Sie standen an der Schnittstelle zwischen Macht und Menschen, hervorragend beleuchtet und von einer engagierten Studiomannschaft mit Sprechkarten für alle Fälle ausgestattet. Sie saßen in ihren Schreibmaschinengewehrstellungen und visierten die Feinde unserer Demokratie über Kimme und Zorn an. Blattschuss. Das Böse starb vor aller Augen, niedergestreckt von den Mitgliedern eines Wächterrats, denen kein Abweichlertum entging. Sie waren Ermittler, Staatsanwälte und Gericht in einem. Ihr Gesetzbuch war das eigene Gefühl für Gut und Böse. Ihr Urteil erging ohne Berufungsmöglichkeit.
Kerner ging voran
Es war der Fußballmoderator Johannes B. Kerner, der im Oktober 2007 voranging und zeigte, wie sich mit Anmaßung, Missverstehen und der Entschlossenheit, keinerlei Gespräch zu suchen, aus einem Talkshow-Sofa ein Schnellgericht zimmern lässt, das Schlagzeilen macht. Im Gespräch mit Kerner hatte die frühere "Tagesschau"-Sprecherin Eva Herman die Worte Autobahn und Hitler in einem Satz kombiniert. Kerner forderte sie auf, den Satz zurückzunehmen. Die Situation eskalierte. Kerner warf Herman aus dem Studio.
Henryk M. Broder, seinerzeit noch nicht selbst mit einer Fatwa belegt, sondern ein gefragter Gutachter für Fragen von Richtig und Falsch, erkannte in dem ersten aktenkundigen Vorfall eines demonstrativen Ausschlusses des vermeintlich Falschmeinenden eine Lehrstunde über den Zustand der deutschen Debatte über das Dritte Reich. Broder irrte. Es war eine Lehrstunde über den notleidenden Zustand, in den das gesellschaftliche Gespräch in den Jahren danach insgesamt abgleiten würde.
Schotten hoch
Die Schotten gingen hoch. Die Diskussion endete immer öfter mit dem Hinweis, mit diesem oder jenem dürfe niemand reden. Ansichten, Meinungen, Menschen und Parteien landeten auf einem unsichtbaren Index. Ihnen, das hatte irgendwer mit irgendwem auf der Grundlage von irgendetwas ausgemacht, könne keinesfalls eine sogenannte "Plattform" gegeben werden. Es gelte vielmehr, sie mit allen nur erdenklichen Möglichkeiten auszugrenzen, ihnen Reichweite zu entziehen, ihre Bücher zu boykottieren, ihre Demonstrationen zu blockieren, ihre Repräsentanten anzugreifen und ihre Anhänger einzuschüchtern, um sie eines Besseren zu belehren.
Der Wächterrat, der sich die Sisyphusaufgabe aufgeladen hatte, die Unversehrtheit unserer Demokratie zu schützen, arbeitete im Geist des Publizisten Johannes Gross. Dessen Erkenntnis, dass der Widerstand gegen Hitler und die Seinen umso mehr zunehme, je länger das Dritte Reich zurückliege, war die Leitschnur der unermüdlichen Anstrengungen seiner Mitarbeiter.
Nur wenig zu lachen
Wer ihnen vor die Flinte kam, hatte nur noch wenig zu lachen - legendär sind die Geschichten öffentlicher Hinrichtungen. Der Hutmann aus Sachsen, der sich nicht filmen lassen wollte und danach nie wieder glücklich wurde. Der alte Sozialdemokrat, der eines Morgens wie Franz Kafkas Gregor Samsa "aus unruhigen Träumen erwachte" und feststellte, dass er sich in einen Nazi verwandelt hatte. Ein biederer Professor musste den Hitler geben. Einem alten Mann während seines Morgenbades die am Strand abgelegte Bekleidung zu stehlen, war eine edle Tat, die die Machtergreifung des Faschismus zumindest ein wenig verzögerte.
Niemand hatte die reisenden Schnellrichter jemals gewählt. Viele konnten nicht einmal den jähen Wendungen folgen, denen ihre Urteilsbegründungen folgten. Setzte der Westen nun seit Jahren auf Aggression und Provokation, um den Konflikt mit Russland anzuheizen, wie der renommierte "Monitor"-Chef Georg Restle im Jahr 2018 angeprangert hatte? Oder war der Ungar Viktor Orbán das Böse, weil er seinem Land mit "pro-russischer Propaganda" (Restle) "wirtschaftliche Verflechtungen mit Russland" aufgezwungen hatte? War die Sperrung des Zugangs zu sozialen Medien gut, weil sie den Richtigen traf? Oder ein Skandal, weil der Falsche sie veranlasst hatte? Darf die Gesellschaft denen verzeihen, die in der Stunde der höchsten Not immer noch darauf beharren, mit eigenen Ansichten hausieren gehen zu dürfen?
Es war immer schon alles entschieden
In den Grundsatz-Gremien in Hamburg, München, Frankfurt am Main, Köln und Berlin musste die Frage nicht umständlich ausdiskutiert werden. Es war entschieden: Es gibt Menschen, die Meinungen vertreten, die in der gesellschaftlichen Debatte gefragt und erwünscht sind. Und es gibt die Menschen "zweiter Klasse" (Lars Golenia), deren trauriges Dasein in Richtung "Ossis" und "Untermenschentum" (Golenia) geht, so dass die Mehrheitsgesellschaft gut daran tut, sich aktiv vor ihren Aussagen zu schützen.
So war es und so war es gut eingerichtet. Aus der Bundesworthülsenfabrik wurden funkelnagelneue Termini wie "Schwurbler", "Querdenker", "Covidiot", "Leugner", "Hetzer", "Hasser" und "Rechtspopulist" geliefert. Die Grenze des zum Dritten Reich rückte näher und näher, gerade während der "Tyrannei der Ungeimpften", in der der große Wächterrat allabendlich im Fernsehen tagte, um die jeweilige Tageswahrheit schnellstmöglich in Umlauf zu bringen.
Eine feste Front
Wie eine Wand stand die Front nach rechts. Ausgestattet mit einer Reichweite, die die Bürgerinnen und Bürger selbst finanzieren dürfen, predigten die großen Hausmarken des deutschen Haltungsjournalismus Ausgrenzung und Abwertung. Die Besten unter ihnen ließen sich zuweilen herab, dorthin zu gehen, wo es stinkt und qualmt und die Leute leben, die sie für rückständig, dumm, ungebildet und unfähig zu eigenen Urteilen halten. Die Besuche waren inszeniert wie die hoher Staatsgäste. Das anschließend verbreitete Bildmaterial zeigte Helden beim Abstecher in den vordersten Graben: Aufrecht und ungebeugt, obwohl die locals sogar Widerspruch wagen.
Wer das letzte Wort hat, gewinnt, diese Regel galt unumstößlich. Dass sich in den "digitalen Kloaken" (Marietta Slomka) Widerspruch regte, feuerte den Kampfesmut bei ARD und ZDF, Spiegel, Zeit, SZ, Taz und dem Rest der Division der demokratischen Lordsiegelbewahrer nur an. Gemeinsam mit den Vertretern der Parteien, die sich selbst auf dem Wege der Deklamation zu den einzigen Vertretern der demokratischen Mitte unserer Demokratie ernannt hatten, wurde ein Ende der Debatte gefordert. Da die richtige Sichtweise feststehe - sie sei vielfach in "Tagesschau", "Monitor", bei "Reschke Fernsehen" und in den verschiedenen Zeitungen und Magazinen bekanntgegeben worden - erübrige es sich, dazu im Internet noch weitere fruchtlose Diskussionen zu führen, die nur spalten.
Falschmeinungen keinen Raum
Eine Auffassung, die unter denen geteilt wurde, die sie vertreten. Für alle übrigen war sie irrelevant, seit Facebook und X offiziell die Rückkehr zur Meinungsfreiheit ohne Ansichtenaufsicht und Zensur verkündet haben. Unbeeindruckt davon, dass nahezu alle großen deutschen Medienhäuser ihre Kommentarspalten geschlossen haben, um Falschmeinungen keinen Raum zu geben, läuft die gesellschaftliche Debatte - nur eben außerhalb der Kontrollräume der einheimischen Kommunikationsunternehmen.
Zum Leidwesen der früheren Meinungsmonopolisten führt das zu einem ähnlichen Effekt wie die EU-Sanktionspakete in Russland und die gegen China gerichteten der USA. Beraubt der einen Möglichkeit, findet der Mensch andere. Aus einer Diskussion mit wird eine Diskussion über. Statt sich nur besenden lassen zu müssen, senden die Gebührenzahler zurück.
Die Stars der Ära Erziehungsjournalismus
Dass die Auswirkungen mit Elmar Theveßen und Dunja Hayali zwei ausgewiesene Stars der Ära des staatlichen Erziehungs- und Bevormundungsjournalismus treffen, ist Zufall, aber auch ein ganz klein wenig Glück. Hayali ist eine der lautesten Stimmen der stets dienstbaren Gefälligkeitsberichterstattung. Selbstbewusst mischt sie die eigenen "Haltung" in jede Berichterstattung, als habe der Zuschauer genau dafür bezahlt. Theveßen hingegen, der seine Karriere als "Terrorexperte" gestartet hatte, war in den zurückliegenden Jahren als ahnungslosester Amerika-Korrespondent aufgefallen, den das ZDF je beschäftigt hat. Unbeeindruckt von allen Tatsachen fratscherte der Hans-Joachim-Friedrich-Preisträger sich vor laufender Kamera um Kopf und Kragen
Keiner konnte ein X besser für ein U ausgeben, einen Greis zum jugendlichen Helden erklären und aus Widerspruch Hetze, Hass und Zweifel machen. Empörung darüber galt als Majestätsbeleidigung. Bei alldem handele es sich um Qualitätsjournalismus, gegen den Einwände vorzubringen sich verbiete. Die frühere Grünen-Chefin Katrin Göring-Eckhardt hat die zugrundeliegende Kernüberzeugung eben erst wieder klar ausformuliert: Man könne in Deutschland "selbstverständlich auch Journalistinnen und Journalisten kritisieren", verkündete sie. "Was aber nicht geht, ist, dass die von ihnen vorgenommene Einordnung grundsätzlich infrage gestellt wird". Wo kämen wir denn hin.
Amtliche Einordnungen
Auslöser von Göring-Eckhardt Aufruf zur Akzeptanz von quasi amtlicher Einordnungen ohne Prüfung war die Protestwelle, die sich nach dem Mord an dem US-Influencer Charlie Kirk durch die digitale Landschaft wälzte, nachdem Theveßen und Hayali dem 31-Jährigen eine gewisse Mitverantwortung an seiner Ermordung zugeschrieben hatten. Theveßen unterstellte dem Opfer, er habe "gesagt beispielsweise, dass Homosexuelle gesteinigt werden müssen" und "wenn man im Flugzeug sitzt mit einem schwarzen Piloten, muss man Angst haben". Hayali würzte ihre Anmoderation eines Beitrages über das Attentat mit dem Hinweis, dass es mit nichts zu rechtfertigen sei, "dass nun Gruppen gibt, die seinen Tod feiern, auch nicht mit seinen oftmals abscheulichen, rassistischen, sexistischen und menschenfeindlichen Aussagen."
Die Folge war ein shitstorm, den so weder die ZDF-Moderatorin noch der Washington-Korrespondent erwartet hatten. Und im Mittelpunkt stand nicht die Frage, ob es anständig oder moralisch verwerflich ist, einem Ermordeten seine Verachtung ins Grab hinterherzuwerfen. Sondern der Umstand, dass Theveßen seine Kirk-Zitate gezielt verkürzt hatte und Hayali jeden Beleg von "abscheulichen, rassistischen, sexistischen und menschenfeindlichen Aussagen" auch auf Nachfrage schuldig blieb.
Jeder darf, aber nicht alle müssen
Ausgerechnet Hayali. Der Satz der 51-Jährigen, dass jeder eine eigene Meinung haben dürfe, eigene Fakten hingegen nicht erlaubt seien, ist ebenso wie der, man könne in Deutschland eigentlich alles sagen, müsse dann aber mit den Konsequenzen leben, konstitutiv für die Interpretation von Meinungsfreiheit während der Ampel-Ära gewesen.
