Montag, 11. Februar 2013

Fremde Federn: Matt in drei Lügen

Es gibt sie noch, die Sternstunden des Journalismus, die seltenen Momente, in denen Medien sich nicht als Chronisten des Offensichtlichen missverstehen, sondern tiefer blicken lassen, aufklären, bilden und amüsieren. Christoph Schwennicke ist beim "Cicero" ein solcher Geniestreich gelungen, und das nur unter Zuhilfenahme intimer Kenntnis des politischen Lebens in Berlin und der Akteure im Raumschiff, das da "große Politik" heißt. Schwennicke führt seine Leser durch den Abend des 22. September 2013, die Bundestagswahl ist überstanden, die Wahllokale sind geschlossen und hinter den Kulissen hat der Machtkampf begonnen. So wird es in sieben Monaten gewesen sein:


Der dunkle Audi A8 rauscht von Hamburg kommend mit Tempo 230 am Dreieck Wittstock-Dosse vorbei. „Peer, für dich. Der Donnermeyer.“ Hans-Roland Fäßler, Freund, Coach, One-Dollar-Man, reicht Steinbrück auf dem Rücksitz des Wagens das Handy rüber. 16 Uhr 37, eineinhalb Stunden, bis die Wahllokale schließen und 72 Kilometer bis zum Willy-Brandt-Haus in Berlin, wie das Navi anzeigt.

„Ja, Michael?“

Steinbrücks massiges Gesicht bekommt einen starren Zug, darin dieses Steinbrück’sche Wolfsgrinsen, das immer etwas von Lachen und Fletschen zugleich hat. Fäßler hört bruchstückhaft die Zahlen, die Donnermeyer vermeldet. „Danke, Michael, wir sehen uns gleich im WBH. Und ruf meine Frau bitte noch an, damit sich wenigstens eine freut.“ Steinbrück tapst linkisch auf Fäßlers Handy herum, bis der es ihm wegnimmt.

„Und?“, fragt Fäßler.

Steinbrück richtet sich in den Ledersitzen auf, er weiß nicht genau, was mehr dröhnt in seinem Schädel: Donnermeyers Zahlen oder der Weißwein vom andern Abend nach der letzten Kundgebung in Hamburg. Er reckt das Kinn und sagt in geschliffenem Englisch und mit verstellter Stimme: „Let us therefore brace ourselves to our duties, and so bear ourselves that, if the British Empire and its Commonwealth last for a thousand years, men will still say: ‚This was their finest hour‘.“

Es ist die Schlüsselpassage einer der drei wichtigsten Kriegsreden Winston Churchills. Steinbrück hat was übrig für den englischen Bollerkopf. Fäßler hat ihm im Frühjahr die BBC-Mitschnitte auf CD geschenkt, er hört sie im Auto, bis er sie mit aufsagen kann. We shall never surrender. Churchill hat ihm geholfen in diesen Monaten. Nicht aufgeben, weitermachen, das Gefühl von Aussichtslosigkeit abschütteln.

Michael Donnermeyer, Haudegen aus Schröders Zeiten und Steinbrücks reaktiver Legionär für den Wahlkampf, hatte dem Kandidaten eben die Trends zugerufen. 29 Prozent sagen die Befragungen an den Wahlkabinen für die SPD voraus, 12 für die Grünen. Das reicht nicht für Rot-Grün. Hinten nicht und vorne auch nicht.

Der Audi passiert den Berliner Betonbären, da, wo die Autobahn kurvig wird und man besser die Tempo-60-Schilder berücksichtigt. „Haben Sie Ihre meditative Phase?“, herrscht Steinbrück den Fahrer an. Der beschleunigt, ein roter Blitz von der Straßenseite, und Steinbrücks Fahrt ins Willy-Brandt-Haus ist hiermit auch polizeilich festgehalten. Es klingelt wieder ein Handy. „Hallo Gerhard“, sagt Steinbrück, und Fäßler versucht mitzuhören. Schröders Stimme ist so sonor, dass das sogar geht. Der Name Kipping fällt, Steinbrücks Miene verfinstert sich. „Dass gerade du mir das rätst“, sagt er. „Bis gleich im WBH.“

Oben im fünften Stock haben sich die üblichen Verdächtigen eingefunden. Auch Andrea Nahles, die Generalsekretärin, die Steinbrück im Laufe des Wahlkampfs schätzen gelernt hat, auch weil er vorher die charakterlichen Abgründe des Mannes kennengelernt hatte, in dessen Büro sich jetzt alle um den Konferenztisch versammeln. Drei Flaschen Weißwein stehen bereit, Steinbrück packt eine am Hals, als wollte er sie würgen wie eine Ente, und greift nach dem Korkenzieher. „Hoffentlich keiner unter 5 Euro“, versucht er es mit einem Witz auf eigene Kosten.

