Mittwoch, 10. Juli 2019

"Die SPD braucht eine Doppelspitze - oder zwei!"

Harald Hase (l.) und Franziska Amtmann (r.) sind das neue Traumpaar der deutschen Sozialdemokratie.


Der Stadtverordnete von Wießensee, Harald Hase, und die sächsische Imbissbetreiberin Franziska Amtmann wollen gemeinsam als Doppelspitze die SPD führen. Im exklusiven ersten Interview vor Amtsantritt erklären sie, was sie antreibt und wie sie die Partei, das Land, Europa und die Welt verändern wollen.


PPQ: Frau Hase, Herr Amtmann, etliche haben abgesagt, kaum jemand scheint Lust auf den Posten zu haben, der, wir müssen das jetzt nach deutschem Presserecht genau so fragen, der beste Job nach dem Papst ist. Nach Kevin Kühnert und Brigitte Seebacher-Brandt sind Sie die ersten, die sich offiziell um den SPD-Vorsitz bewerben. Warum kandidieren Sie?

Amtmann: Ich bin die Frau bei uns, Hase ist der Mann. Wir kennen uns schon lange, sind zusammen zur Schule gegangen, als meine Eltern Sachsen damals verlassen mussten. Wir beide vertrauen uns gegenseitig, wollten schon immer was zusammen machen. Das passt dann jetzt, denn wir denken, schlimmer kann es für die SPD nicht werden, selbst mit uns beiden nicht (lacht). Deshalb trauen wir es uns zu, in einer schwierigen Lage für den Parteivorsitz anzutreten und ihn auch zu übernehmen. Wir wollen der SPD zeigen, dass es immer weitergeht, auch wenn es nicht so aussieht. Unsere Partei hat viele Jahrzehnte hinter sich, nicht alle waren einfach, viele waren auch nicht leicht. Wir haben alles überstanden, also nicht wir persönlich, so alt sind wir ja noch nicht, auch wenn wir nicht mehr ganz die Jüngsten sind (lacht). Aber die Hitlers und Honeckers kommen und gehen, die Schmidts, Brandts und Schröders ebenso. Die Partei aber bleibt.


Hase: Also könnte man schon sagen, die Partei hat immer recht. Zumindest am Ende hat sie es. Und wir schaffen das auch diesmal. Im Moment habe ich den Eindruck, dass die Menschen im Land den Eindruck haben, dass niemand die SPD auch nur noch führen möchte. Das ist doch ein verheerendes Symbol! Nun bin ich kein Parteimitglied, aber das tat mir dann schon leid. Die SPD wird heute schon wahrgenommen als Versammlung von Figuren wie Ralf Stegner, Karl Lauterbach und Heiko Maas, also eine Art Gruselkabinett der Ewiggestrigen. Das wollen wir ändern. Wir denken, eine Doppelspitze, das ist es, aber vielleicht wird es auch eine doppelte Doppelspitze oder ein Sextett ganz oben. Lassen Sie sich überraschen.

PPQ: Sie treten als gemischtgeschlechtliches Duo an. Hätten Sie sich auch eine Solokandidatur vorstellen können?

Amtmann: Nein. Wenn zwei Stellen ausgeschrieben worden sind, dann sollen die auch besetzt werden. Denn ein Mensch alleine kann es niemals allen recht machen, zwei dagegen schon, drei sogar noch mehr, wenn wir an das Triumvirat mit Crassus, Cäsar und Pompeius im alten Rom denken. Seitdem ist unsere Gesellschaft auch viel bunter und vielfältiger geworden. Deshalb hat die Bundesregierung inzwischen 98 Beauftragte für alle möglichen Dinge. Und deswegen braucht die SPD eben auch mindestens zwei oder drei Vorsitzende. Also habe ich Harald angerufen und gefragt, ob wir gemeinsam antreten wollen...

Hase: ...natürlich habe ich nicht lange überlegt. So eine Chance bekommt man nur einmal im Leben. Stellen Sie sich mal vor, es bewirbt sich niemand anders. Dann ziehen wir kampflos ins Brandt-Haus (lacht). Ich habe früher als Standesbeamter gearbeitet. Daher weiß ich, wie wichtig es ist, in den richtigen Situationen ja zu sagen.

