Sonntag, 28. Mai 2023

Willkommen auf Eden: Eine Fabel über Europa

Amaia Salamanca (links) spielt in der spanischen Serie EU-Chefin von der Leyen

Nicht viele Filmemacher hätten das gewagt, deutsche wohl schon gar nicht. Die beiden spanischen Drehbuchautoren und Scriptentwickler Joaquín Górriz und Guillermo López Sanchez aber zögerten nicht lange. Vor zwei Jahren erst hatten sie die Idee, das Leben, die Entwicklung und die Wachstumsprobleme der Europäischen Gemeinschaft in einer spannenden Fernsehserie für die Generation Netflix aufzuarbeiten. Kurze Zeit später begannen die Dreharbeiten. Inzwischen läuft bereits die zweite Staffel von "Willkommen auf Eden", einem Hochglanz-Thriller, der als Parabel auf die größte und erfolgreichste Staatengemeinschaft der Erde gilt.

Die Vielfalt der Einheitlichkeit

Streit kann es darum nicht geben. Schon die Grundfarbe der bisher 16 Folgen ist eine einzige Anspielung auf das  RAL 5002-Blau der Gemeinschaft und deren unstillbaren Hang, aus einer festgelegten Einheit unzählige diverse Zwischentöne zu machen. Wie die EU-Staaten sich seit Jahrzehnten nicht auf einen einheitlichen Blauton einigen können, so inszenieren Górriz und López Sanchez die Vielfalt der Einheitlichkeit in ihrem packenden Drama. Alles ist blau, aber nie gleich, alles sind jung wie die zuwandernden Facharbeiter, aber auch schön wie die Küste des EU-Staates Kroatien, glühend heiß wie die unter beständigen Hitzewellen unbewohnbar werdenden Großstädte und mit chinesischer Computertechnik ausgestattet.

Für heranwachsende Nochnichtlängerhierlebende ist "Willkommen auf Eden" zweifellos eine Südsee-Fantasie mit Stränden, Wellen, Sex und Abenteuern. Aufmerksamere Zuschauer aber erkennen die Parabel: Auf Eden besteht der Überlebenskampf aus den typischen Zutaten Brüsseler Verschwörungen. Wie die Kommission wird auch die juvenile Inselbevölkerung aus unbekannten Quellen hervorragend versorgt, wie die einzelnen Kommissare in Belgien aber muss jeder von ihnen den Dolch im Gewand des Kollegen, des Bruder, der Geliebten fürchten.

Die Verkörperung von der Leyen

Zweifellos ein besonderer Kunstgriff: Mit Amaia Salamanca, die die Inselherrscherin Astrid Bartos Sepúlveda spielt, haben die Produzenten eine Darstellerin gefunden, die nicht nur auftritt, geht und spricht von Ursula von der Leyen, sondern in ihren blauen Kleidern und mit der berühmten halboffenen Dragonerfrisur des Originals aus dem alten hannoverschen Politikadel auch optisch gleicht. das Auftreten stimmt sowieso: Obwohl die nur "Astrid" genannte Anführerin der Gemeinschaft keinerlei Prokura hat, als Diktatorin aufzutreten, gelingt es ihr doch nach und nach, alle Macht an sich zu ziehen und alle Entscheidungen allein zu treffen, selbst wenn ihr das die gesetzlichen Grundlagen der Inselverfassung ausdrücklich verbieten.

Ein bemerkenswertes Schauspiel, das die früher als Model tätige Amaia Salamanca bietet. Ihre Verbindlichkeit ist eisig, ihr Lächel wie ein Schwert. Die blondierte Frau mit der Helmfrisur verbreitet Schrecken, indem sie ausnehmend freundlich tut, wenn sie Reden hält, gefriert die Luft über dem Strand, wenn sie Menschen umarmt, scheinen die in ihren Fängen zu schrumpfen. Zwischen all den jungen, schlanken Körpern ist Salamanca das straff trainierte MILF, das stets eine Gemeinheit weiter denkt, einen Mord mehr plant und genau weiß, wann es Zeit ist, für ein paar Monate oder Jahre Schluss zu machen mit dem Gerede über Probleme und den vollmundigen Versprechen, ab nun werde alles besser.

Ein offenes Geheimnis

Was Ursula von der Leyen nur angedichtet wird, weil sie sich selbst nie öffentlich dazu bekannt hat, ist bei Astrid ein offenes Geheimnis. Für den Erhalt ihrer Macht würde die - im wahren Leben früher zeitweise mit dem Fußballer Sergio Ramos liierte - Alleinherrscherin der Insel der Seligen über Leichen gehen, egal wie wie viele. Wie die frühere Vertraute der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel, die bis heute den Weltrekord für die meisten Ministerposten in den meisten Ressorts hält, hat Astrid größere Ziele im Blick, als dass ihr das frommen Einzelner Herzdrücken bereiten würde. Ihr Haar fällt weich. Aber ihr Blick ist hart.

