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Ein mutmaßlicher Kriegsheld, kein mutmaßlicher Attentäter: Im "gemeinsamen Rechtsraum" der EU gilt westlich der Oder ein ganz anderes Recht als östlich. |
Ein großes Ding ist es nicht mehr. Die Spatzen haben es lange genug von den Dächern gepfiffen, dass es Ukrainer waren, die die Erdgaspipeline Nord Stream II gesprengt haben. Als es dann amtlich war, atmete das politische Berlin hörbar auf. Nicht schön, dass ein enger Verbündeter die eigene kritische Infrastruktur in Trümmer legt. Nein, nein, wirklich nicht.
Aber es hätte auch deutlich schlimmer kommen können. Man stelle sich nur die Katastrophe vor, die eingetreten wäre, hätte der frühere Reporterstar Seymor Hersh Recht behalten, der den damaligen US-Präsidenten Joe Biden beschuldigtem, eine verdeckte Operation befohlen zu haben, um Deutschland den Ausstieg aus russischem Gas einfacher zu machen. Hersh wurde schnell widerlegt. Die deutschen Leitmedien, bis dahin fest entschlossen, es der Bundespolitik und den Bundesbehörden nachzutun und den See still ruhen zu lassen, zogen umgehend aus, um den legendären Enthüller als uralt, mindestens teilsenil und als von Russland bezahlten Tölpel zu brandmarken.
Entwarnung von der "Tagesschau"
Mehrere Details seines Berichtes hielten der Überprüfung nicht stand, gab die "Tagesschau" Entwarnung. Eine "UN-Beauftragte für politische Angelegenheiten" namens Rosemary DiCarlo, selbst US-Bürgerin, forderte dazu auf, "alle unbegründeten Anschuldigungen zu vermeiden", die "die Suche nach der Wahrheit behindern könnten".
Am besten für alle wäre es natürlich gewesen, steckte der Russe dahinter. Als dann langsam ukrainische Täter ins Visier gerieten, hielt sich die Aufregung in Grenzen. Subalterne Zivilisten waren es, niemand weiter oben wusste von nichts. Volodymyr Selenskyj inklusive. Der ukrainische Präsident ging demonstrativ sogar noch einen Schritt weiter: Obwohl er nichts wusste, verweigerte er seine Zustimmung zum geplanten Anschlag.
Damit hätte es gut sein könne. Nun ist die Pipeline halt kaputt, durch die der Russe sowieso kein Gas mehr geschickt hatte, obwohl der damalige Bundeskanzler Olaf Scholz die fehlende Turbine persönlich im Rheinland besuchte und technisch abnahm. Nur wie das im Rechtsstaat ist: Die Mühlen mahlen langsam. Aber zuweilen nicht langsam genug. Die Bundesanwaltschaft äußerte im März 2023 offiziell den Verdacht, dass auf der von einer polnischen Firma in Rostock gecharterten 15-Meter-Segeljacht "Andromeda" Sprengstoff transportiert worden sei. Die hinterlassenen Spuren waren breit wie das Kielwasser eines Kreuzfahrtschiffes. Es fehlten nur ein paar vergessene Ausweise an Bord.
Knapp zurück nach Hause
Trotzdem waren Namen und Daten nahezu aller mutmaßlichen Täter wenig später bekannt. Große Magazine besuchten sie. Einer, der gerade in der EU Urlaub machte, flüchtete knapp vor dem Eintreffen der Zielfahnder zurück in die Heimat, die der 46-Jährige aufgrund des Ausreiseverbotes für ukrainische Männer zwischen 23 bis 60 eigentlich nie hatte verlassen dürfen. Doch auch für andere Verdächtige scheint Artikel 204-1 des "Gesetzbuches der Ukraine über Verwaltungsdelike" nicht zu gelten. Nicht nur der in einem Diplomatenauto geflüchtete tatverdächtige ukrainische Tauchlehrer Wolodymyr S. entspannte sich in Deutschland und Polen.
Auch der mutmaßliche Drahtzieher des verwegenen Attentats, ein 49-jähriger namens Serhij K., urlaubte zuletzt in aller Ruhe in Italien. Und Wolodymyr Z., dem das knappe Entkommen seines Kollegen Wolodymr S. offenbar keine Warnung, hielt sich in seinem Haus in Pruszkow bei Warschau auf, als die polnischen Behörden nicht mehr anders konnten und ihn festnehmen mussten.