PPQ: Das klingt so romantisch, eine ganz neue Tonart in der deutschen Politik. Sind Sie die Annegret Kramp-Karrenbauer und der Friedrich Merz der SPD?

Amtmann: Das könnte man so sagen, also dass wir das Zeug dazu haben. Die beiden machen einen guten Job, zwei Öffentlichkeitsarbeiter vor dem Herrn. Aber wir sind auch zwei Originale, wir brennen für unsere Sache und wollen die SPD in ein neues Zeitalter führen. Was wir mit den beiden gemeinsam haben, ist, dass wir echte Teamplayer sind und einige Ideen haben, wie wir mit unserer Partei die Welt retten können.

Hase: Ich gestehe neidlos zu, dass Habeck und Baerbock eine gute Performance hinlegen. Beide würden ja bei Lets dance glatt ins Finale tanzen! Das zeigt, welche Chancen Kandidaten für den SPD-Vorsitz haben, die von außen kommen und einen Hauch Dreitagbart-Wildheit von der Straße mitbringen. Wir sind doch von Typen wie Oppermann und Steinmeier und Altmaier auch genervt, die seit hundert Jahren sagen, dass es in der SPD um Inhalte geht, dabei aber nur zusehen, dass sie auf ihren Posten bleiben.

PPQ: Sie haben recht unterschiedliche Lebensläufe. Hier die Unternehmerin, dort der Vorsitzende eines Lesekreises, der als Tierschützer auch schon vielbeachtete Romane geschrieben hat, wenn auch unter Pseudonym?

Amtmann: Ich brenne für Europa und möchte meine Erfahrung als Firmenlenkerin einbringen. Ich habe viel wirtschaftliche Expertise, Harald dagegen kennt sich bei der Sozialpolitik auch, denn da ist er selbst Betroffener. Das ergänzt sich gut.

Hase: Ich komme aus einer Bergmannsfamilie, bin auf einem Biobauernhof aufgewachsen, meine Oma war Veganerin, mein Urgroßvater spielte Klarinette. Mir macht niemand etwas vor, was ich nicht selbst schon jemandem vorgemacht habe. Bei uns ist der Bergmann noch ein Beruf mit Klang, auch wenn alle inzwischen in Werbeagenturen arbeiten. Ich war der Erste in meiner Familie, der ein Rennrad hatte und Politikwissenschaften studiert hat und dann keinen Job in der Uni und auch keinen als Mitarbeiter eines Abgeordneten gefunden hat. Ohne den sozialdemokratischen Hilferuf nach einem neuen Vorsitzendengespann wäre ich heute nicht da, wo ich bin.

Amtmann: Das Thema Klimawandel ist eines der wichtigsten unserer Zeit. Man muss ehrlich sagen: Die SPD hätte hier in der Vergangenheit mehr tun müssen. Die neue SPD-Führung muss alles daran setzen, die Themen Umwelt und Soziales besser zu versöhnen… Die Welt wartet auf Leute, die ihr Lösungen zeigen.

Hase: Aus unserer Sicht hat die SPD hat völlig unterschätzt, welche emotionale Wucht das Klimathema entfalten wird, wenn jeden Tag von Klimasommer, Klimanotstand und Erderhitzung zu lesen ist. Das gebe ich gern zu. Mir selbst ging es ja auch jahrelang so. Klima, das war irgendwann in ferner Zukunft, irgendwo in Afrika vielleicht. Jetzt fordert eine junge Generation, in Panik geraten zu dürfen, sie fühlen sich im Dritten Weltkrieg und wollen, dass wir etwas tun oder zumindest so tun, als könnten wir etwas tun. Ich denke, das können wir.

PPQ: Gehören zu ihrem Regierungsprogramm auch neue Prioritäten in der Verbotspolitik?

