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Die wichtigste Formulierung fehlt: Der Verfassungsschutz findet Belege für vieles, aber keinen Willen, die verfassungsfeindliche Haltung "in aktiv-kämpferischer, aggressiver Weise" durchzusetzen. |
Es wäre doch so wichtig gewesen! Dann aber kommen da tausend Seiten und die maßgebliche Formulierung taucht nicht ein einziges Mal auf. Dabei sind Parteien nach Art. 21 Abs. 2 Grundgesetz verfassungswidrig, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf abzielen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Sie können durch das Bundesverfassungsgericht sogar verboten werden. Das allerdings aber nur, wenn sie nicht lediglich eine verfassungsfeindliche Haltung vertreten. Sondern diese Haltung auch "in aktiv-kämpferischer, aggressiver Weise" umsetzen wollen.
Planvolle Beseitigung
Ausreichend für ein Parteiverbot ist es also nicht, dass höchste Verfassungswerte in politischen Meinungsäußerungen in Zweifel gezogen, nicht anerkannt, abgelehnt oder ihnen andere, womöglich ekelhafte Werte entgegengesetzt werden. Nein, die in Rede stehende Partei muss vielmehr "planvoll das Funktionieren der freiheitlichen demokratischen Grundordnung beseitigen" wollen, wie das Bundesinnenministerium auf seiner Internetseite betont.
Zweimal hielt das Bundesverfassungsgericht den Nachweis für erbracht. 1952 wurde die Sozialistische Reichspartei (SRP) verboten und 1956 folgte die von der DDR finanzierte Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Der dritte Anlauf, unternommen gegen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), scheiterte, weil allzu viele Geheimdienstmitarbeiter in den Führungsgremien der Partei an der Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung mitwirkten. Die Bundesregierung, der Bundestag und der Bundesrat zogen ihren Verbotsantrag zurück.
Missglückte Versuche
Der zweite Versuch verlief nicht glücklicher. Zwar nun ohne V-Leute in der Parteiführung abgewickelt, stellte der Zweite Senat fest, dass die NPD tatsächlich ein auf die Beseitigung der bestehenden freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtetes politisches Konzept vertritt. Doch wegen der Bedeutungslosigkeit der Kleinstpartei gebe es keine Anhaltspunkte für eine drohende erfolgreiche Durchsetzung ihrer politischen Ziele.
Der Verbotsversuch scheiterte diesmal daran, dass die neben der "aktiv-kämpferischen, aggressiven Weise" notwendige zweite Grundvoraussetzung fehlte: Dass "konkrete, gewichtige Anhaltspunkte vorliegen, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass das Handeln der Partei erfolgreich sein kann" (BMI).
Geheimwaffe Geheimgutachten
Bei der AfD, als Nachfolgerin der NPD deutlich erfolgreicher, weckt das "Geheimgutachten" des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) nun Hoffnungen, dass es erstmals seit 70 Jahren wieder etwas werden könnte mit dem Ausschluss einer politischen Partei aus dem demokratischen Wettbewerb. Nach Jahren der intensiven Analyse hatten die Experten des BfV die gesamte Partei als "gesichert rechtsextremistisch" (Tagesschau) eingestuft. Ein lange erwarteter Erfolg für Rechtsstaat, Geheimdienst und demokratische Mitte, vor allem aber ein Hoffnungsschimmer für alle anderen Parteien, denen die jüngste Partei im Spektrum zuletzt schon ein Viertel der Wähler abspenstig gemacht hatte.
Der Verfassungsschutz urteilt rigoros. Früher übliche Unterschiede zwischen "rechtsextrem" und "rechtsextremistisch" - das eine einfach am Rand, das andere gewalttätig - werden nicht mehr gemacht. Der Duden, demzufolge "extremistisch" eine Form der Steigerung von "extrem" darstellt, hat ausgedient. "Extremistisch" war früher der Endpunkt auf der Extremismus-Skala, "extrem" einen Punkt irgendwo kurz davor. Beides wird heute allerdings synonym verwendet.
Nur für den Dienstgebrauch
Dringend notwendig ist das. Denn schon eine kurze Analyse der tausend Geheimseiten mit dem Stempel "Nur für den Dienstgebrauch", die nach dem "Spiegel" und der "Bild" auch das Magazin "Cicero" unter der Hand ausgereicht bekommen hat, zeigen das Bemühen des Bundesamtes für Verfassungsschutz, der lange als "rechtspopulistisch" verharmlosten Partei durch eine betont ausführliche Auflistung und Auswertung öffentlicher Äußerungen die Maske vom Gesicht zu reißen.
