Freitag, 25. Juni 2021

Kreative Gesetzversteckung: Wie die Grundrechte stiften gehen

Nachts geändert, ganz unauffällig.

Mitten in der Nacht, aber diesmal immerhin nicht nach Mitternacht. Mitten in einem großen Fußballturnier, aber diesmal immerhin nicht an einem Spieltag, sondern kurz danach. Das Land noch im Regenbogenrausch, die Medien fixiert auf allerletzte letzte große Rede der Kanzlerin. Das Klimaschutzbeschleunigungsgesetz. Der nächste deutsche Gegner. Und was macht Orban?

Das Stiftungsrecht als Tarnnetz

Eine wunderbare Gelegenheit, das Stiftungsrecht zu vereinheitlichen, eines der großen Wahlversprechen, mit denen die Große Koalition vor vier Jahren angetreten war. Wie mit der Schrumpfung des Bundestages, einem Auftrag des Verfassungsgerichtes, war es auch mit dem Stiftungsrecht nicht recht vorangegangen über all die Monate. Immer war was anderes. Erst musste die Braunkohle ausgestiegen werden, dann war Europa, Trump sowieso. Schließlich kam Corona, es galt, Grundrechte wegzumähen und Europazuzsammenzuhalten.

Kurz vor knapp aber klappte es nun zur Erleichterung vieler Stifterinnen, Stifter und Stiftenden doch noch: Die ersehnte Gesetzesänderung zur Vereinheitlichung des Stiftungsrechts stand am beinahe letzte Tag der Legislaturperiode auf der Tagesordnung des Bundestages. Nun, nicht direkt auf der Tagesordnung, denn es sollte gegen zehn Uhr abends werden, ehe die wenigen verbliebene Arme absprachegemäß hochgingen. Erleichterung bei denen, die etwas davon mitbekommen hatten. Ganz wenige waren das nur, denn die letzte Medienmeldung zur wegweisenden Novelle datiert vom Mai. Und der besondere Clou, den der Gesetzgeber in der Änderung des Stiftungsrecht versteckt hatte, war da auch nicht erwähnt: Auf Seite zwei der Vereinheitlichung fand sich  eine "Änderung des Infektionsschutzgesetzes", mit der die gerade langsam genesenden Grundrechte ein weiteres Mal stiften gehen. 

Mit 412 zu 212 Stimmen bei zwei Enthaltungen beschloss der Bundestag letzte Nacht um 23 Uhr 16, dass die seit Monaten ausgesetzten Grundrechte auch "nach der Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite" weiterhin ausgesetzt bleiben können. Eine nationale Notlage, wie sie bisher als Begründung gebraucht wurde, ist künftig nicht mehr Voraussetzung für Ausgangssperren, Berufsverbote, Schulschließungen oder die Einschränkung der Bewegungsfreiheit, Ein- und Ausreiseverbote, Hausarreste oder Kontaktsperren.

Tritt außer Kraft und bleibt


Paragraph 36 Absatz 12 des Infektionsschutzgesetzes vom 20. Juli 2000 (BGBI. I S. 1045) wird dadurch wie folgt geändert: "Eine aufgrund des Absatzes 8 Satz 1 oder des Absatzes 10 Satz 1 erlassene Rechtsverordnung tritt spätestens ein Jahr nach der Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite durch den Deutschen Bundestag nach § 5 Absatz 1 Satz 2 außer Kraft. Bis zu ihrem Außerkrafttreten kann eine aufgrund des Absatzes 8 Satz 1 oder des Absatzes 10 Satz 1 erlassene Rechtsverordnung auch nach Aufhebung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite geändert werden." Und in Artikel 10 zur "Einschränkung von Grundrechten" werden die in Artikel 9 eingeschränkten "Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes), der Freiheit der Person (Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes), der Freizügigkeit (Artikel 11 Absatz 1 des Grundgesetzes) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes)" als "Artikel 11, Absatz 2 "wie folgt gefasst: ..(2) Die Artikel 1, 2, 6, 7 Nummer 1, 2 und 4 sowie Artikel 8 treten am 1. Juli 2023 in Kraft."

Das zu beschließen, bleibt dem künftigen Parlament also erspart.  Alles schon da, alles einsatzbereit.  Man wird künftig keine nationale Lage von Tragweite brauchen, um Grenzen zu schließen, Bürgerrechte außer Kraft zu setzen. Zu tun, was immer man tun will. 

Und böse gemeint, verborgen durchgezogen gar, war nichts daran: Dass der ganze Beschlusskram unter  der Überschrift "Stiftungsgesetz" läuft, versteckt weiter Heimlichtuerei und ist schon gar kein Versuch, etwas zu verbergen. Sondern eine neue Form von Transparenz: Wer nach § 10 Absatz 1, der "wie folgt geändert" wird "aa) Satz 1 wird wie folgt geändert: aaa) In Nummer 1 das Komma durch das Wort „und“ ersetzt. bbb) In Nummer 2 wird das Wort „und“ durch einen Punkt er setzt. ccc) Nummer 3 wird gestrichen. bb) In Satz 2 werden nach dem Wort „bekannten“ die Wörter „Vornamen, Namen und“ eingefügt" weiter liest, gelangt zu "§ 20 Absatz 3 wird wie folgt geändert: aa) Satz 2 wird wie folgt geändert: In Nummer 1 wird das Komma durch das Wort „und“ ersetzt. bbb) In Nummer 2 wird das Wort „und“ durch einen Punkt ersetzt. Nummer 3 wird gestrichen" und wenn er dann noch immer weiter nach unten scrollt, kommt "Artikel 9 Änderung des Infektionsschutzgesetzes". 

Alles öffentlich, irgendwie. Alles vertrauenerweckend bürgernah. Kann der Bundestag doch nicht dafür, wenn niemand bei der "Tagesschau" so weit kommt, bis auf die letzte Seite durchzublättern.


1 Kommentar:

Jodel hat gesagt…

Wie würde unsere ewige Kanzlerin das in ihrer unnachahmlichen Art zusammenfassen: "Ist mir doch egal wie die Grundrechtseinschränkungen zustande kommen, jetzt sind sie halt da."

An alle Kritikaster sei hier auch ganz deutlich gesagt, das die Grundrechte doch nur für ein läppisches Jahr abserviert werden. Die üblichen Meckereien vom Ende des Rechtstaates
und der stillen Machtübernahme der Exekutive verbieten sich hier also total. Außerdem hätten unsere Kompetenzmedien darüber berichtet, wenn es wichtig gewesen wäre. Nach Jahr und Tag bekommen wir doch auch alle Rechte zurück. Versprochen und großes Ehrenwort darauf.

Unser Parlament hat jetzt schon so oft seinen vollständigen Bankrott erklärt, das man das eigentlich als Insolvenzstraftat werten müsste. Die würden sogar ihrer kompletten Selbstauflösung zustimmen, wenn nur die Diäten weiterfließen würden. Daher ein dreifaches Hurra auf unsere wehrhafte Demokratie und ihre Gralshüter im Bundestag. Ihr macht das Klasse. Weiter so.