Montag, 20. Januar 2025

Ignoriertes EU-Imperium: Trumpfest und rückgratlos

Die EU ist zerstritten, niemand kann für die gemeinschaft strechen, um Trump zu mahnen
Bedauernde Blicke: Derzeit hat Europa keinen einzigen Politiker, der Donald Trump vor seiner falschen Politik warnen könnte.

Donald Trump kommt heute ins Amt. Der 78-Jährige will bereits am Tag seiner Vereidigung Dutzende Präsidialdekrete unterzeichnen, um Wahlkampfversprechen umzusetzen. Seine Anhänger feiern die "Machtübernahme", wie es der "Spiegel" mit Verweis auf die deutsche Geschichte und Hitlers Amtsantritt augenzwinkernd nennt. In Hannover ist schon bekannt, dass die USA jetzt "am Abgrund" stehen. Spricht sich das bis zur Riege der "Rückgratlosen" (RND) herum, die den Hassprediger, Irren, Psychopathen und Faschisten jetzt hofieren, dann war es das mit Trumps Triumph.

Freude hoffentlich von kurzer Dauer

Ja, zum Glück könnte "die Freude" nach dem Dafürhalten ausgezeichneter Kenner der Lage "von kurzer Dauer sein". Noch vor dem Ablegen des Amtseides erinnerte Olaf Scholz den Amerikaner mit mahnenden Worten an die Einhaltung seiner transatlantischen Verpflichtungen - vieles daran erinnert an den aufrechten Gang, mit dem Vorgängerin Angela Merkel 2016 vor den Thron trat und dem Amerikaner unmissverständlich klarmachte, dass Deutschland als Verbündeter Bedingungen stelle,  wollten die USA weiterhin einen Platz an der Seite des wichtigsten Staates unter Brüsseler Verwaltung haben.

Es ging um gemeinsame Werte wie "Demokratie, Freiheit, den Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen – unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer Einstellung". Merkel leuchtete Trump heim, der "Horrorclown" wurde handzahm, bemüht versuchte Trump damals, sich mit einem Europa zu arrangieren, das von aufgeklärten Linken wie Merkel, Macron und Gentiloni in eine strahlende Zukunft geführt wurde.

Abgetaucht und überlebt

Macron plante damals gerade eine große Reform der erfolgreichsten Staatengemeinschaft der Weltgeschichte. Die Europäische Kommission und das Europäische Parlament waren sich einig, dass Wachstum in der EU weiterhin wichtigstes Ziel bleibe und die Beseitigung von Investitionshindernissen, Bürokratie und die "intelligentere Nutzung neuer und bestehender finanzieller Ressourcen Europa" nicht nur wohlhabend, sondern auch nachhaltig, barrierefrei und sicher machen werde. Fast unbeschadet überstanden alle 440 Millionen EU-Europäer die erste Amtszeit Trumps. 

Als Biden übernahm, war der "große Bruder" (Stern) endlich wieder da. Eine schützende Hand für einen Kontinent, in dessen Morgengebeten die Hinwendung zu Eigenverantwortung, Resilienz und Selbstbewusstsein dieselbe Rolle spielt wie der demnächst erfolgende Bürokratieabbau und die unmittelbar bevorstehende Rückkehr auf den Wachstumpfad in der politischen Folklore der Bundesregierungen aller Farben. 

Erneute Überwinterung

Die Frage ist nun aber, ob sich das Kunststück einer Überwinterung in der Stasis der Beschwörung der eigenen Bedeutung wiederholen lässt. Gefragt sind starke Stimmen aus Europa, stärkste Stimmen, wie sie nicht zuletzt die SPD  mit Katarina Barley nach Straßburg geschickt hatte. Von dort aus hatte sich die 56-Jährige zuletzt zwei Tage vor Trumps Wiederwahl warnend zu Wort gemeldet. Der Amerikaner "verachtet alles, wofür die EU steht", sagte sie damals. Um anschließend komplett von der Bildfläche zu verschwinden - vielleicht geschockt, vielleicht in eine tiefe Depression gefallen angesichts des millionenfachen Verrats der amerikanischen Wähler an den Leitgedanken der EU.

Scholz hat es versucht. Barley fällt offensichtlich aus. Welche starke Stimmen aus Europa aber gibt es noch, die "ihn" (DPA) aufhalten könnten? PPQ hat amerikanische KI-Systeme dazu befragt und eine klare und deutliche Auskunft bekommen: In einer "spannenden und herausfordernden Zeit für Europa", so die KI Aria, sei eine der stärksten Stimmen aus Europa, die in dieser Situation hervorsticht, die der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Die Deutsche habe sich als eine "bedeutende Figur etabliert, die Europa in schwierigen Zeiten zusammenhält", erst kürzlich sei ihr der renommierte Karlspreis verliehen worden, "was ihre Rolle als starke Stimme Europas unterstreicht". Die von von der Leyen eingerichtete "Trump-Task-Force" sei seit Wochen dabei, die EU trumpfest zu machen. Zum Dank dafür wurde die 66-Jährige alte und neue Führerin des vereinigten Europas nicht zu Trumps Amtseinführung eingeladen.

Der Spalter Europas

Liegt es am Wahlkampf. Liegt es am Rechtsruck, liegt es Bürokratieabbau, der im Gegensatz zum Demokratieabbau kaum vorankommt?  Die Frauen und Männer, die für mehr als 400 Europäer sprechen müssten, sind sich nicht einig. Meloni und Orban gelten als Trump-Getreue, für den deutschen Bundespräsidenten hingegen ist Trump ein "Hassprediger" und der grüne Spitzenkandidat sieht ihn dabei, "Europa zu spalten", quasi entlang der unterschiedlichen Ansichten, die es in den einzelnen Mitgliedstaaten gibt. Deutschland etwa, hat die FAZ attestiert, sei trotz von der Leyens Vorbereitungsstrategie "so verwundbar wie nie". Ungarn und Italien hingegen frohlocken. Wie knftig auch Amerika werden diese beiden Ländern von "Faschisten" (Die Zeit) regiert.

Deutschland hat nur Demokraten, eher stille Verwalter zum Wohl des Volkes wie Scholz, Wissing oder Paus. Ob Robert Habeck, der bei weitem bekannteste und erfolgreichste unter ihnen, in Übersee gehört wird, ist allerdings unklar. So gern die Stimme des scheidenden Klimawirtschaftsministers in den deutschen Medien zitiert wird - Habeck gilt als Mann, der knallhart sagt, dass er Trump nicht unterwürfig entgegentreten würde -, so sehr scheint das politische Amerika den Mann aus Heikendorf zu ignorieren. Nur ein einziges Mal schaffte es Habeck zumindest mit seinem Namen in den vergangenen sieben Tagen in ein US-Medium. Bloomberg berichtete über Habecks verzweifelte Versuche, Dieselfahrer und Wohlhabende von einer Stimmabgabe für seine Partei zu überzeugen. 

Keiner, der gehört wird

Die Zeiten, als deutsche Außenminister im Weißen Haus anriefen und ohne Nachfrage zum Präsidenten durchgestellt wurden, sind vorbei. Annalena Baerbock hat die Nummer nicht, dafür aber einen Botschafter in Washington, der mit einer öffentlich gewordenen Geheimwarnung vor Trump, die alle Belastungsmaterialien enthält, die seit neun Jahren wöchentlich im "Spiegel" stehen, auch die letzten Kabel zwischen Berlin und Washington durchgeschnitten haben dürfte.

Da sich Baerbock zudem derzeit hauptsächlich um den Nahen Osten und die nach der Bundestagswahl anstehende Verschmelzung aller gesetzlichen und privaten Krankenkassen zu einem einheitlichen medizinischen Mangelsystem kümmert, fällt auch sie aus, die beim bekennenden Macho Trump zumindest aus optischen Gründen womöglich Gehör gefunden hätte.

Merkel muss es machen

Für Grok, die vom fragwürdigen Meinungsfreiheitsverständnis des US-Milliardärs Elon Musk geprägte KI der X-Plattform, kommt am ehesten Angela Merkel infrage. "Obwohl sie nicht mehr im Amt ist, hat Angela Merkel als ehemalige deutsche Bundeskanzlerin und eine der einflussreichsten Figuren in der europäischen Politik einen bedeutenden Einfluss", stellt die Künstliche Intelligenz mit Blick auf das zur Verfügung stehende europäische Personal fest. Merkels Stimme könne "im Rahmen internationaler Dialoge und durch ihre Erfahrung in diplomatischen Angelegenheiten Gehör finden". 

