Montag, 29. August 2022

Indianerbremse: Nur kein guter Indianer ist ein guter Indianer

Das Klischeebild des friedenspfeiferauchenden, kriegsbemalten Federschmuckhäuptlings entstammt allein der wirren Fantasie eines Hochstaplers aus Sachsen. Illustration: Kümram, "Native in Nationalfarben", Buntstift auf Hirschleder

Sie rauchen, sie reiten, sie schießen, sie werfen Tomahawks ohne fossile Antriebe und tragen Bekleidung aus Tierhäuten. Die von Christoph Kolumbus, einem lange in Portugal lebenden Italiener Portugiesen im Dienst des spanischen Königs, als "Indianer" verunglimpften Ureinwohner*nnen des Kontinents, der von Amerigo Vespucci, einem Italiener in portugiesischen Diensten, "Amerika" genannt worden war, gelten in Literatur und Kunst, Kino und Theater als Aushängeschild einer gestrigen Welt. Geleitet von sogenannten patriarchalisch regierenden "Häuptlingen", verherrlicht als "edle Wilde" und in der Neuzeit immer noch darauf beharrend, mehrere "nations" zu sein, die allerdings allesamt als "first" gelten sollen, sorgen die natives in Deutschland als dem als schlimmsten von der Indianerkrise betroffenen Gebiet für einen Kulturkrieg ohne Waffen.

Vorbestrafter Plagiator

Schuld daran ist Karl May, ein vorbestrafter und wegen verschiedener Plagiate kritisierter Sachse, dessen Winnetou-Figur mehr als 100 Jahre nach ihrer Erfindung als jugendgefährdendes Klischeebild enttarnt wurde. Der als "Apachenhäuptling" angelegte Krieger im Wildlederanzug steht unter Verdacht, rassistischen Umtrieben Vorschub zu leisten, indem er versucht, ein wenig realitätsnahes Bild vom Leben im sogenannten Wilden Westen zu zeichnen. 

Nach der Entscheidung eines Kinderbuch-Verlages, die Jugend des Landes vor der Konfrontation einer Geschichte zu schützen, deren zentrales Motiv die Freundschaft eines deutschen Landvermessers namens "Old Shatterhand" oder auch "Pokai-mu" (angeblich: "Tötende Hand") mit wortkargen, aber stets loyalen und zielsicheren local Winnetou ("Brennendes Wasser") ist, verkündete auch die nach zahlreichen Affären in schwerem Wasser segelnde ARD ein Indianerfilmverbot. Bereits vor zwei Jahren habe man sich entschieden, die bisher als "Familienklassiker" geltenden Verfilmungen der mit überkommenden Begriffen wie "Indianer", "Marterpfahl" und "Blutsbrüderschaft" operierenden sächsischen Lügengeschichten als nicht mehr zeitgemäß auszusortieren.

Die Feder des Bösen

Eine nur naheliegende Entscheidung, die längst überfällig war, nichtsdestotrotz aber von einer erwartbaren Querfront aus Nostalgikern, selbsternannten Literaturfreunden und Verteidigern einer absichtlich als grenzenlos missverstandenen Kunstfreiheit angegriffen wird. Diesen Kreisen ist kein Argument zu schäbig, um den vor allem in seinem Sterbeort Radebeul bis heute kultisch verehrten Auflagenmillionär May gegen seine Kritiker zu verteidigen. May habe es doch nur gut gemeint, heißt es da, er habe der Völkerverständigung dienen und seinen Häuptling Winnetou nur deshalb mutwillig immer wieder in lebensgefährliche Situationen gebracht, um die Leistungsfähigkeit der in rechten Kreisen als "primitiv" abgeurteilten Hochkultur der Apachen zu unterstreichen.

An den langen Haaren des Häuptlings herbeigezogene Argumente, die keiner Überprüfung standhalten. Karl May ließ nie einen Zweifel daran, dass sein Winnetou nicht mehr ist als der Adlatus des dunkelblonden deutschen Helden Shatterhand, er ging in letzten Konsequenz sogar soweit, den als "edle Rothaut" mit Federschmuck und Stickmusterjacke ausstaffierten Adjutanten vor aller Augen sterben zu lassen. Ein vom Schriftsteller beschlossener unfreiwilliger Opfergang, um den ihm wichtiger erscheinenden Landsmann Shatterhand zu retten, den er in der Folge als "Kara Ben Nemsi" ("Sohn der Deutschen") in den Nahen Osten und "Die Schluchten des Balkan" schickte.

Wirkungen wie Jesus

Die Langzeitwirkung des Opfertodes des Sohnes des Apachenhäuptlings Intschu tschuna ("Gute Sonne") zeitigte in Deutschland ähnlich verheerende Langzeitfolgen wie der Tod des Jesus von Nazareth am Kreuz. Millionen Heranwachsende und junge Männer fielen auf die fake news von den Waffenbrüdern aus Pueblo und sächsischer Provinz herein, Millionen ließen sich eintrichtern, dass es gute und böse Rothäute ebenso wie gute und böse Bleichgesichter geben, dass es nicht auf die Hautfarbe ankomme, sondern auf die innere Einstellung, auf Anstand, Ehre und Moral. Indianerlieder und Indianerkostüme, die jahrzehntelange Spaltung der Gesellschaft in "Cowboys" und "Indianer", die Gründung von deutschen Sioux- und Kiowa-Stämmen, aber auch von Rockbands wie Siouxsie and the Banshees - all das ist auf dem Mist aus Sachsen gewachsen.