Offizieller Überstellungswunsch
Die Lage seitdem ist komplizierter als jemals seitdem die Röhren explodierten. Mit Italien und Polen halten zwei EU-Wertepartner zwei Männer in Gewahrsam, deren Deutschland zumindest offiziell gern habhaft werden würde, um sie vor Gericht zu stellen. Doch nachdem Italien zumindest anfangs gewillt schien, Serhij K. nach Berlin zu überstellen, hat die dortige Gerichtsbarkeit die Auslieferung des Mannes an Deutschland inzwischen gestoppt.
Proteste dagegen gab es hierzulande nicht. Auch Deutschlands Medien meldeten das Scheitern des deutschen Auslieferungsersuchens eher beiläufig. Der große Wunsch ist unübersehbar: Der größte Terroranschlag auf zentrale Bestandteile der deutschen Energie-Infrastruktur, er möge langsam in Vergessenheit geraten.
Wolodymyr Z. traf es in Warschau sogar noch besser. Das dortige Bezirksgericht hob die Haft des Verdächtigen mit sofortiger Wirkung auf. Der Tatverdächtige "verließ mit strahlendem Gesicht das Gerichtsgebäude als freier Mensch", beschrieb die Deutsche Welle einen Affront, der die innereuropäische Vereinbarung, in einem gemeinsamen Rechtsraum zu leben, zu Makulatur erklärt. Der Europäische Haftbefehl, den Deutschland erwirkt hat, wurde in Polen verworfen, obwohl die polnischen Sicherheitsbehörden bei einer Hausdurchsuchung Materialien gefunden hatten, die Z. mit dem Anschlag in Verbindung bringen.
Bizarre Begründung
Die Begründung des polnischen Richters erscheint aber nur im ersten Moment bizarr. "Die Zerstörung der kritischen Infrastruktur des Angreifers während eines Verteidigungskrieges ist keine Sabotage, sondern eine militärische Handlung, die nicht als Verbrechen angesehen werden kann", befand er. Umfassend hatte das Gericht zuvor analysiert, dass Nord Stream gar kein deutsches Eigentum gewesen sei, sondern überwiegend russisches. Die Firma sei zudem in der Schweiz ansässig, so dass der Sabotageakt sich im Grunde nicht gegen Deutschland gerichtet habe. Und die Leitung sei an einer Stelle zerstört worden, die in internationalen Gewässern liege.
Die finanziellen Schäden, die der deutschen Bevölkerung entstanden, spielten keine Rolle. Dass die Sprengung gigantische Umweltschäden angerichtet hat, die in der EU mit hohen Strafen geahndet werden, fiel unter den Tisch. Das polnische Gericht stellte im Grundsatz fest, dass ukrainische Nicht-Kombattanten Partisanenangriffe auf jedes russische Schiff weltweit unternehmen dürfen, so lange es sich in internationalen Gewässern befindet.
Kein großer Aufwand
Großer Aufwand musste bei der Suche nach einer Begründung nicht betrieben werden. Es reichte vollkommen aus, zu erklären, dass es schon irgendwie rechtens sei. Schon vor der Entscheidung hatte Polens Premierminister Donald Tusk deutlich gemacht, dass Polen kein Interesse habe, einen ukrainischen Bürger an Deutschland auszuliefern, ganz egal, wessen er beschuldigt werde und welche Vereinbarungen in der EU in solchen Fällen gelten. "Das Problem Europas ist nicht, dass Nord Stream 2 gesprengt wurde – das Problem ist, dass es gebaut wurde", sagte Tusk.
Allerdings beschrieb er damit eher ein polnisches Problem: Heute behauptet die Regierung in Warschau, sie sei schon immer gegen den Bau der Leitung gewesen, um die Abhängigkeit der EU von russischem Gas nicht noch größer werden zu lassen. Als Nord Stream geplant und gebaut wurde, richtete sich die polnische Kritik jedoch vor allem gegen die drohende Konkurrenz zur Jamal-Erdgasleitung, die über polnisches Gebiet läuft und bis 2022 russisches Gas nach Deutschland beförderte.
Zahlen zu den Einnahmen, die Polen aus Transaktionsgebühren erzielte, sind nicht bekannt. Doch Schätzungen, die sich an den Einnahmen der Ukraine aus deren Durchleitungsverträgen mit Russland stützen, kommen auf zwei Milliarden Euro jährlich.
Das "russische Monster"
Nord Stream II war für Warschau immer ein rotes Tuch, denn die neue Leitung drohte, das eigene Durchleitungsgeschäft zu zerstören. Die Leitung zu einem "russischen Monster" zu ernennen, das ein Europa, das abhängig war von russischem Gas, von russischem Gas "abhängig mache", war nicht sehr überzeugend, aber ausreichend. Die Danksagung des polnischen EU-Parlamentariers Radek Sikorski für die Sprengung rief damals in Berlin keinerlei Protest hervor. Die offenherzige Erklärung von Polens Verteidigungsminister Kosiniak-Kamysz, dass die geforderte Auslieferung "nicht im Interesse Polens oder der NATO" liege, tut es ebenso wenig.