Mehr zumindest als die des Franzosen Emmanuel Macron, der sich in der Vergangenheit kritisch zu Trump geäußert habe und deshalb wohl kein offenes Ohr mehr in Washington finden werde. Friedrich Merz, trotz eines rasanten Rückgangs der Umfragezahlen seiner Union zumindest vorerst noch mit den größten Chancen, nächster deutscher Kanzlerkandidat zu werden, hat schon erkennen lassen, dass er realistischerweise nicht damit rechnet, Trump von irgendetwas überzeugen oder ihn von irgendetwas abhalten zu können. 

Who is Friedrich Merz

Friedrich Merz ist in den USA vollkommen unbekannt. Seit Mitte Dezember, als die "New York Times" fragte "Who is Friedrich Merz?", hat kein großes amerikanisches Blatt mehr Notiz vom Favoriten der deutschen Wähler genommen. Statt darüber zu jammern, hat Merz entschieden, Trumps Amtsantritt zur "Chance für Europa" zu erklären. Der neue Mann im Weißen Haus biete der in sich zerstrittenen und nicht einmal in den politischen Lagern selbst von gemeinsamen Auffassungen geleiteten Union die Gelegenheit "sich stärker und autonomer aufzustellen"


Zeitenwende: Erdbeben im Elfenbeinturm

Der "Spiegel" sieht bei Donald Trump ein "Banditengesicht"
Ein "Banditengesicht" immerhin lässt sich noch entdecken. Darüber hinaus aber scheuen deutsche Medien aus Angst vor dem neuen Mann in Washington klare Bezeichnungen wie die eigentlich üblichen "Hetzer", "Rassist" und "böser Clown",

Der Hass wird ihn nicht mehr verlassen, bis er eines Tages diese Erde verlässt. In den letzten Stunden vor der Rückkehr ins Weiße Hause brach der Zorn der Medien über die im Herbst verlorene Wahlschlacht noch einmal aus. Der "Spiegel" lieferte eine "Bildanalyse", die Donald Trump "bösewichtiges" Schauen nachwies. Der "Stern" barmte verzweifelt "Wer kann ihn  jetzt noch stoppen?" n-tv sah einen "Psychopathen" ins Amt kommen. Bei der Tazn verließ Amerika "den demokratischen Sektor". Und beim ZDF warnten "renommierte Psycholog*innen" vor "den gesellschaftlichen Folgen seiner Macht".

Rückkehr des großen Bruders

Der große Bruder ist weg.
Der Elfenbeinturm, er bebte noch einmal. Als hätte es die Rückzugsgefechte der letzten Monate nicht gegeben, gaben alle noch einmal alles. War die Amtseinführung von Joe Biden vor vier Jahren noch als die "Rückkehr des großen Bruders" (Stern) gefeiert worden, der Deutschland auf dem Titelbild der Illustrierten "Stern" liebevoll bei der Hand nahm, um die Deutschen in eine strahlende Zukunft zu führen, ist jetzt wieder Angst angesagt. "Imperialismus, Autoritarismus, Egoismus" stünden bevor, denn "ab morgen leben wir in der Trump-Welt", sagte Dirk Kurbjuweit in "Spiegel" voraus.

Kurbjuweit weit genau, wie schlimm es steht. Er war es, der nach Trumps erstem Wahlsieg vor acht Jahren auf ein "Epochenjahr" zurückgeschaut und den alten, weißem Mann zum Feindbild erklärt hatte. Trump, der "Schurke unserer Zeit", ein "böser Clown", (Kurbjuweit) sei von eben diesen "alten, weißen Männern" freudig gewählt worden und habe das genutzt, um gegen die Hälfte der Bevölkerung "eine eigene Definition von Volkswillen durchzusetzen".

Böses vom Bösen

Wird es schlimm? Oder noch schlimmer?  Elmar Theveßen ahnt Böses vom Bösen. Schon Tage vor dem Tag X hatte der ZDF-Amerikakorrespondenten zumindest alle die beruhigt, die gefürchtet hatten, nach Trumps Amtseinführung könne schon am ersten Tag der Frieden ausbrechen. Die gute Nachricht: Dazu werde es nicht kommen, davon abgesehen aber drohe eine "düstere Präsidentschaft".

Die Deutschen insbesondere müssen sich wie immer "rüsten". Schon die amerikanischen Angriffe auf die besondere europäische Auslegung der Meinungsfreiheit  deuten an, was noch kommen kann. Welche Steine bleiben aufeinander? Hält wenigstens in Europa, in Deutschland, die sagenumwobene "Brandmauer", jenes unsichtbare Bauwerk, das seit seiner Erfindung im Mai 2023 zwischen denen steht, die zusammenstehen und sich "unterhaken" (Olaf Scholz), und denen, die dem "Beginn einer neuen Ära" (FR) zujubeln. 

Nach den Jahren der Stagnation

Wird der deutsche Bundespräsident sich auch diesmal unter sie mischen?  Wie wird die EU weiter gegen die "Prostitution à la Bezos und Gates" (Taz) vorgehen? Kann sich das "Establishment, also vor allem etablierte Politiker, Journalisten, aber eigentlich alle, die halbwegs arriviert sind und nicht rechts der Mitte stehen", den Trend brechen, dass eine sehr gute Politik nicht gewürdigt wird, weil der "Volksempfänger Internet" mit den Algorithmen von Elon Musk den "Erfolg des Rechtspopulismus  ermöglicht?

Die Verzweiflung in den Denkerstuben, den Parteizentralen und den dreifach vor der Wirklichkeit abgedämmten Bürokratiepalästen ist mit Händen zu greifen. Donald Trump habe "den Willen und die Wucht, die Welt zu verändern", ist Dirk Kurbjuweit überzeugt. Der neue Präsident werde sie so machen, wie sein Amerika sie seiner Meinung nach braucht, "mit einem gefügigen Kanada, einem gefügigen Mexiko, einem gefügigen Grönland, einem Panamakanal unter US-Kontrolle, einer Nato, deren europäische Mitgliedsländer entweder Unsummen in die Rüstung investieren oder schutzlos dastehen, mit einem minimalen Klimaschutz, mit einer radikalen Durchsetzung amerikanischer Geschäftsinteressen, zum Beispiel über Zölle, mit einer schrankenlosen Kommunikation in sozialen Netzwerken zum Nachteil der Schwächeren und womöglich mit einer US-Demokratie, die autoritäre Züge zeigt". 

Auf einmal "womöglich"

Das "womöglich" lässt aufhorchen, denn vor Wochen stand das noch fest. Trump sollte damals als "Diktator" agieren, nie wieder würde der 78-jährige "Faschist" (Die Zeit) Wahlen zulassen, weil er "seine Agenda unkontrollierter als in der ersten Amtszeit verfolgen wird" (Deutschlandfunk). Doch selbst der "Spiegel"-Titel, in den großen Zeiten, in denen noch richtig gegen Trump gekämpft wurde, eine Plakatwand der Niedertracht und Entmenschlichung, erscheint der "Hassprediger" (Walter Steinmeier) im gnädigen Licht vorsichtigen Verstehens. 

Trump verschlingt nicht mehr die Welt, er trägt keine Waffe, er köpft nicht die Freiheitsstatue, trägt kein Ku-Klux-Klan-Kostüm und er wird nicht als menschliche Tsunamiwelle gezeigt, die sich anschickt, Amerika wegzuspülen. Sanft und zart fast fasst ihn auch Kurbjuweit an. Dem kommenden US-Präsidenten bleiben die eigentlich üblichen Bezeichnungen als "Rassist" und "Hetzer erspart, er ist kein russischer "Doppelagent" (Spiegel) mehr und vom "Ende des Westens" nach seinem "Trump des Willens" ist schon gar nicht die Rede. Vielleicht mache er "die Welt auch hier und dort besser, trägt womöglich zu einem Frieden in der Ukraine bei", fürchtet Dirk Kurbjuweit.

Diese Zeitenwende ist, anders als die des deutschen Bundeskanzlern, vielleicht gekommen, um zu bleiben. "Es ist, als habe einer die Fenster aufgestoßen. Nach all den Jahren der Stagnation. Der geistigen, wirtschaftlichen, politischen. Den Jahren von Dumpfheit und Mief. Von Phrasengewäsch und bürokratischer Willkür. Von amtlicher Blindheit und Taubheit", hatte der Schriftsteller Stephan Heym sich am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz über das Ende einer Ära gefreut. 

Ein weitsichtiger Mann.

Sonntag, 19. Januar 2025

Verpuffte Verwarnung: Digitale Kriegserklärung

Henna Virkkunen Europas neue oberste Meinungsfreiheitsschützerin
Henna Virkkunen ist die neue starke Frau der EU für die Durchsetzung der europäischen Variante der Meinungsfreiheit im Netz. Abb: Kümram, Buntstift auf Butterbrotpapier

Der Warnschuss ist verpufft. Die große Geste hat alle Luft gelassen. Obwohl die neue EU-Digitalkommissarin Henna Virkkunen nur wenige Wochen nach Dienstantritt einen Rückzieher vom Rückzieher bei der Genehmigung von Posts von US-Milliardär Elon Musk auf seiner Plattform X gemacht hat, bleibt die erwünschte Wirkung aus.  

