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Hetze gegen den Staat nimmt immer größere Ausmaße an, je mächtiger der Staat als Beschützer und Betreuer der Menschen wird. Eine Lösung für das Problem haben die Behörden noch nicht gefunden. |
Es ist schon eine haarsträubende Logik: Während die Wirtschaft seit fünf Jahren wie ein Marathonläufer mit Sandalen durch Treibsand stapft, wächst der Staat munter weiter – wie ein Bambus im Gewächshaus der Steuerzahler. Der alte Adolph Wagner hätte seine Freude daran. Schon 1892 formulierte der Mann aus Erlangen sein "Gesetz der wachsenden Staatsausgaben". Seither haben sich sämtliche Regierungen - beinahe weltweit - daran gehalten. In Deutschland entpuppt sich der Leitfaden gerade als Überlebenshandbuch für Krisenzeiten: Je mehr Arbeitsplätze die Wirtschaft abbaut, desto mehr neue schafft der Staat.
Der Staat baut Luftschlösser
Die Devise? Wenn die Wirtschaft hustet, baut der Staat Luftschlösser – und damit es nicht auffällt, nennt er sich Zukunftszentren. Eigentlich sollte der Staatsapparat Wagner zufolge nur proportional zum Volkseinkommen wachsen. Doch Not kennt kein Gebot und Ausweglosigkeit muss sich über ökonomische Gesetze hinwegsetzen. Der Staat ist im Staate Deutschland die letzte Wachstumsbranche. Selbst der neue Kanzler, der angetreten war, viel zu kürzen und Unnötiges wegzuschneiden, setzt seinen großen Entbürokratisierungsplan auf EU-Art um: Er schafft neue Stellen.
Dahinter steckt eine kühne Strategie. Je schwächer die Wirtschaft, desto dringender braucht sie unsere Hilfe, sagen Parteien, Ministerien und Behörden. Arbeit schaffen heißt nicht mehr, Innovationen ermöglichen. Sondern neue Förderrichtlinien und Berichtspflichten etablieren. Corona war dabei der perfekte Katalysator. Plötzlich durfte der Staat nicht nur die Lufthansa retten, sondern auch noch Impfstoffentwickler umsorgen wie Hotelgäste mit All-inclusive-Paket, Banken übernehmen, Musiker unterhalten und Chemiebetriebe finanzieren.
Fortlaufender Anstieg der Staatsquote
Die Peacock-Wiseman-Hypothese erklärte den fortlaufenden Anstieg der Staatsquote, der alle gesellschaftlichen Änderungen, alle Reformversuche und jeden Angriff auf die Bürokratie überlebt: Nach jeder Krise bleibt der Staat dicker zurück – wie ein Bär nach dem Winterschlaf, der vergisst, dass er eigentlich schlank bleiben wollte. Erstmals haben Staat und Sozialversicherungen in Deutschland im vergangenen Jahr zusammen mehr als 400 Milliarden Euro für ihr Personal ausgegeben. Je Einwohner gerechnet kostete der Staat seine Bevölkerung 4.873 Euro im Jahr. Im Vergleich zum Vorjahr waren das knapp 34 Milliarden Euro oder stolze neun Prozent mehr.
Macht doch nicht, merkt doch keiner. Genauso schafft es der öffentliche Sektor, selbst in Rezessionszeiten zu expandieren. Still. Leise. Ohne große Glocke. Peacock und Wiseman gingen Anfang der 60er Jahre davon aus, dass soziale und wirtschaftliche Krisensituation der Nährboden sind, auf dem der Staat am besten gedeiht. In Kriegen, Pandemien oder sonstigen Krisen hält das Volk immer verzweifelt nach Rettern Ausschau. Eher über kurz als über lang fällt - zumindest in Deutschland - der sehnsuchtsvolle Blick auf den Staat.
Der ist gern bereit, schließlich rettet er mit dem Land auch sich selbst. Dazu braucht er allerdings Geld. Doch justament wenn es schlecht läuft, ist Widerstand der Bevölkerung gegen höhere Steuern und die damit einhergehende Erhöhung der Staatsquote gering. Sondervermögen können binnen Tagen herbeigezaubert werden. Rüstungsausgaben lassen sich ohne jede Diskussion dauerhaft verdreifachen.
