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Die Ankündigung des "Geheimgutachtens" war der "Tagesschau" noch einen "Brennpunkt" wert, die Veröffentlichung des Inhalts nicht einmal eine Meldung. |
Was war das für eine Aufregung, als noch niemand nichts wusste. Ein Dauerwarnton gellte aus jeder Ausgabe der "Tagesschau", millionenfach verstärkt durch aufgeregte Analysen und Kommentare überall in den angeschlossenen Abspielanstalten und privatkapitalistischen Medienheuschrecken. Die allerletzten Minuten ihrer Amtszeit hatte die scheidende Bundesinnenministerin Nancy Faeser genutzt, um die Hochstufung der AfD als "gesichert rechtsextremistisch" offiziell zu verkünden.
Eine Zäsur in der Geschichte der Republik, denn erstmals seit mehr als 90 Jahren rückte damit die Wahrscheinlichkeit näher, dass eine Regierung einer konkurrierenden Partei jede politische Tätigkeit verbietet und sie zur staatsfeindlichen Organisation erklärt.
Gesichert überehrgeizig
Eigentlich war das bereits für die Zeit vor Weihnachten geplant gewesen. Doch der Überehrgeiz des von Faeser zum Vertrauten ernannten Behördenchefs Thomas Haldenwang torpedierte die Pläne: Der Christdemokrat. Über alle Parteigrenzen hinweg einig mit seiner Ministerin in der Entschlossenheit beim Kampf gegen Hetze, Hass und Hohn, versuchte seinen guten Ruf als Verteidiger der Einschränkung der Meinungsfreiheit zu nutzen, um sich im hohen Alter noch ein Bundestagsmandat zu sichern. Faeser fühlte sich verraten. Das penibel vorbereitete Papier zur Hochstufung der AfD war entwertet, noch ehe es hatte in den politischen Nahkampf eingeführt werden können.
Haldenwang wurde kurzerhand entlassen. Die Veröffentlichung des Gutachtens verschoben. Und als sie nach einer Zeit des Sackenlassens und des Innehaltens ein halbes Jahr später vorgenommen wurde, legte die zuständige Ministerin großen Wert darauf, dass die Veröffentlichung ohne Veröffentlichung stattfand. An ihrem vorletzten Tag im Amt, das sie so gern weiter behalten hätte, rief Nancy Faeser (SPD) rief die Getreuen nach Berlin, um die sogenannte "Hochstufung" durch den Verfassungsschutz zu verkünden, ohne sich in Einzelheiten zu ergehen.
Ethnische Definitionen
Fakt sei, so die Ministerin, dass der schon länger gehegte Verdacht, die Partei verfolge "gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen", sich bestätigt und "in wesentlichen Teilen zur Gewissheit verdichtet" habe. So sei erwiesen, dass die AfD "deutsche Staatsangehörige mit Migrationsgeschichte aus muslimisch geprägten Ländern als nicht gleichwertige Angehörige des Staatsvolkes" sehe, weil die Partei darauf beharre, dass das deutsche Volk sich ethnisch definiere.
Dazu ist der größten Oppositionspartei beinahe jedes Mittel recht - so verweisen Funktionäre immer wieder auf die Legaldefinition aus Artikel 116 Abs. 1 GG. Deutsche sind danach zum einen alle Personen, die nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Zum anderen sind auch Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit Deutsche, wenn sie als Flüchtling oder Vertriebener oder als dessen Ehegatte oder als sogenannter "Abkömmling deutscher Volkszugehörigkeit" in Deutschland Aufnahme gefunden haben.
Die Statusdeutschen im Grundgesetz
Die solcherart Betroffenen werden allerdings vom Grundgesetzgeber als "Statusdeutsche" bezeichnet und nicht als gleichwertige Angehörige des Staatsvolkes behandelt. Zwar haben Statusdeutsche grundsätzlich alle verfassungsrechtlichen Rechte und Pflichten deutscher Staatsangehöriger. Doch sind sie mangels deutscher Staatsangehörigkeit "nach herrschender Meinung nicht gemäß Art. 16 Abs. 1 GG vor dem Verlust ihres Status geschützt", wie der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages den Sachstand erst vor wenigen Jahren beschrieben hat.
