechte Laune. Fabriken schließen. Chemieanlagen machen zu. Autowerke pausieren, Kneipen reduzieren die Öffnungszeiten, Ärzte die Sprechtage. Handwerker kommen nur noch, wenn sie Lust haben, Bürgergeldempfänger häufig gar nicht.

Zeit, dass sich was dreht! Zeit für einen radikalen Umbau, für kreative Zerstörung, für ein entschlossenes Auslichten des dunklen Bürokratiedschungels und der Vorschriftenwälder, die in Europa gezüchtet werden wie anderswo atemberaubende Zukunftstechnologien. 

"Weichen für eine starke Zukunft" 

Nur wenige Tage nach dem erfolgreichen Teambuilding des Kabinetts in der Berliner Villa Vino auf der das von Millionen Menschen ersehnte bundesweit einheitliche zentrale Zulassungsportal für Kraftfahrzeuge geboren worden war, versammelte sich die Spitze der inneren Spitze der Verantwortungskoalition erneut "Weichen für eine starke Zukunft" (CDU): Über die noch frische Modernisierungsagenda mit ihren fünf Handlungsfeldern und 23 Hebelprojekten hinausgeht es diesmal an den Kern der Probleme, die den Wohlstand bedrohen, die Gesellschaft spalten und die Wirtschaft zu Schließungen und Abwanderung zwingen.

Eine Nacht auf dem kahlen Berge nur dauerte es, und die vier Koalitionschefs traten mit einem Bündel an "zentralen Reformvorhaben" (Merz) vor ihr Volk. Endlich, endlich geht es den großen Problemen an den Kragen, die zu einer schlechten Stimmung und zu so viel Pessimismus geführt habe. Die immer weiter steigende Belastung durch die Sozialsysteme. Der andauernde Rückgang der Industrieproduktion. Die hohen Energiepreise. Die fehlenden Wohnungen. Die hohen Mieten. Die Abhängigkeit von anderen Ländern bei Rohstoffen, Internet-Infrastruktur und Investitionen. Die mangelnde Leistungsbereitschaft der jungen Generation. Die Unsicherheit auf den Straßen. Der auf Besucher zerlumpt und vernachlässigt wirkende Gesamtzustand des Landes.  

Entschlossene Maßnahmen 

Es sind entschlossene Maßnahmen, mit denen die schwarz-rote Koalition die größten Probleme angeht. Zentrale Reformvorhaben zielen auf Bürgergeld, Altersrente und Verkehr, die drei Gefechtsfelder, auf denen die Koalitionäre die größten Hindernisse für den angestrebten Aufschwung ausgemacht haben. in allen drei Bereichen bliebt nun kein Stein auf dem anderen. Das Bürgergeld etwa wird in Grundsicherung umbenannt und nach dem dritten versäumten Termin im Jobcenter vollständig gestrichen. 

Um Fachkräfte für die Wirtschaft bei der Stange zu halten, gehen Union und SPD auch bei der von Grundgesetz gebotenen Gleichbehandlung aller Bürger neue Wege: Wer alt genug ist, Rente zu erhalten, darf sich auf einen Extra-Steuerfreibetrag von freuen. Unbürokratisch wird der Freibetrag bereits bei der Gehaltsauszahlung angerechnet: Ein 66-jähriger Nicht-Rentner mit einem Bruttoeinkommen von 50.000 Euro zahlt den Plänen der Koalition nach ab 1. Januar weiterhin rund 11.000 Euro Lohnsteuer im Jahr. Sein 67-jähriger Aktivrenterkollege hingegen nur noch 3.000 Euro.

Gerechtigkeit 2.0 

Gerechtigkeit, das ist die große Überschrift, unter der das geschnürte Reformpaket steht. Zwar konnten sich Union und SPD nicht einigen, ob die EU das 2023 mit deutscher Zustimmung beschlossene  Verbrenner-Aus zurücknehmen muss. Doch geht alles gut, wird die Frage nicht mehr lange stehen: Mit einem neuen Förderprogramm wollen beide Parteien "gezielte Kaufanreize für E-Autos" setzen, die durch steuerfinanzierte Zuschüsse "spürbare Vorteile für Verbraucher" bringen werden, die sich den Kauf eines neuen Elektroautos leisten können.