Die Leute gewöhnen sich
Sobald die Krisensituation beendet ist, hat sich die Bevölkerung an die hohen Abgaben gewöhnt. Es wird ein wenig gejammert. Es wird ein wenig geschimpft. Aber an ein Zurückfahren der Staatsmacht ist nicht zu denken - neue Behörden sind gegründet, neue Ämter arbeiten emsig und mit großem Erfolg.
Heute betreibt etwa das Nationale Zentrum für Umwelt- und Naturschutzinformationen (NZfUN) eine Internetseite. 25 Mitarbeiter liefern auf umwelt.info "Umwelt- und Naturschutzdaten auf einen Blick". Es gibt Tage, da hat die Seite 160 Besucher. Die Außenstelle des Umweltbundesamtes, dessen Personalbesatz seit 2016 von 40 auf mehr als 500 Beamte gestiegen ist, gilt als schlagender Beweis dafür, wie kein Bedarf erzeugt wird, den niemand hat. In fünf Jahren wird die Unterbehörde der Unterbehörde des Umweltministeriums mit Sicherheit keine 25 Mitarbeiter mehr haben. Sondern 50.
Es endet nie
Wer würde wagen, ein solch gelungenes Experiment zu beenden? Nein, jede gerettete Krise wird zum Nährboden für neue Behörden. Wenn die Deutsche Bahn nicht pünktlich fährt, hilft eine "Taskforce zur Erforschung von Verspätungsdynamiken in komplexen Systemlandschaften". Das Budget beträgt zwölf Millionen Euro, das Personal umfasst 23 Beamte, die akribisch dokumentieren, warum Züge nie pünktlich sein können.
Das Ergebnis ist ein 800-seitiger Bericht, der beweist, dass Verspätungen systemimmanent sind. Das bröckelnde Rentensystem und die außer Rand und Band geratene Pflegekasse, die Krankenhäuser, die so viel Geld fressen wie noch nie und doch dauernd pleite sind - eine Kommission hilft beim Vertagen des Eingeständnisses, dass niemand mehr weiter weiß.
Arbeit dehnt sich aus
Cyril Northcote Parkinson wusste schon 1955, dass Arbeit sich ausdehnt, "bis die verfügbare Zeit vollständig ausgefüllt ist." Das zweite Parkinsonsche Gesetz besagt zudem: "Ausgaben steigen stets bis an die Grenzen des Einkommens." Die des Staates haben faktisch keine Grenzen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass ein Staat wachsen kann, so lange er will.
Deutsche Behörden haben daraus ein Kunstwerk gemacht. Nehmen wir den „Digitalisierungshelfer 4.0“ – ein Programm zur Vereinfachung von Antragsverfahren. Das Ergebnis sind mindestens drei neue Abteilungen in einer untergeordneten Behörde, die PDF-Formulare in zwölf Farbvarianten erstellen und jährlich 120 Schulungsworkshops zum Thema "Dropdown-Menüs verstehen" anbieten.
Einfluss der Überbürokratisierung
Herbert Haase vom Climate Watch Institut (CWI) in Grimma – nicht zu verwechseln mit dem 2011 viel zu früh verstorbenen Politiker Hans-Herbert Haase – hat das Phänomen über Jahre erforscht. "Wir wollen den Einfluss von Überbürokratisierung auf die Klimaanstrengungen verstehen", sagt er. Herausgekommen ist eine Grunderkenntnis: "Bürokratie ist die effizienteste Form der CO₂-Bindung. Jeder Aktenberg speichert Kohlendioxid, jeder Formularstapel ersetzt einen Baum."
In seiner Studie "Verwaltungswachstum als ökologischer Imperativ", unter dem Titel "Administrative growth as an ecological imperative" eben im angesehenen Wissenschaftsmagazin "Real Science Nature" veröffentlicht, führt der Wissenschaftler prägnante Beispiele an. Ein Heizölantrag erzeuge durchschnittlich 23 Kilogramm Papier, hat sein Team errechnet. "Das entspricht der CO₂-Speicherkapazität einer 20-jährigen Eiche."
Kein Einzelfall, wie Haase erforscht hat. Ein wachsender Staat - und es gebe nur wachsende Staaten - sei der Garant für nachhaltige Bürokratie. Ein Bauantrag für einen Radweg bindet Haase zufolge so viel Bürokratie-Energie, dass nebenbei drei Windräder gebaut werden könnten. Dass die Umstellung einer Armee wie der Bundeswehr von Friedens- auf Kriegsbetrieb für einen Dimensionswechsel bei der Bürokratisierung stehe, erkläre sich von selbst.