Nur keine Einzelheiten, denn sie schaden "der Sache" (Tagesspiegel). Nach dieser Devise ließ Nancy Faeser die Details, Belege und Beweise für die Gefahren, die von der AfD ausgehen, bewusst im Ungefähren. Je weniger Menschen je weniger wissen, das ist seit der Aufdeckung des von der Rechercheplattform Correctiv erdachten "Geheimplanes gegen Deutschland" erwiesen, desto mehr sind sie bereit, für "die Sache" auf die Straße zu gehen.
Verfassungsfeindliche Verfassung?
Niemand hatte die Absicht, die Öffentlichkeit mit Einzelheiten aus dem mehr als tausendseitigen Gutachten des Verfassungsschutzes zu behelligen, die nach dem Dafürhalten des Innenministeriums nur Spekulationen auslösen würden. Reichen die Beweise für ein Verbot? Sind die Einschätzungen des Geheimdienstes an den Haaren herbeigezogen? Was bedeutet die Definition der Grundgesetzdefinition der sogenannten deutschen Volkszugehörigkeit als Abstammung "von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen" für die Verfassungsfeindlichkeit der Verfassung?
Um das als "Geheimgutachten" bezeichnete 1000-Seiten-Konvolut nicht unnötig in Misskredit zu bringen, bekamen nur bestimmte handverlesene Medien Einblick. Streng kontrolliert durften sie die schwersten Vorwürfe abschreiben und die Wahlkampfparolen der AfD wiederholen. Die Partei drohe mit einem "Krieg gegen die Regierung", sie beklage einen "Messer-Dschihad" auf deutschen Straßen und fordere "millionenfache Remigration" zitierte das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" offenbar komplett überrascht davon, was der Verfassungsschutz beim Lesen des "Spiegel" zusammengetragen hatte.
Gezieltes Durchstechen an verlässliche Adressen
Allerdings reichte dieses gezielte Durchstechen des mit "VS - Nur für den Dienstgebrauch" gestempelten Gutachtens nicht aus. Statt erneuter Massendemonstrationen gegen rechts gab es vernehmliches Murren bis in die demokratische Mitte. Nach Monaten, in denen Experten "mit Sorgfalt und großem Aufwand an dem Gutachten gearbeitet" hätten, habe die Bevölkerung ein Recht, die Fleißarbeit selbst lesen zu dürfen, hieß es.
Dass der deutsche Geheimdienst der Öffentlichkeit misstraue, sei ein Armutszeugnis, schreiben Blätter im Ausland. "Das Gutachten zur AfD darf keine Geheimsache bleiben", quengelten selbst die großen Medienhäuser, aus deren unabhängigen und überparteilichen Belegschaften Bundesregierungen traditionell ihre Sprachrohre rekrutieren.
Ein Leck für die Fleißarbeit
Eine Woche dauerte es, bis das Leck im Geheimdienst so groß geworden war, dass die Fleißarbeit der anonymen Materialsammler komplett hinaussickern konnte. Beim Lesen entpuppte sich das große Werk als eitler Tand, zusammengeklebt aus Interviewzitaten, Sätzen aus Parteitagsreden und der Interpretation von Wahlprogrammpunkten. Kein schöner Moment für die Autoren, erst recht aber keiner für die, die sich viel mehr erhofft hatten. "Es ist leichtfertig, das Gutachten des Verfassungsschutzes zu veröffentlichen", warnte nun etwa der SZ-Kommentator Detlef Esslinger, der zehn Tage zuvor noch gefordert hatte, dass das Gutachten zur AfD keine Geheimsache bleiben dürfe.
