Samstag, 16. Oktober 2021

Fehlstellen im Fernsehen: Empörende Auschließeritis

In deutschen Talkshows ist Geschlechtergerechtigkeit ein Fremdwort.

Seit drei Wochen tagen sie nun schon in Permanenz, aus der Phase der Vorgespräche wurde die der Vorsondierungen, es kam zu Dreiersondierungen, schließlich zum Eintritt in Sondierungsgespräche mit dem Ziel, bald Vorkoalitionsverhandlungen zur Aufnahme von Koalitionsgesprächen einzutreten. All das läuft diszipliniert ab wie nie, keine Balkonbilder, keine inhaltlichen Forderungen, keine großen Versprechen wie noch im Wahlkampf.

Svenja Prantl ist Kolumnistin beim Newsdienst PPQ.li und sie hat davor zehn Jahre lang in der Nähe des ARD-Hauptstadtstudios in Berlin gelebt. Bis heute beobachtet die Feministin, Auswandererin und Bioaktivistin kritisch, was in der deutschen Metropole vorgeht und wie deutsche Medien daraus ihre jeweiligen Geschichten machen, ohne sich um inhaltliche Fragen zu kümmern. In dieser Woche hat Prantl, nicht verwandt und nicht verschwägert, die ausbleibenden Nachrichten über den Inhalt der Gespräche zur Regierungsbildung verfolgt - und den "kleinen Kreis" (ARD) der Teilnehmer, Teilnehmerinnen und Teilnehmenden analysiert.

Handverlesene Sondierungsszene

Vertrauliche Sondierungsgespräche sind im Berliner Geschäft neu und – so viel steht bereits fest – auch keine hohe Zeit für kritischen Politikjournalismus. So sehr die hauptamtlichen Beobachtenden im Wahlkampf den Eindruck vermittelt hatten, dass jedes Wort wahr ist, das auf Plakate gedruckt und in Triellen vom ausgewählten Diskutanten gesprochen wurde, so wenig interessiert scheint die gesamte Branche jetzt an den Mechanismen der vorbereitenden Verkaufsgespräche, in denen SPD, Grüne und FDP versuchen, einen jeweiligen Preis alle auf dem Tisch liegenden Forderungen der drei Einzelparteien zu finden, um den dann gegeneinander aufzurechnen.

Das ist übliche Praxis, doch wer darauf schaut, was da in Berlin verhandelt wird und wer es tut, dem mag wie mir als asexueller Frau, die im Ausland lebt, Angst und Bange werden. Denn die Sondierungsrunde in Berlin ist erneut kein Abbild gesellschaftlicher Vielfalt: Macht erscheint fast ausschließlich männlich, sie ist weiß, auch wo sie weiblich ist, sie stammt aus dem Westen Deutschlands, sie hat studiert, ist wohlsituiert und geschmackvoll gekleidet, mit manikürten Fingernnägeln und teurem Haarschnitt.

Ein neuer Stil mit alten Nasen

Schnell kommt man darauf, dass so ganze Bevölkerungsgruppen ausgeschlossen werden. Ein neuer Politikstil, den die kommende Koalition ja bereits für den Tag verkündet hat, an dem eine gemeinsame Vision gefunden ist, muss auch auf neue Art ausgehandelt werden, jeden Tag. Dass es überwiegend Männer sind, die jetzt in Berlin das Schicksal der Nation in den Händen halten, setzt zurück, was Frauen gerade in den vergangenen Jahren mit Angela Merkel an der Spitze des Staates und Ursula von der Leyen in Brüssel geleistet haben. 

Die Hälfte der Erde sind Frauen. Wo aber sind diese Frauen in den Sondierungsgesprächen? Mehr als zwei Drittel der Menschheit ist andersfarbig als eklig weiß. Wo aber finden diese Menschen sich wieder, wo es um die Weichenstellungen für morgen geht? Und was ist mit körperlich oder geistig Herausgeforderten, Andersliebenden, Anderslebenden, mit ganz gewöhnlichen Bauarbeitern, Bäckereiverkäuferinnen, Aufdemlandlebenden, Windmüllern, frühverrenteten Braunkohlekumpeln, Umschülern, Senioren und Seniorinnen und Profisportlern?

Wo sind die Bauarbeiter?

Sie fehlen, ebenso wie neue Formate der politischen Berichterstattung. Dort wird mit den immer gleichen Worthülsen geschossen, es gibt Bilder von Ankunftsszenen und tiefgründige Betrachtungen über die Verhandlungsorte oder das Wetter. Dass Jungwähler, Familienväter, Kunstschaffende, digital Natives oder Mitarbeiter von Opferverbänden und Bildungseinrichtungen wieder nicht gehört werden. Bauarbeitende, Backwarenverkaufende, Pizzabackende, Dokumnetarfilmdrehende und Kindertagesstättende bilden eine Leerstelle sowohl in der Runde der Verhandler als auch auf der Tribüne der Berichterstattenden.

