Montag, 13. Mai 2024

HFC-Abstieg: Ende mit Schrecken

Abstieg des Halleschen FC
Der Absturz des Halleschen FC, der sich seit Jahren ankündigte, hat sich jetzt vollendet.


Es hat diesmal einfach alles perfekt gepasst, von Anfang an. Die Zeichen an der Wand waren unübersehbar. Die Richtung war früh zu erkennen. Selbst die sozialen Netzwerk-Kacheln, die die Medienabteilung des Halleschen FC verbreitete, zeigten in ihrem Eierschalenton, dass das Schneeweiß der Vereinsfarben sich eintrübt. 

Vor allem aber waren sie bemerkenswert falsch formatiert: Das bei Instagram geforderte Quadrat war leicht zu breit geraten. Immer wurde am Rand etwas abgeschnitten. Unübersehbar auf den ersten Blick, andeutend, dass etwas aus dem Rahmen fällt. Geändert wurde der Fehler nie, vielleicht wurde er bei den Verantwortlichen nicht einmal bemerkt.  

Ein böser Schnittmusterbogen

Passte nie ins Format.
Fast wirkt das kleine, vollkommen unwesentliche Detail aus der wahrscheinlich für geraume Zeit letzten Saison des Halleschen FC in der 3. Liga wie ein Schnittmusterbogen für nicht nur so vieles in dieser Spielzeit, sondern für ein ganzes Jahrzehnt Profifußball in Halle. Seit jenem wunderbaren Tag im Mai 2012, als sich vollendet, was Monate zuvor noch ein ungewisses Versprechen gewesen war, hatten sie alles ausprobiert: Weitermachen mit den Aufstiegshelden. Kontinuität in der Führungsetage. Überlebenskampf. Neuanfang. Richtig Geld investieren. Andere Spieler. Erfahrene. Junge. Trainerwechsel. Sportdirektoren. Präsidenten. Angriff auf ganz oben. Konsolidierung. Ballbesitzfußball. Aggressives Konterspiel.

Ein halbes Jahr lang sah es beinahe so aus, als könnte die Rückkehr in die 2. Liga gelingen. Nach fast 30 Jahren. Dann war irgendwas. Dann knackte es im Gebälk. Dan ging nichts mehr und der Aufstiegsaspirant war wieder einmal froh, nicht abgestiegen zu sein. Die Zahlenreihe 10-9-10-13-13-13-4-15-9-14-16-17, die aussieht wie eine dieser neuen, für normale Menschen unerinnerbaren IBAN-Nummern, beschreibt das Schicksal eines Fußballvereins, der von sich selbst meinte, er habe sich zumindest in der Drittklassigkeit des deutschen Profifußballs sicher eingerichtet. Während er in Wirklichkeit unverkennbar einem unausweichlichen Schicksalstag entgegentrieb. 

Nur eine Abwärtstrendbremse

Nachdem Aufstiegstrainer Sven Köhler hatte gehen müssen, wurde es nicht besser, sondern schlechter. Torsten Ziegner vermochte den Abwärtstrend, den Köhler-Nachfolger Rico Schmitt eingeleitet hatte, nur kurz zu bremsen. Florian Schnorrenberg schaffte zwar als einziger HFC-Coach in der Dritten Liga neben Köhler und Ziegner und einen einstelligen Tabellenplatz. Musste aber an den Laptoptrainer Andrè Meyer übergeben, der mit dem Projekt des programmierbaren Fußballer scheiterte. Auf Platz 14 folgte Platz 16 mit Retter Sreto Ristic. Dessen Notablösung Stefan Reisinger macht die Klappe nun zu. Elf Trainer brauchte es für die Mission Abstieg.

Abschied nach zwölf Jahren

Ein Abschied nach zwölf Jahren, auf den sich der Anhang bereits seit Monaten vorbereiten konnte. Es war nicht alles schlecht bis zu diesem Ende mit. Aber das meiste. Von der Abwehr, im vergangenen Jahr noch die Lebensversicherung, blieb nur ein Loch. Von der Spielfreude einiger weniger Begegnungen war in den meisten anderen nicht einmal für einige Minuten lang etwas zu sehen. 

