Freitag, 31. März 2023

Doku Deutschland: Mein Leben für die neue Heizung

Der alte ist noch nicht abbezahlt, da steht für Mathelehrer Uwe schon der Abschluss eines neuen an.

Ich war mein Leben lang Mathelehrer, habe ich zu den beiden gesagt. Aber ich will ehrlich sein, habe ich gesagt: Nicht aus Liebe zu den Kindern, sondern aus Liebe zu den Zahlen! Ich liebe sie, ich liebe sie richtig. Sie müssen wissen, dass es bei so einer langen Fahrt wichtig, ist, eine Atmosphäre ins Auto zu bekommen. Schnell muss es gehen, Offenheit, Vertrauen, Stimmung, das entscheidet sich bei so einer Mitfahrgemeinschaft nach meiner Erfahrung in den ersten fünf Minuten. Das ist dann nicht immer schön, aber als Mathematiker weiß ich, dass es keinen Ausweg gibt. Wer bei den Preisen heute reisen muss, der hat auch nach dem jüngsten Ampel-Wumms zu schauen, wie sich das finanzieren lässt.

Drei Wochen Strand

Ich hatte also diese beiden jungen Leute hinten drin sitzen, Sie Ende 20, blond, aber nicht Natur, ein bisschen zu wohlgenährt für meinen Geschmack. Er langhaarig, länger als sie, hatte das, was ihr zu viel auf den Rippen lag, zu wenig auf den Knochen. Wollten nach Kiel, von ganz im  Osten bei Ahlbeck aus, wo ich eine kleine Auszeit genommen hatte. Kur für Überarbeitete, drei Wochen Strand und Meer und frische Brise. Sie steigen zu, ich brachte meinen Mathelehrerspruch, den bringe ich immer, denn der funktioniert in der Regel. Schmunzeln. Freude. Haha, Kinder, das kennen wir alle.

Erst auf Höhe Greifswald bekomme ich mit, worüber die beiden wispern. Die Heizungspläne der Regierung! Das war ja nun gerade mein Lieblingsthema, weil da alles zusammenkommt. Die Mathematik, das eigene Schicksal, das Alter, der Blick auf die Gesellschaft. Ich sperre also die Ohren auf, höre sie von straffer Umsetzung und Haltung gegen die Liberalen reden, von erhoffter Unterstützung durch die EU und den globalen Süden, der auf Deutschlands Vorreiterrolle beim Klima hoffe.

Leider Hausbesitzer

Leider bin ich Hausbesitzer. Ziemlich weit draußen am Stadtrand von Friedland hat mir mein Vater ein kleines Häuschen hinterlassen. Sechs Zimmer auf zwei Etagen, 140 Quadratmeter, Garage, Ziegeldach, gepflasterter Hof. Baujahr 1949, kein Keller. Vor sechs Jahren haben wir von Ölheizung auf Gas umgestellt, gab damals gerade eine große Fördermaßnahme der Bundesregierung zur ökologischen Sanierung. Und der Ölbrenner war von 1991, den hatte mein Vater gleich nach der Wende installieren lassen, weil er dann doch nicht mehr mit Kohle feuern wollte. Nach 25 Jahren ist genug, habe ich zu meiner Frau gesagt, wir machen das jetzt richtig, dann haben wir bis zum Schluss unsere Ruhe.

Wir sind beide 62 Jahre alt, ich Lehrer, wie gesagt, meine Carola arbeitet im Amt in Stargard. es geht uns gut, aber wir sind nicht reich, wie Sie vielleicht denken. Den Umbau von 2017, an dem zahlen wir immer noch ab, den Kredit meine ich. Das haben wir nicht bar herumliegen. Und nun sollen wir schon wieder, habe ich den beiden hinten im Fond zugerufen. Wie denken Sie sich das? Woher nehmen und nicht stehlen?

Früher nie etwas gesehen

Erst war Ruhe da hinten. Dann kamen die Jaaber und die Trotzdem und Esmussdoch. Dann verrate ich Ihnen mal was, habe ich gesagt, ich bin nämlich Mathelehrer, und wenn es gut läuft, bin ich das noch vier, fünf Jahre. Dann fängt die Rente an, dann wollen meine Carola und ich auf Reisen gehen, so lange wir können. Wir haben nämlich die ersten 30 Jahre unseres Lebens nichts gesehen von der Welt, habe ich gesagt, nichts als Ungarn und die Tschechei. Weil da doch, Sie wissen es vielleicht nicht, diese Mauer war. 