Immer wie es passt. Immer danach, wer es war. Aus "Warum soll die Öffentlichkeit nicht wissen, was der Geheimdienst dieser Partei vorwirft?" wird "auch wenn die Öffentlichkeit erfahren soll, warum der Geheimdienst die Partei als gesichert rechtsextremistisch eingestuft hat – so geht das nicht", nachdem "rechte Medien" (SZ) das komplette Gutachten ins Netz gestellt haben. Hätten sie nicht dürfen. Täten sie nicht sollen müssen. Darauf zu stehen, dass alles auf den Tisch komme, sei gut und richtig. Aber, so die Süddeutsche Zeitung, es dürfe natürlich am Ende nicht alles auf jedem Tisch landen.
Die "Tagesschau" schweigt
Dort, wo die meisten Deutschen ihre sicheren und geprüften Informationen beziehen, sind die Verantwortlichen zum gleichen Schluss gekommen. Für die "Tagesschau" und die ZDF-Nachrichtensendung "Heute" ist die Veröffentlichung der kompletten 1108 Seiten des Gutachtens (Hier können Sie das Dokument nachlesen: Teil I und Teil 2) kein Thema.
Weder am Tag der Bekanntgabe noch in den darauffolgenden 72 Stunden informierten die Redaktionen ihre Zuschauer über die Veröffentlichung. In den linearen Fernsehnachrichtensendungen war zwar Zeit für die Verkündung, dass das Survival-Game "Enshrouded" einen der wichtigsten Spielepreise gewonnen habe. Nicht aber dafür, die Bürgerinnen und Bürger darauf hinzuweisen, dass sich jeder nun selbst ein Bild vom Inhalt des eben noch in tausenden Schlagzeilen, Analysen und Kommentaren als wegweisend und historisch angekündigten Werkes aus dem Hause des Verfassungsschutzes machen kann.
Für die "Tagesschau", eigener Beschreibung nach die "die erste Adresse für Nachrichten und Information: An 365 Tagen im Jahr, rund um die Uhr aktualisiert - die wichtigsten News des Tages", handelt es sich bei der Veröffentlichung um eines jener nur regional bedeutsamen Ereignisse, die hintenanstehen müssen, wenn Merz im Bundestags spricht, Trump Saudi-Arabien besucht und Steinmeier Israel Deutschland unverbrüchliche Solidarität versichert.
Aus dem Brennpunkt wird ein schwarzes Loch
Wurde die Ankündigung der Fertigstellung eines Gutachtens, dessen Inhalt geheim bleiben würde, vor zwei Wochen noch mit einem "Brennpunkt" gefeierte und das "Statement" der Ministerin in jeder einzelnen Tagesschausendung untergebracht, gähnt am Tag des Bekanntwerdens des Inhalts ein schwarzes Loch im Unterhaltungsangebot.
Das muss niemand wissen. Ein Teil der Antworten, die sich in der zweibändigen Ausarbeitung nicht finden, könnte die "Bevölkerung verunsichern", wie es der unvergessene Faeser-Vorgänger Thomas de Maiziere einmal beschrieben hat. Womöglich, werden sie in der Chefredaktion in Hamburg befunden haben, liest das wirklich irgendwer und denkt anschließend so etwas wie "Ist das alles?" Womöglich sagt gar mancher wie nach dem Absolvieren des "Wahl-o-Mat", "ach, das will die AfD also?" Sehr schön, das will ich ja auch.
Besser, die Dinge bleiben dort, wo Erwachsene mit einem festen Wertewissen begutachten und bestimmen, was wer wissen muss. Besser, die Leute wissen zu wenig, aber das Richtige. Je unklarer die Fakten sind, desto besser lassen sie sich interpretieren. Es war der unvergleichliche und unübertroffene Georg Restle, ein Mann, der sich selbst als "Journalist über den Tag hinaus" beschreibt, der die Aufgabe der Medien, Informationen vermeiden zu helfen, auf den Punkt gebracht hat: "Medien, die ihren Auftrag als Hüter der Demokratie ernst nehmen, dürfen nicht dazu beitragen, diese Agenda in die Öffentlichkeit zu tragen."
