Freitag, 7. Mai 2010

Melodien für Millionen


Es gibt diese Bands, denen ein Hit für die gesamte Karriere reicht. Golden Earring mit "Radar Love" etwa, oder City mit "Am Fenster". Auch Motörhead gehören dazu, deren "Ace Of Spades" einen jungen Mann im Mansfeld einst inspirierte, ein wilder Mähnenrocker zu werden. Später wechselte Jens Bullerjahn in Fach des Arbeiterführerdarstellers, wo er sofort anhub, seinen Hit zu singen: Schärfer müsse der Sparkurs des Landes werden, ließ er als Spitzenkandidat der SPD für die Landtagswahl 2005 in einem "SPD-Zukunftspapier" zur Finanzpolitik wissen. Mit der ständigen Schuldenmacherei müsse Schluss sein, dann solle sofort begonnen werden, die 20 Milliarden zurückzuzahlen, die das Land sich schon geborgt habe. Keine neuen Schulden ab 2010 und eine Reduzierung des Landeshaushalts von derzeit rund 10 auf 6,5 Milliarden Euro im Jahr 2020 seien Eckpunkte seines Programms.

Das Volk hörte und tanzte begeistert mit. Plötzlich war Bullerjahn Chef des Finanzministeriums des Landes Sachsen-Anhalt und nun wurde er konkret: 2006 werde die Regierung nochmal 783 Millionen Euro Schulden aufnehmen, 2010 aber sei damit Schluss damit sein, dann werde er erstmals 100 Millionen Euro Altschulden tilgen, hieß es. Später, die Konjunktur war gerade angesprungen, zog Bullerjahn den Zeitpunkt vor. Schon 2009 sollte nun begonnen werden, die Kreditlast zu tilgen.

Dann allerdings wurde es 2008, die große Krise kam und Jens Bullerjahn erwartete nun erst ab 2012 "erstmals deutliche Überschüsse im Landeshaushalt". Die würden dafür aber "bis 2025 theoretisch auf knapp sechs Milliarden Euro anwachsen".

Beinahe waren alle Schulden also schon vom Tisch. Wenn auch nur bis zum April 2009, als auch in Magdeburg durchsickerte, dass die Wirtschaftskrise doch kein reines Fernsehereignis ist. "Alle Planungen müssen komplett überarbeitet werden", teilte Bullerjahn nun wegen einbrechender Steuereinnahmen mit. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen: "Dank gemeinsamer Anstrengungen" sei es gelungen, das Haushaltsdefizit in dem Jahr, in dem mit der Schuldenmacherei endlich Schluss gemacht werden sollte, "auf 662 Millionen Euro zu drücken", verkündete die Landesregierung. 2011 solle es dann nochmal 534 Millionen betragen, aber "ab dem Jahr 2012" werde, so Bullerjahn Ende April 2010, dann schon eine "vorzeitige Schuldenbremse" gelten.

So sieht Entschlossenheit in Aktion aus, so spielt ein One-Hit-Wonder selbstbewusst immer dasselbe Lied. Nur eine Woche danach ist Bullerjahn nun schon wieder da, dieselbe Melodie auf den Lippen, nur der Text handelt nun wieder von noch einem Jahr später. Die Regierung hoffe, so Bullerjahn jetzt, ab 2013 wieder ohne neue Schulden auszukommen. Das "wieder" bezieht sich dabei natürlich nicht etwa auf ein Jahr, in dem der Finanzminister wirklich ohne Neuverschuldung ausgekommen wäre. Sondern darauf, dass es mal den Haushalt 2008/2009 gab, in dem er es wie so oft geplant hatte. Klappte dann nicht. Aber ein Hit ist es immer noch.

12 Kommentare:

derherold hat gesagt…

Ich will ja nicht *spalten* - zumindest nicht mehr als unbedingt notwendig :-) - aber "Am Fenster" !?!?!

... dann lieber Frank Schöbel als Bundespräsident !

ppq hat gesagt…

ein hit. welcher solls noch gewesen sein? bei city?

VolkerStramm hat gesagt…

Ist eben so, Herold.
Es gab die Literatur des Vormärz - nach dem März hat das niemand mehr interessiert.

Die Schotten verehren Robert Burns.
Wer (außer Ferdinand Freiligrath) kennt hier Robert Burns?

"Am Fenster" war genial. Ich kann es nicht begründen, es war einfach toll.

derherold hat gesagt…

Aber Ihr wißt schon, was *das* für Folgen hatte, oder ?

Als Völkerkundler 1989/90 die Kulthandlungen der Ostdeutschen studierten, kamen sie zu der Erkenntnis: "DDR-Musik ist wie Sozialismus ohne Elektronik".

Rockmusik ? Braucht man nicht mehr, der Krieg ist gewonnen ... oder eben verloren.
Der DDR-Musikkonsument hört Schlager+Liedermacher. Wenn wir *ihm* jetzt (in der Zivilisation etwas rückständigen) Schlager bieten, wird *er* nicht so verstört.

So kam es, daß Cindy+Bert durch die neuen Bundesländern tourten und Bernhard Brink einen 15-Jahresvertrag beim MDR bekam. (Tanneberger nach Hatingen zog und Paul van Dück für einen Westberliner gehalten wurde).

Tja, "Am Fenster" ist schuld ...

vakna hat gesagt…

Na klar ist "Am Hit" ein Fenster, oder so ähnlich!

Wurde auch mal analysiert. Hauptgrund ist der mystisch-verschwurbelte Text, in den jeder hineininterpretieren kann, was er hören will.

Stimmt!

VolkerStramm hat gesagt…

Das gute am Sozialismus war auch, dass der Konsument nicht verstört wurde durch übertriebene Warenvielfalt oder zu kurze Innovationszyklen.
Cindy+Bert war die Zeit des Stern-Party. Kurzwelle ist einfach was genaues. Die schwankende Signalstärke, der Trägerschwund gaben der Musik ein ganz eigenes Flair.
Wo gibt es heute noch so was?

ppq hat gesagt…

was mir eben noch einfiel, mit großem vergnügen übrigens:

goldene schallplatte für "Am Fenster" in griechenland

ja, ausgerechnet.

derherold hat gesagt…

Goldene in Griechenland ?

Kein Wunder:

"Einmal fassen, tief im Gelde wühlen
Dies ist mein und es ist nur durch dich"

VolkerStramm hat gesagt…

Lästermaul!

ppq hat gesagt…

hieß es nicht "kühlen"? die erste hymne gegen die klimaerwärmung, dachte ich bisher immer

Pisaner hat gesagt…

AM Fenster, das war musikalisch ein großer Wurf
+ die Zeile
"flieg ich durch die Welt"
(vom Rest hab ich den Sinn nicht gerafft oder rein akustisch nix Zusammenhängendes verstanden )

Noch besser war aber
"Wo ist das Glück"
(2.LP letzter Titel B- Seite)

ppq hat gesagt…

am fenster war musikalisch e-moll/d-moll, also "lady in black" mit geige. gogow sagte mal "she came to me one morning" über das zustandekommen der melodie. erzählte mir mal jemand

hähä