Freitag, 20. Februar 2009

Wirklichkeit ohne Welpenschutz

Vorm Rewe-Laden und am U-Bahnhof um die Ecke stehen sie eigentlich ab neun Uhr morgens. Und beim Döner sitzen sie abend um elf noch. Die Gesichter grau, die Hand an der Bierflasche, in der anderen eine Zigarette. Der Tag ist lang und leer und statt zu Hause zu sitzen, wo "Vera am Mittag" virtuelle Leidensgenossen vorführt, trifft der arbeitslose Mann Mitte 50 in Ostdeutschland lieber echte Menschen, die wie er von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Sie stehen da, die vier, fünf Männer in alten Jeans und Jogginghosen, Windjacken übergeworfen oder Anoraks an aus Länden, die es schon lange nicht mehr gibt. Sie schwatzen über Fußball und die Kumpels, die heute nicht da sind. Sie vertreiben sich die Zeit, die sowieso zu nichts anderem zu gebrauchen ist.

Eine erfundene Szene, natürlich, die wir - siehe oben - notgedrungen mit einem gestellten Bild unter Zuhilfenahme recht teurer Models illustrieren mussten. Ausgedacht hat sie sich der Junge-Union-Bundesvorsitzende Philipp Mißfelder, der sie so genau imaginierte, dass er anschließend der Ansicht war: „Die Erhöhung von 'Hartz IV' war ein Anschub für die Tabak- und Spirituosenindustrie.“

Das ist allerdings gelogen. Es gibt sie nicht in Deutschland, die Arbeitslosen, die Bier trinkend bei Wind und Wetter beisammenstehen, die nichts anderes tun als Flaschen sammeln und Flaschen leeren, die mehr Geld für Zigaretten ausgeben als für hochwertige Bio-Kost. Rainer Brückers, Bundesvorstand der Arbeiterwohlfahrt, weiß das ganz genau. Mißfelders Beschreibung zeige “eine völlige soziale Inkompetenz“, ist der Experte sicher. Arbeitslose und Hartz-4-Empfänger tränken grundsätzlich keinen Alkohol, gebe man ihnen etwas mehr geld, tränken sie als logischerweise auch nicht mehr Alkohol. "Und das Rauchen schädlich ist", hätte Brückers beinahe noch gesagt, "wissen auch Arbeitslose schon lange."

Klar, dass Grüne und Jusos, traditionell eng verbunden mit dem Milieu der Flaschensammler und Kiosk-Trinker, sich dieser Kritik umgehend anschlossen. „Mißfelder ist ein Anschieber für diskriminierende Stimmungsmache. Seine Stammtischparolen gegen Arbeitssuchende sind unerträglich und müssen Konsequenzen haben“, sagte eine Brigitte Pothmer, die ihre Tätiogkeit als "Grünen-Arbeitsmarktexpertin" bislang hervorragend geheimgehalten hat. In acht Jahren politischer Tätigkeit bringt sie es auf 550 Erwähnungen in Google-News - immerhin doppelt so viele wie Pittiplatsch der Liebe, abstinenter Star des DDR-Fernsehens und Säulenheiliger unseren kleinen Eckensteher-Boards PPQ.

Pothmer kommt allerdings eher aus der Tierquäler-Ecke. „Als Wiederholungstäter dürfte ihm von seiner Parteiführung kein Pardon mehr gewährt werden" fordert sie Konsequenzen für den Verstoß Mißfelders gegen die gute deutsche Polit-Sitte, niemals und unter keinen Umständen auch nur daran zu denken, die Wahrheit zu sagen. Der "Welpenschutz ist abgelaufen“, bestimmte die Hundezüchterin.

Wie man von Goebbels lernt, den politischen Gegner zu besiegen, führt bei der Gelegenheit auch die Juso-Bundesvorsitzende Franziska Drohsel vor. „Alle 'Hartz-IV'-Empfänger zu Alkoholikern und Nikotinsüchtigen zu erklären, zeigt deutlich Mißfelders fehlende soziale Kompetenz und sein mangelndes Verständnis für die Probleme der Menschen“, lässt sich das Ex-Mitglied des Terroristenhilfsvereins Rote Hilfe e.V von der FAZ zitieren. Zwar hat Mißfelder mit keiner Silbe "alle Hartz-4-Empfänger" zu irgendwas erklärt noch überhaupt von Alkohol- oder Nikotinsucht gesprochen. Aber wie Goebbels lehrt, gehört es sich in einer anständigen politischen Auseinandersetzung, dass dem Gegner erstmal etwas angedichtet wird, was man hernach als absolut ungeheuerlich verurteilen kann, gern auch gleich verallgemeinernd: „Der Sozialchauvinismus der Jungen Union ist unerträglich“, urteilte Drohsel.

Da ist dann auch der DGB nicht weit, denn sich aus dem Fenster lehnen, wenn unten die Kameraleute stehen, hat noch nie geschadet. NRW-SPD-Generalsekretär Michael Groschek forderte erstmal ein „klare Entschuldigung“, ohne zu verraten bei wem und wie sie zu überbringen ist. Vor Rewe hier bei uns um die Ecke haben sie tagsüber gar kein "Phönix" an, auch MDR INfo läuft eigentlich kaum. Sein Kollege, ein DGB-Landesvorsitzender namens Guntram Schneider, machte es dann auch lieber globaler. Mißfelders Äußerung sei „unverschämt“. Sie zeige, „wie sehr Mißfelder Arbeitslose und 'Hartz-IV'-Empfänger verachtet“. „Mit solch einer Haltung qualifiziert man sich für den Stammtisch“, glaubt der Politiker, dem noch mitzuteilen wäre, dass es einer Qualifikation für den Rewe-Stammtisch (rechts neben dem Eingang) nicht bedarf. Man geht einfach rein, kauft ein Bier und stellt sich dazu.

4 Kommentare:

Christian hat gesagt…

Die zweite politische Reihe kämpft mal wieder um ein bisschen Aufmerksamkeit - wie drollig.

Anonym hat gesagt…

Man könnte vermuten, daß diese bisher völlig unbekannte, weil glanzlose Politiker- Garnitur auch arbeitslos ist ... weil sie offenbar nichts weiter zu tun hat, als zu allem und jedem ihren Senf zu geben.

Allerdings hat es dieses Pack verstanden, sich ein etwas besseres Hartz 4 zuzugestehen. Edel- Hartz gewissermaßen.

Weg mit diesen Drohnen:
Für Volksentscheide zwischen den Wahlen. Wählt FDP!

Christian hat gesagt…

"Für Volksentscheide zwischen den Wahlen. Wählt FDP!"

Ähh, den Teufel mit dem Beelzebub austreiben?
Ausgerechnet die FDP wählen, die käuflicher ist als jede andere Partei und deren einziger Volksentschied wahrscheinlich die Erhaltung des Flughafen Tempelhofs für die Subventionierung der dortigen Flughafenbetreiber war?
Soll das zur Demokratisierung oder zur Plutokratisierung beitragen?

binladenhüter hat gesagt…

ob das die zweite reihe ist, fragt sich noch. in die zweite reihe wollen diese typen gern mal.

volksentscheide haben wird doch, dachte ich? wird dsds nicht am ende mit einem telefon-ted entschieden? was könnte noch wichtigeres kommen?