Montag, 9. November 2009

Scheitern als Karrieresprungbrett

Im "18. Brumaire des Louis Bonaparte" belehrte Karl Marx seinen Kollegen Hegel, dass der nicht ganz zu Ende gedacht habe. Alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen ereigneten sich nicht nur zweimal, nein. Hegel habe vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce."

Nicht vergessen hat das junge zusammengewachsene Deutschland, das 20. Jubiläum seines faktischen Gründungstages nach Kräften als Gelegenheit zu nutzen, um den Beweis dafür anzutreten. Ja, da passt alles zusammen bei der großen Feier in Berlin: Wo einst die Sonne schien, regnet es jetzt Strippen wie der Hauptstädter sagt. Statt der seinerzeit aktiven Kohl, Bush, Thatcher, Mitterand, Krack und Momper schieben sich Gestalten wie Klaus Wowereit und Nicolas Sarkozy ins Bild, dazu der unvermeidliche Thomas Gottschalk und die unausweichliche Maybrit Illner, musikalisch flankiert von Bon Jovi, der wohl den verhinderten Mauereinreißer David Hasselhoff vertritt, dessen "Looking for Freedom" aber nicht annähernd so rockig hinzuzaubern weiß.

Eine A Capella-Truppe, die auch nicht die echten "Prinzen" sind, singt dazu "Freiheit" von Westernhagen, der wohl selbst keine Zeit hatte, als sei ihnen ein Stück Mauer auf die Lackschuhe gefallen. Umringt ist das Ganze von Kindern, die aufgestellt sind wie früher bei Sendungen des DDR-Kinderfernsehens der Kinderchor Omnibus. Wer einmal Claqueure gesehen hat, erkennt sie leider immer wieder.

Dann aber wird Gorbatschow aus der Kulisse geschoben, der Mann, den die Balkon-Genscher-Legende "einen Freund" nennt. Gorbatschow, mit 21 in die Kommunistische Partei der Sowjetunion (KPdSU) eingetreten und bis in die Mitte seiner 40er ein ruhig funktionierender Apparatschik im heimatlichen Stawropol, hat es geschafft, aus seiner größten Niederlage seinen größten Sieg zu destillieren. Während Egon Krenz den Maueröffnungs-Zettel schrieb, den SED-Politbüro-Sprecher Günter Schabowski am 9.11. 1989 vorlas, wusste Gorbatschow noch nicht einmal, dass es einen solchen Zettel gab. Dennoch steht der von KGB-Chef Juri Andropow an die Spitze der komatösen Sowjetunion beförderte Landwirtschaftsexperte heute im Ruf, ein Maueröffner und Reformer gewesen zu sein, was ihm Einladungen und Orden einträgt. Während sein DDR-Pedant als betonköpfiger Schwerverbrecher bereits hinter Gittern saß.

Dabei war sein Versuch der Einführung von Glasnost und Perestroika nach dem 27. Parteitages der KPdSU im Februar 1986 keineswegs dazu gedacht, den Sozialismus zu zerstören, Deutschland wiederzuvereinigen und die UdSSR aufzuspalten. Ganz im Gegenteil: Mit Alkoholverbot und wirtschaftlichen Reformen, Abrüstung und geistiger Öffnung wollte Gorbatschow die sieche Kommandowirtschaft wiederbeleben und
damit neue Dynamik in das erschlaffte kommunistische Weltsystem bringen.

Es ist ihm nicht gelungen. Ganz so wie es DDR-Chef Erich Honecker befürchtet hatte, war der Sozialismus nur gefangen, gebunden und geknebelt überlebensfähig, gestützt auf Gewehre, aufrecht gehalten vom Eisernen Vorhang, belebt von Menschen in Angst. Oder er war tot, weil es in ihm zu lebendig wurde.

Gut für Gorbatschow, der 20 Jahre lang einer der mächtigsten Männer der Sowjetunion war und nur fünf Jahre lang "Reformer". Sein Heldenstatus ist heute unumstritten, trotz der Vertuschung des Atomkraftwerkunfalls von Tschernobyl, trotz des von ihm vier Jahre fortgeführten Afghanistankrieges, trotz seines Widerstandes, abtrünnigen Sowjetrepubliken die Freiheit zu geben, die später tauende Tote forderte.