Fangen Sie nicht davon an, sagte sie. Was hat das miteinander zu tun, fragte er. Die Zahlen, habe ich gesagt, die Zahlen! Ich bin ja Mathelehrer und in meinem Kopf addiert und substrahiert es immer automatisch. Lese ich von einer Berliner Wohnungsgenossenschaft, die stolz verkünden lässt, sie habe 800 Wohnungen für 100 Millionen vollökologisch saniert, dann steht vor meinem inneren Auge die Zahl 125.000, das ist nämlich, was das pro Wohnung kostet. Vor Zinsen aber nur. Bei den vier oder fünf Prozent, die mich ein Kredit inzwischen kostet, komme ich in 20 Jahren auf 270.000 bis 320.000 Euro, die ich abzuzahlen habe. Der Mathelehrer in mir weiß, dass das 1.250 bis 1.500 Euro im Monat sind.

Das Geld rinnt durch die Finger

Ja und, sagt er. Das ist alles, sage ich. Das Geld brauche ich ja nicht für Nebenkosten, Essen, Grundsteuer und so weiter. Sondern zusätzlich! Um die Solaranlage anzuzahlen, die Fußbodenheizung, die Dämmung, die Hausbatterie und die Wärmepumpe. Alles feine Sachen, meiner Meinung nach. Aber ganz ehrlich - wir zahlen noch immer 99 Euro im Monat für den Gasheizungskredit. Und werden das auch noch neun Jahre lang tun müssen, auch wenn sie uns den schicken Vaillant-Kessel dann schon wieder rausgerissen haben.

Wie bitte soll das funktionieren?, habe ich nach hinten gerufen. Rechnen Sie mit, habe ich gerufen: Unsere normalen Wohnkosten liegen im Moment bei 500 Euro im Monat plus Nebenkosten, das sind etwa 300 Euro, obwohl wir seit Jahren nur ein Zimmer und das Bad heizen. Dazu sollen nun noch 1.500 Euro kommen, die wir für die ökologische Sanierung drauflegen? Wenn wir eine Sparkasse oder Bank finden, die uns einen Kredit gibt? Den wir nur komplett abzahlen können werden, wenn wir wenigstens unser 83. Lebensjahr noch komplett absolvieren und nicht vorher abtreten?

Rettung durch harten Verzicht

Wer ein bisschen  rechnen kann, sieht ja schon, woran das Ganze selbst in diesem Fall krankt. Mal angenommen, wir bekommen den Kredit, werden wirklich so alt und wir schaffen es, durch 20 Jahre harten Verzicht alles zurückzuzahlen. Mit Mitte 80 sitzen wir dann also in einem Haus, das zum dritten Mal abgezahlt ist - nach dem Bau, nach der Renovierung vor 30 Jahren und nun nach der ökologischen Aufwertung. Leider liegt das Haus bei Schweindrich, zehn Kilometer vor Wittstock, je fast 200 Kilometer entfernt von Berlin, Neubrandenburg und Schwerin. Die Lage ist bei Immobilienkäufern so begehrt wie Kohleheizungen im Klimaministerium. Hier gibt es ganze Häuser zum Preis einer Wärmepumpe mit Pipapo.

Unsere Perspektive ist damit vollkommen klar. Selbst wenn es Fördermittel und Abwrackprämie und  Rettungspakete geben wird, von denen Carola und ich annehmen, dass wir wegen unserer doch bisher eigentlich recht gesicherten Existenz nicht antragsberechtigt sein werden, ist es nicht schwer, einen Strich unter die Rechnung zu machen. Um dort, wo wir jetzt leben, wohnen bleiben zu können, müssen wir nach dem Pflichtumbau etwa die Hälfte unseres Einkommens für den Kredit aufwenden, dazu kommen die normalen Heizkosten, Wasser, Steuern, Reparaturen und so weiter. Schaffen wir das stabil 20 Jahre lang und leben dann noch, sitzen wir in einem abgezahlten Haus, das etwa ein Drittel so viel wert ist wie wir kurz vor unserem Lebensende noch mal reingesteckt haben.

Mit viel Aufwand Werte vernichten

Da unsere beiden Töchter weit weg wohnen, beide sind im Westen verheiratet, wird sich auch niemand freuen, das alte Familienanwesen zu erben, selbst wenn nach 2040 nicht schon wieder neue Vorschriften gelten, die Eigentümer zwingen werden, dicker zu dämmen oder die Wärmepumpen rauszureißen, damit mit irgendetwas viel ökologischerem geheizt werden kann. Es könnte natürlich sein, dass der vom Städtebund derzeit gerade empfohlene Umzug aufs Land irgendwann in der Zukunft den seit Jahrhunderten laufenden Trend zum Wohnen in der Stadt bricht und die Preise auch mal steigen. 

Aber was nützt uns das dann noch? Carola und ich, wir haben 30 Jahre DDR erlebt, sind nicht rausgekommen, waren allenfalls mal in Mecklenburg, am Rennsteig oder in Polen. Dann 35 Jahre Westen, erst alles neue aufbauen, dann alles abzahlen, dann langsam auf das Ende freuen und die Freiheit, endlich so vieles nachholen zu können.

