Donnerstag, 19. Juni 2025

Beruhigender Beamtenboom: Die allerletzte Wachstumsbranche

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Ermutigende Zahlen in dunkler Zeit. Inmitten einer seit Jahren stagnierenden Wirtschaft gibt es eine große Wachstumsbranche, die Fachkräfte nur so aufsaugt: Der öffentliche Dienst. 

Die Wirtschaft stöhnt, das Wachstum fehlt, die Bundespolitik sucht nun schon im dritten Jahr verzweifelt nach einem Aufschwung. Doch es fehlt an allem, bei den Fachkräften angefangen bis zu opferbereiten Senioren, die einfach weiterarbeiten, auch wenn sie nicht mehr müssten. 

Hätte nicht der große Zustrom in den zurückliegenden zehn Jahren mehrere Millionen neuer Konsumenten ins Land gebracht, sähe alles noch weiter schlimmer aus. Millionen Fernseher, Sofas und Stühle, Küchen, Teppiche und Regale wären nie gekauft worden. Unternehmer hätten nicht tausende neuer Imbisse, Kioske und Wettbüros gegründet. Und selbst die Mieten wären wegen mangelnder Nachfrage wohl kaum so gestiegen, dass der Wumms bis ins BIP zu spüren war.

Auf Rollatortour durch Europa 

Deutschland lahmt, der alte, kranke Mann Europas ist wieder auf Rollatortour durch sein Reich. Trumps Zölle machen ihm seinen Außenhandel kaputt, die Inflation die Binnennachfrage. Die Erziehungssteuern auf Urlaubsreisen dünnen die Flugpläne aus und die strengen EU-Vorschriften verhindern zufällig, dass irgendein junger Tüftler irgendeine geniale Idee bei sich daheim in der Garage umsetzt. Zweckentfremdung, wie sie Microsoft-Gründer Bill Gates sich dreist gestattete, ist verboten und das ist gut so. Mit SAP verfügt Deutschland schließlich bereits seit 53 Jahren über ein junges Hightech-Unternehmen. Was braucht es da ein zweites.

Alle Wachstumshoffnungen ruhen auf einem Bereich, auf den der Staat direkten Zugriff hat - und siehe da, allen Unkenrufen zum Trotz zeigt sich im Öffentlichen Dienst, welche Wachstumsraten möglich sind, wenn den angeblich so doch schlechte Unternehmer Staat freie Hand bekommt und wirtschaften kann, wie er will. Ausgerechnet der Bereich der Wirtschaft, dem bis in die Spitze der Bundesregierung und in die der EU-Kommission Bürokratismus, analoges Behäbigkeit und ein hohes Maß an Selbstbeschäftigung nachgesagt wird, entpuppt sich als wahre Jobmaschine.

Wachstumsrate zwölf Prozent 

Die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst ist im vergangenen Jahr deutlich gestiegen - mit 5,4 Millionen Menschen beschäftigt der Staat in allen seinen Ausprägungen eine Million Menschen mehr als noch vor fünf Jahren. Eine Wachstumsrate von zwölf Prozent, nach der sich so mancher US-Megakonzern die Finger ablecken würde. Allein im letzten Jahr der Ampel-Regierung gelang es, Behörden, Institutionen, Ministerien und Kommunen nach Angaben des Statistischen Bundesamts, 95.900 neue Beschäftigte einzustellen.

Der Beamtenboom macht Hoffnung gerade in düsteren Zeiten. Wenn der Trend hält, könnten schon Mitte der 30er Jahre alle arbeitsfähigen Deutschen im öffentlichen Dienst angestellt sein. Dort entsprechende Aufgaben zu finden, ist kein Problem, denn wie das frühere Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" analysiert hat, erklärt sich der atemberaubende Zuwachs dadurch, dass der Staat "offenbar immer mehr Menschen benötigt, um seine Aufgaben zu bewältigen".

Zu knapper Betreuungsschlüssel 

Mit derzeit knapp zwölf Prozent aller Beschäftigten, die direkt im Staatsdienst stehen, wird der öffentliche Dienst angesichts der anstehenden Herausforderungen auch nicht lange zurandekommen. Im Augenblick muss sich jeder Staatsdiener um 14 Bürgerinnen und Bürger kümmern. Diese Fachkraft-Insasse-Relation ist nach dem geltenden gesetzlichen Betreuungsschlüssel nur in wenigen Bundesländern als ausreichend eingestuft, aber auch dort nur, wenn die Gruppengröße und die Qualifikation des Personals der kindgerechten Definition entsprechen.