Dass der gescheiterte Sozialismusretter als Maueröffner gefeiert wird, passt aber genau. Eben plumpsen Styropor-Mauerstücke, die für Dreijährige, Südsudanesen und Blinde täuschend echt aussehen müssen, wie Domino-Steine ein. Huch, ist das ein Spaß! Hui, klappert das schön. Und wie die Lichter blinken! Marx hatte eben doch Recht, wie nunmehr auch die Süddeutsche Zeitung in anderem Zusammenhang feststellt.

20 Kommentare:

Die Anmerkung hat gesagt…

Ich gehöre zu jenem kleinen, aber feinen, Personenkreis, der seine Meinung über Gorbatschow bis zum heutigen Tag nicht geändert hat. Die konnte ich dazumal nur sehr vorsichtig äußern. Heute behalte ich sie lieber gleich für mich.

Was muß (s)ich dazu ändern?

ppq hat gesagt…

wenn einer so viel gelobt wird dann nie für das, was er ist, sondern immer für das, wofür er taugt

derherold hat gesagt…

Gab es nicht eine Sendereihe in der ARD über den Abzug, die Abrüstung der Roten Armee, in der ein hoher sowjet. General voller Inbrunst sagte:
"Ich spuck ihm ins Gesicht !" ?

Im übrigen sehe ich ich gerade ein Interview mit Enzensberger, der auch Dinge sagt, die man als Otto-Normalo heute lieber gleich für sich behält ...

Beobachter hat gesagt…

Guten Morgen.

Millionen sahen sich gestern das Ereignis im Fernseher an, Einige waren vor Ort, in jeden Radiosender wurde man damit zugemüllt. Ich beobachtete einige, wie sie gebannt Merkels rede lauschten. Je weiter unser Land in die Zukunft schreitet, destso mehr ist mir nach heulen zumute. Und 99% der Bürger schreiten mit. Denn auch wer meckert, aber nicht handelt, unterstützt.
So kann ich nur sagen, so wie man sich bettet so liegt man, und wer aus der Geschichte nicht lernt, ist verdammt sie immer wieder zu Erleben.

Ja wir wurden alle verdient gefistet.

Grüße vom Beobachter

Anonym hat gesagt…

dieser Artikel bringt's auf den Punkt!

Die Dominostein-Mauer ist nicht nur lächerlich, sie ist auch peinlich. Hat man die Wachtürme auch aus Styropor nachgebaut und zum Einsturz gebracht?

Was wohl die Menschen ob dieses Jahrmarkts empfinden, die in der DDR gequält wurden? Die, die nicht denunziert haben und dafür einen hohen Preis zahlten? Alles vergeben und vergessen?

Der Soli muss weiter gezahlt werden, auf dass man in 5 Jahren eine noch höhere Mauer aus Styropor zum Einsturz bringen kann. Vielleicht lässt man dann noch Stoffschäferhunde mit Vopo-Robotern Patrouille gehen.

Nun, jetzt wissen wir jedenfalls, wie man den Kampf um Freiheit, wie man eine "stille Revolution" ins Lächerliche ziehen kann, uns ist nichts peinlich, überhaupt nichts.

Ich schlage vor, dass man in der Uckermark eine "Mini-DDR" aufbaut, mit allem Drum und Dran, damit man das Leben in Unfreiheit anschaulich darstellen kann inkl. Bückware - da dürfen dann alle die leben, die mit der Freiheit nicht zurechtkommen, und zur Belohnung erhalten sie die Eintrittsgelder, die an den Wachtürmen kassiert werden.

Anonym hat gesagt…

Auf jeden Fall hat er mich zum Nachdenken gebracht, der Genosse Gorbatschow. Und das waren Dominosteinmauerstücke, die ich zufällig im TV von Verwandten erblickte? Und ich dachte, es handelt sich um eine neue Gedenkstätte.

ppq hat gesagt…

die stadtbilderklärer vom öff-tv nannten sie "dominosteine". ich dachte auch, bisschen groß irgendwie. und für die mauer wieder zu klein.

mir fehlten irgendwie die von menschenmassen mit fähnchen gebildeten bilder, die es früher bei sowas immer gab. "freiheit die ich meine" oder "mein herz für die marktwirtschaft" hätten bestimmt gut ausgesehen von der gegentribüne.

nwr hat gesagt…

@anonym
"Was wohl die Menschen ob dieses Jahrmarkts empfinden, die in der DDR gequält wurden? Die, die nicht denunziert haben und dafür einen hohen Preis zahlten?"

