Sonntag, 21. November 2010

Wir gegen uns: Fußball-Einheit nur im Osten

Typische Einheitsfeier, 20 Jahre danach: Leipzig, einst Gründungsort des später nur noch westdeutschen Deutschen Fußball Bundes, erlebt das große Spiel "DDR-Legenden" gegen "Fußballweltmeister", das so heißt, weil man es natürlich nicht DDR gegen BRD nennen kann. Die "Superillu", Zentralorgan der Ost-Enttäuschung, ist seit Tagen aus dem Häuschen, die einheimischen Regionalblätter beschwören die Zeiten, als Ostdeutsche noch in der Bundesliga und in der Nationalmannschaften mitspielten. Matze Knop macht wie immer seine "Beckenbauer"-Nummer und Olaf Marschall hat immer noch eine Frisur, die, wäre sie eine Jeans, Stonewash-Karotte hieße.

"Ein gelungener Tag, ein gelungener Abend", wird der Kommentator des MDR am Ende der Begegnung "Wir gegen uns" resümieren, gänzlich unbeobachtet allerdings vom Westteil der vereinten Fußballrepublik. Dort interessiert "das große Fest" (Waldemar Hartmann) niemanden. Während im Sendebereich der ehemaligen DDR sowohl MDR als auch RBB das Treffen der früheren Oberligakicker mit den einstigen Bundesliga-Idolen übertragen, sparen sich das die West-Anstalten von Bayerischen Rundfunk bis WDR, von SWF bis NDR. Auch die Fußball-Giganten aus der Ex-BRD bekommen mit Mühe eine Mannschaft zusammen: 14 Spieler nur, darunter der aus Kalifornien eingeflogene Jürgen Klinsmann, fanden Zeit, das 1990 wegen Sicherheitsbedenken ausgefallene Vereinigungsspiel nachzuholen.


"Heute ist alles sicher", sagt der MDR-Schlachtberichterstatter. Der internationale Terror bedroht Berlin, nicht Leipzig, und die Republik schaut ohnehin nicht "auf diese Stadt" (Willy Brandt). Die Einheit, das ist die Botschaft, ist eine reine Ostangelegenheit, kein Grund zum feiern in Bochum, Köln oder Stuttgart, wiewohl es natürlich der konsumfreudige Osten war, der vor zwei Jahrzehnten dank westdeutscher Kreditschöpfung einsprang, die Dauerkrise von rheinischem Kapitalismus und Kohlscher Marktwirtschaft aufzubrechen. Immerhin haben die PPQ-Leser dem früheren halleschen Spieler Dariusz Wosz einen Kranz gewunden: Sie votierten mit Zwei-Drittel-Mehrheit dafür, den kürzlich irrtümlich an den gebürtigen Schalker Mesut Özil verliegenen Integrations-Bambi besser an den gebürtigen Polen Wosz zu vergeben, der sich vorbildlich erst in der sozialistischen DDR und später auch noch in der kapitalistischen BRD integrierte.

Ein Plädoyer, das verhallen wird, wie die Verdienste der Ostdeutschen heute vergessen sind. Dafür heftet sich etwa der DFB Heldentaten an, die er nie zu vollbringen vermochte. Hans-Georg Moldenhauer, vom Fußballchef der DDR umgeschult zum Vizepräsidenten des gesamtdeutschen Verbandes, nennt die deutsch-deutsche Fußballeinheit eine "Erfolgsgeschichte".

Er meint damit wohl vor allem, dass der Fußballwesten erfolgreich gewesen ist: Zwischen Rostock und Zwickau rollt der Ball heute nur noch in den unterklassigen Ligen. Einstige DDR-Spitzenklubs wie der 1. FC Magdeburg, Dynamo Dresden oder Carl Zeiss Jena stehen im Abstiegskampf in unteren Ligen; Traditionsvereine wie der Hallesche FC, Lok Leipzig oder Chemnitz dümpeln in der vierten oder gar fünften Liga herum. Mit Aue, Cottbus und Union Berlin haben es ganze drei der letzten 14 Oberliga-Klubs geschafft, bis heute weiter Profifußball zu spielen. In der Fußball-Bundesliga standen am letzten Spieltag vor dem Vereinigungsmatch ganze vier Profis aus den neuen Ländern auf dem Platz. Das sind knappe zwei Prozent aller deutschen Erstliga-Spieler - bei einem ostdeutschen Bevölkerungsanteil von zirka 15 Prozent fast achtmal weniger, als rein statistisch zu erwarten wäre.

