Sonntag, 14. September 2025

Lebensmittelwende: EU gegen Essenreste

Lebensmittelverschwendung, Ursula von der Leyen, Groceries Act, EU-Verbraucherschutz, Bürokratieabbau, Klimaschutz, Ernährungsvorgaben
Künftig muss in der EU aufgegessen werden. Die Gemeinschaft hat ihren Bürgerinnen und Bürgern das Ziel gestellt, bis 2030 beträchtlich weniger Lebensmittel wegzuwerfen.

Vor Freude strahlend und voller Stolz auf das bereits Erreichte nahm Ursula von der Leyen den begehrten Preis entgegen, den die sächsische Verbraucherschutzorganisation "Friends of Subsidiarity" (FoS) einmal jährlich vergibt. Mit dem "Großen WindbEUtel" ehrt die Vereinigung engagierter Nicht-Regierungsmitarbeiter Institutionen und Behörden, die sich besonders um die Bürokratisierung und den Ausbau von Behördendschungel und Vorschriftenchaos verdient machen. Diesmal war die EU dran - seit Jahren schon immer beinahe in Titelnähe, stets aber doch noch kurz vor dem Erhalt des Zuschlages von anderen Regelkreisen mit noch höherer Eingriffsintensität übertroffen.

Gegen zu viel Bürokratie 

Diesmal aber musste es sein. Mit ihrem im Februar angekündigten radikalen Vorgehen gegeben Versprechen,  gegen "zu viel Bürokratie" (Die Zeit) vorzugehen, um die europäische Wirtschaft zu stärken, hat Kommissionschefin Ursula von der Leyen einen neuen Kurs eingeschlagen. Green Deal und der Wiederaufbau des Kontinents müssen warten. Die Pandemie-Resilienzprogramme werden ebenso auf die lange Bank geschoben wie der mit dem Chips Act geplante eilige Aufbau einer eigenen  Halbleiterindustrie, den große US-Unternehmen hatten übernehmen sollen. 

Wichtiger sei es jetzt, heißt es in den langen, düsteren und energieeffizienten Fluren des  Berlaymont-Gebäudes in Brüssel, den Kontinent wieder in die Wachstumsspur zu bringen. Ein Hauch von  Isolationismus weht durch das alte Europa. Die Grenzen sollen künftig bewacht sein, Leistung soll sich wieder lohnen und Frankreich notfalls durch die EZB gerettet werden. Mit einer Nagelschere wollen Kommission, Parlament und EU-Rat zudem ins Dickicht der 6.500 Gesetze, Richtlinien und Verordnungen schneiden, die das Heer der 32.000 EU-Bürokraten allein in den zurückliegenden fünf Jahren geschaffen hat. 

Weg mit dem Vorschriftenballast 

Wie damals, als die Zwillingstürme in New York noch standen, will die EU fitter werden durch weniger Vorschriftenballast. Wie damals hat sie sich vorgenommen, sich mit Hilfe einer "Schocktherapie" (Handelsblatt) im Handumdrehen eines Viertels aller hemmenden und einengenden Regelungen zu entledigen. 

Die EU schwört ihre Mitgliedsstaaten deshalb jetzt auf eine harte Diät ein: Privathaushalte sollen weniger Lebensmittel einkaufen und die eingekauften nicht mehr bedenkenlos wegwerfen dürfen. Aufessenmüssen wird zur ersten Bürgerpflicht. Der Groceries Act schreibt den 440 Millionen Verbrauchern vor, die Menge der Lebensmittelabfälle bis 2030 um 30 Prozent zu verringern. Statt wie bisher 60 Millionen Tonnen verdorbener oder nur halb aufgebrauchter Lebensmittel in den Abfall zu werfen, dürfen in fünf Jahren nur noch 40 Millionen im Müll landen. 

Das entspricht 132 Kilogramm je Kopf jedes EU-Bürgers - viel zu viel angesichts eines durchschnittlichen Lebensmittelverbrauchs von nur etwa 700 Kilogramm im Jahr. Die statistischen Daten sprechen eine deutliche Sprache: 1,9 Kilogramm Lebensmittel aller Art verbraucht jeder EU-Bürger täglich, ein halbes Kilo davon wirft er weg. Nach Ansicht aller EU-Institutionen ist das nicht nur Verschwendung, sondern auch eine unnötige Quelle für den Ausstoß von Treibhausgasen. 