Reden, Programme und Social-Media-Posts werden genutzt, um vermeintliche „Denk- und Sprechmuster“ der gesamten AfD zu enthüllen. Durch die Häufung ähnlicher Zitate will das BfV beweisen werden, dass es sich um charakteristische Grundtendenzen in der Mitgliedschaft der Partei handelt und nicht um zufällige Einzelfälle.
"Tatsächliche Anhaltspunkte"
Das muss alles wasserdicht sein. Deshalb orientiert sich das Gutachten auch betont deutlich an den Vorgaben des Bundesverfassungsschutzgesetzes. Penibel wird nach "tatsächlichen Anhaltspunkten" für verfassungsfeindliche Bestrebungen gesucht. Über Monate und Jahre haben Experten die Programmatik der AfD analysiert, Grundsatz- und Wahlprogramme gelesen und gezielt nach verfassungsfeindlichen Positionen gesucht.
Dazu kamen Aussagen von 353 Funktionären, die systematisch ausgewertet wurden, und die Untersuchung von 100 Teilorganisationen, darunter der inzwischen aufgelösten Jugendorganisation Junge Alternative (JA) und des "Flügel", einer Partei in der Partei, die sich 2020 selbst für aufgelöst erklärt hatte. Fast schon liebevoll schildern die anonymen Autoren, wo wer welchen Gastbeitrag veröffentlichte, was es für Fotos von "Austauschtreffen" zu sehen gab und wie welcher Funktionär wann welchen Post auf X geteilt hat - der Verfassungsschutz nennt die X-Posts störrisch "Tweet", als habe Elon Musk Twitter nie gekauft und umgestaltet.
Bestrebungen und Menschenwürde
Anschließend stand fest: Ja, Überraschung! Die AfD ist "gesichert rechtsextremistisch". Und damit verfassungsfeindlich. Bundesweit forderten Demonstranten umgehend ein sofortiges Verbot. Das aber dürfte so einfach nicht werden. Denn zwar tauchen im Geheimgutachten Begriffe wie "Bestrebungen", "Menschenwürde" und "Rassismus" so häufig auf, dass das Ziel, verfassungsfeindliche Muster durch Zitate und Programmanalysen zu belegen, als erreicht gelten darf.
Doch nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes reicht die häufige Nennung von verfassungsfeindlichen Bestrebungen und verbalen Angriffen auf die Grundordnung eben nicht aus, um eine konkurrierende Partei von Amtswegen aufzulösen. Dazu braucht es neben der - erlaubten - verfassungsfeindlichen Haltung auch den Willen, sie "in aktiv-kämpferischer, aggressiver Weise" umsetzen. Und zudem zumindest ein paar nicht ganz abwegige "konkrete, gewichtige Anhaltspunkte", die es "möglich erscheinen lassen, dass das Handeln der Partei erfolgreich sein kann" (BMI).
Im offenen Wettbewerb
Diese besondere formale Anforderung an ein Parteiverbot, so führt es das dem Verfassungsschutz vorgesetzte Bundesinnenministerium aus, schütze den "offenen Wettbewerb der politischen Parteien" und Programme. "Es wäre mit unserem Demokratieverständnis nicht vereinbar, wenn zum Beispiel die Mehrheitsparteien andere Parteien verbieten und sich so missliebiger politischer Konkurrenz entledigen könnten."
Genau hier wird das Gutachten, angeschoben vom später in Windeseile vom Hof des BfV gejagten früheren Verfassungsschutzpräsidenten Thomas Haldenwang, nicht viel helfen. Weder taucht die Vokabel "kämpferisch" auf noch die "aktiv kämpferische, aggressive Haltung" und schon gar nicht die konkret erforderliche "aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der freiheitlich demokratischen Grundordnung".
Das Wichtigste fehlt
Trotzdem hat es der Verfassungsschutz geschafft, mehr als 1.000 Seiten voll zubekommen, ohne die Formulierung "aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der freiheitlich demokratischen Grundordnung" auch nur einmal zu erwähnen. Die zentrale juristische Kategorie im Kontext der Beobachtung und Bewertung extremistischer Bestrebungen durch den Verfassungsschutz kommt einfach nicht vor zwischen dem Geklingel über "Prüffall", "Verdachtsfall" und "erwiesen extremistischer Bestrebung".
