Samstag, 20. Dezember 2025

Das Jahr ohne Sommer: Der Februar der Willigen

Die heiße, leidenschaftslos absolvierte letzte Wahlkampfphase im Februar 2025 war der Höhepunkt der Entwicklung der Demokratie zu "UnsereDemokratie".

 Bei Trompeten und Gitarren
drehn wir uns im Labyrinth
und sind aufgeputzte Narren
um zu scheinen, was wir sind.

Der Februar, Erich Kästner  

Es war ein Jahr zum Vergessen und vielen gelang das außerordentlich gut. Der neue Kanzler wusste schon nach Wochen nicht mehr, was er versprochen hatte. Seine Hilfstruppen von der SPD hatten verdrängt, dass sie wiedermal eine Wahl verloren hatten. In der Welt draußen wendete sich einiges zum Besseren. Deutschland aber blieb mit klarem Kompass auf Kurs. Der Sommer der Stimmungswende fiel ins Wasser. Der Herbst der Reformen folgte ihm leise.

Der Rückblick auf 2025 zeigt zwölf Monate, die es in sich hatten. Nie mehr wird es so sein wie vorher. 

Ach, sie sind immer noch da. Und sie leben noch. Das Land, es lebt, es lebe hoch – nur liegt es am Boden und kann sich kaum rühren, weil Merz und Esken sich gerade gegenseitig die Fußfesseln anlegen. "Koalition der Willigen" nannte das mal jemand aus Amerika, damals wollte Deutschland am Rande stehen. Jetzt mag es gern mitmischen, aber die großen Parteien sind klein geworden. Union und SPD, alt, stolz und unbeugsam, kommen in Umfragen vor der Wahl gemeinsam gerade mal 45 Prozent der Stimmen. Sie sagen trotzdem, sie seien das Volk. Wer soll es denn auch sonst sein.

Renten sicher, Freiheit unsicher

Hauptsache stabil. Die Wahlkampfparolen klingen wie Medikamentenwerbung. Merz verspricht den Rentnern goldene Zeiten, Klingbeil der Werktätigen einen Aufschwung nach Maß. Niemand wird später irgendetwas bezahlen müssen. Das mache der Staat. Irgendwie. Später. Immer später.

Die SPD, plattgefahren wie eine Kreuzung nach drei Ampeljahren, spielt auf Sieg. Scholz, der farbloseste Kanzler seit Kiesinger, murmelt sich durch Wahlkampfveranstaltungen, zu denen nur Genossen zugelassen sind. Saskia Esken, die stille Sympathieträgerin, die niemand leiden kann, sitzt  daneben und lächelt dünn. Sie hat gelernt: Willste was gelten, mache dich selten. Ihre Social-Media-Kanäle sind so leer wie die SPD-Parteikasse – Strategie oder Resignation? Ungesehen überleben, darum geht es.

Merz, der Gefesselte

Friedrich Merz, der Mann mit den unbeugsamen Prinzipien, ist bereit, bei allem nachzugeben, ehe das überhaupt jemand gefordert hat. Der CDU-Spitzenkandidat in einer Wahl, die niemand wollte, spielt den Asketen, den Vernünftigen, den Mann, der endlich aufräumen wollte, würde er aufräumen dürfen. Es läuft die ganze Zeit auf eine Hochzeit mit der SPD hinaus und eine Regierung unter Aufsicht von Lars Klingbeil, der plötzlich der starke Mann der schwachen Partei ist. Welch ein Triumph.

Während die Volksparteien so tun, als ob, feiert die AfD ihre Verbannung. Jeder Abend, den die anderen in einem Fernsehstudio verbringen, um ihre Ratlosigkeit als Worthülsen auf die Zuschauer abzufeuern, bringt Prozente. Opposition war noch nie so einfach. Die Demos gegen rechts, eine Manifestation des medialen Volkswillen, wirken wie eine Düngergabe auf Rechtspopulismus. Die Sehnsucht ist bei vielen groß, endlich mal das Gegenteil zu wählen statt Lähmung mit Moral.

Kurz ist ein Projekt namens "Wost" im Gespräch, ausgedacht von einem Thinktank. es läuft auf Spaltung und klare Verhältnisse hinaus: Alle, die rechts von Ricarda Lang wählen, ziehen freiwillig in den Osten, alle anderen bleiben im Westen. Im neuen Osten gibt es dann Bratwurst und Meinungsfreiheit, im neuen Westen Klimaneutralität und Gendersternchen. Friedliche Koexistenz durch komplette Trennung – das wäre ein Highlight in jedem Koalitionsvertrag. Die Formulierung, schlagen die Forscher vor, könnte "regional differenzierte Transformationsgeschwindigkeit" lauten. Die Mauer fiel, damit sie 2025 als Brandmauer wiederkehren kann, errichtet aus ideologischen Betonfertigteilen.

