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Als es den Bundesgrenzschutz noch gab, warnte er kurzangebunden vor einem Verlassen der damals noch BRD genannten Bundesrepublik. |
Es ist ein Tag wie jeder andere, nicht einmal rund. Das muss nicht gefeiert werden. Das Jubiläum des Mauerbaus damals in der DDR fällt diesmal ins Sommerloch. Kaum Bilder von Kampfgruppenkommandos im Kampf gegen den Faschismus. Kaum Aufregung über historische Parallelen, die nur mit einem bösartigen Blick zu entdecken sind. Der Sozialismus, zu Lebzeiten gezwungen, seine Untertanen einzusperren und mit seinem Tod zu einer der vielen abscheulichen Voodoopuppen in der Leichenhalle der Geschichte vertrocknet, hat seinen Ruf längst wieder aufpoliert.
Der Sozialismus, Deine Welt
Nur ihm allein, so heißt es bis in die Kreise, die sich selbst zur demokratischen Mitte ihrer Demokratie erklärt haben, sei zuzutrauen, dass er alle Probleme lösen könne. Gerechtigkeit und Glück, Geld genug für jeden, Klima, Gleichheit, Kredite, was auch immer. Wenn der Sozialismus im nächsten Anlauf zu einem großen Menschenversuch endlich richtig umgesetzt werden, kläre sich alles von selbst. "Alles allen, bis alles allen ist", war eine Forderung der jung verstorbenen Bewegung der Klimakinder. Eigentum ist Diebstahl. Nur offene Grenzen für jedermann können bewirken, was die geschlossenen Grenzen damals nicht vermochten.
Wer war schuld, wer hat's verbrochen? Wer hat sein Volk eingemauert und sich selbst aus der Gemeinschaft der Demokraten ausgeschlossen? Der Sozialismus, diese noch etwas mühselige Vorstufe des Kommunismus, war es jedenfalls nicht. Ihm innewohnend ist ein großes Maß an Souveränität, denn er muss nicht mehr mühsam produzieren, Technologien entwickeln und nach Besserem streben, weil er das Bessere ist. Gesine Lötzsch, eine der Altvorderen der heutigen Linkspartei, hat es vor Jahren schon beschrieben: "Bildung, Gesundheit, Pflege, Kultur sind die wichtigsten Beschäftigungsmotoren der Zukunft und die Basis einer modernen Volkswirtschaft". Selbstbeschäftigung wird großgeschrieben, Warenhandel möglichst klein.
Ein taktischer Fehler
Wer braucht das noch. Es war damals ein taktischer Fehler der DDR-Führung, als sich Walter Ulbricht gegen den Rat aus Moskau durchsetzte und die Mauer um sein Volk herumbaute. Erst geschützt vor schädlichen Einflüssen, vor Hetze, Hass und über die Medien gestreute Fake News und Zweifel konnte im Schatten der Mauer am richtigen Sozialismus gebaut werden. Familien wurden getrennt, Genossen standen vereint. Es gab ein böses und ein besseres Deutschland.
Hüben turnte Ulbricht, ein Mann aus dem Volk. Drüben war Willy Brandt zu sehen, mit gefurchter Miene, gebeugt unter Last der Geschichte. Kennedy, ausgetrickst von seinen kommunistischen Gegenspielern, die ihn vorher informiert hatten, er aber nicht seine Freunde in Bonn. Ein verwirrendes Geschichtskapitel, das mehr Schachspiel um die Macht in Mitteleuropa war als Armdrücken am Checkpoint Charlie. Im Rückblick schrumpelt alles auf zwei Sätze zusammen: "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen" und "Ich bin ein Berliner".
Schaut auf diese Stadt
Nie wird mehr gelogen als vor dem Krieg und nach dem Ende einer Beziehung. Ulbricht hatte die Absicht und Kennedy war nie Berliner. Ernst Reuter rief: Völker der Welt, schaut auf diese Stadt! Und was ihm seinerzeit hoch angerechnet wurde, wäre heute Ausweis einer rückwärtsgewandten völkischen Ideologie. Völker? Was soll das sein? Der moderne Interessenstaat kennt nur noch eine Bevölkerung.
In Berlin, der Hauptstadt des Bevölkerungstaates, kam es am 13. August 1986, der heute auch kein rundes Jubiläum hat, zu einer denkwürdigen Begegnung zwischen Ost-Offizieren und West-Abgesandten. Nach "provokanten Ausschreitungen ehemaliger DDR-Bürger gegenüber Ostberliner Grenzsoldaten" hatte die DDR-Seite die West-Polizei zur Entgegennahme einer Protestnote an den Mauerstreifen geladen. Niemand wusste so richtig, ob man einander und wenn ja, wie man sich begegnen sollte. Jeder Handschlag hätte wie Verbrüderung gewirkt. Jeder Blick roch nach Augenhöhe.
Blut in Bernau
Ein Offizier, der in einem kurzen Beweisfilm des längst vergessenen historischen Ereignisses aussieht, als hätte ihn der große deutsche Regisseur Dieter Wedel auf der Castingcouch für ein Doku-Drama mit dem Titel "Stacheldraht und Peitsche - Blut in Bernau" entdeckt, liest empört, aber flüssig, eine dringende Mahnung vor, dass es so nicht weitergehen kann. Der Westberliner Polizist, den ein gnädiges Schicksal in diese und nicht in die andere Uniform gesteckt hat, lauscht aufmerksam und liest dann seinerseits ohne Stocken und Betonung vor: "Ich weise Sie darauf hin, dass dieses Treffen rein technischer Natur war."
