Freitag, 28. Dezember 2012

Wasserpest: Prantl und der Pinkelpreis

Natürlich sind die Fahrpreise staatlichen Bahn in Deutschland in den letzten dreißig Jahren schneller gestiegen als die von privaten Tankstellenketten verlangten Benzinpreise. Natürlich sind die in Deutschland von staatlichen Firmen kassierten Wasserpreise höher als die Frankreich, wo der Markt von Privatfirmen dominiert wird. Natürlich ist der Gaspreis in den USA, die ihre Versorgung nicht über staatliche Lieferverträge mit staatlichen russischen Firmen organisieren, um ein Vielfaches niedriger als hierzulande. Und natürlich sind es die in Gemeinbesitz befindlichen Sparkassen, die von ihren Kunden die höheren Kontoführungsgebühren kassieren - verglichen mit den wenigen Privatbanken, die es noch gibt.

Aber natürlich weiß das der Durchschnittsdeutsche nicht. Also will es auch Heribert Prantl nicht wissen, eine Edelfeder für alle ersten Fälle, die bei der privaten Südwest-Medienholding gewetzt wird, wenn es gegen Liberalität, Freiheit und Selbstverantwortung geht. Prantl, der früher einmal Jura studiert haben soll, ist ein Interventionist reinsten Wassers. Er ist für ein NPD-Verbot, für eine Sondersteuer auf Internetsuchdienste und für eine Art Journalismus, der statt wörtlicher Zitate auf "berichtigende Auslegung" setzt: Wer etwas nicht sagt, meint es doch vielleicht trotz, oder?

Nach NSU und Leistungsschutzrecht, Schlecker-Frauen und Verfassungsschutz hat sich Prantl jetzt den angeschlagenen FDP-Chef Philipp Rösler vorgenommen. Dessen Versuch, der überbordenden Staatlichkeit mit Dutzenden bundeseigener Banken, bundeseigenen Kohle- Telekom- und Immobilienunternehmen langfristig mit Privatisierungen beizukommen, nennt Prantl einen "Ausverkauf der Staatlichkeit" - als wäre Unternehmertum eine staatliche Aufgabe.

Heribert Prantl ist kein Schlechter. Weil er ahnt, dass 13.000 Unternehmen allein im Besitz der Bundesländer und mehrere tausend Unternehmensbeteiligungen des Bundes nirgendwo im Grundgesetz festgeschrieben sind, beruft er sich auf den gefühlten "Willen der Bürger": Die wollen nicht, dass "Riesen-Bärenklau, das drüsige Springkraut und die Wasserpest" in ihrem Land einfallen, sich "ausbreiten wie der Teufel, das Landschaftsbild verändern, andere Pflanzen verdrängen und das biologische Gleichgewicht zerstören" (Zitat).

So einer ist der doch, dieser Rösler, das sieht man ihm schon an der Nase an, meint das wohl. Die ist so wasserpestartig asiatisch, die hat nicht von einem gutherzigen Parteimanager, der ein prosperierendes Gemeinschaftsunternehmen aller in eine lichte Zukunft führt. Der hat auch nichts gemein mit einem fröhlichen deutschen Politiker, der Arbeitsplätze in Delaware schafft.

Nein, dieser Rösler ist das Gesicht von "Neoliberalismus, Marktradikalismus und Thatcherismus" (Prantl), eine personifizierte "gefährliche Botschaft": "Je weniger Staat, desto besser; der Markt reguliert sich selbst."

Mit dem Banken-Crash im Herbst 2008 sei diese Botschaft ad absurdum geführt. Schreibt Prantl. Obwohl die Finanzkrise in vorderster Front von deutschen Politikern geführte und mit Steuermitteln aufgeblasene deutsche Landesbanken auslebten.

Dennoch. Nie, nie, nie wieder dürfe von Deutschland eine Privatisierungsoffensive ausgehen; nie, nie, nie dürfe der Staat seine Anteile am Duisburger Hafen, einem Hotel bei Bonn, den Bayreuther Festspielen, an Telekom, Post, Bahn oder Busunternehmen, an Flughäfen, Druckereien, Wohnungsunternehmen, Brauereien, Autoherstellern, Speditionen und Autobahnraststätten verkaufen. Denn all das, so Prantl, diene der Daseinsvorsorge. Und die könne, das wusste schon der frühere Arbeiterführer Franz Müntefering von seinen zahlreichen DDR-Besuchen, die könne eben nur der Staat.