Nach der öffentlichen Beteuerung von Facebook-Chef Mark Zuckerberg, die Meinungsfreiheit auch gegen den Widerstand Europas wiederherstellen zu wollen, hat auch der Suchmaschinenkonzern Alphabet der EU-Kommission mitgeteilt, dass es keine Pläne gebe, sogenannte "Faktenprüfungen" in Suchergebnisse und YouTube-Videos einzubauen. Unter Berufung auf den häufig als EU-Gesetz bezeichneten Digital Service Act hatte die EU das als "Anforderung" bezeichnet, die US-Konzerne erfüllen müssten. 

Ultimatum an X

Um dem Verlangen Nachdruck zu verleihen, war das seit mehr als einem Jahr laufende Verfahren gegen die Kurznachrichtenplattform X verschärft worden - Henna Virkkunen, EU-Exekutiv-Vizepräsidentin  für technische Souveränität und Digitale- und Grenztechnologien, hatte X-Besitzer Elon Musk aufgefordert, interne Dokumente zur Verfügung zu stellen, die Auskunft über "Änderungen an Algorithmen" geben.

Sollten die Informationen bis Mitte Februar nicht herausgegeben und der Behörde Zugang zu bestimmten Programmierschnittstellen gewährt worden sein, drohte die EU dem Unternehmen mit der Verhängung einer Geldbuße in Höhe von bis zu sechs Prozent des weltweiten Jahresumsatzes.

Kommissionschefin Ursula von der Leyen folgt damit ihrer Strategie, der EU einen "Weg in eine neue digitale Welt" zu ebnen, indem die umfassenden europäischen Regeln genutzt werden, um die ausländischen Multis zu melken. Befürchtungen, dass die Kommission trotz vieler Forderungen aus der Zivil- und Mediengesellschaft vor den Tech-Konzernen einknicken könnte, hatten zuletzt Zweifel geweckt, ob das gegen den sich formierenden Widerstand aus den USA weiterhin möglich sein wird. 

Symbolische Friedensgeste

Als symbolische Friedensgeste Richtung Washington hatte von der Leyen noch vor dem Dienstbeginn der neuen Kommission den als Scharfmacher geltenden Franzosen Thierry Breton aussortiert - in der Hoffnung, dass die freien Meinungsextremisten Musk, Zuckerberg und der hinter ihnen vermutete Donald Trump sich damit beruhigen lassen und auf eine offene Kraftprobe im digitalen Raum verzichten.

Ein Irrtum. Erst nutzte der "Staatsfeind Nummer 2" (Spiegel) Elon Musk den gewährten Spielraum weit über Gebühr aus. Dann schloss sich der bis dahin handzahme Mark Zuckerburg mit einer unverblümten Kriegserklärung, in der er sich zur Behauptung verstieg, er müsse die "freie Meinungsäußerung wiederherstellen" und im Zuge dieser Restauration der Grundrechte auch die „institutionalisierte Zensur“ in der EU beenden.

Verweigerung von Google

Henna Virkkunen, ausgebildete Philosophin und Trägerin des "Energy Award" der EU-Parlamentszeitschrift, blieb in dieser Situation kaum etwas anderes übrig, als ein Zeichen zu setzen. Die Hoffnung aber zerstob, bei den Multi-Billionen-Konzerten damit ein Umdenken zu erzwingen. Weder hat X bisher auf das Ultimatum reagiert noch hat sich Zuckerberg hin zum Einlenken entschlossen. Ganz im Gegenteil: In einem Schreiben an Renate Nikolay, die stellvertretende Generaldirektorin der Abteilung für Inhalte und Technologie der Europäischen Kommission, hat nun auch noch die Alphabet-Tochter Google erklärt, die im neuen EU-"Verhaltenskodex für Desinformation" geforderte Integration von Faktenprüfungen nicht umsetzen zu wollen.

Ein demonstrativer Affront, galt doch die in Europa mehr noch als in den USA dominierende Suchmaschinenfirma bisher als willigster Partner der Gemeinschaft bei der Umsetzung von Plänen, die Verbreitung von "ungefilterten Meinungen" (Roman Poseck) zu verhindern. Jetzt aber behauptet Google, dass die Befassung von Faktencheckern "für unsere Dienste nicht angemessen oder effektiv" sei. Wie X und Facebook werde eine von Nutzern übernommene Kollektivbewertung, die immer vergangenen Jahr bei YouTube eingeführt wurde, vielleicht ausgebaut, so dass Benutzern selbst kontextbezogene Notizen zu Videos hinzufügen könnten. 

Mangel an eigener Infrastruktur

Für die Pläne der EU, die seit 2018 als "freiwillig" geltenden Schutzmaßnahmen für richtige Meinungen mit einem offiziellen Verhaltenskodex im Rahmen des DSA verpflichtend zu machen, ist das ein schrecklicher Rückschlag. Da die EU selbst über keinerlei digitale Infrastruktur wie Videoplattformen, Kurznachrichtendienste oder irgendwelche sozialen Netzwerke verfügt, sind die Hebel der Kommissare kurz, die US-Anbieter zu disziplinieren. Kaum eine Regierung in einem EU-Land wird es wagen, in einem Nahkampf mit den digitalen Giganten einen Krieg mit der eigenen Bevölkerung zu riskieren, indem sie eine Sperrung der Dienste nach brasilianischem Vorbild verfügt.


Jugendidol Trump: Der "Brat"-Präsident

Auf seinem offiziellen Präsidentenfoto stellt Donald Trump das berühmte Polizei-Bild nach, das seine Wiederwahlchancen im Sommer 2023 hatte beerdigen sollen.

Da steht er nun am Ufer, still schmunzelnd, und er schaut den politisch mausetoten Leichen seiner Gegner nach, wie langsam den Fluss hinuntertreibe. Donald Trump ist älter geworden. Der alte und neue US-Präsident hat sich gewandelt. Wo er vor acht Jahren noch polternd und krakeelend gefeiert hätte, wie sich seine eingeschworenen Feinde vor ihm in den Staub werfen, bevorzugt der 78-Jährige heute kleine, humorvolle Gesten.

Augenzwinkern statt Attacke. Ignorieren statt Diskutieren. Mit seinem neuen offiziellen Präsidentenporträt hat Donald Trump seiner Strategie ein gesicht gegeben: Unverkennbar  stellt er auf diesem Foto das berühmte Fulton County Jail Booking Photo Nummer 2313827 nach, bekannt als Trump Mugshot. Das Bild entstand im August 2023 nach Trumps Verhaftung und Einlieferung in das Gefängnis von Fulton County

Ein richtiger Bandit

Es war das erste dieser Art von einem ehemaligen Präsidenten in der Geschichte der Vereinigten Staaten und es schien damals den Sieg des wackeren demokratischen Systems über den Systemsprenger Trump zu markieren. Ein Verbrecherfoto, auf dem der "verurteilte Kriminelle" (Spiegel) mal wirklich aussieht wie ein richtiger Bandit (Spiegel)! Das Wort "Verbrechervisage" fiel kaum. Aber Trump würde auch so keine Chance mehr haben, ins Amt zurückzukehren.

Ein Irrtum, der Donald Trump heute vermutlich deutlich mehr amüsiert als es sein fest zusammengekniffenes Gesicht auf dem neuen offiziellen Porträt vermuten lässt. Aus dem Abgrund, in dem er sich im August 2023 wiederfand, in unzähligen Verfahren wegen diesem, jenem und allem anderen angeklagt, hat sich Trump nicht nur herausgearbeitet. Er tritt seine zweite Präsidentschaft auch unter völlig anderen Voraussetzungen an als seine erste.

Kein Versehen mehr

Damals war Trump ein Ausrutscher, ein Webfehler, ein Versehen, ausgelöst durch die Vernachlässigung einer rechtzeitigen und ausreichenden Aufklärung der Massen über seine üblen Absichten, faschistischen Fantasien und fürchterlichen Pläne.

Von der Amtseinführung, die als "plunderhafte Inszenierung" verhöhnt wurde, bis zu Trumps erfolgreichen Friedeninitiativen, die als durchweg als Fehlschläge  zu gelten hatten, blieb kein gutes Haar an den vier Jahren hängen. Die Welt war froh, als er verschwand und Biden übernahm. Freudig feierten die Medien ihren Anteil an der Verteidigung der Festung der Demokratie gegen die, dier sie nie richtig verstanden hatten.