Obwohl die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dahingehend eindeutig ist und ein "Personenzusammenschluss" nur als verfassungsfeindliche "Bestrebung" gilt, wenn sie "ziel- und zweckgerichtet darauf abzielt, die freiheitliche-demokratische Ordnung oder einen ihrer tragenden Grundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen", ist in den jahrelangen Prüfungen und Beobachtungen nicht mehr herausgekommen als eine Sammlung von Meinungsäußerungen, zugespitzt, polemische, ekelhaft oder dumm, aber für die Sache belanglos.
Keine kämpferische, aggressiv Haltung
Ohne "aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der freiheitlich demokratischen Grundordnung" kein ausreichend großes Maß an Gegnerschaft zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung, um ein Verbot zu rechtfertigen. Ein Makel des Verfassungsschutzberichtes, den zumindest die ersten Medienarbeiter bemerkt hatten, an die der Bericht zu Beunruhigung der Öffentlichkeit durchgesteckt worden war: Sie verwendeten die Formulierung und beschrieben die Haltung der AfD gegenüber der freiheitlich-demokratischen Grundordnung als aktiv, aggressiv oder kämpferisch, als würden sie aus dem Papier zitieren.
Das hatte die mittlerweile ausgeschiedene Bundesinnenministerin Nancy Faeser aus Gründen des Quellenschutzes geheim halten wollen. Dabei finden sich in dem Konvolut ausschließlich Verweise auf Quellen, die ohnehin öffentlich sind. Mit der illegalen Veröffentlichung der Verschlusssache, die mit dem untersten Stufe der Geheimhaltungsgrade eingeordnet und deshalb nicht strafbewehrt ist, fällt die Behauptung, der Berg Papier enthalte hochexplosiven politischen Sprengstoff.
Banale Petitessen
Es sind vielmehr banale Petitessen, die vorgeführt werden als seien sie von der AfD-Spitze bisher gut versteckt worden. Die Parteivorsitzende Alice Weidel mit etwa den Worten zitiert, "Messerkriminalität" sei "in unserer Kultur völlig unbekannt". Der westdeutsche Anführer der Thrüringer Landespartei erklärt "Wir Deutschen haben die braune Diktatur hinter uns gebracht und überlebt, wir haben die rote Diktatur überlebt. Wir werden auch die bunte Diktatur überleben."
Und, heißt es, das "Volksverständnis der AfD" ziele darauf ab, "bestimmte Bevölkerungsgruppen von einer gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe auszuschließen, sie einer nicht verfassungskonformen Ungleichbehandlung auszusetzen und ihnen damit einen rechtlich abgewerteten Status zuzuweisen." Eine offenbar als krude empfundene Auslegung von Artikel 116 Abs. 1 GG, der die Definition dafür liefert, wer Deutscher sein darf und wer es nicht ist: "Wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat."
"Verdichtung der Gewissheit"
Wer nicht, dem wird vom Grundgesetz offenbar ein "rechtlich abgewerteter Status" zugewiesen. Aber das wird vielleicht Thema in einem nächsten Geheimbericht. Hier findet sich bis zum "Fazit zur Verdichtung zur Gewissheit" eine Fülle kleinteiliger Belege. Nur bleibt unklar, wofür eigentlich.
Mehrfach betonen die Autoren das Vorliegen von "Anhaltspunkten für Bestrebungen gegen die Menschenwürde", nach Auffassung des Verfassungsschuztes motiviert durch einen "ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriffs. Dazu kämen auch noch "fremden- und minderheitenfeindliche, inklusive spezifisch muslimfeindlicher Äußerungen". Was aber aus dieser "verdichteten Gewissheit" folgt, ist laut Studie auch nur "eine Aufrechterhaltung der Verdachtsmomente und eine weitere Verdichtung", ungeachtet auch "etwaiger Distanzierungsansätze im Wege von Parteiordnungsmaßnahmen".
Diese entkräfteten nicht "die festgestellten Belege, sondern belegen vielmehr das Fehlen vernehmbarer parteiinterner Abgrenzungen" heißt es vorsorglich, als rechneten die Verfasser bereits damit, dass die fehlenden Beweise für eine "aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der freiheitlich demokratischen Grundordnung" irgendwem auffallen könnten.
1 Kommentar:
Dieser Artikel verstößt gesichert gegen das Menschenwürde-Prinzip und wird daher als Beobachtungsfall eingestuft.
i.A. Haldenwangs Nachfolger:in
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