Ob die andächtig lauschen werden, wenn ihnen eine ehemals fest in das untergegangene System eingebundene FDJ-Sekretärin etwas von "errungener Freiheit" und "mutigen Menschen" vorschwärmt?

Le Penseur hat gesagt…

Natürlich haben der Artikelverfasser und die Poster in allem prinzipiell recht — nur: als Jurist sage ich immer (in bildungsbürgerlichem Latein, selbstmurmelnd): "audiatur et altera pars"*)

Und hier muß ich eben berücksichtigen, daß Gorbi halt zwar nicht der strahlende Maueröffner war, aber mit ein wenig Entschlossenheit den Prozeß bis zur Maueröffnung (und erst recht den danach zur Wiedervereinigung) hätte extrem unlustig werden lassen können (ich hoffe der dreifache Infinitiv findet Gnade vor allfällig mitlesenden Meistern deutscher Sporachkunst) ...

Gorbatschow verdient Dank dafür, daß er in entscheidenden Momenten nichts (oder wenigstens nicht mehr als symbolische Gesten) unternahm. Nur weil die DDR-Führung aus der früheren Reaktion der ungarischen Regierung bei der Ausreise von DDR-Bürgern in den Westen entnahm, daß die Sowjetunion offenbar ihre Militärmacht nicht zum Schutz "verbündeter sozialistischer Staaten" (recte: nur durch beinharte Unterdrückung überlebender roter Regime) einsetzen würde, konnte sich eine Gruppe von defaitistischen SED-Funktionären gegen die Betonköpfe um Honni & Co. durchsetzen, die sicherlich die Vopoam liebsten hätte dreinschlagen lassen, daß es nur so gekracht hätte!

Nicht, daß dadurch der Mauerfall definitiv verhindert worden wäre — aber er wäre Monate, vielleicht Jahre — und vermutlich hunderte Tote und tausende Verhaftete und Gefolterte — später gekommen.

Insoferne löcke ich hier gegen den posterischen Stachel und bekenne: "Vielen Dank, Michail Sergejewitsch, für Ihre Zurückhaltung!"

Auch dem, der rechtzeitig erkennt, daß ihn das Schicksal bestrafen würde, wenn er sich weiter verspätete, gebührt unsere Anerkennung.

---

*) die Übersetzung ist praktischen Handbüchern wie "Latein für Angeber" u dergl. leicht zu entnehmen ;-)

nwr hat gesagt…

@lepenseur:
Ich habe hingegen manchesmal das Gefühl, daß die friedliche Wende allzu friedlich ablief. Es ist schon erstaunlich, wer sich von der 2. bis 5. DDR-Garnitur schon wieder an maßgebenden Plätzen der BRD tummelt und genau der gleiche Mensch wie vorher ist, nur daß er neue Phrasen drischt und vor neuen Herren buckelt.

Beobachter hat gesagt…

Jetzt sah ich erst, daß sie ihr Produkt auch Weltweit verkaufen will, die Anführerein der Deutschen.

"Die spannendste Frage, um Mauern zu überwinden, wird sein:
Sind die Nationalstaaten bereit und fähig, Kompetenzen an multilaterale Organisationen abzugeben - koste es, was es wolle."

Dann wird in ein paar Jahren der demokratische Sozialismus Weltweit Herrschen. Alles was dagegen ist wird überrant.

Beobachter

ppq hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
ppq hat gesagt…

@Le Penseur: Einspruch, Euer Ehren! Dass Gorbatschow und die Sowjetunion ihre 500.000 Mann in der DDR nicht in Marsch setzen würden, war klar, seitdem der Kremlchef die Breshnew-Doktrin der eingeschränkten Souveränität der Satellitenstaaten für obsolet erklärt hatte. Das war also offizielle Politik, nicht ganz freiwillig aber auch das, weil Gorbatschow wusste, dass es seinem Land gerade noch gelang, die Truppen im Ausland zu halten, es aber keinesfalls möglich gewesen wäre, sie im Ausland einzusetzen. Dazu war die sowjetische Wirtschaft einfach schon zu hinüber.

Was mir sauer aufstößt ist aber nicht mal das, sonder die Tatsache, dass Gorbatschow als lustiger "Gorbi"-Onkel verehrt wird für etwas, was er NICHT getan hat, ganz am Ende, während Egon Krenz und Konsorten, die nicht weniger, aber auch nicht mehr verdorbene alte Männer waren (Biermann), als Teufelsbrut und Alleinschuldige herumgereicht werden, obwohl sie es waren, die am Ende der Not gehorchend (und dem Druck nicht der Demonstranten, sondern dem derer, die jeden Tag wegliefen) beschlossen, die Grenzen zu öffnen.