Kleinlaut und unterwürfig

Dagegen wird heute alles kleinlaut und unterwürfig. Trump ist kein "Faschist" mehr, nicht der neue Hitler und nicht einmal mehr das ultimativ Böse. Nein, er hat plötzlich nur einen "schrägen Humor" (Stern), seit klar ist, dass ihn nun "niemand mehr stoppen kann" (Stern). Trump gilt auf einmal als "brat", ein Begriff, den die Rapperin Charli XCX erfunden hat und der im Verlauf der Wahlkampagne von Trumps zeitweiliger Mitbewerberin Kamala Harris durch deutsche Medien popularisiert wurde. 

"Brat" bedeutet dabei ganz offiziell, bratte Personen ganz einfach das Leben genießen und, wie es der Deutschlandfunk nennt, "ein wenig auf alles scheißen sollen". Die Botschaft laute: "Spaß haben – egal was andere über euch denken."

Ein Pionier der Bewegung

Niemand steht so für diese Haltung wie Donald Trump, der durch seine direkte, oft kontroverse Kommunikation und sein unberechenbaren und provozierendes Verhalten wie ein Pionier des "brat"-Lebensstils wirkt. War Kamala Harris eine brave Bürgersfrau, nett, lieb und aus Marketinggründen mit allen Eigenschaften versehen, die als werbewirksam angesehen werden, ist Trump das Gegenteil. Seine Art, sich zu präsentieren, ist oft grundlos selbstbewusst, aber immer unkonventionell, Trump polarisiert, er sagt lieber etwas Kontroverses, als zu schweigen und würde für einen guten Witz keine Rücksicht auf irgendeine gesellschaftliche Gruppe nehmen. 

Medial ist dem Brat-Präsidenten sein Hang zum Voluntarismus immer negativ ausgelegt worden. Obwohl er demselben elitären Milieu entstammt, aus dem nahezu die komplette aktuelle Führungsriege der westlichen Welt entweder kommt oder in das sie sich hineinsehnt, ist es Trump gelungen, sich das Image eines manchmal leichtfertigen, manchmal rebellischen, immer aber auf Kontra gebürsteten Gegenentwurfes zu den handelsüblichen Repräsentanten der westlichen Demokratien zu erhalten. 

Abrisskugel gegen Glasmurmel

Ja, er trägt dieselbe Art Anzug wie Olaf Scholz, Emmanuel Macron und Justin Trudeau. Aber seine Wirkung gleicht der dieser Art durchbürokratisierter Politikbetreibender wie die Leinwandpräsenz James Deans der Heiner Lauterbachs: Hier eine Abrisskugel. Dort die bunte Glasmurmel.

Trumps "brat"-Ästhetik kann Anzug tragen, ohne an Wirkung zu verlieren. Während Kamala Harris' Team den "brat"-Begriff nutzte, um ihre Kandidatin bei der Jugendkultur anzubiedern und die Verbindung zu einer von Wissenschaftlern ausbaldowerten demografischen Wählergruppe herzustellen, wirkt Trump selbst als Popkultur-Phänomen. 

Brat war das kleine Glück

Nur auf den ersten Blick unterscheidet sich seine öffentliche Persona von der Art, wie Popkultur und Politik "brat" definiert haben wollten. "Brat" - zu Deutsch Göre - sollte ursprünglich Teil einer gesellschaftlichen Bewegung sein, die nach einem namenlosen Fortschritt strebt und ihn in einem Gefühl von Freiheit findet. Nur das kleine Glück war inbegriffen: "lange Sommernächte mit Freundinnen, verschmiertes Make-up, ein Drink zu viel, Hauptsache Spaß". 

So sollte das bescheidene "brat"-Gefühl nach dem Kamala-Rezept aussehen. Von einer Sehnsucht nach Meinungsfreiheit, nach Selbstbestimmung, nach einem Ende von Bevormundung und immer tiefergehender Übergriffigkeit des Staates war keine Rede. Das Design der Harris-Kampagne glich der aktuelle von den Grünen betriebenen Reklame um die "Küchengespräche" mit dem Chef von  #teamhabeck: Gezielt versuchen politische Werber, kulturelle Trends zu nutzen, um ihre Kandidaten zugänglicher und sympathischer zu machen, besonders für demografischen Gruppe, die oft als schwer zu erreichen gilt.

Schlüsselworte wie "authentisch" und "echt" sind dabei zentral, weil sich die Kampagnenplaner von ihnen versprechen, über eine persönliche Zugangsebene emotional ausgleichen zu können, was Wählerinnen und Wähler womöglich intellektuell und aufgrund gemachter Erfahrungen an Vertrauen in die Kandidierenden verloren haben. 

Auch der Begriff "brat" wurde im Herbst vergangenen Jahren als eine Möglichkeit gesehen, Harris' als zugänglich und authentisch darzustellen. Der kurze, aber erheblichen Medien-Hype, allein gespeist aus einem gezielt provozierten Online-Hype, schien das sogar zu bestätigen. 

"Brat"-Erfinderin Charli XCX  gab dem Treiben ihren Segen, als sie schrieb: "kamala IS brat". Dieses Statement wurde durch Harris' Kampagne verbreitet, indem sie das ästhetische Design des Albums "Brat" für ihre sozialen Medien-Konten übernahm. Dies wiederum führte zu einer Flut von Memes und Videos, die fast 50-jährige Harris in ein "brat"-Girl verwandelten, oft mit der charakteristischen limettengrünen Farbe und Clips von Harris, die lacht und zur Musik von Charli XCX tanzt,

Die Selbsttäuschung war perfekt. Harris war "die Göre" des Sommers, eine These, die bis in konservative Blätter allen Ernstes vertreten wurde. Niemand lachte. Niemand fragte. Das Ausmaß an Selbstsuggestion hatte ein Maß erreicht, das es offenbar vollkommen unmöglich machte, Sein von Schein und Wunsch von Wirklichkeit zu unterscheiden.

Tod des Gefälligkeitsjournalismus

Bei Trump ist daraus mehr geworden. Der Ex-Präsident hat als einer der ersten Politiker erkannt, dass  weder "Bams, Bild" noch "Glotze" (Gerhard Schröder)  braucht, wer die sozialen Medien hat. Seit der Gefälligkeitsjournalismus alter Prägung  sein früheres Publikum durch den fortgesetzten Versuch verprellt hat, zahlende Kunden zu belehren und zu erziehen, funktioniert das Prinzip "gibst Du mir ein Interview, gebe ich Dir eine Plattform" nicht mehr. Und Warnungen, denen nur ja nicht zu folgen, die das beklatschen, kommen nirgendwo mehr an.

Dafür aber eine Kommunikation, die bewusst gegen die stillschweigend getroffenen Vereinbarungen der Meinungsführer*innen zu feministischer Epistemologie, Gendersternchen und Tabuthemen verstößt. Dorthin gehen, wo es weh tut, darüber sprechen, worüber alle am liebsten schweigen wollen - als   "provokante Strategie im Umgang mit seinen Konkurrent:innen" (Taz) reichte das für Trump nicht nur ins Amt, sondern auch, um jüngere Wähler insbesondere aus der Generation Z von sich zu überzeugen.

Samstag, 18. Januar 2025

Zitate zur Zeit: Der Frieden wird fürchterlich

Elmar Theveßen, Amerika-Experte und US-Korrespondent des ZDF,

Die gute Nachricht ist, es wird nicht am ersten Tag schon der Frieden ausbrechen. 

Elmar Theveßen, Amerika-Experte und US-Korrespondent des ZDF, ist optimistisch, dass Trump lange brauchen wird, den Krieg in der Ukraine zu beenden

Bachstelzen-Sinfonie: Der Sisyphos von Schleswig

Robert Habecks neues Buch empfiehlt nicht, wie die Lachse zum Sterben gegen den Strom  zu schwimmen. Vielmehr ist die Bachstelze Vorbild, die stolz ausschreitet und mit dem Schwanz wippt. Abb: Kümram, Blasserfarben


Für die meisten wäre die Aufgabe groß genug gewesen. Eine Wirtschaft führen, die immerhin die drittgrößte der Welt ist, und nicht irgendwohin, sondern im Eiltempo durch den größten Umbau, den sie seit mehr als 100 Jahren erlebt hat, damit das Klima gerettet werden kann. Und es war ja nicht nur die Wirtschaft! Parallel stand die Aufgabe, Millionen Menschen zum Umbau ihrer Heizungskeller zu bewegen, Wohlstandsverluste zu verhindern und Ersatz für die Energielieferungen zu besorgen, die nicht mehr aus Russland kommen konnten.