Bei Youtube hat ein Nutzer unter das bizarre Filmchen "DDR, ich vermisse sie!" geschrieben, ein Hilfeschrei voller Sehnsucht nach etwas, das es nie gegeben hat. Auf die Mahnung eines Spätergeborenen, dass die Mauer gar nicht existiert habe, wenn aber doch, nicht so schlimm gewesen sei, versetzt ein anderer "Ich wusste es doch, ein Wessi, der seine Bildung nur aus den Medien hat. Deine Südfrüchte kannste behalten und Steine und Mörtel hab ich noch. Bin schon fleißig am Bauen. Schönen Abend noch und bitte bleib auf deiner Seite."
An der Youtube-Grenze
Lässt man sich weitertreiben, entlang der flimmernden Youtube-Grenze, bekommt das Leiden ein Gesicht. "Leise erklingt ein Lied im Grenzgebiet", jodelt ein singender Grenzssoldat zur Gitarre. Grün war seine Waffenfarbe, groß ist nun die Sehnsucht nach schlechten alten Zeit.
Hubertus Knabe, ein West-Folklorist, der sein Auskommen nach dem Ende der Mauer mit Hilfe der DDR fand, hält es schon lange für höchste Zeit, ein bisschen DDR auch im neuen, schöneren Deutschland zu pflegen. Dass sich Menschen in DDR-Uniformen auf dem Pariser Platz zurechtstellen, um sich gegen Geld von Touristen fotografieren zu werden, müsse schleunigst unterbunden werden, urteilte er vor Jahren, angewidert von einem Zustand, der die DDR-Diktatur zu einer Folkloreveranstaltung machte. 50 Jahre nach dem Mauerbau sei es an der Zeit, dass die Bundesregierung "dieses geschmacklose Treiben" verbiete, erklärte Knabe, denn er "kenne kein anderes Land, in denen man in den Uniformen einer gestürzten Diktatur auf der Straße frei herumspazieren kann."
Zwar ist das sowohl in Russland als auch in den USA möglich, auch Ungarn, Polen, Frankreich und Spanien gehen nicht gegen Träger von Diktaturuniformen vor und China verlangt von seinen Soldaten sogar, sie im Dienst zu tragen. Doch Knabe hält es da mit den anderen Diktaturvergleichern, die stets zur Stelle sind, um Parallelen zu entdecken, wenn es passt. Nie aber, wenn es Parallelen zu entdecken gibt. Zweifellos wäre es zum Schutz der Demokratie notwendig, ein Gesetz vorzulegen, dass die rechtlichen Voraussetzungen für ein Verbot des öffentlichen Tragens von DDR-Uniformen schafft.
Die Bundesregierung, geplagt von allerlei Bewerbchen, könnte damit deutlich zeigen: Größere Sorgen haben wir nicht.
Es war nicht alles schlecht
Mauerfall: Wir feiern raus
Tanz an der tragenden Wand
"...konnten wir manche ökonomischen Gesetze nicht einhalten"
Pissen verboten: Neues vom Unrechtsstaat
Hurra, sie ist wieder da: Pilgern zur Pappmauer
Mielkes miese Mauerdrähte
Die DDR ist größer als der Rest der Welt
Triumph der Republik, die sie DDR nannten
Aderlass im Anschlussgebiet
Ja, so schön ist Panama
Weil heute Dein Geburtstag ist
8 Kommentare:
Danke für die Muse.
Ja, Mauerbaudokumentationen allerorten. Zum Glück kann ich lesen und muß nicht TV glotzen.
Obwohl, etwas neues haben wir erfahren: Bewohner des Grenzgebietes mußten ein Hausbuch führen. Ich wußte bis jetzt garnicht, daß ich Jahre meines Lebens im Grenzgebiet zum Klassenfeind verbracht habe.
Damals, als es noch jemanden gejuckt hat, was die in Deutschland machen. Immerhin schauen die Völker dieser Welt nicht mehr bloß auf diese Stadt, sie kommen in diese Stadt.
ich hoffe inständig dass sie die mauer aufgehoben haben und nachdem die eudssr zerfallen ist, sich diverse andere staaten auf der welt separieren, dies auch wieder mit dem osten der BRiD geschieht und man einfach schnell die mauer wieder hinstellen kann!
Dikigorosleser wissen mehr: Kennedy hat nie behauptet, Berliner zu sein. Das sind solche nicht auszutilgenden Volksweisheiten, wie die aus Unkenntnis des Pladdütschen (und der Unfähigkeit, einen Satz dem Sinn nach zu verstehen) herrührenden Ansicht, es käme schönes Wetter, wenn man seinen Teller leer isst.
Das mit dem schönen Wetter muß aber stimmen. Die Schankwirtin begrüßte und beschmatzte einen Stammgast (im Rollstuhl) am Eingang des Gartenlokals mit den Worten: Und daß du heute auch alles aufißt, dann kriegen wir schönes Wetter und viel Sonne.
Hat funktioniert.
Korrelation, nix Kausalität.
Das nennt man Eskapismus.
Hätte man die Wahl ausschließlich zwischen jetzt und der Zone in den Siebzigern, wäre das Problem geringer, nur, man hat eben nicht.
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