Nochmal: Die taten das, nicht Gorbatschow, der hat es nur nicht verhindert, weil er es gar nicht verhindern konnte.

Klar, alle Rollen in solchem Theater müssen besetzt sein. Aber gefallen muss einem das Stück doch deshalb nicht.

VolkerStramm hat gesagt…

Gorbatschow hat auch schon vor besagtem Ereignis Gutes getan. Er hat die Dinge beim Namen genannt und die Möglichkeit eröffnet, von der Linie abzuweichen ohne gleich mit der Nazike..., sorry, Epoche verwechselt ... also ohne gleich mit der Antisozialismus-Keule niedergeschlagen zu werden.
.
Die zweite Hälfte der 80er war eine spannende Zeit.
Es war die Zeit, als die an sich vollkommen harmlose Heimwerkerarbeit „tapezieren“ auf einmal eine hochpolitische Bedeutung bekam (www.youtube.com/results?search_query=sandow+born+in+the+gdr&search_type=&aq=0&oq=sandow+). Übernacht wurde der brüderliche Bruder zum Nachbarn degradiert.
Daschitschew wurde von der DDR-Presse wutschnaubend als „der zum Gorbatschow-Berater avancierte ...“ apostrophiert.
Die Phrasendrescherei von der „unverbrüchlichen Freundschaft ...“, „Pionier des Menschheitsfortschritt“ usw. verschwand wie der Dieb in der Nacht.
Hätte 84 jemand gesagt, in der DDR würde eine sowjetische Zeitung verboten – der wäre nicht mal ausgelacht worden; 5 Jahre später gab´s keinen Sputnik mehr.
„Der Sozialismus siegt“ leuchtete über Dresden - bis 1987.
Und die Studenten, diese Lümmel, haben die ML-Dozenten mit Gorbatschow-Zitaten traktiert.

Gorbatschow war wohl nicht der Held als der er heute hier angehimmelt wird. Aber er war der Stichwortgeber ("wer zu spät kommt"), der Kristallisationskern, er hat den Menschen Mut gemacht.

Sicher, er hatte alles andere vor als den Sozialismus abzuschaffen. Vielleicht war er ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und ...
Und wer ihn gar nicht mag kann sich damit trösten, dass er in seiner Heimat von allen Landsleuten als Dummschwätzer verachtet wird.

VolkerStramm hat gesagt…

Einer geht noch ...

Natürlich, PPQ, das Stück (es war ein Scheißspiel) muss einem nicht gefallen. Und vermutlich sind alle mehr Getriebene als Handelnde.
Dass Gorbatschow zu den Helden des Rückzugs gehört, hat vielleicht weniger mit seiner Person, als mit dem „langen Frieden“ zu tun (http://netzwerkrecherche.wordpress.com/2009/11/05/entscheidungsjahre/
www.zeit.de/feuilleton/kursbuch_162/1_heinsohn?page=1)

Aber man darf schon vergleichen.
Hätten die Bonzen in Deutschland und Japan 1944 (also in ähnlich aussichtsloser Lage) den Gorbi gegeben, dann wäre wohl einiges weniger mörderisch verlaufen.

ppq hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
ppq hat gesagt…

@ Volker: Natürlich, da stimme ich Dir zu.

Aber andererseits: Gerade das Vorbild mag es gewesen sein, das dem lieben Gorbi gezeigt hat, dass es besser anders zu machen ist, besser auch für einen selbst.

nwr hat gesagt…

@VolkerStramm:
"Aber man darf schon vergleichen.
Hätten die Bonzen in Deutschland und Japan 1944 (also in ähnlich aussichtsloser Lage) den Gorbi gegeben, dann wäre wohl einiges weniger mörderisch verlaufen."

Das ist doch die ewige leidige Behauptung der Nachgeborenen, die alles besser wissen. Die Perspektive des Gröfaz war aber jene eines Bunkerbewohners auf das an der Wand hängende Portrait Friedrich des Großen:

"...Da geschah wieder ein Wunder, das geschichtsträchtige "Mirakel des Hauses Brandenburg". Am 5. Januar 1762 starb eine der "Huren", die Zarin von Rußland, Elisabeth. Nun trat ein, was sich, ähnlich, der klapprige Hitler in seinem Bunker herbeigesehnt hatte, als er, am 12. April 1945, vom Tod des amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt erfuhr.