Neue Vorgaben zur Ernährung 

Das Europäische Par­lament hat deshalb neue Vorgaben zur Ernährung erlassen: Die EU-Staaten werden beauftragt, Maßnahmen zu ergreifen, um Bürgerinnen und Bürger zur besseren Nutzung von Lebensmittelabfällen zu veranlassen.  Welche Schritte sie dazu ergreifen, ist ihnen überlassen. Sie können unangemeldete Haushaltskontrollen veranlassen oder aber Einfluss auf die Menge der ausgegebenen Lebensmittel durch die Rückkehr zu Lebensmittelmarke nehmen. Vorgeschrieben ist nur, dass die Menge der Lebensmittelabfälle, die ihn Haushalten entstehen, Ende 2030 in allen 27 Staaten um 30 Prozent niedriger liegt.

Die neue, lockere und unbürokratische Art, mit der Ursula von der Leyen Anti-Bürokratie-EU die Lebensmittelwende für die privaten Haushalte plant, zeigt, dass EU-Kommission und EU-Parlament verstanden haben, was die Stunde geschlagen hat. Mit ihrem koordinierten Vorgehen gegen die drei Hauptverursacher von Lebensmittelresten geht die EU nicht wie früher ins Detail. Stattdessen nennt sie die nackten Fakten: Private Haushalte verursachen mit 72 Kilogramm je Kopf mehr als die Hälfte der Lebensmittelabfälle, schon vorher fallen bei Verarbeitung und der Produktion 35 Kilogramm an. Die restlichen 25 Kilo verschwenden Handel und Gastronomie durch zu hohe Bestellmengen, zu große Portionen und Verschnitt.

EU gegen Essensreste 

Auch für das Weltklima ist das eine Belastung."„Es ist ein Skandal, dass in Europa noch immer Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll landen", hat die sozialdemokratische Europaabgeordnete Delara Burkhardt das Problem angeprangert. Burkhardt hat Politikwissenschaften studiert und den in der SPD vorgeschriebenen Ausbildungsweg für Nomenklaturkader genommen, um jede Konfrontation mit der Realität zu vermeiden. Seit 2019 sitzt sie im EU-Parlament, dort setzt sich die von der Obama Foundation des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama als "Obama Leader Europe 2022" für Herzensthemen wie Kreislaufwirtschaft, Kampf gegen die Klimakrise und gegen Kernkraftwerke ein.

Mit der Verschwendungsverhinderungsrichtlinie, die dem Verbrauch von Lebensmittel zu nicht statthaften Zwecken einen Riegel vorschiebt, feiert Delara Nurkhardt den größten Erfolg ihrer noch jungen politischen Laufbahn. Und sie macht Bürgerinnen und Bürgern ein Geschenk: Wer weniger wegwerfe, müsse weniger kaufen. Das sei nicht nur gut für Klima und Umwelt, sondern schone in  Zeiten knapper Kassen und wachsender Armut auch den Geldbeutel. 

Durchsetzung durch Kontrolle 

Bei der Durchsetzung der Beschlüsse vertrauen die europäischen Institutionen ganz auf den Ideenreichtum der Regierungen der Mitgliedsländer. Wie die die Reduktion des gesamten Lebensmittelverbrauches um immerhin fünf Prozent organisieren und durchsetzen, bleibt ihnen überlassen. Wichtig ist, dass sie ihre heute schon verpflichtenden Pläne zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen an die neuen Zielvorgaben anpassen. 

Für Deutschland kein Problem, denn die Bundesregierung hat sich schon jetzt zum Ziel gesetzt, Lebensmittelab­fälle bis 2030 sogar zu halbieren. Herzstück der Strategie ist dabei die neu gegründete "Bundeskompetenzstelle gegen Lebensmittelverschwendung" (BKgL) als zentrale Anlaufbehörde für Verschwendungsfragen. Angedockt ans Bundeslandwirtschaftsministerium, das für die Agrarbranche zuständig ist, in der Jahr für Jahr rund 190 Kilogramm Lebensmittel pro Kopf der Bevölkerung ungenutzt verlorengehen, koordiniert die BKgL den Kampf an der Ernährungsfront. 