Die Mannschaft des HFC spielte wie in Gipspantoffeln. Die Interviewaufsager nach den Niederlagen klangen wie Pflichtübungen. Der Trainer zeigte sich überzeugt, dass der richtige Kurs anliegt. Die Chefetage schwieg. Die Fankurve, ehemals berüchtigt für ihre kurze Zündschnur, schwor sich auf das amtliche Vereinsmotto "Nur zusammen" ein und war fein stille. Medien schwiegen begeistert mit. Niemand rührte an den Schlaf der Vernunft. Dabei konnte jeder sehen, wohin der Dino-Dampfer unterwegs war. Aber niemand wollte es wahrhaben. So, als würde erst das Aussprechen des Absehbaren die kommende Katastrophe auslösen. 

Alles wie immer

Im Winter passierte dann wie immer das, was beim HFC im Winter immer passiert: Geld, das bis dahin überall fehlt, taucht auf und finanziert eilige Notzugänge. Neu diesmal, dass der selbsternannte Familienverein, der sich selbst gern als Adresse mit sehr, sehr gutem Ruf im deutschen Fußball lobt, fünf jungen Spielern den Stuhl vor die Tür stellte. Verschwinden sollen sie, sich etwas anderes suchen, Vertrag hin, Vertrag her. Wer nicht gehen will, darf sich, ohne dass ihm irgendetwas Konkretes vorgeworfen wird, allenfalls noch beim Nachwuchs fit halten. 

Ein brutales Zeichen nach innen, dass andere Saiten aufgezogen werden. Ein Zeichen nach außen, dass den Vereinsverantwortlichen offenkundig jedes Gefühl für Anstand und Umgangsformen dermaßen abhandengekommen war, dass sie keinen Gedanken mehr daran verschwendeten, welche Langzeitwirkung ihre Disziplinierungsaktion auf künftige Vertragsgespräche mit Wunschspielern haben könnte.

Brutale Ablenkung

Der Fußball als Fleischmarkt. Das Geschäft ungeschminkt. Vom eigenen Versagen beim Suchen und Finden des richtigen Personals war mit dem Opfern der fünf jungen Leute, die bis dahin wenig oder kaum gespielt hatten, erfolgreich abgelenkt worden. Das Ansehen mochte schwer gelitten haben. Fünf junge Menschen behandelt wie Abfall, aussortiert und abgekanzelt. Aber all das wäre ja vergessen, gelänge wie noch jedes Mal das Kunststück, auf den letzten Metern die Klasse zu halten.

Ein Anzeichen für höchste Nervosität. Ohne Angst vor dem Fluch der bösen Tat.

Kein Bedarf an Erweiterung

Ja, "Nur zusammen" ist das Motto des Vereins, der in zwei Jahren seinen 60. Geburtstag feiert, seit seinem 50. aber einer Idee hinterherläuft, was er eigentlich sein möchte. Der traurige Dino in der 3. Liga? Auf Augenhöhe mit dem ewigen Erzfeind in der Landeshauptstadt? Der Familienverein, der nach zwölf Jahren in der dritthöchsten Spielklasse zwar ein hübsches neues Stadion bespielt, aber zufreiden damit ist, dass er im Grunde genommen nicht einen einzigen Zuschauer mehr anzieht als in den Tagen von Nico Kanitz, Marco Hartmann, Sören Eismann, Daniel Ziebig und Maik Wagefeld? 

Damals, als allem Anfang noch ein Zauber innewohnte, hatten die Stadionplaner versichert, wenn es dann wegen der sportlichen Eerfolge bald zu eng werde im neuen Schmuckkästchen werde man problemlos noch eine Etage an Tribünen auf die bestehenden Ränge draufsetzen können. 18.000 oder 20.000 oder 25.000 Fans würden ihren Verein feiern dann können. Euphorie des Aufbruchs. Heute besteht kein Bedarf. Es kommen an guten Tagen 8.000, an schlechten 6.500. Schon über Jahre redet niemand mehr davon, irgendetwas auszubauen.