Die verstaatlichte Zivilgesellschaft

Die Union aber ist kein festgefügter Block, sondern ein gäriger Haufen. Mit 551 Fragen konfrontiert sie die scheidende Regierung – wer genau finanziert eigentlich Campact, Correctiv, HateAid, die Amadeu-Antonio-Stiftung und die ganzen anderen Hobby-Demokratie-Retter? Und warum? Zu wessen Nutzen? 

Die Empörung ist groß, vor allem bei denen, die das Geld bekommen haben. "Frontalangriff auf Unseredemokratie!" ruft es aus der SPD, die einen Gutteil der Genossen in den NGOs als neuen öffentlichen Dienst begreift, nur ohne Tarifvertrag und mit besserer Moral. Die Drohung der CDU, die Fördertöpfe auszutrocknen, nimmt niemand wirklich ernst. Doch die staatliche finanzierte Zivilgesellschaft zeigt demonstrativ ihre Muskeln: Wer, wenn nicht sie, könnte das nächste Mal die Demos gegen rechts organisieren? Die Hakenkreuzplakate drucken, die Merz zeigen? 

Kraftprobe vor der Wahl 

Es ist eine Kraftprobe noch vor der Wahl und sie geht gut aus. Später wird nie mehr die Rede von Fragen, Kürzungen oder Prüfungen sein. Auch nicht von der heiligen Energiewende. Die Kohlekraftwerke laufen still, das Licht leuchtet. Robert Habeck, der hinter einer Maske aus aufgesetztem Optimismus schon weiß, dass ihm ein Debakel bevorsteht, übt im Märchenwald Reden,  dass früher alles besser war, als er noch den Wirtschaftsminister spielte. 

Ebenso hält es Angela Merkel, die die Basis für die große Deindustrialisierung gelegt hat, und dafür jetzt als "Angela Antifa" gefeiert wird. Mit ihr hätte es das alles nicht gegeben. Sie hat auch keine Grenze geöffnet. Sie hat alles vom Ende her gedacht., Und das ist es nun, dick und unangenehm. Tja. Die Ostdeutsche aus Hamburg hat gut Lachen, denn schon lange vor dem Wahltag ist klar, dass die neue und kleinste Große Koalition aller Zeiten im Grunde ihre vierte Amtszeit ist, nur ohne sie. 

Merz ist der neue Merkel 

Merz macht Merkel, nur schlechter, dazu muss er nicht einmal Kanzler sein. Auch sein Wahlkampf, wie der von Scholz und Habeck der Leute wegen immer im geschlossenen Saal vor handverlesenem Publikum, ist leidenschaftlich wie eine Butterdose. Dieser Mann wird die moralische Großmacht Deutschland mit Zuversicht aus der Krise führen, so viel ist sicher was ihn selbst betrifft.

Draußen im Land spaltet der Wahlkampf wie gehabt. Familien, Freundschaften, Nachbarschaften, sie alle trennen sich entlang der Glaubensbekenntnisse. Die Frage ist nicht, wer das Richtige sagt. Sondern wer es nur tut, damit die Leute auf ihn hereinfallen.

Die anstehende Wahl ist aufgeladen mit der Erwartung einer neuerlichen Rettung der Demokratie. Dass das Ergebnis auf eine Koalition hinauslaufen wird, die gemeinsam nicht mal mehr 50 Prozent der Stimmen auf sich vereint, ist ein Schönheitsfehler. Die siegreiche Große Koalition der Verlierer wird von den Grünen später als "KleiKo" verspottet werden. Doch ein Friedrich Merz als Kanzler ist für eine ausreichend große Minderheit in Deutschland noch die beste Alternative angesichts keiner Auswahl. 

Bis zum Wahltermin am 23. Februar gilt es, jeden Streit um die großen Themen zu vermeiden. Die Angst vor dem Rechtspopulismus ist wichtiger als die aufschimmernde Deindustrialisierung, vor einem Panorama aus Resignation ziehen die Wahlkämpfer durchs Land. Klingbeil kündigt an, mit Merz niemals zusammenarbeiten zu können. Merz macht klar, dass die SPD wird können müssen, will sie das Land retten. Staatspolitische Verantwortung überstrahlt selbst den anstehenden Endkampf mit den USA. 