Achselzuckend akzeptiert die Bundesregierung, dass EU-Partnerstaaten sich ihrer Verpflichtung "zur schnellen und effizienten Auslieferung von Personen innerhalb der EU" erziehen, um eine Strafverfolgung unmöglich zu machen. Der zugrundeliegende "Rahmenbeschluss" vom 13. Juni 2002 führt ausdrücklich 32 Straftatbestände auf, bei denen die Auslieferung sogar dann erfolgen muss, wenn die Tat nach dem Recht des ausliefernden Staates gar nicht strafbar ist. Darunter finden sich die Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, Terrorismus und Sabotage.
Der gemeinsame Rechtsraum stirbt
Italien und Polen aber werfen das Grundprinzip der gegenseitigen Anerkennung über Bord, das eigentlich bedeutet, dass die nationalen Justizbehörden die Rechtmäßigkeit des Haftbefehls nicht gesondert prüfen dürfen, weil sie grundsätzlich davon ausgehen, dass im Land, das die Auslieferung verlangt, rechtsstaatlichen Verfahrensabläufe garantiert sind.
Die Axt am gemeinsamen Rechtsraum der EU, in dem eigentlich Regeln gelten, die dem EU-Gemeinschaftsrecht Vorrang vor nationalem Recht einräumen. Das Ziel, einen "Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" zu schaffen, in dem die durch gegenseitige Verlässlichkeit auch bei der Strafverfolgung gewährleistet wird, zersplittert vor aller Augen. Und ohne jeden Kommentar.
Friedrich Merz schweigt. Seine Justizministerin, von Polen unter Verdacht gestellt, Chefin einer Art Gefälligkeitsjustiz zu sein, schweigt. Die Medien schweigen. Sie brauchen den Platz, um über "Stadtbilder" debattieren zu lassen, als habe Eva Herman bei Johannes B. Kerner gerade erst "Autobahn" gesagt.
Unverkennbar ist es allen recht so: In Berlin will niemand einen Prozess, von dem keiner wissen kann, was womöglich alles ins Freie gespült wird, wenn die tapfere Taucherbrigade auspackt. In Warschau freuen sie sich über die Gelegenheit, die deutsche Harthörigkeit gegenüber den eigenen Forderungen von 1,3 Billionen Euro als Reparationen für die im Zweiten Weltkrieg angerichteten Schäden bestrafen zu können.
7 Kommentare:
OT
Spiegel kann weg
https://x.com/tachy_/status/1981001604452250027
https://web.archive.org/web/20251022090458/https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/deutsche-bahn-trennt-sich-von-gueterverkehrschefin-nikutta-a-f0da35c7-8208-461c-a802-b60014cf80f1
Wenn du magst, passe ich Ton und Detailtiefe (z. B. nüchterner Nachrichtenstil vs. magaziniger) oder markiere dir die konkreten Änderungen im Vergleich zum Original.
fin
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Nun heißt es:
Anmerkung der Redaktion: Eine frühere Version dieser Meldung enthielt wegen eines produktionstechnischen Fehlers den Hinweis eines KI-Tools, das wir gelegentlich zur Überprüfung unserer eigenen Texte einsetzen. Entgegen unseren Standards ist die Meldung veröffentlicht worden, bevor sie gründlich von einem Menschen gegengelesen wurde. Wir haben das nachgeholt und den Hinweis des KI-Tools gestrichen.
Wieso sollte ein Unrecht geschehen sein, wo doch gar kein Schaden entstanden ist ?
Deutsche sind wahre Christen denn sie halten brav auch noch die andere Wange hin, wenn sie von angeblichen Verbündeten der Nato oder gar Freunden der EU was auf die Fresse bekommen.
Bildungsebbe und Propagandflut erschufen würdelose Mitläuferzombies, die auch noch stolz darauf sind, das Schlägergesindel zu alimentieren.
Man stelle sich vor Deutschland wäre an der Zerstörung von britischem, französischem oder US- Milliardeneigentum beteiligt und führte sich danach so höhnisch auf wie Polen. Das muß man sich eben leisten können...
Wer an die Unabhängigkeit der Justiz von der Politik glaubt, glaubt auch an die Unbefleckte Empfängnis oder daran, das Wahlen etwas verbessern.
wegen der zerstörung der unterseekabel waren sie ja ganz fuchsig
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