Unter der Last der Verwantwortung

Aufgaben, die für viele kaum zu bewältigen gewesen wären. Manchen hätte die Last der Verantwortung für das Schicksal von Millionen niedergedrückt. Andere der Mangel an ausreichend Zeit frustriert, so viele wichtige Themen zu verstehen, zu durchdringen und über sie so zu entscheiden, dass das Land vor dem Absturz bewahrt und vor dem Untergang geschützt wird. Das weite Feld, das ein deutscher Wirtschaftsminister beackert, der zudem auch noch die Klimapolitik verantworten muss, zieht sich bis zum Horizont und weit darüber hinaus. Allein, diese Flächen abzuschreiten, erfordert die Kraft eines Leistungssportlers. Sie zu beherrschen, nach dem eigenen Plan zu bestellen und auf ihnen zu ernten, was blüht und grünt, dazu muss ein Mann ein Gigant sein.

So ein Mann ist dieser Robert Habeck. Der 55-Jährige aus Heikendorf in Schleswig-Holstein bewältigt  als Klima- und Wirtschaftsminister seit Jahren ein ganz anderes Pensum als gewöhnliche Menschen. In den Monaten des Jahres 2024, in denen sich die Krise immer mehr zuspitzte, blieb er ruhig und gelassen.

Standhalten im Sturm

Als selbst die treuesten Begleiter in den Medien begannen, von einer Rezession zu raunen, hielt er stand. Als mancher langjährige Freund und Fan ob der Vielzahl gescheiterter großer Pläne verzagte, strahlte er Zuversicht aus. Und als selbst die von der Regierung beauftragten Wirtschaftsforscher nur noch vorsichtig umschrieben, dass sie schwarz sehen, rief er nach mehr Optimismus. Zwischen dem Zusammenbruch der Regierung und der Anarchie, zwischen Kapitulation und Fortschritt stand oft nur einer. Eine Brandmauer aus einem Mann: Robert Habeck.

Was viele nicht wussten: In diesen Tagen schwerer Entscheidungen hatte Robert Habeck aber bei weitem nicht dafür zu sorgen, dass der grüne Stahl nicht ausgeht und die Erdgasnetze zurückgebaut werden. Nebenher musste der frühere grüne Parteivorsitzende vom Sommer an auch noch umfangreiche Manöver planen, um die Führung seiner Partei umzubauen. 

Die Partei auf Linie bringen

Die beiden bis dahin neben ihm agierenden Parteichefs Omid Nouripour und Ricarda Lang wurden nach den verloren gegangenen Landtagswahlen im Herbst ausgetauscht. Habeck besetzte die offenen Stellen mit handverlesenen Getreuen. Seine Konkurrentin Annalena Baerbock zog ihren Anspruch auf die Kanzlerkandidatenwürde zurück. Seitdem herrscht Habeck in seiner Partei unumschränkt, er hat sie zum Team Habeck gemacht, eine schlanke, scharfe Waffe, die er führt wie ein Rōninmeister aus der Niten-Ichiryū-Schule.

Es mutet fast unmöglich an, aber es ist doch wahr. Während all das geschah, fand Robert Habeck in sich noch die Kraft und in seinem übervollen Terminkalender noch die Zeit und die Gelegenheit, ein ganzes Buch zu schreiben. "Den Bach rauf" heißt das Werk, das die alte Tradition grüner Kanzlerkandidierender fortschreibt, im Wahlkampf in einem Grundsatzwerk zu erklären, wie man "Deutschland verändern will und worauf es ankommt, wenn wir es in eine gute Zukunft führen möchten". Habecks Titelbild mutet im ersten Augenblick schräg an: Wer den Bach hinaufschwimmt, dem kommt das Wasser entgegen, er ist gegen den Strom unterwegs, muss sich gegen die Strömung stemmen, gegen Zeitgeist und Mehrheitsmeinung. 

Ausgelaufene Sympathiewelle

Genau dort aber sieht sich Robert Habeck. Der studierte Philosoph hat erkannt, dass die Welle der Sympathie, die ihn und seine Partei vor drei Jahren ins Amt spülte, ausgelaufen ist. Die vielen fleißigen  Vorfeldorganisationen, denen die Grünen ihren Aufstieg zur Macht verdanken, sind weg: Die Letzte Generation aufgelöst, Fridays for Future besteht nur noch aus drei, vier bekannten Fernsehgesichtern, die Klimapropaganda als Kleingewerbe betreiben. Die Grünen verzeichnen zwar einen Ansturm von jungen, neuen Mitgliedern. Aber das tut die Linke auch und die steht nach jahrelangen Wahlniederlagen und einer Verwandlung von der Kümmererpartei im Osten zu einer westdeutsch dominierten Sekte vor dem endgültigen Aus.

Eine bedrohliche Situation, in der Robert Habeck gerade recht kommt, um Trost zu spenden, den Kurs zu bestimmen und den "Mut" (Habeck) wiederzufinden. Das höhnische Bild vom Mann, der sich jesusgleich übers Wasser gehen sieht, ist in manchen Medien benutzt worden. Doch es ist falsch. Die schmalen 144 Seiten, die Robert Habeck im Urlaub zu Papier gebracht hat, beschreiben einen anderen Plan. 

Gegen den Strom stelzen

Habeck weiß, wie mühsam es ist, gegen den Strom zu schwimmen. Man wird nicht mehr überall nur gelobt. Man wird nicht mehr als Heilsbringer gerühmt. Man wird nicht mehr eingeladen, um seine Sprüche zu klopfen. Man wird nicht mehr gewählt. 

"Den Bach rauf" soll es im Stil der Bachstelze (Motacilla alba) gehen: Schreitend, mit weit ausgreifenden Schritten, die von rhythmischen Kopfbewegungen und einem flachen Schwanzwippen begleitet werden. Dort oben auf dem Berg kommen alle, die folgen, endlich an der Quelle und dort wird Robert Habeck sie selbst erwarten, aus den Quellen der eigenen Weisheit schöpften und den Durst der Massen stillend.

"Robert Habeck will das schaffen", schreibt die FAZ. Der Kanzlerkandidat der Grünen hat erkannt, dass "die Zeiten sehr anspruchsvoll" sind und "von vielen viel fordern", die Nachrichten seien "oft schlecht" klagt er, und "die Aussichten nicht besser". Zeit, über "Perspektiven" zu sprechen, über Hoffnung und  Zuversicht. Robert Habeck analysiert, dass "wirtschaftliche Prosperität die Voraussetzung von Freiheit ist", nicht umgekehrt!, dass er vorhat, die soziale Marktwirtschaft zu erneuern und - so viel Zeit muss sein - auch die "Fundamente der Gesellschaft" zu stärken gedenkt. 

Die Bachstelze kennt kein Verzagen

Habeck weiß genau, "was das Land stark gemacht hat und was wir wieder brauchen, um die Mutlosigkeit zu überwinden, die Gesellschaft zu versöhnen und wieder nach vorn zu schauen". Die Bachstelze etwa kennt keine Verzagtheit, kein Stillstehen und Abwarten. Sondern nur wenig oder mehr Schwanzwippen. Bei raschen Bewegungen, nach dem Landen, dem Anhalten aus dem Laufen heraus oder beim Aufpicken von Nahrung ist das Schwanzwippen heftiger. Vor dem Abflug oder bei einem schnellen Übergang von der Landung zur laufenden Fortbewegung unterbleibt es kurz - in genau diesem Augenblick sieht der grüne Kanzlerkandidat sich und das Land.

"Wir können den Bach raufgehen", sagt er, spricht einmal mehr für alle und erinnert die Gesellschaft daran, dass Lachse diesen Weg nicht nur zum Laichen., sondern auch zum Sterben nehmen. Habecks  im wahrsten Sinne wegweisendes Werk klingt nur wenig wie die Bergpredigt, viel mehr wie ein Produkt einer Selbstvergewisserung. Die Bachpredigt ist auch ein Gebet an sich selbst, geleitet von einer Ideologie, die davon ausgeht, dass der, der das richtige glaubt, anderen Bescheid sagen kann, ohne selbst Bescheid zu wissen. 

Suchender mit Strubbelhaaren

Robert Habeck zeigt sich hier einmal mehr selbst als Suchender. Das ist eine der Posen, von denen die grünen Wahlkampagnenplaner sicher wissen, dass sie stets Wähler von Habeck zu überzeugen weiß, die vielleicht mit seinen politischen Erfolgen nicht einverstanden sind, aber die grüblerische Kunstfigur mit den Strubbelhaaren gut finden. 

