Montag, 24. Oktober 2022

Fehltritt in der Wohlstandsoase: Der Tübinger Rechtsrutsch

Es kommt etwas in Kippen in Europa: Nach Italien haben die fortschrittlichen Kräfte nun auch in Tübingen verloren.

Erst Schweden, dann Italien, nun auch noch Tübingen. Es kommt etwas ins Kippeln nicht mehr nur in Europa, ein Kontinent gerät in Schlagseite, wie das Magazin "Stern" bereits davor gewarnt hatte. Obwohl nach N-Wort-Gebrauch als Rassist enttarnt, als Freund von Querdenkern und Verschwörungsschwurblern aufgeflogen und als "Greta Thunberg für Nazis" selbst unter schwerem Verdacht, es mit den Falschen zu halten, ist der mit einem Parteiausschlussverfahren seiner Partei konfrontierte  grüne Oberbürgermeister von Tübingen wiedergewählt worden. Mit deutlichem Vorsprung sogar. Und das ist ein deutliches Alarmzeichen für die Zivilgesellschaft.

Fehlende Gruppenkompatibilität

Hier rutscht etwas, hier stimmt es nicht mehr. Über kaum einem politischen Querschläger ist die deutsche Öffentlichkeit in den zurückliegenden Jahren so ausgiebig und umfassend aufgeklärt worden wie über den 50-jährigen Sohn eines Obstbauern aus Geradstetten, dessen Vater schon fehlende Gruppenkompatibilität erkennen lassen hatte.

Der Grüne Boris Palmer etwa entwickelte über die Jahre ein großes Talent darin, dem Wohlfahrtsausschuss zu entkommen. Als Realist in einer Partei, die die Traumtänzerei zur Basis ihrer Vorstellung von der Welt erklärt hat, fiel der seit 2007 als Oberbürgermeister von Tübingen amtierende Erfinder des Tübinger Corona-Modells fortlaufend dadurch auf, dass er grünen Visionen von Koboldenergie, Speichernetz und deutschem Klimavorbild durch ketzerische Zwischenrufe störte. Ein Störenfried, der es augenscheinlich darauf angelegt hatte, Einheit und Geschlossenheit der grünen Reihen aufzubrechen, im Angesicht der Klimakatastrophe individualistische Experimente zu wagen und selbst Applaus von der Falschenseite nicht auszuschlagen.

Ein Quälgeist, der das Kollektiv gefährdet

Der Wunsch seiner Partei, den Quälgeist loszuwerden, war ebenso groß wie berechtigt. Trotzdem scheiterte der erste Anlauf, ihm das Mitgliedsbuch. Als Signal aber an die Wählerinnen und Wähler im wohlstandssatten, bis heute von den Früchten des Kolonialismus und der Ausbeutung fremder Länder zehrenden Universitätsstadt aber hätte das ausreichen müssen. Palmer, ein Christdemokrat im grünen Mäntelchen, unideologisch, pragmatisch und zuweilen unterhaltsam, steht für einen individualistischen Voluntarismus, der die Weisheit kluger Kollektivbeschlüsse leugnet und seine Erfüllung darin findet, die Kernpunkte der eigenen Glaubenslehre infragezustellen. 

Einer wie Sahra Wagenknecht, der bereit ist, sogar dann auf seinen Positionen zu beharren, wenn ihm die gesamte Parteispitze widerspricht. Auch in Tübingen, einer Wohlstandsoase, in der die Einwohnenden mit etwa 60.000 Euro etwa ein Drittel mehr Reichtum angehäuft haben als ihre Vettern im Osten, kommt solche Rebellenattitüde gut an. 

Spiel mit dem Nagel

Obwohl die Wahl "Rechter" (Stern) Europa schwächt und letztlich sogar den notwendigen ökologischen Umbau der Gemeinschaft weg von Wachstumsfetisch, Konsumgesellschaft und steigender Lebenserwartung gefährdet, ist dort unten in Baden-Wütenberg dasselbe passiert wie zuvor in Schweden und Italien: Ein Rechtsruck, ein Spiel mit dem Feuer, ein weiterer Nagel im Sarg der Erwartung, dass die Bemühungen der Gesamtgesellschaft und ihrer zivilgesellschaftlich engagierten Institutionen zur Aufklärung vor den Gefahren von Rechtsradikalismus, Rassenhass und Humor bereits ausreichen, um Fehltritte wie den der Wählerinnen und Wähler in Tübingen auszuschließen.

Doch es hat nicht gereicht, nicht einmal hier, wo erfahrene, mit allen Wassern gewaschene Demokraten leben. Für prekäre Regionen im Osten, in denen Faschist*innen in Umfragen Triumphe feiern, während die antifaschistischen Parteien Linke und SPD sich auf dramatische Weise marginalisiert sehen, lässt das nichts Gutes ahnen.