Kampmann: Ja. Es muss Schluss damit sein, dass eine Bahnfahrkarte teurer ist als ein Flugticket. Wir werden innerdeutsche Flüge verbieten, ebenso Kurzfahrten mit Autos innerorts. Dafür gibt es andere Möglichkeiten. So sollte es im Idealfall durch eine Umlage von der neuen Klimasteuer für jeden Bürger einen kostenlosen E-Roller aufs Haus geben, das heißt, die Bundesregierung zahlt das. Klar ist aber, dass wir dafür die Infrastruktur massiv ausbauen müssen - China liefert 56 Millionen Roller im Handumdrehen, aber wir brauchen dazu die Rollerautobahnen, die Ladestationen, Servicepersonal, Recyclingmöglichkeiten, größere chirurgische Stationen. Da entstehen zwei Millionen neue Jobs, schätzen wir. Der öffentliche Personen-Nahverkehr wird dann kostenfrei werden, wenn auch nicht kostenlos. Wir denken, dass wir hier eine Solidarabgabe brauchen, die alle mittragen.

Roth: Eine Verteufelung des Autos machen wir aber nicht mit. Wer sich bei der Verkehrsbehörde ordentlich anmeldet, eine Bedürftigkeitsprüfung absolviert und sich an die Regeln hält, der soll seinen Wagen behalten dürfen, wenn er auf dem Land lebt. Selbst eine staatliche Spritzuteilung soll er gern bekommen.

PPQ: Verfolgen Sie beide damit das alte SPD-Thema soziale Gerechtigkeit?

Amtmann: Gerechtigkeit bleibt das zentrale Thema der SPD. Wir sind einfach die Gerechtigkeitspartei, auch wenn das bei den Leuten nicht ankommt. Aber damit finden wir uns nicht ab, wir sagen entschlossen, halt, so nicht. Da sind wir aber immer noch!

PPQ: Die Menschen danken es ihnen mit Nichtachtung. SPD ist bei der Europawahl auf 15,8 Prozent gestürzt, in Umfragen nun sogar bis auf 12 Prozent. Was soll nun passieren?

Hase: Ein wichtiger Punkt ist unsere Wahl, ein Angebot an die Partei, neu anzufangen. Wir bieten unseren Mitbewerbern um den Parteivorsitz einen Pakt für Fairness und Respekt an, etwas völlig neues in der Geschichte der SPD, die immer auch eine Geschichte von Zank und Gräbenkämpfen und Verrat war. Wir werden einen Pakt unterschreiben, in dem wir alle einladen, mit uns gute Sozialdemokraten zu sein, bei denen eine Krähe der anderen kein Auge aushackt.

PPQ: Und wer von ihnen beiden macht den Kanzlerkandidaten?

Hase: Wir beide. Unser Ziel ist es, die SPD wieder stark zu machen und Deutschland zum schlagenden Herzen eines vitalen Europa mit sicheren Außengrenzen und gesunden Rauchverboten, einer starken Wirtschaft und nachhaltiger Energieversorgung aus Wind, Sonne und Gezeiten. Dafür müssen wir nach außen aber wieder viel mehr Zuversicht und Freude ausstrahlen, dafür müssen wir selbst vorleben, dass wir an das große Ziel glauben, damit die Menschen spüren: Die kann man wählen! Uns kann man wirklich wählen, also ich würde es tun, wenn es auf mich ankommen würde. Wir beide sind ein hervorragendes Team, jetzt schon. Und wir könnten noch wachsen, wenn uns die Menschen draußen, vor allem die SPD-Mitglieder, auf die es derzeit ankommt, die Treue halten und uns in das Amt wählen, das das  schönste der Welt ist, nach dem Papst, wie mein Freund Franz Müntefering mal gesagt haben soll.

PPQ: Würden Sie als neue Parteivorsitzende in der großen Koalition bleiben wollen?

Amtmann: Die große Koalition ist wahrlich kein Wunschbündnis. Die SPD ist eine linke Volkspartei ohne Mehrheit und ohne eigene Machtperspektive, bis wir zehn oder besser 20 Prozent der Wählerinnen überzeugt haben, uns auf unserem weg zu folgen. Dann würden wir sofort aussteigen, das ist klar. So aber warten wir besser noch, bis die derzeitige Kanzlerin den Bettel hinwirft.



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