Montag, 1. Dezember 2025

Bärbel Basta: Kampfansage an den Kapitalismus

SPD Krise   Bärbel Bas   Sozialdemokratie Niedergang   Klassenkampf SPD   Juso Kapitalismus   Rente Steuerfinanzierung   Arbeitgebertag Verhöhnung

Bärbel Bas zieht andere Saiten auf.

Wofür sie eigentlich noch steht, für wen und weswegen, das war bei der deutschen Sozialdemokratie in den vergangenen Jahren zunehmend unklar. Die große, alte Partei der Bebel, Brandt und Schmidt irrlichterte durch ihre eigene Geschichte. Sie war gegen die deutsche Einheit, weil die zu teuer werden würde. Sie war für einen strengeren Sozialstaat, aber kurz darauf schon wieder dagegen.  

Herrschaft der dritten Garnitur 

Sie setzte großzügige Regeln für die in Kraft, die nicht arbeiten können oder wollen. Und strenge für die, die eine experimentelle Impfung verweigerten. Ihre Spitzenfunktionäre wechselten schneller als die Wählerinnen und Wähler sich ihre Namen merken konnte. Inzwischen hat die dritte Garnitur übernommen - der Parteivorsitz führen charismatische Figuren, die in jeder früheren Ära der SPD Mühe gehabt hätten, Kreisvorsitzender im nordrhein-westfälischen Kleinbecken zu werden.

Der Erfolg ist dem klaren Kompass der Genossen gefolgt. Binnen von nur 20 Jahren hat die älteste noch aktive deutsche Partei die Hälfte ihrer Wähler verloren. Nicht einmal die Union hat das geschafft. Aus der zweiten Volkspartei ist in einigen Bundesländern die erste Kraft geworden, die Aussichten hat, künftig außerparlamentarisch arbeiten zu dürfen. Das lässt die Alarmglocken im Willy-Brandt-Haus schrillen und die beiden Parteivorsitzenden nach neuen Feindbildern suchen, gegen die sich symbolisch mobilisieren lässt.

Blanke Nerven bei Brandts Erben 

Die Reichen waren es schon, die Vermögenden, die Ostdeutschen, die Rechten und die Juden. Gebracht aber hat es alles nichts. Die SPD-Zustimmungskurve gleicht einer flat line: Seit der Bundestagswahl sind es um die 14,5 Prozent eiserner Anhänger, die den Sozialdemokraten die Treue halten, ganz egal, was sie tun oder lassen, sagen oder verschweigen. Angesichts der anstehenden Landtagswahlen liegen die Nerven blank, auch bei Bärbel Bas. Nach einer über drei Jahrzehnte andauernden Parteilaufbahn im Schatten Lauterer und Stärkerer war die 57-Jährige erst 2021 mit einem ersten bedeutsamen Posten belohnt. Bas wurde Bundestagspräsidentin. Und der Job als zweithöchste Repräsentantin des Staates zum Sprungbrett zu noch höheren. 

Seit der Neuordnung der Parteispitze ist Bas eine der beiden Parteivorsitzenden. Nebenher stemmt sie mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales noch eine wichtige zweite Verantwortung - souverän, ruhig und bestimmt. Den "klaren Kompass", an dem sich Bundeskanzler Friedrich Merz nur zu orientieren vorgibt, den hat Bas wirklich in der Tasche. 

Als sie vor einer Woche beim Arbeitgebertag für ihre These ausgelacht wurde, die Festschreibung der sogenannten "Renten-Haltelinie" über 2031 hinaus aus Steuermitteln finanziert werde und deshalb nicht die Beitragszahler belaste, fand die Ministerin das "überhaupt nicht lustig". Faktisch habe sie doch recht. Die Gruppen der Beitrags- und der Steuerzahler überschneiden sich in großen Teilen. Identisch freilich sind sie nicht.

Die Geschichte einer Verhöhnung 

Zu Bas' Leidwesen machte die Geschichte ihrer Verhöhnung trotzdem die Runde. Aber wer zuletzt lacht, lacht am besten: Beim Juso-Kongress in Mannheim kartete die  frühere Beisitzerin und Vorsitzende des Juso-Unterbezirksvorstands Duisburg kämpferisch nach. Bas erklärte den "starken Sozialstaat zum Gegenentwurf zum Faschismus", denn er bedeute, "dass niemand zurückgelassen wird und vor allen Dingen auch niemand aussortiert wird". Zu sehen sei aber derzeit, rief sie dem Parteinachwuchs zu, dass er angegriffen werde. "Und zwar von neoliberalen Dogmen, von Sparpolitik und von jenen, die soziale Sicherheit nur als Kosten begreifen". 

Mindestlöhne, Tarifbindung, Rente, Gesundheits- und Pflegeversorgung sowie Arbeitnehmerrechte würden zu Verursachern der Wirtschaftskrise erklärt. "Im Fahrwasser einer Wirtschaftskrise wird die soziale Marktwirtschaft gerade infrage gestellt" teilte Bärbel Bas ihre Analyse der Situation nach inzwischen zwölf Jahren ununterbrochener SPD-Regierungsbeteiligung und drei Jahren tiefer Rezession mit. 

Kein Vergeben, kein Vergessen 

Dann kam sie zu den Verletzungen, die ihr auf dem Arbeitgebertag zugefügt worden waren. Sie habe sich an diesem Tag dafür starkgemacht, auch diejenigen Menschen nicht zu vergessen, die nur von der gesetzlichen Rente leben, "und ich hab' die Steuerfinanzierung des Rentenniveaus angesprochen". Dafür sei sie ausgelacht worden.