Ein Aufwuchs bei der Personalstärke ist unumgänglich, aber zwischen Bund und Ländern politisch umstritten. So hatte Hessen bereits vor einigen Jahren versucht, mit der Umstellung von der gruppenorientierten Mindestverordnung zum insassenbezogenen Schlüssel Definitionsraum für Neueinstellungen zu schaffen. Einer Expertenkommission zufolge aber entsprechen auch die aktuellen Betreuungsschlüssel nicht mehr internationalen Standards. Als leuchtendes Vorbild gilt hier Norwegen, die skandinavische Wohlstandsinsel am Rande der EU, in der mittlerweile 30 Prozent der Beschäftigten direkt im öffentlichen Dienst angestellt sind.

Vorbild Norwegen 

Norwegen ist damit Weltrekordler unter den OECD-Ländern, obwohl der Anteil der Beschäftigten im öffentlichen Dienst auch in den anderen Ländern Skandinaviens weit über dem Durchschnitt. Deutschland hingegen ist hintendran: Fast sechs Prozent fehlen bis zum durchschnittlichen Staatsdienerbesatz eines großen Industrielandes, der bei 18 Prozent liegt. Für Deutschland entspräche das einer Gesamtzahl von etwa acht Millionen Staatsdienern - es müssten also binnen kurzer Zeit 2,4 Millionen Neueinstellungen stattfinden. Selbst über zehn Jahre verteilt, erscheint das angesichts des Personalmangels in den Personalabteilungen herausfordernd, müsste doch Anzahl an zuletzt erreichten Einstellungen mehr als verdoppelt werden, um das OECD-Ziel zu erreichen.

Das norwegische Modell hilft hier wenig. Denn an die Weltspitze geschafft hat das kleine Land mit der gigantischen fossilen Industrie durch Beharrlichkeit und Geduld: 1970 musste norwegische Statistikbehörde SSB noch konstatieren, dass nicht einmal 300.000 Menschen ihr Auskommen durch eine Beschäftigung in der Verwaltung, im öffentlichen Gesundheitswesen, in Schulen, bei Polizei und Feuerwehr und in den Kommunen finden. Erst bis zum Jahr 2020 gelang es dann dank sprudelnder Einnahmen aus dem Verkauf von fossilen Energieträgern, diese Zahl zu verdreifachen, so dass heute bereits 858.000 Menschen im öffentlichen Sektor angestellt sind. 

Besserer Betreuungsschlüssel 

Fast zwei Drittel der öffentlichen Bediensteten arbeiten in der Kommunalverwaltung, die im Königreich von Harald V. dreieinhalb mal mehr Menschen Arbeit, Lohn und Brot verschafft als die boomende Erdgas- und Erdölbranche. Weil das Gesamtwachstum allerdings auch im hohen Norden lahmt, nimmt Norwegen inzwischen Kurs auf die runde Million Staatsangestellter. Ist sie erreicht, läge der Betreuungsschlüssel Beamter/Bürger bei etwa 1:5,5 -  jeder Norweger hätte dann das Recht, einmal pro Woche von seinem persönlichen Staatsdiener Hilfe zur Selbsthilfe zu erhalten.

Von einem solchen umfassend bürokratisierten Idealzustand, in dem die Politik ihre selbstauferlegte Aufgabe, das tägliche Zusammenleben der Bürgerinnen und Bürger bis ins Kleinste "zu regeln" (SPD), ist Deutschland noch weit weg. Bei allem Wachstum im öffentlichen Sektor und trotz des jüngsten Beamtenbooms - der Staatsdienst ist zu klein, die Verwaltungen sind weit weg von einem Zustand, indem sie wirtschaftlich so dominant auftreten können, dass Staat selbst alle Karten in der Hand hält, die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und in der Industrie zu steuern.

