Samstag, 26. Februar 2022

Delle statt Welle: Das Ende der Pandemie

Einmal ist kein Mal, aber zweimal hintereinander, das hat System. Wie schon am Tag zuvor klaffte auch in der "Tagesschau" am Tag danach ein gigantisches Themenloch: Nicht nur, dass außer Ukraine, Russland, Nato und Wetter nichts sonst Platz fand in den 15 Minuten, in die normalerweise die gesamte Weltlage passt. Nein, zum zweiten Mal hintereinander fehlte auch das, was auch zwei Jahre nach Beginn weiterhin als zumindest zweitgrößte "Bedrohung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges" (Angela Merkel) gilt. Corona, aktuell mit 210.000 Neuinfektionen nur knapp unter dem Höchststand von Mitte Februar, fand keinen Platz in der Hauptnachrichtensendung des ehemaligen "Ersten".  

Ende der Pandemie

Erneut ein Epochenbruch. Zum zweiten Mal in zwei Tage und zum ersten Mal in zwei Jahren mussten die Zuschauerinnen und Zuschauer auf Informationen zur Pandemie verzichten. Keine Inzidenzwerte, keine Hospitalisierungsinzidenz, kein Verweis auf die notwendige Impfpflicht und kein Karl Lauterbach, der wenigstens mit dem Hinweis zitiert wird, dass eine "deutsche Sonderstellung" den nationalistischen Sonderweg bei der Seuchenbekämpfung begründe und die Bundesregierung daran hindere, andere Länder für Corona-Lockerungen als Vorbild zu nehmen. 

Im ersten Anlauf am Donnerstagabend, unmittelbar nach Kriegsausbruch, ließ sich die Auslassung noch mit einem kurzfristigen Themensterben begründen. Wo ein Gegenstand ist, kann kein zweiter sein, wo es um Russland und Ukraine und die vielgestaltigen verbalen Reaktionen im Westen geht, bleibt kein Raum für ein Virus, das Alltag der meisten Deutschen ohnehin nur noch als Hintergrundgeräusch wahrgenommen wird. Doch das auch nach einer Beruhigung der Märkte, einer entschlossenen Reaktion der westlichen Bündnisse und überaus klaren Worten aus Berlin und Brüssel auf die gewohnte Pandemieberichterstattung verzichtet wurde, kann nur eine Trendwende im Umgang mit dem ehemals "neuartigen Lungenvirus" (DPA) bedeuten.

Mitten in der vierten Welle

Mitten in der vierten Welle und unmittelbar vor der fünften spart die meistgesehene Nachrichtensendung des Landes die anhaltende Menschheitskrise aus. Delle statt Welle, Putin statt Pandemie. Für den Medienpsycholgen Hans Achtelbuscher ist das keine große Überraschung. Der Wissenschaftler vom An-Institut für Angewandte Entropie der Bundeskulturstiftung, der vor elf Jahren mit dem EMP erstmals eine Einheit für einheitliche Empörung geschaffen hatte, ist Spezialist für das allgemeine Themensterben in den deutschen Medien, denen er aus wissenschaftlicher Sicht zugesteht, gar nicht für ihre Versäumnisse verantwortlich zu sein. 

Sie könnten nichts dafür, glaubt der Forscher. "So wie das erste Gesetz der Mediendynamik bestimmt, dass die Welt in keinen Schuhkarton passt, aber immer in 15 Minuten Tagesschau", sagt er, "legt das zweite Gesetz der Mediendynamik fest, dass Großereignisse nie gleichzeitig stattfinden können, sondern das in jedem Fall nacheinander tun müssen." Erst wenn eine Berichterstattungsstrecke absolviert sei, könne ein anderer Topos übernehmen.

Allgemeine Aufmerksamkeitsspanne

Eine wichtige Rolle spiele dabei auch die naturgegebene Aufmerksamkeitsspanne der Öffentlichkeit, die einerseits nie peripher, sondern immer zentral ausgerichtet sei, andererseits aber zeitlich enge Grenzen habe. Aus der Historie der begleitenden Entrophieforschung sei bekannt, dass ein nicht unmittelbar betroffenes Publikum zwei, allerhöchstens drei Jahre bereit sein, einer spezifischen Problemlage zu folgen. "Wir hatten die Finanzkrise von 2008 bis 2010, Griechenland von 2012 bis 2015, die erste Ukrainekrise von 2014 bis 2016 und die Flüchtlingskrise von 2015 bis 2017", sagt Achtelbuscher. Bach Ablauf einer Zeitspanne von bis zu 24 Monaten laufe sich "jedes Thema tot, von ganz wenige Ausnahmen abgesehen wie der Dauersorge um den Euro".