Kommen und Gehen

Sie sind gekommen und wieder gegangen, die Kaderplaner, Scouts und Trainer, die Präsidenten und Spieler, ohne nach einem Jahrzehnt Aufbau mehr zu hinterlassen als die Hoffnung, dass sich im Falle des Abstiegs in die Regionalliga wenigstens Rekordspieler Niklas Landgraf und Kapitän Jonas Nietfeld überreden lassen, zur Stange zu halten. So viele andere, die im früheren Kurt-Wabbel-Stadion zwischendurch mal Hoffnung auf bessere Zeiten gemacht hatten, sind längst wieder fort - Legionen von Männern wie Fetsch, Boyd, Huth, Guttau, Mai und wie sie alle hießen.

Bezeichnend für die Erfolge der Kaderplaner an der Saale: Beim Champions-League-Teilnehmer RB in der Nachbarstadt stehen heute vier Aktive im Kader, die länger bei RB sind als der dienstälteste Spieler beim HFC. Vier Spieler, die seinerzeit noch in der Dritten Liga gegen den HFC aufgelaufen sind und ihren Verein heute in der Champions League vertreten. Anders in Halle: Zwar ist keiner der Männer, die den HFC verlassen haben, zu einem der ganz Großen im deutschen Fußball geworden. Doch nur einige wenige, die zu anderen Vereinen der 3. Liga gehen mussten, weil der HFC nicht mehr hatte haben wollen, sind in diesem Jahr abgestiegen. Die meisten nicht.

Zu schlecht für Halle, gut genug anderswo

Um Fußball haben sie sich in Halle auch immer öfter weniger gekümmert. Was war nicht alles wichtig! Das Nachwuchsleistungszentrum. Die Sozialarbeit mit den Ultras, die Jahr für Jahr wenigstens ein auskömmliches Spielergehalt per Pyrotechnik direkt nach Frankfurt am Main überweisen. Gut aussehen. Einen guten Eindruck machen. Bis zehn nach Zwölf übertönten Schönreden und das Beschwören vermeintlich intakter Chancen auf den Klassenerhalt jede Kritik. Die Fans verwandelten sich in einen fatalistischen Haufen, der nur zu gern glauben wollte, was man ihm vorbetete. Das wird schon. Das ist doch immer geworden. Und danach kommt der Neuaufbau! Aber diesmal wirklich.

Keine 24 Stunden nach der Abfahrt des Fahrstuhls ins Kellergeschoss ging es genauso weiter. In viereinhalb Zeilen beklagt und bedauert der Vereinsvorstand, dass es "am Ende leider nicht mehr gereicht" habe, obwohl man "in den letzten Wochen und Monaten viele Analysen vorgenommen" und "identifizierte Handlungsfelder in Angriff zu nehmen" versucht hatte. "Das müssen wir nun so akzeptieren, die Verantwortung liegt klar bei uns". 

Im Stil der ganzen Jahre

Weiter geht es dann im Stil der vergangenen Jahre: Die Planungen laufen "auf Hochtouren", man werde "aus dieser Situation lernen, an unseren Strukturen arbeiten und uns als Hallescher FC klarer definieren". Auch der beim Anhang immer gen gehörte "Bezug zur Region" und die Versicherung, dass nun bald "junge Spieler ihre Chance bekommen", fehlt nicht.

Nun schließt sich ein Kreis, seit Jahren schon hatte der HFC Fußball wie im Nebengeschäft betrieben, ein Profiverein, den den Sport dem Selbstlauf überlässt, immer dasselbe tut und jedes Mal ein anderes Ergebnis erwartet. Elf Trainer, etliche längst vergessene Sportdirektoren, der mittlerweile dritte Präsident, eine neue Generation an Sponsoren, zumeist verbandelt mit den prallen öffentlichen Kassen.

