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Als "Missionar" lobt die angesehene Wochenschrift "Die Zeit" den vor aller Augen scheiternden Bundesklimawirtschaftsminister, dessen Kampagne mit #habeck4kanzler überschrieben ist.
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Er hat das Ruder herumgerissen, und das nun schon mehrfach. Als stärkste Kraft in der Ampelkoalition zieht Robert Habeck Aufmerksamkeit an wie ein Magnet, er ordnete und straffte die Wirtschaft nach dem russischen Angriff neu, stellte weite Bereiche auf Kriegswirtschaft um, ließ Flüssiggasterminals an der Küste ankern und schaffte es sogar, das in der Bevölkerung so harsch kritisierte Heizungsgesetz ohne große Änderungen durchzubringen, indem er den Zeitplan nach hinten verschob.
Neue Kampagne
Längst wird Robert Habeck für diese Konsequenz gefeiert, seit seiner Übernahme der Grünen ist auch eine neue Werbekampagne für den 55-Jährigen angelaufen. Was vorher unter der Überschrift "#habeck4kanzler" eher beiläufig betrieben wurde, hat professionelles Format bekommen. Aus der Parteizentrale kommen Kommunikationskacheln, die Habeck als den "Problemlöser" rühmen. Die Erfolgsbilanz des früheren Parteivorsitzenden sei einzigartig, denn er habe quasi im Alleingang Energiemangel, Inflation und Depression besiegt. Bots und Sockenpuppen verbreiten die frohe Botschaft. Nicht alles ist schon perfekt. Aber nicht mehr weit weg davon.
Nur oberflächlich betrachtet sprechen die Konjunkturzahlen gegen die unvergleichlichen Erfolge des Bundesklimawirtschaftsministers. Die Wirtschaft schrumpft zwar seit nunmehr zwei Jahren, Deutschland stolpert mit großen Schritten in die erste länger als zwei Jahre andauernde Rezession seiner Geschichte. Doch die Wirtschaftsflaute der Ampel zur Last legen, wie es Medienarbeiter, Experten, Politiker konkurrierender Parteien und Teile einer Öffentlichkeit tun, die sich immer weiter von demokratischen Werten abwendet, greift zu kurz.
Nur der Nagel zum Sarg
Denn es sind nicht die Pläne der Grünen zum klimagerechten Umbau der Wirtschaft, die vielen neuen bürokratischen Auflagen durch den Bund und die EU, der beständige Streit zwischen den drei Ampelparteien oder der Ausstieg aus dem fossilen Energiegebrauch, die der Industrie schaden. All diese, später von Historikern womöglich als Wagnis eingeordneten Maßnahmen, waren eventuell Fehler, begangen zur falschen Zeit, begründet durch Fehleinschätzungen und Unkenntnis.
Doch sie für den atemberaubenden Abschwung verantwortlich zu machen, den Deutschland seit Jahren erlebt, greift zu kurz. Die Basis für das in Zeitlupe ablaufenden Zusammenbruch wurde in den bleiernen Merkel-Jahren gelegt, als sich Politik, Zivilgesellschaft und Medien stillschweigend darauf geeinigt hatten, dass das Land nun fertig sei. Es müsse nie mehr nichts geändert oder erneuert werden. Das Ende der Geschichte sei erreicht und damit Zeit genug, sich um dies und das und die ganze übrige Welt zu kümmern.
Ein einzigartiges Staatswesen
Es gelang, aus Deutschland ein einzigartiges Staatswesen zu machen, in dem eine überbordende Bürokratie sich unter den Augen der regierenden Parteien und der kritischen Medien immer weitere Bereiche der Gesellschaft untertan machte. Das Land hatte keine Grenzen mehr und seine Güte kannte keine. Wer mühsam und beladen war, von Sehnsucht getrieben oder unzufrieden, der konnte kommen und er wurde mit offenen Armen aufgenommen.
Zugleich mussten die rasant wachsenden Kosten für Klimaschutz, alternde Gesellschaft, europäische Träume und in regelmäßigen Abständen zu rettende Partnerstaaten, Banken und Industriezweige von immer weniger produktiv arbeitenden Bürgerinnen und Bürgern getragen werden.