Klar nach der Lektüre des schmalen Bändchens, das sofort an die Spitze der Bücherhitparaden stürmte, dass Robert Habeck etwas von Marktwirtschaft versteht - und zwar weit mehr als so manche frühere Kanzlerin. So war etwa Angela Merkel wegen des als horrend empfundenen Preises ihrer wuchtigen Autobiografie "Freiheit" schwer in die Kritik geraten. In Zeiten knapper Kassen könnten sich gerade die Ärmeren und Abgehängten kein Buch leisten, das 42 Euro koste, hieß es. Merkel musste sich gar vorwerfen lassen, jetzt Millionärin zu werden, auf Kosten der Ostdeutschen, der Migranten, die für Minilöhne schuften, und auf die Knochen Alleinerziehender.

Marktwirtschaft kann er auch

Habecks stellt es klüger an: Die 18 Euro, die er für seine 144 Seiten aufruft, wirken taschengeldfreundlich und vermochten es in der Tat, die gesamte Medienlandschaft zu täuschen. Niemand übte Kritik an Habecks Preispolitik. Niemand wies auf den inflationstreibenden Einfluss eines Buches hin, das mit elf Cent pro Seite fast doppelt so teuer ist wie Angela Merkels Großwerk (0,057 Cent): Wäre Habecks Nachwanderung so dick wie Merkels Vermächtnis, müssten Leser 92 Euro auf den Tisch legen, um es ihrer Sammlung maßgeblicher Politikerbücher einzuverleiben.

Ganz ohne Kritik kommt aber auch Robert Habeck nicht davon. Schnell war im politischen Berlin, jener mit Neid und populistischer Politikverachtung (Daniel Günther) abgefüllten Blase, die böse Parole im Umlauf, man müsse doch mal fragen, wann Robert Habeck mitten in Deutschlands größter Wirtschaftskrise auch noch ein Buch haben schreiben können. Hätte er nicht genug zu tun gehabt, die Wirtschaft vor dem Absturz zu retten? Die Menschen vor drohenden Entlassungen? Die Firmen vor erzwungenen Schließungen? 

Etwas anderes tun kann er gar nicht

Alle diese Beschuldigungen hat der Wirtschaftsminister souverän ins Leere laufen lassen. Er gibt zu, während seiner Tage des Kampfes mit dem Manuskript, für ihn gleichbedeutend mit der schweren Zeit, die Moses in der Wüste verbrachte, auch ans Aufgeben gedacht zu haben. Die Politik aufgeben, etwas anderes zu tun als Wirtschaftsminister zu sein, für einige Momente schien ihm das wohl verlockend. 

Bis ihm dann selbst auffiel, dass es das ist, was er die ganze Zeit schon macht.

Freitag, 17. Januar 2025

Statt Volksherrschaft: Das steckt hinter "Unsere Demokratie"

schnöde "Volksherrschaft"
"Unsere Demokratie" boomt, seitdem immer mehr Gruppen Anspruch auf den Besitz der früheren Volksherrschaft anmelden.


Kandidat für das Unwort des Jahres? Oder das Wort des Jahres? Platte Parole oder Enteignungsversuch? Dumpfe Propaganda oder Fake News? Mit Beginn des Wahlkampfes wird die Demokratie als Magd missbraucht, um den Weg zur Macht zu ebnen. Als Totschlagwort ist sie zugleich günstig und unbezahlbar, ein Trendbegriff, den jeder nutzen und ausnutzten kann

Demokratie als Interpretation

Demokratie ist reine Interpretation. Stets ist der, dem sie nutzt, der Meinung, so sei sie gut und richtig. Und der, der sie gern nutzen möchten, beklagt vehement, wie eingeschränkt sie sei. Im Streit darum, wessen Blickwinkel der richtige ist, geht häufig das Großem und Ganze verloren. Sowohl die Kräfte, die die Demokratie nutzbringend für sich selbst umbauen möchten, als auch die des Verharrens in alten Politikmustern behaupten dann irritierenderweise, sie seien es, die für die einzig wahre Auslegung des Glaubens stünden. 

Das Publikum kann häufig kaum folgen. Ist es nun gut, wenn die Meinungsfreiheit durch vom Staat beauftragte Prüfer eingehegt wird? Sollten Wählerinnen und Wähler, die der falschen Partei eine Stimme gegeben haben, dadurch bestraft werden, dass ihre Abgeordneten hinter eine Brandmauer gesteckt werden? Müssen sich Politiker, die über Jahre und Jahrzehnte regiert haben, die Ergebnisse ihrer Tätigkeit zurechnen lassen?

Oder sollte nicht wie im Film "Und täglich grüßt das Murmeltier" zumindest für einige wichtige Protagonisten gelten, was als Abwehrrecht des Kanzlers in den Cum-Ex-Ermittlungen so gut funktioniert hat: Heute ist der erste Tag unseres Lebens. Frisch auf, ans Werk!

Nicht nur "Wir", sondern "unsere"

Es war der grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck, dessen kluge Kampagne nicht mehr nur auf das ewige "Wir" als Abgrenzung vom "Euch" setzte. Stattdessen erweiterte der amtierende letzte Vizekanzler der Fußgängerampel-Koalition die Umschreibung auf das besitzergreifende "unsere" und wählte als dazugehöriges Substantiv gleich die komplette "Demokratie".

Die heißt seitdem bei ihm nur "unsere Demokratie", ein erweiterter Rückgriff auf Walter Ulbricht, der "unsere Jugend" umarmte, bis sie nicht mehr atmen konnte. "Unsere Demokratie" bedeutet eine, in der der Besitzer bestimmt, was dazugehört: Versuche, einen Parteitag mit Blockaden zu verhindern? Ja, Versuche, einen Politiker mit Blockaden am Verlassen einer Fähre zu hindern? Nein. Online-Schmähungen? Niemals. Illegale Werbeaktionen mit einem "piratigen" Charakter? Als "gewisse Provokation" auf jeden Fall. Ausländische Einmischung in den deutschen Wahlkampf? Kommt drauf an. Die Rückabwicklung von Wahlen? Je nach Ergebnis.

Zum Eigentum erklärt

"Unsere Demokratie" ist transparent und unmissverständlich. Unsere Demokratie, das sind unsere Werte, unsere Werte sind unsere Demokratie, ist unsere Freiheit und unser Grundgesetz. Was den einen gehört, kann den anderen nicht mehr gehören. Die Demokratie, die bisher alles gehörte, im Grunde ein Volkseigentum, wird nun von allen reklamiert.

Joe Biden tut es  und ein  "Focus-Experte", politische Parteien und nie gehörte Radiosender, die Aktionisten, die jedes Problem in der Welt mit einer Petition lösen wollen, sind selbstverständlich dabei. Die ARD sowieso, die Kirchenfürsten unbedingt, die Beamten und die Sozialisten natürlich ganz vorn, wobei sich oder mancher fragt, ob "unsere Demokratie demokratisch genug" ist oder nicht vielleicht doch eher zu sehr.

Die Demokratie duldet die Besitzergreifung still, nie hat sie sich gegen Einvernahme gewehrt. Egal, wer sie für sich reklamiert und für seine Zwecke einzuspannen versucht, sie fügt sich. Seit Kurt A. Körber, erst als NSDAP-Mitglied und Technischer Direktor der Universelle-Werke J. C. Müller & Co. ein wichtiger Rüstungsmanager im Dritten Reich und später ein großer Freund und Förderer des SPD-Bundeskanzlers Helmut Schmidt, "unsere Demokratie" als Überschrift entdeckte, "um gute Lösungen für ein besseres Miteinander zu finden, Herausforderungen vor Ort zu meistern und die Demokratie mit Leben zu füllen", ist der Begriff in die politische Alltagssprache gesickert.

Der Sieg ist unser

Und zugleich ist die Demokratie, seit sie "unsere" geworden ist, höchst bedroht. Oligarchen bedrohen "unsere Demokratie". Der rechte Rand tut es, die Mitte, die Uneinsichtigen und die Reichen. Von Meinungsfreiheit bis Pazifismus, Putin bis Ostdeutschland ist "unsere Demokratie" von Feinden umgeben, gegen die sie geschützt werden muss. "Unsere Demokratie" hat aber auch Freunde und sogar bei X zwölf Follower. Mit mehr fing Jesus auch nicht an. Dazu kommen Kandidaten aller Parteien, mit dem Philosophen des politischen Berlin an der Spitze, der schon in seinem vorvorletzten Buch deutlich gemacht hatte,  "warum unsere Demokratie eine offene und vielfältige Sprache braucht".

Seitdem ist alles noch schlimmer geworden und "unsere Demokratie steht unter Druck" (Habeck), ja, sie wird sogar "angegriffen" (Olaf Scholz), denn "wir sind im Umgang mit den Feinden unserer Demokratie einfach nicht konsequent genug" (Friedrich Merz). Das "unser" vor dem "Demokratie", das früher einmal schnöde "Volksherrschaft" bedeutete, also gar kein besitzanzeigendes Adjektiv vertrug, zeigt heute den Anspruch einer Gruppe auf den Besitztitel an der Mehrheitsherrschaft an. Wer "unsere Demokratie" sagt, beansprucht das Eigentum an der Demokratie, er identifiziert sich als Angehörigen einer Gruppe an, der die Demokratie gehört. 