11 Kommentare:

Carl Gustaf hat gesagt…

Das ist die dritte Amtszeit, die Palmer (bereits seit 16 Jahren im Amt) jetzt antritt. Damit steht er auf einer Stufe mit Putin, Xi Jinping, Erdogan und allen anderen Autokraten dieser Erde.

Anonym hat gesagt…

Es ist eh alles Affenkomödie. Schon ER schrieb in seinem Diätbuch "Kein Mampf", wie die (Selbstzensur), wenn sie denn gewählt worden sind, das genaue Gegenteil von dem machen, was sie dem einfältigen Wähler zuvor versprochen haben - und zwar wieder und wieder und nochmal - es ihnen aber nicht im geringsten schadet.

Anonym hat gesagt…

Das Problem ist doch nicht der Querulant im Amt, sondern die antigrünen Querulanten, die ihn immer wieder gewählt haben. Die würden ihn auch weiter wählen. Die muss man genauso ausschließen, damit sie nicht mehr falsch wählen können.

Die Anmerkung hat gesagt…

Gunnar Schupelius pupst in den Blätterwald hinein, auf daß es dort als

Palmer ist Deutschlands vernünftigster Grüner!

rauscht.

Schon Maggie der Aphoristiker wußte es.

There is no such thing as vernünftiger Grüner.

Die Wagenknecht haben sie für diese Ansage letzte Woche den Henkern vorgeworfen.

Jodel hat gesagt…

Auch der Einäugige unter den Blinden sieht nun mal auf einem Auge überhaupt nichts.

Interessant ist auch das Abschneiden seiner Konkurrentin von den wahren Grünen.
Zusammen erhält dieses grün-grüne Dreamteam für Mutter Gaia, trotz aller Energiekrise und Kostenexplosion, sagenhafte 75 % der Wählerstimmen. Und komme mir hier keiner mit Kommunalpolitik, eine Weltanschauung ist eine Weltanschauung, egal auf welcher Ebene.
Offenbar besteht in Tübingen eine eine unstillbare Sehnsucht nach dem neu heraufziehenden Mittelalter.
Ob dabei das gewünschte Endergebnis ein paar Jahre früher oder später eintreten wird, ist nicht wirklich das Entscheidende.

Carl Gustaf hat gesagt…

@ Jodel

Der Palmer hat seine Stimmen zum Teil aus einem Milieu erhalten, dass ich weder als grün noch als dunkel- oder hellgrün bezeichnen möchte. Vielleicht ist Palmer genau das, was man ihm vorwirft. Aber gerade mit diesem merkwürdigen Auftreten kann er in dieser Region Deutschlands punkten.

Anonym hat gesagt…

Corona-Maßnahmen: Boris Palmer plädiert für „Beugehaft“ und Rentenkürzung für Ungeimpfte

https://www.fr.de/politik/gruene-kritik-corona-boris-palmer-beugehaft-schlagstoecke-massnahmen-querdenker-rentenzahleung-91199562.html

Womit zu diesem immer noch tiefgrünen Bonobo alles gesagt ist.

In Ehren halte ich nur seinen Vater Helmut Palmer, dem "Rebell vom Remstal". Der hatte wirklich einen Arsch in der Hose, als er mit den schwäbischen Altnazis (O-Zitat des blutigen Nazikriegsrichters Filbinger: "Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein") in knallharte Konfrontation und sogar in den Knast ging.
Dagegen ist sein Bastard Boris ein schwurbelndes Weichei. Helmut dreht sich ob dieses Versagers sicher im Grabe um.

Anonym hat gesagt…

Über diesen Impfnazi ist jedes Wort zu schade.

Anonym hat gesagt…

der Schwabe an sich ist ein Mitläufer und Opportunist . Sobald eine erfolgversprechende Koalition aus Xi Palmer und AfD absehbar ist waren alle schon immer dabei . Grund : man will keine Asylanten in der Nachbarschaft und man will keinen Wohlstandsverlust .

natürlich sind Schwaben Arschlöcher - aber solange sie RECHTS wählen stört mich das nicht . was Bernd nicht mag sind diese akademisch verschwurbelten Freiburger die "irgendwie" LINKS sind . Bausparmarxisten und Schwabenökos sind besonders schlimm , schlimmer sind nur noch EKD und Kirchentagsökos .

Bernd würde Schwaben sogar wegsperren wenn sie das Maul dumm aufreißen

Die Anmerkung hat gesagt…

OT

Der Kümran geht jetzt fremdmalen.

https://twitter.censors.us/Immorecht_DUS/status/1584624218179702785

https://pbs.twimg.com/media/Ff23VA2WYAE_GKT?format=png

Anonym hat gesagt…

Wenn Schröder für einen lukrativen Nachfolgejob vorsorgen konnte, kann Olaf das auch. Die Gazprom-Option haben sie ihm versaut, also muss er sich weiter östlich orientieren.