Widerspruch war feindlich
Widerspruch gab es nicht und wo er doch aufkam, bügelte ihn eine feste Front aus Demokraten, Parteisoldaten und der guten Sache verpflichteten Berichterstatter ab. Was auch immer entschieden wurde, es war richtig. Was auch liegen blieb, es lag da gut. Keine Alternativlosigkeit wurde infrage gestellt. So lästig und teuer die Meta-Bürokratie in Brüssel auch war, taugte sie doch dazu, die wirklich unbeliebten Maßnahmen zu verantworten. Wir möchten das nicht, wir müssen aber, hoben die, die zuvor in den berühmten EU-Gremien alle Entscheidungen mitgetroffen hatten, hilflos die Hände.
Hohe Steuern und umfassende Berichts- und Kontrollauflagen erstickten die Reste früherer Innovationskraft so im Vorbeigehen. Eine absurde Abgabenlast erforderte es, beständig größere Teile der Bevölkerung zu finanziell zu fördern. Wo der Staat nicht investierte, tat es schon lange niemand mehr.
Je mehr sich dieser Trend verselbständigte, desto energischer verstärkte ihn die Politik mit immer absurderen Ideen. Im Kleinen wie im Großen zog sie sich alles auf den Tisch. Aus vorgeschriebenen zwei Toiletten für die über Jahrtausende als Normmaß betrachtete Anzahl von zwei Geschlechtern wurde die Forderung, drei vorzuhalten. Während in anderen Staaten, die wie Schweden, Norwegen oder Portugal durchaus als zivilisiert gelten, stets eine Toilette für alle ausreichte. Der Applaus der veröffentlichten Meinung war ihr gewiss.
Teuer und gemütlich
Es sind diese langfristigen Trends, die nach der Rückabwicklung von Gerhard Schröders "Agenda 2010" durch die Nach-Schröder-Generation in der SPD darüber bestimmen, wie sich das ehemals stärkste Land der EU entwickelt. Bei allen aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen hat die deutsche Wirtschaft den Anschluss verpasst. Für die traditionellen Branchen mit ihren geringen Ertragsraten hingegen sind die Standortbedingungen durch teure Energie, hohe Löhne, bescheidene Bildungserfolge der nachwachsenden Generationen und die langsam wegbröckelnde Infrastruktur nicht mehr lukrativ.
Robert Habeck hat das alles geerbt. Und vom ersten Tag seiner Amtszeit dafür gesorgt, dass es immer schneller noch schlimmer wurde. Aus der Fehleinschätzung der Grünen, dass es sich bei Deutschland um einen der führenden Wirtschaftsstandorte der Welt handele und sich an dieser Tatsache niemals etwas ändern werde, erwuchs der Anspruch, mit noch mehr Bürokratie, noch mehr staatlichem Eingreifen und noch mehr politischen Auflagen eine "Transformation" von Wirtschaft und Gesellschaft Richtung Klimaneutralität und Gerechtigkeit durchzuführen.
Der gepeitschte Sattel
Das Pferd, auf dem die "Fortschrittskoalition" in die Zukunft zu reiten glaubte, ist längst fortgaloppiert. Doch unbeirrt peitschen die drei Koalitionäre den Sattel. Mindestlohn und Bürgergeld, neue CO₂-Steuern und großzügige Zustromregeln, Ticketsteuern und Trinkhalmverbot, höhere Klimakosten für die Industrie und zugleich von den Bürgern zu tragende Kosten für die Entlastung der Industrie vor zu hohen Klimakosten - mit Robert Habeck, der die Politik der Ampel in diesem, ihrem wichtigsten ideologischen Bereich verantwortet - steht die gesamte Koalition vor einem unauflöslichen Dilemma.