Bald kommen Lebensmittelstreifen 

Ideen zur Umsetzung gibt es bereits einige. Denkbar wären dann Lebensmittelstreifen, die Haushaltsabfälle auf unzulässig entsorgte Speisereste kontrollieren. Diese sogenannten Monitoring-Prozesse versprechen jedoch nur wirksam zu sein, wenn tatsächlich flächendeckend geprüft wird und Verstöße mit Bußgelder geahndet werden können. Ein anderer oder ergänzender Weg wäre das von jungen Tüftlern um den bekannten Dessauer Erfinder und Entrepreneur Jens Urban entwickelte Digitalisierungsprojekt "GrocerieCoin". Dessen Ziel ist es, Lebensmittelbestände vom Acker bis zum Abfallbehälter über die Hinterlegung in einer Blockchain über alle Produktions- und Verbrauchsstufen hindurch verfolgbar zu machen. 

Die Bundesregierung will zudem die App "Zu gut für die Tonne" für Privathaushalte weiterentwickeln - sie soll Menschen helfen, wirklich verdorbene und aus gesundheitlichen Gründen ungenießbare Lebensmittel zu identifizieren. Enthalten in der Applikation wird auch eine mobile Anwendung sein, die sogenannte Specki-Tonnen auf einer Karte lokalisiert und eine Funktion für die Routenplanung dorthin integriert hat. 

Zustimmung ist Formsache 

Nach dem Parlament muss dem neuen Lebensmittelkontroll-Gesetz noch der Ministerrat der EU-Staaten zustimmen. Da sich EU-Parlament und Mitgliedstaaten aber schon im Februar auf eine gemeinsame Fassung geeinigt hatten, ist das wie immer als reine Formsache. Die Regierungen in den Hauptstädten sind dann verpflichtet, die Regelungen in nationales Recht umsetzen. Tun sie das nicht fristgerecht, gilt der Groceries Act jedoch automatisch und unmittelbar.


8 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Test

Anonym hat gesagt…

...um die europäische Wirtschaft zu stärken, hat ...

Der Kamerad Volksgenosse, der hier unlängst, sinngemäß, schrieb, dass, wenn das Wort "stärken" im Text auftaucht, Bullshit garantiert sei - der soll gepriesen sein.

Anonym hat gesagt…

Zuerst braucht es ein Pfandsystem für Hühnerknochen und Bananenschalen. Andernfalls werden die weiter achtlos in den Hausmüll geworfen.

Anonym hat gesagt…

Man kann ja aus der Geschichte lernen. Den Verbrauch konnte die allsorgende Regierung früher von der Erzeugung bis zum Konsum bestens kontrollieren. Da kam nichts um. Heute vielleicht per App.
https://de.wikipedia.org/wiki/Lebensmittelkarte#/media/Datei:Lebensm1.JPG

Anonym hat gesagt…

Haushaltskontrollen oder Lebensmittelmarken sind nicht notwendig. Der höhere Preis wird die Nachfrage regeln und dann wird schon alles aufgegessen werden damit bald wieder die Sonne über der EU lacht.
Man wird sogar den Fensterkitt vernaschen und auch aus Kartoffelschalen lässt sich eine vorzügliche Suppe zaubern.
Nachzulesen in den Rezepten die während der letzten Kriegswirtschaft ausgegeben wurden.
Also vorwärts ihr Hunde oder wollt ihr ewig leben? Der Lebensraum ist im Osten, daher muss der Iwan bekämpft werden.
Sobald der Endsieg errungen ist gibt es wieder Schnitzel für alle.
Versprochen, ganz großes Indianerehrenwort.

Anonym hat gesagt…

OT re Anmerker, ist mir ja sonst immer zu mühsam, aber....

Prinzessin Diana († 36, 1997) war Zeit ihres Lebens eine bildschöne Frau.

Frau? Vielleicht
Zeitlebens? Nein.
Bildschön? Die Guernica unter den Prinzessinnen.

Schöner immerhin als das andere Gestell, das Karl von Windsor lieber knallte.

Anonym hat gesagt…

Die Frau, die sie Pferd nannten? Ick weeß ja nich ...

Anonym hat gesagt…

...dann wird schon alles aufgegessen werden damit bald wieder die Sonne ...
Diese Narrheit ist auf die - erstaunlich weit verbreitete - Unfähigkeit, einen Satz dem Sinn nach zu verstehen, zurückzuführen. Dazu dem Mangel an Kenntnis des Plattdütschen.