Dass die "Tagesschau" den Moment und Putins Vorlage nutzt, aus der Dauerrschleife des Pandemiealarm auszusteigen, setze zudem nur einen Trend fort, der sich seit Mitte Januar verstetigt hatte (Google-Grafik oben). Zum dritten Mal zeigten die Daten damals einen Bruch der Corona-Interessenwelle, die Berichterstattungsfrequenz ließ nach, anfangs unbemerkt, dann aber unübersehbar übernahmen die Ukraine, Russland und Putin und die Nato das Nachrichtenregiment.   

Am deutlichsten bekam das Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zu spüren. Im Dezebmer noch gefragter als Ex-Kanzlerin Angela Merkel und ihr Nachfolger Olaf Scholz, spielte der frühere Bundesmahnbeauftragte aufmerksamkeitstechnisch  in einer ganz anderen Liga als der russische Präsident. Lauterbach war in der Corona-Zeit, die seit Donnerstagmorgen als die gute alte gilt, zwanzigmal so gefragt wie Putin. Derzeit liegt er bei einem Drittel der Aufmerksamkeitswerte des Russen und Prognosen zufolge wird sich das Verhältnis in den kommenden Tagen auf eins zu zehn weiter zu seinen Ungunsten verändern.

Aktuelle Aufmerksamkeitsabsorbtion

Wie Lauterbach, seit zwei Jahren für 82 Millionen Deutsche das Gesicht der Seuche, geht es aber auch der Pandemie insgesamt. Die nicht für möglich gehaltene russische Invasion absorbiert Aufmerksamkeit wie kein anderes Thema seit dem ersten Corona-Ausbruch, abgesehen von der Fußball-Bundesliga und dem Überlebenskampf der C-Promis im Dschungelcamp.

Für Hans Achtelbuscher eine gesunde Entwicklung, wenn auch kein Grund zu Beunruhigung. Er sehe das Bemühen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, einen neuen Allgemeinreiz zu setzen und die Menschen im Lande dabei dort abzuholen, wo sie interessetechnisch im Augenblick leben. "Zu Corna war nach zwei Jahren nun auch alles gesagt, nicht nur von allen, sondern von vielen auch wiederholt." Ob sich das Corona-Thema mit dem Abflauen der drittem großen Informationswelle und dem Ausstieg der "Tagesschau" aus der abendlichen Inzidenzlagedarstellung wirklich endgültig erledigt habe, werde abzuwarten bleiben. "Aber wissenschaftler Fakt ist, dass wir ein Zwischentief erreicht haben, das nur noch knapp über dem Langzeittief vom Lockerungssommer 2021 liegt."


6 Kommentare:

Die Anmerkung hat gesagt…

>> "legt das zweite Gesetz der Mediendynamik fest, dass Großereignisse nie gleichzeitig stattfinden können, sondern das in jedem Fall nacheinander tun müssen."

Aha. Deswegen war Putin so höflich dem chinesischen Mann gegenüber und hat den Angriffstermin um eine Woche nach hinten geschoben, damit Olympia als bestes Winterolympia aller Zeiten in Frieden und mit schönen TV-Bildern verenden konnte.

ppq hat gesagt…

selbstverständlich. und er hat das getan, obwohl der boden eigentlich kurz davor gut durchgefroren war!

Volker hat gesagt…

Lauterbach: Haben andere Probleme als „Großmachtfantasien von Putin“
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat den russischen Angriff auf die Ukraine auch mit Verweis auf die Corona-Pandemie scharf verurteilt. Der russische Präsident Wladimir Putin gefährde Menschen in einer Situation, „in der wir noch mitten in der Corona-Pandemie sind“, sagte Lauterbach. „Die Welt hat wirklich Besseres zu tun, als sich mit den Großmachtfantasien von Putin zu beschäftigen.“

~

Hört sich an wie ein Narzist, dessen Lieblingsthema plötzlich nicht mehr zentral veröffentlicht diskutiert wird.

Anonym hat gesagt…

Keine Sorge, denn Putin wird bald kapitulieren, weil wir ihn vom ESC ausgeschlossen haben.

Zudem können wir dann die frisch entdeckte Omikronvariante aus nachhaltigen Bio-Geheimlaboren genießen, die uns diesmal garantiert umbringen wird, falls wir nicht alle mit vertuschten Nebenwirkungen gesund spritzen.

Schau dich nicht um, Klabautermann geht rum.

Aber der Massenpöbel wird mal wieder jeden Propagandaquatsch für das allein selig machende Evangelium halten und jeder Zweifler zur Hexenjagd freigeben.

Arminius hat gesagt…

Unser Außenmädel wird dem bösen Putin schon beibringen, daß er sich an das Völkerrecht zu halten hat!

Anonym hat gesagt…

In einem Monat wird jeder als rechter Verschwörungserzähler verfolgt werden, der behauptet, dass Lauterbach und die Pandemie je existiert haben.