"So groß ist das Spiel des Zufalls", sinnierte der König: "Es spottet der eitlen Klugheit der Sterblichen, erhält die Hoffnung der einen und zerstört die des anderen." ..."
http://wissen.spiegel.de/wissen/dokument/dokument.html?id=13488171&top=SPIEGEL

Was wäre wenn? Wäre der Krieg verkürzt worden, wäre eine geringe Chance aufgegeben worden, der bedingungslosen Kapitulation noch zu entfliehen. Vielleicht hätten dann die Vertreibungen aus den Ostgebieten nicht stattgefunden, viele Opfer also wären erspart geblieben.

Und was wäre, wenn Deutschland den Krieg gewonnen hätte? Nun, dann wären 68er- oder 89-Generationen aufgetreten, welche die alten NS-Betonköpfe abgelöst und den den NS reformiert hätten, ihn dabei der Übername durch die Liberaldemokratie anheim fallen lassend. ...

Le Penseur hat gesagt…

@nwr:
Es ist schon erstaunlich, wer sich von der 2. bis 5. DDR-Garnitur schon wieder an maßgebenden Plätzen der BRD tummelt und genau der gleiche Mensch wie vorher ist, nur daß er neue Phrasen drischt und vor neuen Herren buckelt.
Das ist aber kein Spezifikum der deutschen "Wende". Sehen Sie nach Frankreich — z.B. auf einen ganz exemplarischen Wendehals wie Talleyrand — von Louis XVI zur Französischen Revolution, von dort zu Napoleon, von Napoleon zum Restaurationsregime, von dort zu den Orléanisten. Hätte der würdige (und, en passant, auch hochwürdigste) Fürst einfach noch etwas länger gelebt, wär er vermutlich dann auch Geburtshelfer dee Zweiten Kaiserreichs geworden ...

Aber bleiben wir in Deutschland: wie viele Leute sind 1918 aus monarchistischer Befangenheit erwacht und glühende Republikaner geworden, dann 1933 zum Nazitum konvertiert, welches sie 1945 aber als schrecklichen Irrtum einsahen und wieder zu lupenreinen Demokraten mutiert ...

@ppq:
Was mir sauer aufstößt ist aber nicht mal das, sonder die Tatsache, dass Gorbatschow als lustiger "Gorbi"-Onkel verehrt wird für etwas, was er NICHT getan hat, ganz am Ende, während Egon Krenz und Konsorten, die nicht weniger, aber auch nicht mehr verdorbene alte Männer waren (Biermann), als Teufelsbrut und Alleinschuldige herumgereicht werden
1. Krenz war 1989 kein "alter Mann" — ich verbitte mir, einen 52-jährigen als "alten Mann" zu bezeichnen! ;-)
2. im Gegensatz zu Gorbatschow war Krenz allerdings bis wenige Wochen vor dme Ende nicht durch Reformansätze aufgefallen, sodaß ihn eben der Unmut der Opfer direkter und härter traf.
3. Gorbatschow ist nur außerhalb Rußlands eine Ikone. In Rußland kräht kein Hahn nach ihm und seiner Partei!
4. Die Russen haben ihre Sowjet-Vergangenheit eben anders "bewältigt" als die Deutschen ihre DDR. Ich habe überhaupt den Verdacht, daß die Deutschen im Vergangenheitsbewältigen nicht wirklich begabt sind. Sie sind vermutlich einfach zu penibel — und zum "Bewältigen" gehört halt auch eine Portion "Schwamm drüber!"-Mentalität, die den Deutschen scheints nicht in die Seele implementiert wurde.

ppq hat gesagt…

1.) Mit alt war in dem Zusammenhang nicht lebensalteralt gemeint. Es ist nur so: Der war schon da, als ich klein war, und er ging auch nie weg bis 1989.

2.) Okay, er hatte aber auch den Nachteil, dass der Honecker nicht so eilig wegstarb wie Breschnew, Andropow und Tschernenko. Gorbi hat sich ja auch durch geduldiges Mitmachen nach oben geschleimt, nicht durch revolutionäres Reformertum.

3.) Ja, ich weiß.

4.) Da ist sicherlich etwas Wahres dran. Das macht uns andererseits aber auch so romantisch. Dunkle Wälder, Grübeln, im genießen immer schon das Verblühen mitahnen.