Dass alle Parteien der Mitte sich schon wenige Wochen später diskussionslos dafür aussprechen werden, die deutschen Rüstungsausgaben nicht nur auf zwei oder drei, sondern gleich auf fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen, wird im Meinungsstreit in der heißen Phase des Wahlkampfes von keiner Seite auch nur angedeutet. 

Die Katze im Sack

Als es geschafft ist, offenbart sich Auszehrung der Parteien mit aller Macht. Die FDP verschwindet, die Linke ersteht neu aus der eigenen Asche. Die Grünen verlieren ihre führenden Repräsentanten. Weder Annalena Baerbock noch Robert Habeck haben nach der krachenden Niederlage noch Lust, sich dem notwendigen Neuaufbau in der Opposition zu widmen. Die Überlebenden der Zeitenwende entsenden die altbekannten Verhandlerinnen und Verhandler in die Koalitionsverhandlungen. Hauptsache Stabilität. Eine Regierung als Rettungsmission. Neue Erneuerungsversprechen, verbrämt mit der bekannten Symbolpolitik.

Der Neuanfang, den viele hatten wählen wollen, fällt aus. Die alte Garde von CDU, CSU und SPD scheuen disruptive Veränderungen. Die Verhältnisse müssen keine Kettensäge fürchten. Pragmatismus als Notnagel: Die absehbar bald unfinanzierbaren Renten werden als "sicher" deklariert. Sozialausgaben symbolisch gekürzt. Grenzen zeichensetzend geschlossen. Irgendwann später werden Infrastruktur und Energiepreise neu gestaltet und repariert werden. Auszuhandeln bleibt, wie beide Seiten der Regierungsbank ihre eigenen Prestigeprojekte werden durchsetzen können.

Partner statt Freunde 

Das alles geschieht vor dem Hintergrund einer Weltsicht, die nicht die wirklich existenzielle Bedrohung in den Mittelpunkt stellt, der ein Land ausgesetzt ist, wenn es sein Geschäftsmodell verloren hat. Stattdessen gelten Radikalisierung und Spaltung des Landes, verursacht durch das Gefühl vieler Menschen, dass genau das gerade passiert, als Kern der Probleme ausgegeben. Als Friedensangebot an den ehemaligen Gegner SPD, der jetzt der neue Partner ist, beendet die CDU ihren Frontalangriff auf die staatlich finanzierte Zivilgesellschaft. Die "Kleine Anfrage", mit der Friedrich Merz im Wahlkampf  551 Fragen zur Finanzierung von NGOs an die Bundesregierung gestellt hatte, verschwindet im Orkus.

Der "Angriff auf die Demokratie", als den SPD, Grüne und Linke das Auskunftsersuchen gewertet hatten, ist beendet. Die Hoffnung auf die massive Ausweitung der finanziellen Förderung und Institutionalisierung von staatlichen Initiativen mehren die Erwartungen beim neuen Typus des öffentlichen Dienstes, dass die selbsternannte Zivilgesellschaft sich weiter dem Kampf gegen wird widmen dürfen.

Die Luft ist raus 

Der Rest muss sich neu finden. Die Luft ist raus, die Sehnsucht nach Veränderung gestillt. Die neuen Ziele der Parteien, die das Land in unterschiedlichen Kombinationen miteinander genau hierhergeführt haben, an diesen Punkt der Verzweiflung, sind die alten. Die politische und gesellschaftliche Debatte endet um 18 Uhr am Wahltag. Eine neue Phase von gegenseitigen Schuldzuweisungen, laut gefeierter Symbolpolitik und nur mühsam kaschierter Ratlosigkeit beginnt. 

Die neue Regierungsmannschaft verfügt über mehr Geld als jemals eine deutsche Regierung auf Vorrat angehäuft hatte. Dass sie es restlos ausgeben, aber zugleich beklagen wird, dass es hinten und vor nicht reicht, ist das einzige, was schon vor dem Ende der Koalitionsverhandlungen feststeht.

Der Winter des Missvergnügens: 




 


1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

"Die Sehnsucht ist bei vielen groß, endlich mal das Gegenteil zu wählen statt Lähmung mit Moral."

Den Satz sollte man jedesmal im Hintergrund einblenden, wenn die Auguren sich im Talk mal wieder kopfschüttelnd über die neuesten Umfragen beugen.