Je weniger die Kommandowirtschaft bewirkt, die den Umbau bewirken sollte, desto mehr Kommandowirtschaft wird gebraucht, um zumindest zu einigen vorweisbaren Erfolgen zu kommen. Plan und Kommando aber führen automatisch zu Ausweichbewegungen. Und mindern damit die Erfolge. Ein Malefiz-Spiel, aus dem der "Missionar" (Die Zeit) Habeck bisher keinen Ausweg gefunden hat, abgesehen von dem, abwechselnd die schlimme Lage zu beklagen, die Verantwortung auf frühere Regierungen zu schieben und baldige Besserung durch gute Laune zu versprechen.
Verloschene Lichter
In Zeiten, in denen die Lichter des kritischen Journalismus wie die der Vernunft nicht einmal mehr flackern, reicht das aus. Nicht dafür, den ehemals so herbeigesehnten "Ruck" (Roman Herzog) heraufzubeschwören oder auch nur einen kleinen "Wumms" (Olaf Scholz) hören zu lassen. Stimmen im politischen Berlin raunen, der Minister habe das Problem noch nicht einmal erkannt, aber immerhin sind sich Klimaminister und Kanzler zuletzt darüber einig gewesen, dass "kollektive Übellaunigkeit" (Scholz) wenig bringe, "fröhlicher Pragmatismus" es dagegen erleichtere, sich ins Unabwendbare zu fügen.
Was kann ein kleines Land mit einer Regierung, die nicht einmal mehr ein Drittel der Wähler hinter sich hat, schon tun? Robert Habeck hat sich zuletzt mehrfach als der Mann zu erkennen gegeben, ohne den es viel schlimmer stände. Er habe das Land "mehr in Fahrt gebracht als jeder andere Wirtschaftsminister vor ihm", hat er gesagt. Und darauf verwiesen, dass unter seiner Ägide noch viel mehr neue Verordnungen, Maßnahmen, Anweisungen, Gesetze und Regeln erlassen wurden als in der Vergangenheit.
Weigerung der Bürger
Dass es nicht läuft und schon gar nicht gut, liegt an Russland und Putin, an China, dem Wetter, der Opposition in der Regierung und im Parlament, an der Schuldenbremse, den USA, Israel, der in Teilen nachgewiesen rechtsextremistischen Ostpartei, an Sahra Wagenknecht und der Weigerung der Bürgerinnen und Bürger, Billionen in den klimagerechten Umbau ihrer Lebensgewohnheiten zu stecken.
"Die Ampel kann nichts für die Wirtschaftsflaute" (FR), sie selbst leidet vielmehr am meisten darunter. Ließe man sie die Schuldenbremse lockern und einfach mal sechs, sieben oder acht Prozent mehr Geld ausgeben, würde es nirgendwo mehr an nichts mangeln und keinem würde es schlechter gehen, vielen aber besser. Robert Habeck ist allem Anschein nach fest entschlossen, den Kampf ums Kanzleramt nicht aufzugeben, so lange noch eine theoretische Chance besteht, durch einen glücklichen Zufall oder ein gnädiges Schicksal auf ähnliche Weise ganz überraschend in die Funktion zu scheitern wie Olaf Scholz vor ihm.
Alles andere ist wichtiger
Dafür ist der 55-Jährige bereit, die wenigen Reste von Glaubwürdigkeit, die der Berliner Politik noch verblieben sind, zu verfeuern und seinen eigenen Ruf als verlässlicher Erklärer schwierigster Sachverhalte zu opfern. Robert Habeck hat keinen Plan, aber der ist gut: Im Wettrennen mit der SPD um den Platz an der Seite des künftigen Kanzlers Friedrich Merz zeigt der so oft als verbohrter Öko-Ideologe verkannte Ex-Grünenchef, dass ihm selbst alles wichtiger ist als das, was er als seinen politischen Auftrag vor sich herträgt.
Das Umfallen der Grünen bei der Braunkole, beim Heizungsgesetz, bei den Rüstungsexporten und bei der Zustimmung zu EU-Zuschüssen zum Bau von neuen Kernkraftwerken war nicht Ausnahme von der Regel, dass ideologiegeleitete Parteien unter allen Umständen an ihren zenralen Glaubenssätzen festhalten. Sondern das regelrechte Eingeständnis, dass auch in der ehemaligen Alternativ-Partei abseits des Strebens nach Macht und nach ihrem Erhalt keine Regel zählt.