Erst waren es nur einzelne kleine Zeichen, symbolische Lichter in einem großen, dunklen Raum. In Hamburg zum Beispiel sprach sich bei einem Volksentscheid eine Mehrheit dafür aus, die Stadt schneller als bisher geplant klimaneutral umzubauen. Koste es, was es wolle, es ist wichtig genug, befand mehr als eine Viertelmillion der Einwohner der Welt- und Hafenstadt, die beim "Hamburger Zukunftsentscheid für Klimaschutz" zeigten, dass die Planvorgaben des wissenschaftlichen EU-Klimabeirats und der EU-Kommission nicht das letzte Wort sein müssen.
Freiwillige voran
Hamburg wird seine Emissionen freiwillig nicht erst 2045 auf null senken, sondern bis 2040 um volle 100 Prozent senken. Wenn sich jemand findet, der die zusätzlichen Anstrengungen mit einigen Milliarden Euro finanziert. Doch die niederländische Partei D66 hat zuletzt gezeigt, dass Zuversicht allein schon Berge versetzen kann. Die vom jungen, smarten und charismatischen Parteichef Rob Jetten neuerfundene alte linksliberale Kraft setzt auf die Schaffung von "mehr bezahlbaren und nachhaltigen Wohnraum", einen neuen Generationenvertrag für Ältere, die Vereinfachung des Sozialsystems durch einen einheitlichen Leistungsbetrag und eine Erhöhung des Mindestlohnes.
Die freie und widerstandsfähige Gesellschaft in den Niederlanden will D66 "durch den Schutz der Grundrechte, die Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre, die Einführung von Bürgerversammlungen, die Bekämpfung von Cyberkriminalität und ein gesetzliches Diskriminierungsverbot" stärken. Jetten sieht kein Finanzierungsproblem und das hat die Wählerinnen und Wähler überzeugt. Wohnungsbau in ganzen neuen Städten, höhere sichere Renten und Mindestlöhne werden einfach finanziert durch den "Aufbau einer grünen Wirtschaft und den Ausstieg aus fossilen Subventionen". Schädlicher Industrien wird die neue niederländische Regierung stärker besteuern.
Kuschelwarmer Gegenentwurf
Dazu erhofft sie sich hohe Einnahmen aus der staatlichen Förderung erneuerbarer Energien. Obendrauf noch "faire Löhne, ein nachhaltiges Unternehmertum und die digitale Unabhängigkeit, um Umweltschutz und Wohlstand zu verbinden" und fertig ist der gefühlswarme Gegenentwurf zu den eiskalten Versprechen der bisher so erfolgsverwöhnten Rechten, dass der, der etwas leiste, sich auch etwas leisten können werde. Javier Mileis argentinische Kettensäge bekommt Konkurrenz von einer Kuscheldecke, die den Kapitalismus aussperrt.
Das liebt jeder, der von einer für alle gerechten Gesellschaft träumt, in der nicht Herkunft, Leistung oder Leistungsvermögen über Lebensstandard und den Platz in der Gesellschaft bestimmt. Mehr Wohnraum und billiger. Höhere Löhne und Gehälter. Grüne Wirtschaft und saubere Luft. Dazu eine Freizügigkeit, die für alle gilt, wie sie der deutsche Internet-Intellektuelle Mario Sixtus jüngst vorgeschlagen hatte: Es gelte, die Dinge weltweit so zu regeln, dass jeder Mensch ohne bürokratische Rückfragen in jedem Land seiner Wahl eingebürgert wird, wenn er den Wunsch äußert.
Raus aus dem Angstmodus
Endlich Freiheit. Endlich raus aus dem geduckten Angstmodus, mit dem die Linke seit der schmachvollen Niederlage der Hoffnungsträgerin Kamalla Harris in den USA auf die wachsende Zustimmung zu fremdenfeindlichen, brandmauergefährdenden und wirtschaftsliberalen Forderungen blickt. Obwohl die Forschung früh gewarnt hat, dass jede Partei, die die Ideen ihrer erfolgreichen Konkurrenz zu ihren eigenen macht, wie es Angela Merkel mit einer Strategie der asymmetrischen Demobilisierung getan hatte, begab sich ihr Nachfolger Friedrich Merz auf diesen gefährlichen Pfad der Anpassung an die Radikalen. Die Umfragewerte seiner Partei fallen entsprechend aus. Die des Koalitionspartners SPD nicht minder. Niemand braucht noch eine grüne Partei, noch eine blaue oder noch eine linke.