Die Folge ist naheliegend: Je häufiger "unsere Demokratie" bemüht wird, desto öfter heißt es, "unsere Demokratie" müsse "verteidigt" werden.


Letzte Chance für die EU: Darum muss Europa TikTok kaufen

Auch der noch amtierende Bundeskanzler ist stolz auf seinen TikTok-Kanal, mit dem er nach Auffassung von Experten täglich europäische Datenschutzvorschrtiften bricht.

Vor zwei Jahren öffnete sich schon einmal ein Startfenster. Twitter, wirtschaftlich schwer in Bedrängnis und als übles Hassportal verschrien, suchte Hilfe. Und fand sie leider nur in Elon Musk, der die Gelegenheit ergriff und seinem Firmenimperium ein einflussreiches soziales Netzwerk einverleibte. Alles ging ganz schnell, die Aktion wurde begleitet von Gelächter. Ehe in Europa klar wurde, was für eine Chance in einem Kauf gelegen hätte, war das Kurznachrichtenportal schon weg - gekauft mit Geldern, die nicht nur von Musk, sondern auch von einigen arabischen Blutprinzen und anderen Tech-Milliardären aufgebracht worden waren.

Abgehängt und aussortiert

Die EU blieb, was sie gewesen war. Ein ganzer Kontinent ohne moderne Großunternehmen. Eine prekäre High-Tech-Mangelwirtschaft, deren 440 Millionen Insassen gezwungen sind, ihre öffentlichen Debatten über amerikanische oder chinesischen Plattformen zu führen. 

PPQ-Techexpertin Svenja Prantl zeigt einen Weg, wie sich die EU aus der digitalen Abhängigkeit von den Regimen in den USA und China befreien kann.

Prantl empfiehlt der EU, TikTok zu kaufen.
Eine problematische Sachlage, wie der aktuelle Streit zwischen den Kommissaren in Brüssel, den Ministern in Berlin und den Social-Media-Milliardären zeigt. Gerade noch hatte die Kommission angekündigt, ihre Regeln zum erweiterten Meinungsfreiheitsschutz auch gegen die Partner aus den USA durchsetzen zu wollen.  Ein deutscher Minister brachte Sanktionen ins Spiel, sollten die Wertepartner auf der anderen Seite des Atlantik versuchen, ihre Definition von unveräußerlichen Grundrechten auch diesseits durchzusetzen.

Im lecken Boot zurückrudern

Doch das Boot zur großen Fahrt war noch nicht im Wasser, das musste Brüssel schon zurückrudern. Klar ist seitdem nicht nur der grünen Wahlkampfleitung, dass die EU ein eigenes soziales Netzwerk braucht, eine saubere, von verbeamteten Meinungshütern kontrolliere Alternative. Klar ist das auch einer Öffentlichkeit geworden, die es leid ist, ungefilterte Meinungen ertragen zu müssen. Schon in den Stunden des Großangriffs von Elon Musk und Alice Weidel auf die demokratisch verfassten Gesellschaften in der EU wurden Stimmen laut, die ein eigenes X für die EU forderten.  

Da ein großangelegter Versuch, mit  "EU Voice" und "EU Video"  entsprechende Alternativen aus dem Boden zu stampfen,  in der Vergangenheit schon einmal tragisch gescheitert war und eine Enteignung von X und Facebook vermutlich zum Auftauchen von US-Flugzeugträgern vor Hamburg führen würde, sind frische Ideen gefragt, wie Europa schnell zu einem DSA-konformen und mit den Grundregeln der eingeschränkten Meinungsfreiheit kongruenten eigenen sozialen Netzwerk kommt.

Öffentlich-rechtliches X

Die etwa bei den Grünen geplante Gründung einer neuen öffentlich-rechtlichen Anstalt mit kostspieligen Intendantenkompanien, Social-Media-Räten, riesigen Glaspalästen für die Serverfarmen und Aufsichtsbeamten würde zu lange dauern. In Zeiten knapper Kassen und eines weitverbreiteten Unmuts über den Rundfunkbeitrag erscheint es zudem fast ausgeschlossen, dass über einen - dem Modell bei den Krankenkassen vergleichen - Zusatzbeitrag genug Geld eingespielt wird, um eine neue kostspielige digitale Infrastruktur auf die Beine zustellen.

In den Sternen stünde auch, ob sich geplante Anmeldemodell mit digitalem neuen Personalausweis oder elektronischer Patientenakte ausreichend rasch umsetzen ließen, um die gesellschaftliche Debatte sauber und zweckdienlich zu halten. Es bestünde die Gefahr, davor hat der hessische Innenminister Roman Poeseck gewarnt, dass wieder "ungefilterte Meinungen" sich Gehör verschaffen. 

Zwar stünde nach den Worten des CDU-Politikers das Landesamt für Verfassungsschutz Hessen mit einer eigens geschaffenen "spezielle temporäre Organisationsstruktur" bereit. Eine eigens eingerichtete Sonderauswertungseinheit bündele Erkenntnisse aus den Bereichen Spionageabwehr und Extremismus im Zusammenhang mit der Bundestagswahl und bereitet diese für zuständige Stellen in Hessen, aber auch für den bundesweiten Austausch auf. Doch reicht das, um ausreichend auszusieben? 

Gegen enthemmte Milliardäre

Ein günstiger Umstand erspart Europa weiteres Nachdenken über Wege zu einer digitalen Resilienz, die auch den Einflüsterungen von normalen Menschen widersteht, die ohne Reichweiterführerschein senden, was ihnen in den Kopf kommt. Denn ausgerechnet jetzt, im Moment der akutesten Bedrohung der engen europäischen Art von freier Meinungsäußerung durch enthemmte US-Milliardäre, ergibt sich eine wohl einmalige letzte Chance, ein fertiges, funktionierendes soziales Netzwerk für kleines Geld zu übernehmen. 

Es ist zudem das jüngste, das fresheste, das mit dem halbwüchsigen Publikum und mit den angesagtesten Influencern. Eine Jahrhundertgelegenheit für die EU, die so oft als lahm, verknöchert und als in einem unvorstellbaren Maße abgehoben kritisiert wird. Es ist das chinesische Kurzvideoportal TikTok, das im Augenblick zu haben ist. 

Den Milliardären wegschnappen

Die US-Tochter der chinesischen Firma Bytedance steht zum Verkauf, weil die US-Regierung das Regime in Peking verdächtigt, über die Algorithmen der Plattform Einfluss auf die amerikanische Gesellschaft nehmen zu können. Eine Fähigkeit also, die genau dem entspricht, was EU-Kommission, Bundesregierung und politische Akteure als Aufgabe eines sozialen Netzwerkes ansehen. Zwar würde der Kauf wohl "hunderte Milliarden Dollar" (Heise.de) kosten. Doch für 440 Millionen Europäer ist die Finanzierung leicht zu stemmen: 1.000 Euro pro Person, kreditfinanziert als Sondervermögen für digitale Unabhängigkeit, und kein anderer Bieter wird mithalten können.

Für die digitale Öffentlichkeit in Europa wäre es ein Quantensprung. Heute schon ist TikTok bei deutschen Politikern, bei Kirchen, Institutionen, aber auch bei Aktivisten, Medien und Organisationen   weitaus beliebter als die Hassplattform X. Vom Kanzler bis zur Linkspopulistin und von Behörden bis zu anerkannten Adressen für Hass und Hetze sind bereits viele Akteure beim chinesischen Spionageportal vertreten. 

Strikt ignoriertes EU-Recht

Dabei müssen der Kanzler und Kanzlerkandidaten derzeit noch mehr als nur ein Auge zudrücken, was die europäischen Vorschriften für den Datenschutz betrifft. Leider fließen sämtliche Nutzerinformationen, die bei TikTok anfallen, nach China, ohne dass die EU mit dem kommunistischen Großreich wenigstens wie mit den USA ein symbolisches Datenschutzabkommen geschlossen hat. Bekannt ist, dass die Gesetze in China es den dortigen Behörden erlauben,  in jeder gewünschten Weise auf Nutzerdaten zuzugreifen die sich in den Datenbanken der großen chinesischen Internetfirmen finden. Transparenzberichte belegen, dass solche behördlichen Zugriffe in der Praxis erfolgen.

Außer der Form halber Gespräche mit über einen "neuen Mechanismus für den grenzüberschreitenden Datenaustausch" zu führen, schaut die EU-Kommission dem rechtswidrigen Treiben seit Jahren tatenlos zu. Mit den USA wurden währenddessen drei Verträge mit Fantasienamen wie "Privacy Shield" verhandelt und abgeschlossen, ehe sie jeweils von Gerichten als unzureichend verworfen werden mussten. So weit kam es mit China nie, hier setzt die EU ganz auf Anarchie. 

Widerspruch zum eigenen Recht

Das widerspricht den EU-Vorgaben zum Schutz der Daten der Bürgerinnen und Bürger, nach denen eine Übermittlung an Drittländer nur zulässig ist, wenn die Bedingungen der Datenverarbeitung dort den europäischen Vorschriften entspricht. Diese bisher strikt ignorierte Auflage aus Art. 44 Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) könnte durch einen Kauf von TikTok durch die EU endlich umgesetzt werden. Damit würde auch das massenhafte rechtswidrige Handelns verantwortlicher Politiker und Organisationen schlagartig beendet. Und die paar wenigen Bedenken, die die Datenschutz-NGO Noyb jetzt öffentlich formuliert hat, könnten beseitegewischt werden.

Win-Win. Die Regierung in Peking tut sich schwer, TikTok an einen amerikansichen Bieter abzugeben. Ein möglicher Verkauf des US-Geschäfts der Videoplattform an Elon Musk, über den die Finanznachrichtenagentur Bloomberg spekuliert hatte, um auf den Busch zu klopfen, wurde eilig als "reine Fiktion" dementiert. Die EU könnte folglich noch als weißer Ritter einreiten: Ihr traut Peking mehr, denn sie gilt in Fernost als kranker, sterbender Riese, dessen führende Politiker das Wort "Algorithmen" zwar aussprechen können, aber keinerlei Vorstellung haben, worum es sich dabei handelt. 

Keine Gefahr für Vormacht

Gelten die USA als Konkurrent, spielt die EU in Chnia nur als Absatzmarkt noch eine Rolle. Das Schicksal von TikTok in die Hände etwa der EU-Kommission zu legen, würde zudem bedeuten, dass das Netzwerk jegliche Vitalität und Relevanz binnen weniger Jahre verlieren würde. Die Kommission könnte sich dafür auf die Schulter klopfen, der Wertegemeinschaft endlich einen bedeutsamen globalen Marktanteil in der Social-Media-Branche gesichert zu haben - etwas in Deutschland, wo die schrille App von 20 Millionen Menschen benutzt wird. 

Dennoch gäbe es keine Bedrohung der Vormacht von US-Firmen und chinesischen Plattformen bei der digitalen Kommunikation und dem Austausch von Informationen, denn zweifellos würde es der Kommission gelingen, durch strengste Datenschutzauflagen und rigorose Meinungsaufsicht jedes bisschen Leben bei TikTok abzutöten. Damit wäre der Datenschutz für europäische Nutzer verbessert und die Kontrolle über sämtliche Einträge läge direkt bei den von der EU beauftragten Aufsichtsbehörden. 

Die letzte Chance

Die hätten sogar die Möglichkeit TikToks Algorithmus, der für personalisierte Inhalte sorgt, gezielt dahingehend weiterzuentwickeln, dass gezielt ausschließlich Inhalte gefördert werden, die europäische Werte und Kultur stärken. Die Zeit drängt jedoch, da ein geltendes Gesetz ByteDance bis zum 19. Januar zwingt, sich von dem US-Geschäft zu trennen. Zwar drängt Donalkd Trum auf eine Verlänegrung der First., Doch wenn die EU weiterhin zögert, sollte Deutschland einen Alleingang wagen:So eine Gelegenheit kommt niemals wieder.

Donnerstag, 16. Januar 2025

Gottes X-it: Kapitulation der Katholiken

Wenn alles "hinlänglich bekannt" ist, muss das als Begründung für den Rückzug Gottes von X reichen.

Die Katholische Kirche ist der Bummelwagen der Moderne. Ganz hinten kommt er angekeucht, unfähig, sich in der notwendigen Geschwindigkeit an den Geist der Zeit anzupassen. Der Papst verweigert bis heute den Frauen die Ordination. Empfängnisverhütung gilt als Todsünde. Selbst die Wiedervereinigung mit den abgespaltenen Evangelen kommt seit Jahren nicht voran.

So verwundert es auch kaum, dass die katholisch.de, das "Internetportal der katholischen Kirche in Deutschland" und damit Gottes offizielle deutsche Stimme im Internet, erst jetzt bekanntgeben hat, auf X keine Artikel mehr zu posten. Alle anderen Guten sind schon lange weg, selbst an den X-it der deutschen Universitäten haben nur noch die Älteren eine Erinnerung. 

Im Namen Gottes

Doch die katholische Kirche in Deutschland, die auf X im Namen Gottes, aber unter Ausschluss der Öffentlichkeit sendete, konnte nicht anders. "Mit unserem Aus bei X folgen wir einer Vielzahl katholischer Bistümer", heißt es amtlich. Die Gründe seien "hinlänglich bekannt". Dazu gehörten "eine immer toxischere Kommentarkultur und die allgemeinen Entwicklungen der Plattform unter Elon Musk". "Toxischere" ist die Steigerung von "toxisch". Mehr tödlich also als tödlich.

Wie genau die Betreiber von katholisch.de zu dieser Diagnose gekommen sind, lässt sich auch im Nachhinein nicht ermitteln. Ausweislich des X-Accounts haben die Pastoren so gut wie nie auf irgendeine der - sehr wenigen - Kommentare zu ihren Einträgen geantwortet. Nie haben sie irgendeine Diskussion zu führen versucht, Antworten gegeben oder gar auf Kommentare reagiert. Die "toxische Kommentarkultur", die einen Verbleib bei den Schäfchen unmöglich machte, bestand im Falle der Dependance des Vatikan in einem stabilen Schweigen.

Einseitige Debatte

Ähnlich klagend und bekümmert hatte sich bereits das im politischen Berlin als "Reichsnachrichtendienst" bespöttelte SPD-Portal RND von X zurückgezogen - tragischerweise gerade als die gesamte Parteispitze zurückkehrte, um im Wahlkampf für Olaf Scholz zu trommeln. X habe "in den vergangenen Monaten seinen Charakter als Forum für sachliche, konstruktive Debatten aufgegeben", beschrieb die Chefredaktion. "Diese Debatten sind aus unserer Sicht aber die Voraussetzung für gesellschaftlichen Fortschritt." Dass das RND niemals auf keinen einzigen Kommentar zu einem Post bei X geantwortet hatte, schmälerte die mutige Leistung nicht.

Ein Phänomen, das ebenso allgemein bekannt und damit bewiesen ist wie der zuletzt von Robert Habeck beklagte Umstand, dass X seine offengelegten Algorithmen endlich offenlegen müsse. Während Kanzlerkandidaten bei X vom Glauben abfallen, verzichtet die katholische Kirche künftig auf Trost und Zuspruch auf dem Milliardärsportal. Wer Gottes Wort hören will, muss auf die Seite der chinesischen Kommunisten wechseln. Oder auf die der Firma des amerikanischen Milliardärs Bill Gates, mit dem all die, die für das Gute stehen, noch fein sind.  

Gott bleibt stumm

Die Entscheidung der Stellvertreter Gottes in Online-Deutschland zog denn schnell weitere Kreise. Auch  das Verteidigungsministerium, im Augenblick noch in der Hand von Boris Pistorius, verkündete kurz darauf bei X, dass es nicht mehr "aktiv posten", sondern seinen  "Account ruhen" lassen werde. Zudem gebe es eine "Anordnung für alle Befehlshaber", sich vom Musk-Portal fernzuhalten. "Wir haben uns zu diesem Schritt entschlossen, weil ein sachlicher Austausch hier zunehmend erschwert wird", hieß es zur Begründung - ein Klassiker, denn auch die Bundeswehr hatte nie mit niemandem irgendeine Art von "Austausch" geführt, weil das doch eher peinlich geworden wäre.

Doch kann das noch Zufall sein? Wenn die, die früher die Waffen segneten, und die, die ihre Waffen gesegnet bekamen, fast gleichzeitig in den Sonnenuntergang einer erweiterten Unsichtbarkeit reiten, um Debatten aus dem Weg zu gehen, die sie nie geführt haben? Oder ist es der alte Pakt zwischen Gott und seinen wackeren Streitern? Die Allianz aus Schuld am Lebennehmen und Vergebung durch Beichte? Oder ein deutscher Sonderweg wie Atomausstieg und Heizungsgesetz?

Der Papst jedenfalls ist noch da. Und auch bei der Nato wird der frühere ARD-Reporter und heutige Verteidigungssprecher Michael Stempfle noch für einen Rückzug werben müssen.