Heribert Prantl schweift nun ab. Vom biologistischen Ausflug zur vietnamesischen Wasserpest geht es auf den Bauernhof. Es sei doch gut, "wenn der Staat ein paar Hühner besitzt, die goldene Eier legen - Bahn und Flugsicherung gehören dazu", schreibt er. Der Hauptgrund aber sei der: "Der Staat soll und darf sich nicht herausschleichen aus Aufgaben, die für den Bürger existenziell und essenziell sind."

Wie eben die Flugsicherung. Die Eisenbahn. Die Autobahnraststätten. Die Vermietung von Kesselwagen. Der Betrieb von Landwirtschaftsbetrieben. Reisebüros. Die Beteiligung an Warenhausketten. Und die Versteigerung alter Wollsocken.

Völlig verständlich, dass es sich "die Bürger immer weniger gefallen lassen, dass der Staat Stadtwerke und Wasserversorgung an Private verkauft oder verleast". Der Preis solcher Aktionen, so Prantl, seien nämlich Preissteigerungen gewesen. Von denen auch ein Lied singen kann, wer bei staatlichen Gasversorgern oder kommunalen Elektrokonzernen Kunde ist.

Dank gewiefter Umdeuter wie Heribert Prantl aber erleben Bürger eben nur "Privatisierung als Sieg des Ökonomismus über die soziale Verantwortung", nicht staatliche Raubzüge, die öffentliche Wohnungen teurer machen als private, Busfahren in Halle doppelt so teuer sein lässt wie in San Franciso und den Pinkelpreis an der Autobahn inzwischen auf 70 Cent getrieben hat.

Wohl deshalb hat Heribert Prantl jetzt den Brüder Grimm-Preis 2012 erhalten.

8 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Die Assoziation von den Neophyten zu den Neoliberalen, einfach weil bei beiden Wörtern die erste Silbe Neo lautet, ist ein ganz schöner Sprung, den man erstmal haben muss.

Statt mit den Neophyten hätten er es vielleicht auch mit Neozoen sagen und noch etwas mehr verdeutlichen können, worauf er hinauswill:

„Was Varroamilbe, Auwaldzecke und Kartoffelkäfer für die Natur sind, das sind Neoliberalismus, Marktradikalismus und Thatcherismus für die Politik: Es sind Dinge, die zu verfolgen und auszumerzen heilige Pflicht eines jeden Reichsbürgers ist.“

Den Sprung von den Neoliberalen zu den Neonazis hat er einstweilen noch nicht hinbekommen, darum ist er aber auch nur bei der Süddeutschen.

Christian hat gesagt…

Was mich beruhigt hat, ist, dass die Wasserpest gar nicht so schlimm ist, wie Prantl behauptet. Sie vernichtet im Frühjahr und Sommer Algen und produziert viel Sauerstoff. Fischen schmeckt sie auch gut. Manchmal wird die Rotfeder, ein Karpfenfisch, eingesetzt, um sie im Zaum zu halten. Auf Kriegsfuß steht sie nur mit anderen Wasserpflanzen: Wie bei Wikipedia zu lesen, verdrängt sie "Laichkraut- und Armleuchteralgen-Gesellschaften".

Anonym hat gesagt…

Die Wasserpest als natürlicher Feind der Armleuchteralge? Keine Frage, warum ein bestimmter süddeutscher Leitartikler da Partei gegen die Wasserpest ergreift.

Friederich hat gesagt…

Der »gefühlte Wille der Bürger« hieß früher übrigens »gesundes Volksempfinden«. Und überhaupt: Man kann ja nie genug Staat haben.

ppq hat gesagt…

wenn solche diskriminierenden vergleiche es in die junge freiheit geschafft hätten... da wäre aber alarm im zirkus

Volker hat gesagt…

"Und überhaupt: Man kann ja nie genug Staat haben."

Die Sache ist nun aufgeklärt. Einem Medienbericht zufolge hatte eine Betreuerin versehentlich an einem Ofen das Gas aufgedreht.
Passiert. Leider.

Was auffällt:
Die "Frauen sind die besseren Menschen"-Fraktion hält sich diesmal mit Kommentaren dezent zurück.

Le Penseur hat gesagt…

@PPQ:

Bei solchen locker daherkommenden Artikeln wie den gegenständlichen beschleicht mich eine verwirrende Gemeingelage von Gefühlen:

1. Neid, daß ich das nicht so locker kann
2. Melancholie (selber Grund)
3. intellektuelle Hochstimmung
4. Ehrfurcht

Ich vergesse meine anmaßend-eitle Frage, ob LePenseur als Buch zum Nachlesen herauskommen soll, und stelle den Antrag:

PPQ wolle beschließen, eine Nachlese seiner besten Artikel (d.h. fast alle!) in Form einer Schriftenreihe herauszubringen.

ppq hat gesagt…

@le penseur: danke für die blumen. aber denkst du auch an das arme holz?