Damals, in jenem Land vor der europaweiten Erkenntnis, dass der rot-grüne Traum von regierungsamtlich überwachten sozialen Netzwerken nicht aufgehen wird, hätte das ZDF die Proteste ausgesessen wie immer. Das versendet sich, argumentierten die Verantwortlichen in der Regel, wenn plumpe Fälschungen, falsche Fakten oder manipulierte Grafiken auffallen. In Mainz und anderswo ist bekannt, dass die Mehrheit der Deutschen ihre Informationen eben nicht aus den sozialen Netzwerken bezieht, sondern in bestem Treu und Glauben auf Tagesschau, Heute-Nachrichten und Leitmedien vertraut.
Die Routine versagt
Umso größer war der Schock, dass die Routine diesmal versagte. Über X verbreiteten sich die Auftritte von Hayali und Theveßen bis nach Washington. Aus dem pflichtschuldig vorgetragenen Versuch der Relativierung eines mutmaßlich politischen Mordes wurde eine Staatsaffäre, die sich nur noch durch den Einsatz schwerster Geschütze beruhigen ließ.
Dunja Hayali präsentierte Morddrohungen gegen sich und verkündete einen vorübergehenden Rückzug aus der Öffentlichkeit. Elmar Theveßen ließ sich zum Opfer von Angriffen aus dem Trump-Lager erklären und seine Aussagen zum "Patzer". Angeführt vom früheren thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow organisierte sich eine Solidaritätsbewegung, derzufolge der empörte Widerspruch zu den Ausagen der beiden bedeutenden Medienschaffenden sich allein einer orchestrierten Kampagne verdanke. Verschwörungstheorien als letzter Ausweg.
Das, was widerfährt
Hayalis ZDF-Kollegin Mariette Slomka fasste die Wünsche derer, die den Zeiten nachtrauern, in denen der Verkündigungsjournalismus regierte, in einem sehnsuchtsvollen Aufsatz zusammen, der "das, was derzeit meinen Kollegen Dunja Hayali und Elmar Theveßen widerfährt", als Folge einer enthemmten Digitalkultur brandmarkt. Es genüge heute, "jemanden zu markieren und dann wird das zum Selbstläufer, in rechtsfreien Räumen, denen sich bislang keine Kraft entgegenstellt".
Slomka klagte die EU an, "eine Chimäre von Rechtstaatlichkeit an die Wand" zu werfen sich aber nicht "an die Paralleluniversen der Tech-Welt" ranzutrauen. Das werde "sich bitter rächen", denn "wenn wir dereinst über die Gräber unseres Demokratiemodells humpeln, werden wir uns schmerzlich erinnern, was wir mal hatten: Eine Welt, in der u.a. Amerika the land of the free war; in der Journalisten, Wissenschaftler oder Ärzte Jobs machten, die als ziemlich ungefährlich galten, und in der sich die Mehrheitsgesellschaft trotz aller Differenzen und Animositäten ziemlich einig war, wer Radikale und Extremisten sind".
Diese müssen entfernt werden. Die anderen nicht.
3 Kommentare:
Göring-E. liefert den 1000. Beweis, dass die Polit- und Medienclowns zu einer homogenen Kaste verschmolzen sind. Laut den angeblichen 'Journalistischen Standards' wäre da eine gewisse Distanz zu halten.
Henryk M. Broder ...
Der galizische Pornograf einerseits - Paolo Pinkel andererseits: Guter Bulle - Böser Bulle.
Nichts Neues unter der Sonne.
OT Klonos Freund, ach wie schön:
Der durchschnittliche westdeutsche Intellektuelle sei eine eher unangenehme Figur, ... , aber mit den sogenannten einfachen Leuten komme er in der Regel gut aus. Im Osten dagegen verhalte es sich oft umgekehrt; dort seien ihm die Geistesmenschen angenehm, doch mit den Normalos komme er weniger zurande.
Die einfachen Leute im Westen als Grafik:
https://www.bpb.de/cache/images/1/786061_galerie_lightbox_box_1000x666.jpg?75EA7
Kommentar veröffentlichen