Behördenansiedlungsprogramm der Bundesregierung
Das Nationale Zentrum für Umwelt- und Naturschutzinformationen (NZfUN), finanziert aus den Mitteln des Behördenansiedlungsprogramms der Bundesregierung, startete etwa im Januar 2023 und ging schon im Februar 2025 in den Regelbetrieb. "Seitdem wird dort die Datenlandschaft durch einen kuratierten Prozess mit datenhaltenden Stellen erschlossen", umschreibt Herbert Hasse die Arbeit an einer gemeinsamen Linksammlung mit Bundes- oder Landesbehörden, wissenschaftliche Einrichtungen und zivilgesellschaftlichen Organisationen.
Klimaneutralität ohne Bürokratie wäre vorstell-, aber nicht umsetzbar. Krisen sind wie Dünger für beschleunigtes Behördenwachstum. Jede Katastrophe ist ein Startschuss für den Aufbau neuer systemrelevanter Verwaltungen. Die wiederum sind die Grundvoraussetzung dafür, am Staat zu sparen: Um Verwaltung abzubauen, muss man sie erst aufbauen. Dass weder die EU-Pläne zum Schrumpfen der Vorschriftenfabriken um 25 Prozent noch Friedrich Merz' "Sofortprogramm" zum "spürbaren Bürokratierückbau" Erfolg haben, hat einen guten Grund. Ohne eine "Bundesstelle für entbürokratisierte Bürokratie" (BfEB) kann ein solches Vorhaben nicht gelingen.
Der Staat als Mäzen
In der Phase des Aufbaus aber läuft alles automatisch. Lahmt die Wirtschaft, springt der Staat als Mäzen ein. Planmäßig werden Subventionen dorthin vergeben, wo die eigenen Visionen buchstabengetreu umgesetzt wird. Dann scheitern die unterstützten Firmen an den Förderrichtlinien. Zu spät. Zu langsam. Falsche Prämissen. Anschließend werden Rechnungshöfe in Marsch gesetzt, um die Subventionsverwendung zu bemängeln. Es kommt zum Showdown im Parlament, mehrere junge, hoffnungsfrohe Redenschreiber haben ihr Bestes gegeben, um den Skandal anzuprangern. "Monitor" und "Böhmermann" springen auf, auch Mario Barth und der SWR.
Bei gescheiterten Unternehmen entstehen auf diese Art mehr Arbeitsplätze als bei denen, die reibungslos laufen. Damit es dazu nicht kommt, wächst die Zahl der Überwacher wie im Gewächshaus: Referatsleiter für transversale Resilienzsynergien und Abteilungsleiter für fachlich-organisatorische innere Führung vermögen aus jeder neuen EU-Richtlinie fünf neue Stellen zu zapfen. Drei für die Umsetzung, zwei für die Dokumentation der Nicht-Umsetzung.
"Ausdehnung der Staatsthätigkeit"
Der Bürokratie-Whirlpool entsteht in der finalen Phase des Extremwachstums. Die Wirtschaft produziert weniger, die Steuereinnahmen sinken, der Staat erhöht die Steuern, um die Ausgaben zu decken. Unternehmen zahlen mehr und können noch weniger investieren. Die Wirtschaft schrumpft weiter, der Staat muss noch mehr ausgeben, um die Krise zu bekämpfen. Ein Perpetuum Mobile der Staatsverschuldung, wie es Adolph Wagner vorhergesehen hatte, als er beschrieb, wie bei fortschrittlichen "Culturvölkern … regelmäßig eine Ausdehnung der Staatsthätigkeit und der gesamten öffentlichen, durch die Selbstverwaltungskörper neben dem Staate ausgeführten Tätigkeiten erfolgt".
Mit jedem neuen Formular, jeder zusätzlichen Stelle, jeder surrealen Förderrichtlinie wächst das Bollwerk gegen den Kapitalismus. Herbert Haase, ein überzeugter Schüler Wagners, bringt es auf den Punkt: "In 100 Jahren werden wir zurückblicken und nicht glauben könne, dass Menschen mehrheitlich der Meinung waren, der Staat müsse schrumpfen, aber bei jeder weiteren Ausdehnung der Staatszuständigkeiten stolz auf ihre vielen neuen Beamten waren."
1 Kommentar:
Ehm Welk, "Mutafo" - in anderem Zusammenhang zwar - "Dau lät sich nix bei daun."
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