9 Kommentare:
Das Ende ist nah
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https://www.sueddeutsche.de/medien/tagesschau-laengere-sendezeit-20-uhr-li.3253030
Die ARD experimentiert mit der Idee, die Nachrichtensendung auf 30 Minuten zu verlängern. Was das bedeuten könnte und warum es wohl um Nähe geht.
Die "Aktuelle Kamera" war auch eine halbe Stunde lang. Wenn man es nicht anschaut, ist es egal.
Eine Verlängerung der Sendezeit ohne sicherzustellen, dass die Werktätigen die Sendung auch aufmerksam verfolgen (etwa durch gezielte Abfragen durch Vorgesetzte am nächsten Tag am Arbeitsplatz), ist ziemlich sinnlos.
Daß Merz nur zweite Wahl ist, ist eine Binse. Daß er Kanzlerei auf dem Level einer Kindergartengruppe durchzieht, das hätte man vermuten können. Nun ist war es gestern soweit. Die rolle der Bedeutung der Tageschau im weltweiten Kampf der Nachrichtendienste wurde erschöpfend erklärt.
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https://www.bild.de/politik/politik-talkshows-im-tv-talk-kritik/talk-bei-maybrit-illner-merz-wechselt-beim-taurus-die-strategie-6826731d6ebf7d29dc9294ec
Begründung, so Merz: „Der Fehler, den wir gegenüber Russland in den letzten dreieinhalb Jahren gemacht haben: Wir haben diese Diskussionen alle öffentlich geführt.“ Dabei sei der Taurus „so ein bisschen hochgejazzt“ worden, „wie so kurz unterhalb der atomaren Schwelle“, und „das ist falsch.“
Fatale Folge, so Merz: „Putin kann gut Deutsch. Er musste nur jeden Abend die Tagesschau gucken, oder ZDF heute, um zu wissen, was Deutschland und die Europäer planen. Das ist ein strategischer Vorteil für ihn und ein strategischer Nachteil für uns.“
für seine funktionierende geheimhaltung ist deutschland ja weltweit bekannt
Ich stelle mir gerade vor, wie Putin kurz vor 8 durch den Kreml brüllt:" Ruhe, jetzt kommen die Nachrichten".
So war es immer in meiner Kindheit.
seit einiger zeit überzeiht die tagesschau regelmäßig um eine oder zwei minuten. sie lassen es langsam angehen, damit er zeit hat, seine leute zur ruhe zu bringen
Ich kann nicht mehr darüber lachen. Die ziehen ihr Ding durch, und der mündige Bürger billigt und begrüßt es.
Das mit der bösen Seuche, die aus dem Nichts kam, bzw. vom Fledermausfressen, die hochwohlweise Obrigkeit, die uns mit strenger und doch milder Hand errettet hat, das war ja für das einfache Begriffsvermögen des Pöbels einschließlich des Pöbels mit Universitätsabschluss noch recht geschickt ausgeheckt.
Aber mir will z.B. nicht in den Schädel, dass es Gesengte gibt, die da meinen, es gäbe zweierlei Kohlendioxid.
Ein unschädliches natürliches - und ein schädliches künstliches. usw. usw.
(War das Roewer? Blödelte jemand von der "Mordserie der (sic) NSU ...")
Klonovsky
https://www.klonovsky.de/2025/05/17-mai-2025/
Das Webportal politplatschquatsch stellt fest, der Verfassungsschutz habe es „geschafft, mehr als 1.000 Seiten voll zubekommen, ohne die Formulierung ‚aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der freiheitlich demokratischen Grundordnung’ auch nur einmal zu erwähnen.
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