Eine aktuelle Studie zeigt den Mangel an audiovisueller Diversität in der politischen Berichterstattung in aller Drastik. Durchgeführt von der MaLisa Stiftung gemeinsam mit verschiedenen Partnerorganisationen, wurden wichtige Punkte wie der Stand der Geschlechtergerechtigkeit  und die Sichtbarkeit und Darstellung der Vielfaltsdimensionen Migrationshintergrund/ethnische Zuschreibung, sexuelle Orientierung und Behinderung untersucht. Und in allen Teilfeldern zeigt sich klar deutlicher Handlungsbedarf: Frauen kommen immer noch deutlich seltener vor als Männer, Frauen treten meist in klischeehaften Rollen auf, sie werden auf ihr Geschlecht festgelegt, äußern sich nur zu Themen wie Klima, Sozialpolitik oder Energiepreise, kaum jemals aber zu Fragen der inneren und äußeren Sicherheit, zu den Weltraumplänen der EU oder zum Kampf gegen die Wildschweinplage.

Unausgewogene  Verteilung

Unausgewogen ist aber vor allem die Berufsverteilung. Auf einen Bauarbeiter kommen in der politischen Berichterstattung im deutschen Fernsehen nach wie vor rund 37 Juristen, elf Verwaltungsangestellte, neun Lehrerinnen, Lehrer und Lehrende und sieben Studierende aus Orchideenfächern. Insgesamt liegt die Berufsgewichtung über alle TV-Vollprogramme und Genres hinweg bei 96 zu 4 Prozent, dazu kommt ein sogenanntes Altersgap, das alle unter 14 und alle über 72 auszuschließen scheint. Bis auf Wolfgang Schäuble traten in politischen Produktionen, die im Jahr 2020 hergestellt wurden, ausschließlich Vertreter des generationellen Mittelstandsbauches auf. 

Zwar war das Geschlechterverhältnis dabei nahezu ausgewogen (53% männliche und 47% weibliche Protagonist*innen), doch das verdankte sich überwiegend dem Auftauchen der Fridays-for-Future-Protagionistinnen, die in fiktionalen TV-Produktionen über die Schulstreiks dominierten. In den Informationsformaten des Gemeinsinnfunks erklären Männer nicht mehr allein die Welt, bei Moderation und journalistischer Funktion ist die Parität greifbar. Dabei bleibt allerdings ein offene Wunde, wie wenig stimm- und dialektdivers die als „Erklärstimmen“ auftretenden Frauen und Männer sind: Zu 99 Prozent wird Hochdeutsch gesprochen, obwohl nur eine Minderheit von rund 22 Prozent der Längerhierlebenden selbst im Alltag Hochdeutsch sprechen.

Handlungsbedarf an der Expertenfront

Auschließeritis, die ganze Bevölkerungsgruppen vor den Kopf stößt. Handlungsbedarf besteht auch, wo Experten zu Wort kommen. Insgesamt sind 74 Prozent der Expert*innen in TV-Informationsformaten männlich, dabei werden Bedarfe bei "Genderforscher" oder "Klimaexperte" in einem Geschlechterverhältnis von bei 1:3 mit Politologen, Meteorologen und Hauptstadtkorrespondenten besetzt. Durch die hohen Fallzahlen der Expert*innen fällt diese Ungleichheit besonders ins Gewicht. Es gibt zudem eine große Ungleichheit in der Moderation von politischen Shows - Frauen führen hier mit 77 Prozent fast allein durchs Programm. Ebenso ist das Kinderfernsehen, das Nachwachsende langsam in die traditionellen Sichtweisen von "Tagesschau", "Tagesthemen", "Monitor" und "Anne Will" einführen soll,  insgesamt noch immer unausgewogen. 

In aktuellen Produktionen des Jahres 2020 entdeckten die Forschenden zwar mehr weibliche Protagonist*innen und Figuren, die wenigsten von ihnen aber waren in mehrfachen Dimensionen von Vielfalt besetzt: Stimmt die sexuelle Orientierung, mangelte es an Migrationshintergrund, war der vorhanden, konnten Zuschreibungen der ethnischen Herkunft sowie Behinderung gerade von Jüngeren nicht so vielfältig abgelesen werden wie das erforderlich wäre. Protagonist*innen, die als homosexuell oder bisexuell lesbar sind, gab und gibt es kaum, bei rund 27 Prozent der Mitwirkenden in Wahlkampf, Pressekonferenzen und Sondierungssprächen war die sexuelle Orientierung überhaupt nicht erkennbar. 

Wo sind die vielen Wurzeln?

Ebenso steht es mit dem Hintergrund und den Wurzeln:  Während 26 Prozent der Menschen in Deutschland einen Migrationshintergrund haben, verhandeln derzeit in Berlin ausschließlich Alteingesessene. Schwarze Menschen und People of Colour sind damit zu hundert Prozent unterrepräsentiert, noch ehe die neue Regierung steht, genauso geht es Menschen mit Behinderung. In der Bevölkerung verfügen Schätzungen zufolge rund 6 Prozent über eine solche. Wenn in Berlin die Limousinen vorfahren, steigt kein einziger von ihnen aus.


1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Mautpreller 16. Oktober 2021 at 11:03

Der Deutsche ist Lernfähig!
Das ist wie das „Klikkertraining“ geht ganz ohne selber Denken.
„Klick“ der Islam gehört zu Deutschland „klick_klick“
„Klick“ Wer Wiederstand leistet verliert alles „klick_klick“
„klick“ wer zu den Querdenker geht riskiert seine Gesundheit, Wiederstand wird mit Polizei Gewalt gebrochen „klick_klick“ ...
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Wiederlich. Einfach wiederlich.