Schröder kommt rein. Steinbrück beobachtet ihn interessiert, als sähe er ihn zum ersten Mal im Leben: Mein Gott, der ist ja fast so klein wie die Willy-Statuette vor Gabriels Zimmer. Er sagt: „Good to see you, Gerd.“ Er spricht es aus wie: Görd.

Sigmar Gabriel betritt den Raum. Auch ihn betrachtet der Kandidat verwundert. Mein Gott, der Gabriel ist ja fast so breit wie der Calmund. Er sagt: „Hallo Sigmar!“

Das Vorzimmer stellt Matthias Machnig aufs Telefon, und Gabriel drückt die Lautsprechertaste. Machnig hängt in Thüringen fest, in Gotha, ausgerechnet Gotha, die Bahn, Störungen im Betriebsablauf. Er ist blockiert, aber er klingt wie meistens etwas verschwitzt. Die FDP, sagt Machnig: Bei 5 Prozent sehen die vorläufigen Prognosen die Liberalen.

Ampel? Kanzler einer Ampel? Grüne und Liberale zusammenhalten, Öko-Etatisten und Marktanbeter, Feuer und Wasser versöhnen? Steinbrück braucht dringend einen Schluck Feuerwasser.

Unten im Atrium, bei der großen Willy-Statue versammeln sich die Journalistengrüppchen vor den Fernsehern. Es geht auf 18 Uhr zu. „Mach ma’n Fernseher an“, sagt Schröder zu Nahles. Bettina Schausten ist zu sehen, das Mikro vor dem Mund, ein wichtiges Gesicht machend, redet die ZDF-Frau die letzten Sekunden weg, bevor die farbigen Türme das erste Mal an diesem Abend aufsteigen. Der rote Turm stagniert bei 28,5 Prozent. Der schwarze ragt weit über ihn hinaus. Der grüne Turm wächst und wächst und bleibt bei 12,1 Prozent. „Das reicht nicht“, sagt Gabriel und spricht aus, was alle denken. Schröder versucht es mit Optimismus. „Abwarten. Hinten sind die Enten fett.“ Den Spruch hat er mal als niedersächsische Bauernweisheit aufgeschnappt. Er passt fast immer.

Aber er stimmt nicht immer. Das weiß Schröder selbst. Just in diesem Raum schrumpfte seine Hoffnung 2005, auch wenn ihm Manfred Güllner noch auf dem Weg in die Elefantenrunde zugerufen hatte, es könne noch reichen, was ihn so aufgepeitscht hatte in der Sendung.

Jürgen Trittin ist in der Leitung. Rot-Rot-Grün, darauf will der Grüne hinaus. Steinbrück hat das Bündnis mit sich als Kanzler genauso oft ausgeschlossen wie eine Vizekanzlerschaft unter Merkel.

Gerhard Schröders Zigarre hat inzwischen den ganzen Raum in Nebel gehüllt. „Der Jürgen hat recht“, sagt er hinter seinen Schwaden.

Die Dame aus dem Vorzimmer kommt rein. Zwei Anrufer auf zwei Leitungen, wen sie durchstellen solle: Lafontaine oder Merkel?

Alle schauen auf Steinbrück, alles ist starr, als hätte ein beinkalter Wind die Szene in Eis gefroren.

„Die Merkel“, sagt Steinbrück.

Mehr ähnliche Texte gibt es im Cicero-Ausblick auf 2013

7 Kommentare:

derherold hat gesagt…

Wie, kein Bericht über den HFC ?

Ist etwa nach dem zweiten Sieg(!!) hintereinander die Polizei endlich der Wettmafia um @ppqesovic auf den Fersen ?

eulenfurz hat gesagt…

Ich hoffe, man muß die ganzen Genannten nicht kennen, auch wenn diese Unkenntnis der potentiellen Satire des Beitrages abträglich sein dürfte.

ppq hat gesagt…

wieso kein hfc? steht doch da?

derherold hat gesagt…

"wieso kein hfc? steht doch da?"

Sry, @ppq war zu produktiv; ich hatte nicht weit genug nach unten gescrolled.

PS. Schön, daß der DFB noch keine Ermittlungen aufgenommen hat !

Freiheitskultur hat gesagt…

Linktipp: Jagdwebseite mit gemeinfreien Grafiken, gegen den Ökofaschismus. http://jagdblut.de

Anonym hat gesagt…

@ Freiheitskultur: Nicht übel! Den Musel vor dem Aufbrechen erst genicken... Siehe Belagerung von Maarat an-Numannn...

FL Ralf hat gesagt…

phenomenal.