Ein Affront, den Bas nicht zu vergessen bereit ist. Vielmehr nutzte sie die Gelegenheit, die Täter zu markieren: "Da saßen sie – sagt das jetzt mal ganz offen: Ja, meistens waren es Männer in ihren bequemen Sesseln, der ein oder andere im Maßanzug –, und die Ablehnung war deutlich zu spüren." Es ist die Ablehnung einer Frau, die in diesem Moment gerade an die Menschen denkt, "die auf unsere Solidarität angewiesen sind: Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, oft körperlich hart. Oft schlecht bezahlt, oft bis an die Grenzen ihrer Kraft." Und die unversehens noch einmal erkennt, "wo die Linien in diesem Land wirklich verlaufen: Nicht zwischen Jung und Alt". Sondern zwischen Arm und Reich, "zwischen denen, die Sicherheit brauchen, und denen, die sie für Handelsware halten".

Bärbel Bas spricht Klartext. Das sei "besonders deutlich geworden ist, gegen wen wir eigentlich gemeinsam kämpfen müssen", wirbt sie bei der unruhevollen Jugendorgansiation ihrer Partei um Vertrauen. Junge Genossen, alte Genossen. Zusammen gegen den Kapitalismus, gegen Unternehmer in Maßanzügen. Gegen Männer in bequemen Sesseln. Gegen Gutbezahlte. Gegen die, die nicht auf unsere Solidarität angewiesen sind.

Ruhe an der Lohnfront 

Die Propagierung von Ruhe an der Lohnfront, oft begründet mit dem Hinweis, dass die Last einer forcierten Aufrüstung immer von der Generation getragen werden, zu deren Zeiten sie geschieht,
gleichgültig ob sie durch höhere Steuern oder durch Staatsverschuldung finanziert wird, fegt Bas beiseite. Sie ist wieder dort, wo alles anfing, ehe die soziale Marktwirtschaft die realen Lohnsteigerungen so zu gestalten wusste, dass der frühere EZB-Chef Mario Draghi im vergangenen Jahr in seinem Draghi-Bericht konstatieren konnte, dass in den vergangenen Jahren auch die Löhne und Gehälter in Deutschland gestiegen. Dabei aber Wohlstandsverluste zu verzeichnen gewesen seien.

Auf dem Essener Parteitag 1927 war der damalige KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann ähnlich deutlich geworden. "Die Unternehmer sind die Todfeinde der Arbeiterklasse" sagte er und er beschrieb die Männer in den Maßanzügen noch deutlicher: "Der Kapitalist ist ein Parasit, der vom Schweiß der Arbeiter lebt - ihn zu beseitigen ist die vornehmste Aufgabe der Arbeiterklasse." Erst wenn der Arbeiter die Fabrik besitze, besitze er die Macht, deshalb müsse die Unternehmerklasse verschwinden. „Die Ausbeutung des Menschen durch den Unternehmer muss ein für alle Mal beseitigt werden."

Enteignung der Enteigner 

Die Expropriation der Expropriateure genannte Enteignung der Enteigner zielte auf den privaten Unternehmer als den Hauptfeind der sozialistischen Produktionsweise. Dass Kurt Schumacher 1947  einlenkte und der SPD aufgab, "für die Gleichberechtigung aller Menschen und für ihre geistige, politische und wirtschaftliche Freiheit" zu kämpfen, führte auf einen Irrweg, den Bärbel Bas jetzt beendet. Lenins sagenumwobener Satz, dass "die Kapitalisten uns alles verkaufen werden, was wir brauchen, um sie aufzuhängen – das Seil inbegriffen", erkor den Unternehmer schon vor 100 Jahren als den natürlichen Feind des Arbeiters. 

Die Sozialpartnerschaft hegte ihn ein, schminkte ihn auf - doch jetzt fällt die Maske. Nach dem Gesetz der Einheit und des Kampfes der Gegensätze „muss an der Tür des Imperialismus mit Entschlossenheit gekämpft werden, "mit Mut und mit der Bereitschaft, sein Leben zu geben", wie Che Guevara einmal gesagt haben soll. Juso-Chef Philipp Türmer ist in Mannheim sicher nicht zufällig in einem Aufzug aufgetreten, der an eine Guerilla-Uniform erinnerte. 

Omas letzter Cent 

Wie Bas fordert auch der Anführer des roten Jungadels höhere Steuern für alle, die über "hohen Kapitalvermögen" verfügen. Türmer definierte "hoch" nicht näher, klagte aber, dass diejenigen "zu wenig zur Finanzierung des Sozialstaates" beitrügen. "Ich jag' doch nicht meiner Oma hinterher, um ihr die Cents aus dem Portemonnaie zu klauen, wenn Milliardenerben keinen Cent Steuern zahlen", gestand der 29-Jährige, dessen Beitrag zur Finanzierung des Sozialstaates bislang aus zwölf Jahren an der Uni bestand.

Gemeinsam ziehen die jungen und die alten Sozialdemokraten nun wieder in den Klassenkampf, nicht ganz einig über die Härte der notwendigen Klassenauseinandersetzung, aber Schulter an Schulter. Nach Mao Zedong kann die Wahrheit im Kampf gegen bürgerliche Ideologien und die von ihnen verteidigte imperialistische Wirtschaft nur in der Praxis gefunden werden - der Kampf gegen den Kapitalismus ist ein Kampf gegen den Irrtum, an dessen Ende nicht nur Befreiung, sondern Erkenntnis wartet.

 

 


Keine Kommentare: