Mittwoch, 8. Juli 2020

Wolfgang Schäuble: Im Mantel der Macht

Wolfgang Schäuble hat der Euro zum eigentlichen Lebenssinn Europas erklärt: Um ihn zu retten, muss die Staatengemeinschaft auch frühere vertragliche Vereinbarungen über Bord werfen.

Die europäischen Verträge verbieten es. Die Geschichte lehrt, dass es immer eher hunderte als ein paar Dutzend Jahre dauert. Und jeder, der schon eine Weile Politik macht, weiß eigentlich, dass es eigentlich immer schiefgeht. Doch Wolfgang Schäuble, nach dem endgültigen Platzen seines Traumes von der eigenen Kanzlerschaft schließlich im Bundestagspräsidium abgeparkt, möchte ihn noch einmal wehen sehen, jenen Mantel der Geschichte, der seinen früheren Herren und Meister Helmut Kohl zu einem ganzen Kapitel in den Geschichtsbüchern verhalf. Zumindest bis er sich noch auf dem Sterbebett weigerte, zu verraten, wer das alles bezahlt hat.

Corona als Chance zum durchregieren


Schäuble, der schon so ziemlich jedes Ministeramt in so ziemlich jeder Bundesregierung der letzten 30 Jahre besetzt hat, sieht in der Corona-Pandemie eine Chance, endlich den großen Umbau zu starten, von dem sie damals in Kohls Bungalow träumten, als sie sich den verwegenen Hades-Plan ausdachten. Jetzt sei die rechte Zeit, die 1999 gestartete Währungsunion zu einer Wirtschaftsunion auszubauen, fordert Schäuble, der durch eine Geldkofferaffäre besondere Berühmtheit erlangte und später als Finanzminister mehrfach ankündigte, im jeweils übernächsten Jahr werde der Staat ohne neue Schulden auskommen.

Wolfgang Schäuble, seit dem Abgang des breshnewschen Zeitgenossen Elmar Brok der älteste noch aktive kalte Krieger außerhalb des Kreml, weiß, wie Politik funktioniert. Es brauche „heute den Mut, den wir in der Krise 2010 nicht hatten, um endlich zu mehr Integration in der Eurozone zu kommen“, hat er in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ wissen lassen: So wie Kohl den Moment der russischen schwäche nutzte, die deutsche Einheit einzutüten, muss Deutschland nun die Schwäche der Staaten ringsum nutzen, Europa vom Staatenbund zum Bundesstaat umzuschmieden.

Rettung mit großer Überzeugungskraft


Die Gelegenheit scheint günstig. Die USA, Russland und China sind mit sich selbst beschäftigt, die Briten haben sich in ihre splendid isolation zurückgezogen und die Franzosen wären bei allem dabei, wenn sie nur einigermaßen dafür bezahlt würden. "Wir dürfen die Chance nicht wieder verpassen", mahnt Schäuble eingedenk der Tatsache, dass Rettung noch stets ein Mittel mit großer Überzeugungskraft gewesen ist.

Durch Rettung etwa konnte die EU das wankende Griechenland wieder fest in die Gemeinschaft einbinden. Im zehnten Jahr der permanenten Rettung steht das ehemals kriselnde Südland so gut da wie nie: Eben erst bewilligten die anderen Euro-Staaten neue Finanzhilfen in Höhe von 748 Millionen Euro, die die Regierung in Athen benötigt, um ausstehende Zinsen zahlen zu können. Die gesamte Schuldenlast der Griechen hat sich im Verlauf der 532 Rettungspakete zwar nicht verändert - sie liegt weiter bei den untragbaren 181,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die vor zehn Jahren die Staatspleite auslösten. Doch durch eine Streckung der Rückzahlung der Kredite bis zum Jahr 2060 - coronabedingte Verzögerungen sind möglich - werden erst die Enkel der ursprünglichen Schuldner vor der Frage stehen, woher das Geld für eine Tilgung kommen soll.

Umbau zum Bundesstaat jetzt


Geht es nach Wolfgang Schäuble, dann sind das auch Fragen, die „entschieden zu kurz" greifen. Im Mantel der Macht, den der Schwabe am liebsten im klassischen Sakko-Schnitt trägt, geht es nicht um Aspekte der Finanzierung, also etwa darum, ob die geplanten Hilfsmittel in "Corona-Zeiten" als Zuschüsse oder als Kredite fließen, ob sie schwer von Corona getroffenen Staaten zugutekommen oder denen, die unter Verdacht stehen, im Falle nicht ausreichender Geldtsröme in ihre Richtung die Hand nicht zu heben. 

