Viele hatten ihn als neuen Kanzler gesehen, auf jeden Fall aber eines Tages als Finanzminister, Parteichef oder EU-Kommissionspräsidenten. Kevin Kühnert brachte alles mit. Die richtige Einstellung, das richtige Parteibuch, die scharfe Zunge, den wachen Verstand und die Kulleraugen. Als SPD-Generalsekretär war er die Idealbesetzung.
Ein junger, von keiner Begegnung mit der Wirklichkeit verdorbener Idealist, dessen Machthunger dem eines Kardinal Richelieu nicht nachstand. In der bemerkenswerten Doku "Kevin Kühnert und die SPD" zeigte der Berliner Jung sich als der Strippenzieher, der die deutlich älteren Genossen Walter Borjans und Saskia Esken an die Parteispitze lanciert, beständig rauchend und telefonierend und die so ungeschickt agierenden Sockenpuppen dirigierend.
Rückzug aus der ersten Reihe
Das Ende war brutal. Kühnert war nicht einmal 40, als ihn der beständige Leistungsdruck zwang, sich aus der ersten Reihe von Politik und Talkshowpersonal zurückzuziehen. Sein Bundestagsmandat behielt er noch, von irgendetwas muss auch der Sozialist leben. Doch Politik machen wollte er nicht mehr. "Im Moment kann nicht über mich hinauswachsen, weil ich nicht gesund bin", schrieb der 35-Jährige in einem Brief an seine Genossen.
Kevin Kühnert war entnervt, er hatte sich aufgerieben im Nahkampf mit der Basis und der Parteispitze, die den Aufsteiger dafür verantwortlich machte, dass das eben erst begonnene sozialdemokratische Jahrzehnt nach drei Jahren schon wieder zu Ende war.
Ein teilnehmender Beobachter
Ein Jahr war er verschwunden, abgesehen von sehr seltenen kurzen Wortmeldungen in seiner Rolling-Stone-Kolumne "Teilnehmende Beobachtung". Mit spitzer Feder spießte Kühnert hier die "Identitätspolitik des bayrischen Ministerpräsidenten" Söder auf. Oder er berichtete auf seine grundsympathische Art, wie er "morgens von Zeit zu Zeit den Fernseher anschalte, um mich im BR-Fernsehen von den Panoramabildern berieseln zu lassen", während die hart arbeitende Mitte draußen versucht, die schweren Zeiten zu überleben.
Augen auf bei der Berufswahl! Wer wie Kühnert einmal auf dem Karussell mitgefahren ist, das die Nomenklaturkader der Volksparteien von Fleischtopf zu Fleischtopf fährt, der schaut dem Überlebenskampf der Massen gelassen zu. Man liest "Robert Habecks viel zitiertes Interview in der Taz". Und weiß vielleicht auch nicht, wer von der Rentenreform profitiert. Aber dafür genau, dass es für einen selber auch nicht weiter wichtig ist.
Ein Treffen mit alten Freunden
Schließt sich die eine Tür, von einem selbst zugeknallt, öffnet sich eine andere, in diesem Fall eine, die der alte Kühnert-Kumpel Norbert Walter-Borjans aufgezogen haben dürfte. Der frühere SPD-Vorsitzende sitzt als "Sprecherin" (Finanzwende) dem sechsköpfigen Aufsichtsrat des Berliner Vereins Finanzwende e.V. vor. Und bei dem steigt Kevin Kühnert nach seinem Sabbatjahr jetzt ein. Was für ein großer, aber schöner Zufall!
Und wie das passt. Die Geschäftsräume der Finanzwende, eines zwar nicht gemeinnützigen, aber für fast alle Menschen engagierten Vereins mit Sitz in Schöneberg, sind gut mit dem Rad zu erreichen und die Mission der Lobbygruppe ist wichtig. Finanzwende setzt sich für ein "stabiles Finanzsystem" ein, für höhere Erbschaftssteuern und, das ist mit Blick auf Olaf Scholz ein bisschen kitzlig, für eine strenge Strafverfolgung aller Verantwortlichen, die mit den Cum-Ex-Geschäften zu tun hatten.
Beim Verein, der sich selbst mit Blick auf seine 15.000 Mitgliederinnen und Mitglieder auch "Bürgerbewegung Finanzwende" nennt, übernimmt der studierte Publizist- und Kommunikationswissenschaftler ohne Abschluss die Leitung des Themenfelds Steuern, Verteilung und Lobbyismus. Kühnert werde sich "für alternative Finanzpolitik engagieren", hieß es bei der Vorstellung des prominenten neuen Mitstreiters der Organisation, die 2018 vom ehemaligen Grünen-Finanzpolitiker Gerhard Schick gegründet worden war.
Gegen die Herrschaft ökonomischer Gesetze
Schick, ein erklärter Befürworter von noch mehr Umverteilung und entschiedenen staatlichen Eingriffen, um die Wirkung ökonomischer Gesetze im Interesse einer menschenwürdigen Ordnung zu begrenzen, zeigt mit seiner Finanzwende, wie finanzielle Wunder gelingen können. Der Verein ist absolut transparent, auch wenn er im Zuge des Einstiegs von Kevin Kühnert nicht mitgeteilt hat, ob der Mann ohne Berufsabschluss sich gegenüber seiner letzten Stellung als Bundestagsabgeordneter finanziell verbessert oder Einbußen hinnehmen muss. Alles andere aber liegt beim "effektiven Gegengewicht der Finanzlobby" offen auf dem Tisch.