Dennoch ein gutes Ergebnis, das der Fußball da erzielt, verglichen mit den Medien, die über ihn berichten. Auf der MDR-Couch bei der "großen Fußballeinheitsgala" in Leipzig wird das Problem engagiert diskutiert: Von Oliver Bierhoff, DFB-Manager, geboren in Karlsruhe. Von Guido Buchwald, Ex-DFB-Nationalspieler, geboren in Westberlin. Von Waldemar Hartmann,
Moderator und Komödiant, geboren in Nürnberg. Von Matze Knop aus Lippstadt in Nordrhein-Westfalen. Und von Miriam Pielhau, Moderatorin, geboren in Heidelberg.

Die DDR-Legenden hatten das Spiel zuvor mit 2:1 gewonnen. Ein Sieg war das nicht.

Direkt zum Ostfussball-Portal

16 Kommentare:

Borsig hat gesagt…

"Geschichte schreiben immer die Sieger"

B.Brecht

ppq hat gesagt…

ein wahres wort.

derherold hat gesagt…

"In der Fußball-Bundesliga spielen derzeit vier Profis aus den neuen Ländern,..."

Was habe ich denn da falsch verstanden ?
Ich habe so ad hoc Kroos I+II, Kluge, Adler, Tiffert, Ballack, Pieckenhagen, Rose, Schmelzer, Starke, Fährmann, Franz, Mickel, Tesche, Klewer, Fritz, Borowski, Mielitz, Trinks, Rost gefunden und wahrscheinlich den einen oder anderen übersehen.

100% aller Sportdirektoren und mit Minge, Freund, Engel, Böger 80% aller Jugendnationaltrainer des DFB sind Ostdeutsche ...
... so wie 100% aller Bundeskanzler und evangel. Kirchentagspräsienten (aufgrund der atheistischen Entwicklung kommen nach meiner Berechnung auf 10 gläubige Ostdeutsche statistisch 1,3 Kirchentagspräsidenten).

Vielleicht hätte man sich einmal fragen sollen, warum die Top-Sportnation DDR ausgerechnet im Fußball so unerfolgreich war und selbst Ministaaten wie Schottland, Dänemark, Schweden stärkere Vereins- und Nationalteams stellten.

derherold hat gesagt…

Strukturelle Defizite sorgen für das Ligentief ... und weder "zu wenig Geld", noch ein 9/11-inside job.

Rostock (noch nicht einmal Landeshaupstadt in der MV-Prärie), Cottbus (am Arsch der Welt), Jena sind zu klein ... und ihre Chancen auf einen dauerhaften Verbleib im Profisport auch nicht größer als für RWO, Wuppertal oder Lübeck.

Die ostdeutschen Großmächte haben versagt: Halle, Magdeburg, Dresden, Leipzig, Chemnitz. Die ersten vier hatten innerstädtische Konkurrenz und die Jungs von der Gellertstraße sollten mal analysieren, warum Wismut Inzucht mit der CFC-Reservebank aufgestiegen ist.

ppq hat gesagt…

präzisierung: am letzten spieltag vor dem vereinigunsspiel standen 4 auf dem platz

ppq hat gesagt…

die unerfolgreichkeit der ddr im fußball erklärt sich aus dem fördermodell. 20 fußballer an die weltspitzer zu bringen ist genau teuer wie 20 leichtathleten. die 20 fußballer kommen dann mit einer medaille nach hause, die 20 leichtathleten aber mit 20

so gesehen war der sport im sozialismus harter kapitalismus: wo bringt mein geld die höchste rendite? also die meisten medaillen? das hatten sie verstanden, die alten herren

derherold hat gesagt…

An mangelnder Förderung kann es doch nicht gelegen haben. Die Fußballer in der DDR wurden doch dreimal besser ausgebildet als im "nicht-sozialistischen Ausland".

Der Fußballgott hat Humor, wenn ausgerechnet die "Unsichtbaren des DDR-Fußballs" wie Erfurt, Union, Aue, Rostock, Cottbus am alten Adel vorbeigezogen sind. Was die These stützt, daß im Fußball "Beißen" wichtiger ist als "Spielen".

Tuttinho Bull hat gesagt…

So ist es. Bonierte Provinzkacke allenthalben. Siehe gerade bei Lok. An der Misere sind wir hier im Osten größtenteils selber Schuld. Besonders in Leipzig.

ppq hat gesagt…

es ist überall schiefgegangen, wo versucht wurde, den in der jeweiligen stadt aus ddr-zeiten heraus führenden klubs (die von den neu in die verwaltungs- und firmenspitzen eingerückten herren für "rot" gehalten wurden) ein "bürgerliches pedant entgegenzusetzen. in leipzig war das chemie, in dresden der DSC, in halle der vfl

in den kämpfen, die danach zwischen fankurve und chefetagen abliefen, quasi ohne dass das jemand bemerkte, wurde die fussballzukunft zerrieben. das geld war jahrelang bei den bürgerlichen klubs, die zuschauer aber blieben bei ihren ddr-lieblingen (bis auf leipzig, da ist es noch etwas komplizierter)

also das wäre meine these, warum cottbus und nicht halle, warum rostock und nicht dresden

derherold hat gesagt…

Wobei man nicht vergessen sollte, daß die Magdeburger Fortunen einst als Favorit in eine Oberliga-Saison gingen, um dann von einer jungen 1.FCM-Mannschaft überholt zu werden, die damals aufstiegen.