Alles und nichts

Und doch: Alles änderte sich und nichts zugleich. Keine der reinem Glück zu verdankenden Rettungen wurde analysiert oder aufgearbeitet. Wie der sagenhafte Absturz in der Saison, als es kurz nach Aufstieg roch, bleiben auch die vielen, vielen göttlichen Fügungen, die an den vielen, vielen möglichen Totalstützen vorbeigeführt hatten, sofort mit dem Ende der Saison dem Vergessen anheim. Neues Spiel. Neuer Trainer. Neues Laptop. Neues Glück.

Zentrale Aufgabe des ganzen Unternehmens Hallescher FC schien nicht der sportliche Erfolg zu sein, denn der würde eines Tages von selbst kommnen, wenn beim Zusammenwürfeln von sportlicher Leitung und Spielerkader endlich die magische Mischung entstanden sein würde. So lange feierte man sich für ausgezeichnete Sozialarbeit, für entschlossene Losungen, das Setzen von Zeichen, das Zahlen an Strafen an den Verband und den Aufbau eines Nachwuchszentrums, von dem man sich für die Zukunft einen steten Strom an Talentenachschub für die erste Mannschaft erwartet. Mit welchen Aussichten, zeigt der Blick nach Leipzig oder München, wo es seit Jahren niemand aus den sogenannten Legionärsschmieden an den höhergehandelten Talenten aus Spanien und Frankreich vorbei in die erste Mannschaft geschafft hat.

Aber wenigstens sind solche Bauarbeiten planbar, wenn auch mit Verzug. Vom Plan, eines Tages in einem nicht allzu fernen Jahr aufzusteigen, blieb dagegen nur die Freude darüber, im Mai jeden Jahres nicht abgestiegen zu sein. Woran die Sache krankte, weshalb noch jeder Neuaufbau schiefging und der Abstand zum Tabellenende beständig schrumpfte, war keiner weiteren Betrachtung wert. Neue Leute planten, neue Trainer brachten ihren neuen Laptop mit und dazu namhafte Assistenten, neue Reden wurden gehalten und neue ehrgeizige Ziele ausgerufen. 

Der neue Anlauf, aus dem Mustopf der ewigen Abstiegsangst zu springen, war dann allerdings immer noch vor Weihnachten gescheitert und vor Ostern kam üblicherweise der Retter, der nach erfolgreicher Mission Prokura bekam, genauso weiterzumachen, aber nun mit Spielern, die er selbst ausgesucht hatte, weil er sie von sogenannten "früheren Stationen" kannte und ebenso schätzte wie den jeweiligen neuen Sportdirektor, einen alten Bekannten, der bei seinen früheren Vereinen schon... und so weiter.

Auf das Ende mit Schrecken, das jetzt kam,waren alle emotional so gut vorbereitet, gefühlsmäßig geradezu abgehärtet, dass selbst dieser schlimmste Fall hingenommen wird als sei er wirklich unaufausweichlich gewesen. Und das war er dann wohl auch.



2 Kommentare:

Carl Gustaf hat gesagt…

Der feste Wille zum Abstieg wurde in dieser Saison bereits mit der Wahl des Trikotdesigns zum Ausdruck gebracht.
Ich denke jedoch nach wie vor, dass es die Zeit der Fünftklassigkeit um die Jahrtausendwende war, in der der HFC den Anschluss an das Geschehen verloren hat. Wie beschrieben, hatte man selbst in der ganzen Zeit der Drittligazugehörigkeit immer den Eindruck, dass man beim HFC immer einen Schritt hinterher oder zu spät war. Und das nicht nur auf dem Platz.

Anonym hat gesagt…

Ich hoffe ja wahrlich nichts mehr, und Fußball geht mir seit Jahren am Gesäß vorbei, aber, dass "Die Mannschaft" gleich beim allerersten Spiel der EM mit 0:9 plattgemacht würde, das wäre eine Lust.