Und jetzt? Jetzt dürfen wir stattdessen wieder schauen, wie wir uns durchkämpfen und dabei zusehen, so fit zu bleiben, dass wir am Ende noch ein paar Jahre haben, um den Gürtel lockerer zu lassen. 

Auf dem Rücksitz blieb es danach still. Ich habe den Kerl noch mit dem Kopf schütteln sehen.  Und sie sagte wohl etwas wie ,lass es, hat keinen Zweck, der ist doch total verbohrt" zu ihm.


4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Lieber Robert!
Ich möchte mein Angebot erneuern, mein Haus mit einem Castorbehälter zu heizen. Zwei Fliegen mit einer Klappe! Ihr seid das Ding los und ich kann ohne Ceh Oh Zwei heizen!

LG

Jodel hat gesagt…

Lieber ppq,
Sie werden doch nicht auch einer von diesen Zahlen-Halbnazis sein, die unseren Weg ins Paradies mit rationalen Argumenten sabotieren möchten. Wenn Sie nicht mit dem Herzen denken, werden Sie die beiden sympathischen Gesellen auf dem Rücksitz sowieso nie verstehen. Wenn heutzutage, wo der Klimatod schon um die Ecke lauert, noch mit Zahlen argumentiert, verrät damit automatisch wo er steht. Nämlich auf der ganz falschen Seite. Wie hat es einer dieser grundguten Bescheidwisser neulich sinngemäß ausgedrückt: Wer so denkt, der fährt auch mit dem SUV über Spielplätze. So jemandem wollen Sie wirklich mit einer Kosten-Nutzen-Rechnung kommen?

Wir sind bekanntermaßen das reichste Land der Welt und werden uns wohl die paar Millionen neue Heizungen leisten können. Punkt, Basta und Ende der Diskussion. Das muss uns die Rettung des Planeten schon wert sein.

Außerdem verrät sich ihr Mathelehrer ja selbst. Er könnte sich die neue Heizung ja unter größten Mühen leisten. Er müsste dann halt den Gürtel bis zum letzten Loch enger schnallen und nicht lockern. Eventuell müsste er sogar noch ein paar neue Löcher in den Gürtel machen um diesen noch totaler und radikaler enger zu schnallen, als er sich das überhaupt vorstellen konnte. Außerdem könnte er sein Einkommen jederzeit aufbessern, wenn er nur ein paar Zimmer seiner weitläufigen Behausung an unsere Goldstücke untervermieten würde.

Aber nein, statt sich zu opfern und Gaia zu retten, möchte der alte, weiße Mann reisen.
Da weiß man doch schon alles. Reisen sollte übrigens auch nur noch den Klimarettungskadern zu immens wichtigen Konferenzen oder um sich ein Bild vor Ort machen zu können erlaubt sein.

Damit wäre also der Beweis erbracht, dass unsere sämtlichen Wenden durchaus möglich wären, wenn nur alle zu 100 % mitziehen würden und nicht so auf ein eigenes Leben in Wohlstand und Würde bedacht wären. Rettungskader sind hier natürlich von allem ausgenommen. Irgendwie muss der Kampf um die Rettung der Welt doch auch honoriert werden. Das muss dem Pöbel nur noch beigebracht werden. Aber hier sind wir auf einem guten Weg.

Anonym hat gesagt…

Also, noch mal von vorn und zum Mitdenken: Mathelehrer, 62 Jahre alt. Wer auch nur halbwegs unauffällig seinen dienstlichen Verpflichtungen nachgekommen ist, ist dann mindestens in der Gehaltsstufe A14. Und seine „Carola arbeitet im Amt“ – ebenfalls öffentlicher Dienst, vermutlich irgendwas zwischen A8 bis A11. Macht zusammen ca. A22 bis A25. Kann jeder Mathelehrer nachrechnen. Nicht schlecht. Und dann kein Geld für die Minimierung des ökologischen Fußabdrucks übrig haben wollen. Ja, unsere Lehrkräfte. Aber nicht nur die im Osten. Dann fährt man halt weiter nach Ungarn, Polen oder in die Tschechei, wenn man mit seiner Carola unbedingt „auf Reisen gehen“ muß. Oder man bleibt ganz zuhause und lebt mit dem schlechten Gewissen, den für zwei alte Leutchen unverschämt üppig bemessenen Wohnraum von 140 qm zu „blockieren“ (siehe https://www.focus.de/immobilien/wohnkrise-in-deutschland-senioren-blockieren-grosse-wohnungen-die-junge-familien-verzweifelt-suchen_id_187765111.html).
Und überhaupt fängt für den deutschen Beamten nach dem aktiven Dienst nicht „die Rente an“, sondern die Pension. Da wäre ich auf dem Rücksitz auch ganz still geworden.

ppq hat gesagt…

genau. die leute sollten sich mal zusammenreißen! es geht vieles, wenn es muss