... nur glaube ich nicht, daß der DSC - oder im Jugendbereich FV Borea-Nord - und Sachsen Böhlen mehr Kohle hatten als der VfB und Dynamo. Ich glaube, daß hier auch ein paar Grabenkämpfe ausgetragen wurde, wo die Herren im Magistrat dabei zugesehen haben, wie die (zuweilen westdeutschen) Vereinsoberen scheiterten.

Der VfB Leipzig hat seinen Geniestreich abgeliefert, als endlich der Wessi(-Trainer) nach Hause geschickt werden konnte ... und "einer von uns" (Halata) mit der guten Truppe aus dem Profilager abgestiegen ist. Mission accomplished.

waulmurf hat gesagt…

Geschichte schreiben auch die Verlierer. Aber niemand will sie lesen (außer ein paar widerborstige Verlierer).

ppq hat gesagt…

dort, wo anfangs noch geld war, war keine politische unterstützung, sondern wilde zockerei, die auf geldvernichtung hinauslief. und dort, wo die un terstützung war (definitiv in halle, in dresden aber auch für den "bürgerlichen" DSC) waren meistens keine strukturen da.

Kurt hat gesagt…

Fußball wird überbewertet.
Ich kuck lieber Tieren zu. Z.B. den SaaleBulls und den Füchse und den Eisbären, den Eispiraten oder den Piranhas etc. :-)

VolkerStramm hat gesagt…

@Tuttinho Bull
Besonders in Leipzig? In Dresden noch mehr!


@PPQ
„erklärt sich aus dem fördermodell. 20 fußballer an die weltspitzer zu bringen ist genau teuer wie 20 leichtathleten“
Bietet sich an, war aber nicht so.
Es wurde sehr wohl unterschieden zwischen publikumswirksamen und nicht publikumswirksamen Sportarten.
Das Politbüro hätte sonst was gegeben für wenigstens EM-Teilnahme.

Es ist auch untertrieben zu sagen „dort, wo anfangs noch geld war, war keine politische unterstützung,“
Dynamo war ja zur Wiedervereinigungszeit eine gute Mannschaft. Dann haben sich die ... von Politik und Wirtschaft der Sache angenommen. Beim lesen der Liste war nicht ganz klar, ob das die Mitglieder des Dynamo-Präsidiums sind oder das Whoiswho der organisierten Kriminalität. Jedenfalls hat man (da mussten alle zurückstecken um einen Kompromiss zu finden) es geschafft, über tiefe ideologische Gräben hinweg (der freie Demokrat Otto, der soziale Demokrat Deubel, der christliche Demokrat Behr, der demokratische Sozialist Kluge) zusammenzuarbeiten - beim Ausschlachten des Vereins. Als dann nichts mehr zu holen war, da ward von denen keiner mehr zu sehen.

ppq hat gesagt…

ich sage ja nicht, dass es überall exakt so war. aber in groben zügen war das schon das problem. wobei natrülich jede stadt ihre spezifik hat. dresden, otto, das war ja nicht nur blauäugigkeit und kriminalität, das war vor allem wendewirtschaft, geld aus dem koffer, wilder osten.

aber wenn du alles wegkochst, was an eigengeschmack da ist, stößt du auf das gemeinsame phänomen: überall, wos geklappt hat, fehlte vorher der größenwahn und es fehlten die mittel für größenwahn, weil eben politischer streit und neid da waren.

ddr? em? ja, natürlich. aber du sprichst voin der endzeit, als sie schon mit "fußballbeschlüssen" versucht haben, die reine tonnenideologie zu beseitigen. weil sie da gemnerkt hatten, dass die siebte hammerwurfmedaille keine sau interessiert, wenn der bfc im ec-pokal immer in der ersten runde ausscheidet.

die früchte gabs ja dann - gratis für den westen. siehe doll, thom, wosz, sammer, tretschok, marschall usw.

diese ganze generation ist doch nur großgeworden, weil der DFV mit segen des politbüro angefangen hat, die prollsportart fußball zur staatssportart aufzubauen.

derherold hat gesagt…

Während kurioserweise im Westen die Volkssportart unter gesellschaftl. Veränderung und wachsendem Wohlstand zur Prollsportart wurde und bis zur "Kommerzialisierung" Anfang der 90iger die Zuschauerzahlen im freien Fall waren !

"Ich kuck lieber Tieren zu. Z.B. den SaaleBulls ... "

Und dann kommen die gewohnt großkotzigen Leipziger und müssen gegen die Freizeitamateure mit ´ner unfinanzierbaren Profitruppe antreten.