Finanzwende verzichtet auf staatliche Förderung, wie sie anderen NGOs selbst von der Union mit den berühmt-berüchtigten 551 Fragen kurzzeitig unterstellt worden war. Der Verein macht sich nicht nur "für mehr Transparenz im Finanzbereich stark" (Finanzwende über Finanzwende). Die Organisation richtet "dementsprechend auch an sich selbst hohe Ansprüche".
Mammutanteil für Mammutprojekt
Weil Beiträge der Mitglieder und Spenden "mit rund 89,7 Prozent den Mammutanteil der Einnahmen" ausmachen, kann "dieses Mammutprojekt" Kevin Kühnert unabhängig und überparteilich agieren. Niemand ist sein Herr, er ist niemandes Gescherr. Selbst dem Finanzamt hat die Organisation "zugunsten unserer politischen Schlagkraft und thematischen Unabhängigkeit" den steuerrechtlichen Status der Gemeinnützigkeit zurückgegeben. Neben dem nicht mehr gemeinnützigem Verein gibt es seitdem eine gemeinnützige GmbH, an die von Gerichten verhängte Geldauflagen gezahlt werden können. Gesellschaftsrechtlich verworren, aber transparent, da kein Geheimnis.
Das liegt vielmehr in den Finanzen der Organisation verborgen, die der Jahresbericht 2024 penibel auflistet. Danach machten die Mitgliedsbeiträge von rund 13.300 Fördermitglieder mit 74 Prozent den Mammutanteil der Einnahmen aus. Weitere 15 Prozent seien Spendengelder gewesen, der Rest "Zuwendungen" und "sonstige Einnahmen", die nicht näher erklärt werden.
Am Ende ist alles weg
Insgesamt konnte die Finanzwende mit rund 2,1 Millionen Euro haushalten. Für "Kampagnen und Projekte" wurden 1,14 Millionen ausgegeben, für das "Fundraising" genannte Einwerben neuer Spenden knapp 250.000 - 80.000 weniger als an Spenden hereinkam. Das lohnt sich. Die Vereinsarbeit ließ sich der e.V. 65.000 Euro kosten, die Öffentlichkeitsarbeit mehr als 360.000 und die Verwaltung vons Janze, wie der Berliner sagt, schlug mit 290.000 Euro zu Buche. Die Einnahme-Ausgaberechnung geht genau auf. Am Ende ist alles weggewesen.
Schlank und erfolgreich, denn 2024 wuchsen die Einnahmen im Vergleich zum Vorjahr um ein Drittel. "Dadurch konnten 89,7 Prozent der Projekte aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden finanziert werden". Irritierend wirkt allerdings das Teamfoto der Engagierten, das "Geschäftsführung, unseren Aufsichtsrat, unsere Geschäftsstelle sowie unsere Fellows" zeigt.
Höchst effektiver Mitteleinsatz
35 Personen aus dem 36 Köpfe zählenden "hauptamtlich arbeitenden Team" (Finanzwende) sind zu sehen. Kevin Kühnert ist noch nicht dabei. Der höchste effiziente Einsatz der Vereinseinnahmen zeigt sich aber auch ohne den Neueinsteiger: Die Experten bei Finanzwende sind sämtlichst gut ausgebildet. Sie sind Diplom-Finanzwirtin, "Politikwissenschaftler mit einem Master in Korruption", Volkswirtschaftler mit Schwerpunkt Makroökonomie oder sie haben "Betriebswirtschaftslehre und sozial-ökologische Ökonomie in Lüneburg und Wien" studiert.
Das ins Auge fallende Problem: Würden sie alle zum deutschen Durchschnittslohn bezahlt, wären damit 1,97 Millionen Euro des 2,1 Millionen Euro umfassenden Vereinshaushalts ausgegeben. Vom kläglichen Rest müssten noch Büromiete, Nebenkosten, Fundraising, Kampagnen und Projekte finanziert werden. Ein gewöhnliches Unternehmen mit drei Dutzend Mitarbeitern hätte bei einem Durchschnittsbruttolohn von 4.000 Euro pro Angestelltem mehr als 2,4 Millionen Euro Gehaltskosten im Jahr zu stemmen. Dazu kämen natürlich weitere Kosten wie die Lohnabrechnung, die Büromiete, Heizung, Ausstattung, Technik oder Strom.
Das große Finanzwenderätsel
Es ist ein Rätsel, fast größer als das, um die Herkunft ihrer Spenden macht. "Wir haben keine einzelnen Spender*innen, die einen wesentlichen Anteil unseres Budgets tragen", heißt es.
Selbst bei 35 Mitarbeitern, die nur Mindestlohn erhalten, kann nur ein Wunder erklären, wie geschickt die Geschäftsführung ihr bisschen Geld einsetzt, obwohl doch die Süddeutsche Zeitung eben erst festgestellt hatte, dass die Deutschen generell nicht mit Geld umgehen können. Würde alle Angestellten nur mit Mindestlöhnen abgefunden, müsste der Finanzwende e.V. dafür seinen halben Jahresetat einsetzen. Für Fundraising, Vereins- und Öffentlichkeitsarbeit bliebe kaum mehr etwas übrig, geschweige denn für die Verpflichtung eines hochkarätigen Finanzexperten wie Kevin Kühnert.


1 Kommentar:
Über die Einnahmen, Ausgaben und Gehaltszahlungen dieses dubiosen, linksradikalen Ladens habe ich mir auch schon Gedanken gemacht. Ich nehme an, die Gutmenschen dort arbeiten für ein sehr, sehr geringes Gehalt, anders sind ihre Einnahmen und Ausgaben nicht zu erklären.
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