Wie sein Chef Old Shatterhand, der auf seinem Rappen Hatatitla wurzel- und zumeist erwerbslos durch die Prärie reitet und mit "Henrystutzen" und "Bärentöter" totschießt, was sich seinen Interessen nicht unterordnet, symbolisiert Karl Mays Winnetou den renitenten Rechtsstaatsverächter, dem Selbstjustiz alles, das Befolgen von Regeln, Gesetzen und behördlichen Verordnungen aber nichts gilt. Lange schon hätte das fragwürdige Treiben des reitenden Anarchisten beendet werden müssen. 

Zersetzende Säure aus Sachsen

Nicht allein der Versuch Karl Mays, sich die deutsche Übersetzung des vom "American Indian Movement", dem "American Indian Youth Council" und dem "National Congress of American Indians" missbrauchten Falschbegriff "Indians" als deutsche Übersetzung "Indianer" zunutze zu machen, spricht für die Absicht des Ostdeutschen, nach einem "Ressonanzraum in der Gesellschaft" (Jürgen Kaseck) zu suchen, der seine Ursachen auch "in der spezifischen DDR Geschichte" haben könnte,  in der die Behörden zuerst erkannt hatten, welch zersetzende Säure, frei wird, wenn ein Schriftsteller "seine jugendlichen, unkritischen Leser antihumanistisch beeinflusst und ihnen ein völlig verzerrtes Bild der Welt malt."

Ein Stopp der Verbreitung der klischeebeladenen, spaltenden und  aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse über das Leben in den "Indianergebieten" (Mainpost) leugnenden Bücher und Filme war insofern überfällig. "Ein toter Indianer ist ein guter Indianer", soll der Philip Henry Sheridan, ehemals Oberbefehlshaber des US-Heeres, unwidersprochen gesagt haben. Für Deutschland aber ist der bessere Indianer der, der nicht mehr vorkommt.


8 Kommentare:

Die Anmerkung hat gesagt…

Gilt das wortidentich sinngemäß auch für Liselotte Welskopf-Henrich?

"Privat widmete sie sich den Indianern, über die sie Romane verfasste, die zu den Klassikern der DDR-Jugendliteratur gehören."

Muß man sich von Gojko Mitić lossagen?

"Große Popularität erlangte er in der DDR als Hauptdarsteller historischer und fiktiver Indianerpersönlichkeiten zahlreicher DEFA-Indianerfilme. Seine Popularität mag daran erkennbar sein, dass sowohl in der DDR als auch später in der Bundesrepublik versucht wurde, ihm Etiketten anzuhängen: „DEFA-Chefindianer“ einerseits, „Winnetou des Ostens“ andererseits.

Bis 1975 stand er jährlich für mindestens einen Film vor der Kamera, wobei er fast ausschließlich Indianerhäuptlinge verkörperte."

Sind Chingachgook und Weitspähender Falke noch die tolerierten Lücken im System, oder wird das dunkeldeutsche Indianertum aus Babelsberg auch alsbald rasiert?

Anonym hat gesagt…

Der nach dem Berliner Wort für Indianer benannte US-Bundesstaat Indiana soll in Indigenia umbenannt werden, bis auch das Wort verfällt. Dann wird man weitersehen.

Factcorrecter: Kolumbus war Italiener
https://de.wikipedia.org/wiki/Christoph_Kolumbus

Correctfacter: Italien gab es da noch nicht, er war Genuese.

Jolina hat gesagt…

Ist ein Neger mit Handy eigentlich auch eine kulturelle Aneignung?

Anonym hat gesagt…

Lustig ist es schon, den brühmtesten Indianer aller Zeiten den Namen Schnaps (Brennendes Wasser)
zu geben. Tokei-ihto hat den Schnaps noch verächtlich ausgekippt.

Anonym hat gesagt…

>Ist ein Neger mit Handy eigentlich auch eine kulturelle Aneignung?

Nein, dass ist von Weißen den aufgezwungen und damit systemische Sklaverei.

Anonym hat gesagt…

Spur des Falken - Als die Unterhebelrepetierer (ich habe keinen) in Mode kamen, habe ich in meinem Waffenfetischistenverein den Weitspähenden Falken zitiert: Vierzehnmal kann diese Büchse sprechen. Ist seitdem stehende Redewendung dorten.

Die Anmerkung hat gesagt…

Spannende Kiste, das mit dem sprechenden Gewehr.

von den oft noch mit Vorderladern bewaffneten Südstaaten-Soldaten als „das verdammte Yankee-Gewehr, das am Sonntag geladen wird und die ganze Woche schießt“ bezeichnet.

Die Anmerkung hat gesagt…

>> Vierzehnmal kann diese Büchse sprechen.

https://www.youtube.com/shorts/OTW6QxlUMNM