Sonntag, 5. Juni 2011

In gemurmelten Moll-Socken

Der Ostrock, der seit einiger Zeit auf Verlangen zahlreicher Leser wie ein Grundmotiv über den durchaus auch mal kulturkritischen Anmerkungen der PPQ-Redaktion schwebt, hatte Monokel, Diestelmann und Klaus Lenz. Durchweg also Vertreter instrumentaler Verschwendungssucht, Männer, die der kargen Umwelt in der chemiebelasteten Arbeiterrepublik gern mehrstimmige Klangwelten entgegensetzten.

Andere Länder, andere Sitten, für dieses Konzept musikalischer Reduktion auf das Unerlässliche steht der 44-jährige Bill Callahan, ein US-Sänger und Songwriter, der schon Platten produzierte und auf Tonbandkassete herausbrachte, als er noch gar nicht Gitarre spielen konnte. Das ist etwa 20 Jahre her und aus dem zauseligen Star der Heimproduktionsszene und Avantgardisten des Lo-Fi-Vierspurrock, der sich Smog nannte, ist ein reisender Vertreter für gemurmelte Moll-Socken, der zwar inzwischen unter seinem bürgerlichen Namen, eigentlich aber nicht einmal bei seinen seltenen Konzerten wirklich auftritt.

Callahan, vom in ältere Herren vernarrten "Rolling Stone" ob seines aktuellen Albums "Apocalyse" mit einer Zwei-Seiten-Geschichte gerühmt, steht eigentlich einfach nur da und zupft an seinem viel zu klein geratenen Klangholz herum. Dazu murrt er eine von Lied zu Lied nur unmerklich abgewandelte Melodie und schafft überraschende Aufmerksamkeitsmomente, indem er das Tempo im Stil einer chromatischen Mundharmonika verschleppt. "With the grace of a corpse in a riptide", murrt er in seinem alten Flüsterhit "Say Valley Maker", "I let go and I slide slide slide downriver with an empty case by my side that's my crime".

Ein Wanderer mit leerem Koffer, ein Sänger ohne Stimme, dem nur der Seufzer bleibt: "River Oh, River End, River Oh, River End, River Go, River Bend".Und natürlich das verzweifelte Gebet, das Bruce Springsteens Adolezenz-Drama "The River" nach tausend Jahren in einem Röcheln zu Ende bringt: "And when the river dries will you bury me in wood, where the river dries will you bury me in stone." Der Mann auf der Bühne, ordentlich in einen leichten Sommeranzug verpackt, weiß genau, wovon er redet.

Wo es keine Hindernisse gibt, gibt es auch keine Liebe. Wo es keinen Brombeerstrauch gibt, gibt es keine Liebe. Und auch auf dem geraden Weg gibt es keine Liebe. Zeit wird ein Kaugummi, wenn Bill Callahan singt, Nick Cave scheint plötzlich ein fröhlicher Springinsfeld, der hier immer wieder empfohlene Kevin Devine ein polternder Punk. "So bury me in wood", orgelt Callahan, "and I will splinter, bury me in stone, and I will quake, bury me in water, and I will geyser, bury me in fire, and I'm gonna phoenix." Toller Dichter.

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