Für das Förderprogramm sollen bis 2029 Mittel des EU-Klimasozialfonds und Milliarden Euro aus dem Klima- und Transformationsfonds zweckentfremdet werden. Wie viele genau, steht noch nicht fest, drei Milliarden aber auf jeden Fall. Bis zum Stopp der ersten Förderungsperiode Ende 2023 hatte sich der Bund das Sponsoring des Kaufs von knapp 2,2 Millionen E-Fahrzeugen mehr als zehn Milliarden Euro kosten lassen. Der damalige Klimawirtschaftsminister Robert Habeck hatte dann den Stecker ziehen müssen, weil das Geld alle war.

Umstiegsunterstützung von der Sprechstundenhilfe 

Jetzt ist es wieder da und diesmal soll dafür gesorgt werden, dass die Sprechstundenhilfe mit ihren Steuerzahlungen nicht wieder dem gut situierten Zahnarzt den Tesla finanzieren hilft. Nur "kleinere und mittlere Einkommen" würden "beim Umstieg auf emissionsfreie Fahrzeuge unterstützt", hat Finanzminister Lars Klingbeil Zweifel am neuen Förderprogramm für Elektroautos zurückgewiesen. Dessen Wirksamkeit steht außer Frage: Die drei Milliarden würden rein rechnerisch für Zuschüsse für den Kauf von mehr als 600.000 Elektroautos ausreichen. Der Absatz  von E-Autos ließe sich damit künstlich mehr als verdoppeln, wenn sich genügend Klein- und Geringverdiener finden, die auf die Kaufprämie die noch fehlenden 25.000 bis 45.000 Euro drauflegen.

Das muss, denn die Krisen-Koalition hat die führende Rolle der Bedeutung bei der Durchsetzung der Beschlüsse auch im Bereich Verkehrsinfrastruktur erkannt. Der dritte große Beschluss der Nachtsitzung macht Deutschland zukunftsfest auch im Bereich Bauarbeiten: Weitere drei Milliarden Euro werden zusätzlich zu den bereits per Sondervermögen geschaffenen 100 Milliarden speziell "für den Neubau der Straße" zur Verfügung gestellt, um "alle baureifen Projekte beginnen können", wie Kanzler Merz sagte.  Nach zwei Jahren soll überprüft werden, ob das Geld reicht oder ob sogar etwas übrigbleibt. 

Gerettet 

Die von Verkehrsminister Patrick Schnieder Mitte September aufgemachte Rechnung, dass bis 2029 15 Milliarden zusätzlich für den Aus- und Neubau von Straßen benötigt würden, hat Lars Klingbeil schon ins Reich der Märchen verwiesen. Nach einer Überprüfung habe sich dieser Betrag "erheblich verringert".

Das Land ist damit gerettet, die entscheidenden Weichen sind auf Wachstum gestellt.  Ohne Bürgergeld, aber mit Aktivrentner in Elektroautos kann die Autoindustrie wieder optimistisch in die Zukunft schauen. Die Sozialkassen werden entlastet, die Straßen repariert, die Energiepreise sinken, die Digitalisierung nimmt mit dem zentralen Bundes-KfZ-Zulassungsportal kräftig Fahrt auf. Mit Handlungsfeldern und Hebelprojekten ausgestattet, muss niemandem mehr bange werden vor einer Zukunft, die unweigerlich sowieso kommt.


1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Höherer CO2-Preis und teurer Stahl sind gut für die Aufrüstung. Dann wird es gelingen, einen Leopard 2 Panzer nicht für 20 Millionen Euro, sondern für 30 Millionen Euro zu bauen. Das wird die bösen Russen dann
richtig erschrecken, das wir uns das leisten können.