Schäuble, 77 und vom "Spiegel" schon vor zehn Jahren in den Ruhestand geschickt, will noch einmal das ganz große Rad drehen und Spuren im Staub der Geschichte hinterlassen. Man solle "viel stärker um die Frage" diskutieren, "was wir konkret machen wollen, um Europa gemeinschaftlich voranzubringen“, schreibt er in seinem Manifest, das nicht zufällig in einem Moment erscheint, in dem Deutschland im Europäischen Rat präsentiert, mit Ursula von der Leyen eine Deutsche die EU-Kommission führt und Angela Merkel von deutschen Leitmedien voller Verzückung zu "Europas Kanzlerin" ausgerufen wird.

 

Weg mit den kleinen Schritten, mit den europäischen Lösungen, bei denen sich 14 Tage zu 14 Jahren dehnen, weil die Einzelinteressen von 27 Staaten sich überraschenderweise noch schwerer unter einen Hut bringen lassen als die Einzelinteressen von sechs Bundestagsparteien. Die Währungsunion, glaubt Schäuble heute, startete einst "in der Erwartung, weitere Schritte zur Wirtschaftsunion würden folgen". Das steht nirgends geschrieben, dazu gibt es keine vertraglichen Vereinbarungen, ganz im Gegenteil. Deshalb ist es auch nie geschehen - das Bundesverfassungericht beispielsweise hat mehrfach geurteilt, dass die Hoheit über deutsches Steuergelder nach dem Grundgesetz ausschließlich bei den deutschen Bundestagsabgeordenten liegen kann, denen Schäuble präsentiert.

Unwillig darüber. Denn das mit der nie vorgesehenen und nirgendwo vereinbarten Wirtschaftsunion  sei "nicht geschehen“, so Schäuble über ein Detail der europäischen Verträge, das ausnahmsweise eingehalten und umgesetzt wurde. Immer, wenn mal irgendwo ein bisschen Volk gefragt wurde, lehnte es ab: Die große Europäische Verfassung fiel so durch, die fortwährende Erweiterung des Euro-Raumes kam zum Erliegen, die anfangs propagierte Vertiefung der Integration und das in Berlin erdachte "Spitzenkandidatenprinzip" für die EU-Wahlen ebenso.

Damit soll nun Schluss sein. Wenn die Menschen nicht wollen, weil ihnen die Einsicht fehlt, dass eine "monetäre Union ohne eine politische Entsprechung auf Dauer nicht tragfähig sein wird“ (Schäuble), muss eben von oben durchregiert werden. "Wir brauchen eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik, um die Gemeinschaftswährung dauerhaft zu stabilisieren“, sagt Wolfgang Schäuble, der nach Jahrzehnten in der Politik weiß, dass ein Politikersatz, der mit "wir brauchen" beginnt, auf jede inhaltliche Begründung verzichten kann. Die gemeinsame Währung ist nach  Schäubles Logik nicht die Magd von Wirtschaft und Gesellschaft, kein Mittel, um Wohlstand zu erlangen und das Wirtschaftsleben zu sichern. Sondern der eigentliche Zweck aller finanzpolitischen und wirtschaftlichen Bemühungen: Der Euro als Sinn Europas, den es anzuernehmen gilt wie ein unausweichliches Schicksal.

Selbst die Zahlen der EU-Kommission zeigen, welchen Erfolg das hat.

2 Kommentare:

Jodel hat gesagt…

Wenn der gute Herr Schäuble seine feuchten Träume auch wenigstens mit Schwarzgelb bezahlen würde. Aber nein, für diesen guten Zweck darf des gerne reichlich von unserem unendlich vorhandenen Steuergeld sein.

Bei der Währungsunion handelt es sich um ein Eliten-Projekt bei dem inzwischen jeder der seine fünf Sinne beieinander hat weiß, das es schlecht ausgehen wird. Die Betonwand der Realität steht unausweichlich schon jetzt am Ende unserer glorreichen gemeinsamen Euro-Schußfahrt.
Und statt zu bremsen, vielleicht sogar anzuhalten, geben unsere Politiker ständig mehr Gas und versuchen die Wand gleichzeitig fünf Meter nach hinten zu verschieben.

Am Ende wird es, wie jedes Eliten-Projekt sei Anbeginn der Zeit, das nicht von der breiten Masse getragen wird, irgendwann zusammenbrechen. Ob mit einer Implosion oder Explosion hängt nur davon ab, wie lange diese Kopfgeburt noch künstlich am Leben gehalten wird.

Nur einmal in meinem Leben würde ich es gerne erleben, das die Politikerkaste es schaft
ein offensichtlich nicht funktionierendes Projekt zu stoppen bevor es mit Vollgas gegen die Wand knallt und die Überlebenden die Trümmer aufsammeln dürfen.

Aber das ist wohl leider zu viel verlangt.

Jodel hat gesagt…

Gerade gesehen. Freudscher Verdenker. Schwarzgeld nicht schwarzgelb.

Wenigstens dieses Projekt hat unsere begnadete Kanzlerin, Hand in Hand mit der FDP, vorzeitig gestoppt.