Schwarz muss schwarz bleiben und Rot rot, doch es muss ein selbstbewusstes Schwarz und ein Rot, das aus sich selbst strahlt. Die Ideen, mit denen die Klimaschützer in Hamburg und die Jetten-Partei in den Niederlanden Menschen so sehr zu begeistern verstanden, ließen Menschen mit fliegenden Fahnen auf die Seite der Illusionen wechseln. Sie sind auch die Ideen des Demokraten Zohran Mamdani, der jetzt in New York gezeigt hat, dass der Siegeszug der Rechtsextremen, Faschisten und radikalisierten Christen vielleicht schon wieder zu Ende ist.
Die Sehnsucht wählt
Bei der Bürgermeisterwahl in der Stadt, die niemals schläft, holte der erst 34-jährige Demokrat schon im ersten Wahlgang die Mehrheit der Stimmen. Geholfen hat ihm dabei zweifellos, dass US-Präsident Donald Trump ihn mehrfach als Kommunisten, Sozialisten und Gefährder des Wohlstands der Amerikaner bezeichnet hatte. Mamdani, geboren in Uganda, stolz auf seine indischen Wurzeln und ehemals Rapper, vertritt ein typisches Heidi-Reichinnek-Programm: Es will das Leben in New York "bezahlbarer" machen, jeder - da ist er nicht weit weg von Mario Sixtus - solle es sich leisten können, in der Acht-Millionen-Metropole zu leben.
Viele werden das künftig auch unbedingt wollen, denn geht es nach dem Erfinder der "Zohranomics", steht New York kurz davor, ein wahres Paradies zu werden. Die Stadt, die wie so viele Großstädte weltweit unter ihrer eigenen Anziehungskraft leidet, soll mit einer umfassenden Mieterhöhungsbremse wieder ein Ort sein, an dem jeder sich eine Wohnung leisten kann. 200.000 Wohnungen will Mamdani zudem neu bauen. Alle sollen mietpreisgebunden sein. Darüber hinaus will Mamdani den öffentlichen Busverkehr komplett kostenlos anbieten, die Stadt soll unter seiner Regierung selbst Supermärkte betreiben, in denen gesunde Lebensmittel günstiger verkauft werden.
Umzug nach New York
Wer Kinder hat, für den gibt es zu einem Umzug in das neue New York gar keine Alternative: Während Eltern in Florida oder Texas für einen Platz in einer Kindertagesstätte 1.200 bis 1.400 Dollar im Monat zahlen müssen - eine staatliche Co-Finanzierung gibt es nicht - wird Mamdani für New Yorker Kinder eine "universelle Kinderbetreuung für alle Kinder im Alter zwischen sechs Wochen und fünf Jahren" einführen, die gar nichts kosten soll. Sixtus' Vorschlag der automatischen Einbürgerung aller in jedem Land würde zu einer allgemeinen Völkerwanderung aller in die wohlhabenden Staaten führen, gegen die der "Zustrom" (Angela Merkel) des vergangenen Jahrzehnts ein bloßes Tröpfeln gewesen wäre.
New York dagegen verspricht, zum Mekka aller zu werden, die nicht so viel besitzen und verdienen. Unter Zohran Mamdani könnte der Big Apple eine ähnliche Anziehungskraft auszuüben, wie sie das kalifornische San Francisco seit längerem für Obdachlose hat. Seit die Stadt beschloss, Wohnungslose zu dulden, Diebstähle nicht mehr automatisch als Straftaten zu verfolgen und bei Drogenkonsum auf offener Straße wegzuschauen, pilgern die Armen aus allen Staaten nach Kalifornien.
Das Stadtbild hat ein wenig gelitten. Viele Touristen, die die frühere Hippie-Hochburg noch aus vergangenen Zeiten kennen, staunen über die Hunderte von meist jungen, meist farbigen Männern, die entlang der Market Street auf den Gehsteigen lagern, bedröhnt, betrunken, pöbelnd, bettelnd oder - meist - alles zusammen.
Das Volk will es
Eine gerechte Stadt, diskriminierungsfrei und Heimat für jeden, der kommen will. New York zu einer solchen Stadt zu machen, ist das Versprechen, mit dem Zohran Mamdani überzeugt hat. Erst Hamburg, dann Den Haag, und nun auch noch New York - die Siege, die fortschrittliche Politiker und Graswurzelbewegungen unter Führung von Klimaaktiven in den zurückliegenden Wochen einfahren konnte, zeigen, dass der Rechtsrutsch der vergangenen Jahre nicht alternativlos ist. Wer es wagt, radikale Vorschläge zu machen wie Zohran Mamdani oder wie Rob Jetten alte Ideen in neuer Verpackung als Rettung vor den Zumutungen der Wirklichkeit verkauft, findet wird im Handumdrehen zum Hoffnungsträger der Linken, die ihr Glück noch gar nicht richtig fassen kann.