Mehr schaffen weniger 

Wo die Potenziale sind, um das Ausmaß an Bürokratie und staatlichem Einfluss auf die Wirtschaft weiter auszubauen, zeigt das Beispiel der heute als "Bundesagentur für Arbeit" firmierenden früheren Bundesanstalt für Arbeit. Im Jahr 2003 mussten 4,3 Millionen Arbeitslose und Arbeitssuchende noch auf die Hilfe von nur 108.000 Mitarbeitern hoffen, um wieder ins Arbeitsleben zurückzukehren. Seitdem ist die Zahl der Menschen ohne Job um 40 Prozent auf nur noch 2,6 Millionen geschrumpft. Für die aber  stehen bei der inzwischen von der früheren SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles geführten Mega-Behörde heute 113.000 Mitarbeitende bereit. 

Die Bundesagentur ist damit einer der größten Arbeitgeber Deutschland - nur Siemens, Bosch und VW kommen im privaten Bereich auf ein paar Angestellte mehr. Unter den zehn größten Arbeitgebern in Deutschland sind fünf staatlich kontrollierte Bereiche, vier marktorientierte Unternehmen und eine hybride teilstaatliche Firma. Die im industriellen Bereich seit längere laufenden Entlassungen verkraftet das Land bislang auch aufgrund dieses gesunden Binnenverhältnisses hervorragend: Obwohl die Zahl der Industriearbeitsplätze innerhalb eines Jahres um 100.000 sank, konnte das Bruttoinlandsprodukt stabil gehalten werden. Zu verdanken war das auch dem Umstand, dass die im marktwirtschaftlichen Bereich entfallenden Stellen im Umfeld von Bund, Ländern und nachgeordneten Behörden neu geschaffen wurden.

Sparen durch Beamte 

Zuletzt setzen Bund und Länder dabei aus Kostengründen wieder verstärkt auf die Verbeamtung. Unter den Neueinstellungen lag das Plus im Angestelltenbereich bei 0,9 Prozent, bei den Beamten hingegen fast dreimal so hoch bei plus 2,4 Prozent. Der Hintergrund ist finanzielle Natur: Die Verbeamtung von Mitarbeitern spart kurzfristig Kosten, weil der öffentliche Arbeitgeber keine Sozialversicheurng Beiträge entrichten. 

Stattdessen ist er nur verpflichtet, Rücklagen für die Kosten der künftig zu zahlenden Pensionen zu bilden. Durch entsprechend passend geschnittene Projektionen ist es Ländern und Bund möglich, es dabei bei symbolischen Sparbeträgen zu belassen. So hat das Bundesland Sachsen-Anhalt in seinem Pensionsfonds von seit 2006 bis 2017 etwas mehr als 600 Millionen Euro zurückgelegt. Im gleichen zeitraum stieg die Höhe der jährlichen Zahlungsverpflichtungen von 160 auf 420 Millionen Euro, bis 3035 werden 730 Millionen Euro erreicht.

Stabilität durch den öffentlichen Sektor 

Da die Rücklagen auch in den übrigen Bundesländern nicht ausreichen, um die im Augenblick bei etwa 80 Milliarden Euro im Jahr liegenden Ruhebezüge einer wachsenden Anzahl an pensionierten Staatsdienern daraus zu bestreiten, ist der Steuerzahler gefordert, die Lücken zu schließen, die von momentan 50 Milliarden im Jahr auf 100 Milliarden anwachsen werden. 

Angesichts von Trumps Zollforderungen, den bisherigen Misserfolgen der EU-Kommission, beim US-Präsidenten eine vorteilhafte Lösung auszuhandeln, und der anhaltenden Unsicherheit durch die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten kann nur eine Sträkung des öffentlichen Sektors für Stabilität bei denr Steuereinnahmen sorgen. Gelingt es in den kommenden Jahren, die Zahl der Staatsdiener in Deutschland auf die norwegischen 30 Prozent zu bringen, wäre das Problem gelöst: Wenn erst 15 der 45 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland durch eine Festanstellung in einer Kommune, einer Behörde, einem ausgelagerten Amt oder einer sogenannten Nicht-Regierungsorganisation unabhängig vom Auf und Ab des globalen Wettbewerbs sind, kann der Finanzminister mit stabilen Steuereinnahmen aus diesem Bereich planen.


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