Da ist auf einmal jemand, der selbst Trump widerspricht. Da steht jemand aufrecht, obwohl er nach der Behauptung, Israel begehe in Gaza einen Bürgerkrieg, eilig hatte zurückrudern müssen. Die seit dem Wahlsieg Trumps von den Massen zutiefst enttäuschte, ratlose und verunsicherte demokratische Mitte aus Grünen, Sozialdemokraten, Linken und dem Polenz-Flügel der Union wittert Morgenluft. Hat man sich vielleicht all die Jahre lang zu viele Gedanken gemacht? Hat man zu früh an den eigenen Rezepten gezweifelt, die da sagen, der Staat müsse nur kräftig Geld in die Hand nehmen und unweigerlich werde großer Wohlstand entstehen?
Je absurder desto besser
Die ähnlich wie Mamdani als Influencer im Internet erfolgreiche Linkspartei-Ikone Heidi Reichinnek hatte hierzulande als Erste außerhalb der populistischen Rechten verstanden, dass politische Botschaften je nachhaltiger wirken, je absurder sie sind. Menschen wollen glauben, dass ein X ein U sein kann und eine Mietbremse den vorhandenen Wohnraum vermehrt, wenn nur die Großkonzerne, die die Häuser besitzen, enteignet werden.
Der Politiker, der Wählern das Gefühl gibt, für ihn gülten weder physikalische Gesetze noch wirtschaftliche Realitäten, gewinnt die Herzen. Das war bei Angela Merkel nicht anders als bei Annalena Baerbock und Robert Habeck. Olaf Scholz profitierte von diesem Effekt, als er "stabile Renten" versprach, und Friedrich Merz nutzte ihn aus, als er sich als "Der Richtige zur richtigen Zeit" anpries. Gerade bei einer jungen Generation, deren Wissen über Geschichte, wirtschaftliche Zusammenhänge und Logik überwiegend erschüttern gering ist, kommt das an. Die AfD etwa ist unter Jüngeren zweitstärkste Partei nach der Linken. Zusammen mit dem BSW kommen die Populisten bei den unter 25-Jährigen auf eine absolute Mehrheit von 52 Prozent.
Zohran Mamdanis Wahlsieg in New York ist nicht nur ein lokaler Erfolg - es ist auch ein Symbol, dass der Vision einer Gesellschaft erfolgreich sein kann, die den Menschen vorspiegelt, es gehe nur um das gerechte Teilen des vorhandenen Reichtums, nicht um dessen Erzeugung. Linken-Chefin Ines Schwerdtner hat den Triumph des Sozialisten "im Herzen des Kapitalismus" (Schwerdner) als Beispiel dafür herangezogen, der Sozialismus wieder "überall gewinnen" könne. "Wenn wir uns mit klarem Fokus organisieren, können wir gewinnen!", schrieb sie offenbar augenzwinkernd mit Blick auf Merzens "klaren Kompass". Schließlich sei egal, "ob New York oder Berlin: Wir alle wollen bezahlbare Mieten und ein gutes Leben für unsere Familien und Freunde!"
Das Wollen bestimmt das Sein. Das Geld, um Gutes zu tun, entsteht aus dem Nichts. So lange sich genügend Menschen finden, die an die magische Kraft glauben, die aus der Leugnung der Realität entspringt, ist die Linke unschlagbar.

4 Kommentare:
Mamdani will ja auch Milliardäre abschaffen. Wallstreet wird dann sicher VEB Wertpapierhandel, wo die Partei die Kurse festlegt.
Hatten wir ja alles schon. Herzlichen Glückwunsch, liebe Arbeiter. Die Fabrik gehört jetzt euch. Und macht, was der Genosse da euch sagt, sonst geht's ab nach Bautzen.
Er will die Reichen und die erfolgreichen Unternehmen schröpfen...na da wünsche ich ihm mal viel Glück. Die werden New York schneller verlassen als er gucken kann...wie er dann all seine versprochenen Wohltaten umsetzen will, vor allem wenn Trump die Bundesmittel streicht, da bin ich jetzt schon gespannt.
< In Hamburg zum Beispiel sprach sich bei einem Volksentscheid >
Hier konnte man sehen, dass prinzipielles Nicht-Wählen dann doch nicht von so großer Weisheit zeugt.
Wer ch-at's erfuunden? Die Schwyzer nicht. Gissa vem det var.
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