Wer Ursula von der Leyen schon einmal genauer betrachtet, erkennt alles wieder. Die Frau aus Niedersachsen, die in Berlin schon so ziemlich alle Posten hatte, die man haben kann, wenn man eines Tages Kanzlerin werden will, war schon bei ihrem ersten Auftritt als europäische Leaderin eine größere Versprecherin als alle ihre Vorgänger. Kaum hat sie ihre Rede gestartet, waren  neun  prächtige Versprechen über die Rampe gegangen, inklusive dem, künftig in "einer Welt voller neuer Technologien und tief verwurzelter Werte" leben zu dürfen, in einem "Europa, das international die Führung übernimmt, wenn es um die großen Herausforderungen unserer Zeit geht".

Übergang zum gesunden Planeten

Europa werde beim "Übergang hin zu einem gesunden Planeten und auf dem Weg in eine neue digitale Welt" ganz vorn marschieren, dort, wo die Staatenlenker Europas im Moment im Bummelwagen sitzen und von der Führung träumen. Dies könne jedoch gelingen, plattitüdet die Niedersächsin weiter, "wenn wir die Menschen zusammenbringen und unsere einzigartige soziale Marktwirtschaft an die neuen Ziele von heute anpassen". Inselherrscherin Astrid Bartos arbeitet mit denselben Mitteln, Sie verspricht das Blaue vom Himmel, sie fasziniert ihre Jünger mit Wissen, das sie nicht hat, aber überzeugend vermitteln kann. Wer würde schon auf den Gedanken kommen, dass sie sich das alles nur ausdenkt? Das sie von Wünschen lebt und ihre Sehnsucht zum Glauben gemacht hat, dass alles eintreten wird, bleibe man nur fest im Glauben daran?

Statt konkreter Absichten verkündet von der Leyen Kryptisches. „Europa ist eine industrielle Wirtschaft, und für viele Teile unserer Union ist der Hersteller, das Werk oder die Fabrik vor Ort Dreh- und Angelpunkt unserer Gemeinschaften. Deshalb bin ich der Überzeugung, dass das, was für unseren Planeten gut ist, auch für unsere Bürgerinnen und Bürger, unsere Regionen und unsere Wirtschaft gut ist.“ Klingt doch gut. Aber klar ist auch „Wir müssen mehr tun“, denn „wir brauchen einen fairen Wandel für alle“. Ob es sich hierbei um den vorher erwähnten oder einen weiteren Wandel handeln wird, sagt sie nicht und auch Astrid Bartos, die finstere Heldin der Serie, hält sich bedeckt zu Zeitplänen, wahrscheinllichkeiten und konkreten Umsetzungsschritten. Alles wird sich finden. Alles wird gut. Aber nur, wenn alle ihr glauben, dass sie genau weiß. 

Ein bisschen Schummeln

Ein bisschen Schummeln ist da durchaus erlaubt. Wenn Ursula von der Leyen nach ihrer Wahl, die keine war, etwa davon sprach, dass "Rekordzahlen von Europäerinnen und Europäern bei den Wahlen zum Europäischen Parlament abgestimmt und so zum Ausdruck gebracht" hätten, "was sie sich von Europa versprechen", dann meint die Christdemokratin nicht wirklich Rekordzahlen. Denn die Wahlbeteiligung lag früher deutlich höher Das zu erwähnen aber verbietet sich, weil es der Sache nicht dienen würde. Astrid Bartos muss deshalb im Film all die kleinen Schweinereien verschweigen, die hinetr den Kulissen passieren. Und von der Leyen muss darauf vertrauen, dass niemand nachschaut und eden angeblichen Rekord prüft, den sie als "Signal an die europäischen Institutionen ebenso wie an das politische Führungspersonal“ gewertet wissen wird, "dass Mut und Entschlossenheit gefragt sind".

Querleugner und Zweifler wie die als individualistische, von einer konservativen Bürgerlichkeit durchdrungene Neuzugängerin Zoa oder die von den Filmemachern mit dem umstrittenen und in Deutschland bereits verbotenen Namen "África"  versehene Influencerin reizen die ältere Frau, motivieren sie aber auch, nicht sofort zur ultimativen Waffe des Ausmerzens (Franz Müntefering) zu greifen. Wie die Ampel Wärmewende, Heizungstausch und die komplette Große Transformation nicht brutal durchdrücken will, obwohl sie es könnte, sondern Wert darauf legt, "durch das Volk, mit dem Volk, für das Volk" (Otto Grotewohl) zu handeln, möchte auch Astrid in ihrer Rolle als Ursula von der Leyen geliebt werden.

Ehrgeizige Augenblickseinfälle

Ihre bizarren Pläne, ihr Hang zur thematischen Kurzatmigkeit, ihre Gfeallsucht und die Unfähigkeit, die Geschwindigkeit der Umsetzung der in rascher Folge ausgedachten Vorhaben zumindest so weit zu beeinflussen, dass ein einziges Mal irgendetwas Realität wird, ehe schon der nächste, noch ehrgeizigere Augenblickseinfall abgelöst wird von seinem Nachfolger, der wiederum in Kürze selbst bei seinen Müttern und Vätern keinerlei Erinnerungsspuren mehr hinterlassen haben wird, lassen Astrid wirken wie eine Westentaschen-von-der-Leyen. Angeblich wartet die Inselkönigin auf die Ankunft Außerirdischer, angeblich hat ihr ein führendster Wissenschaftler verraten, dass es zu Ende geht mit der Welt. Doch was im Film verrückt klingt, erscheint verglichen mit der Wirklichkeit zuweilen nur wie ein schaler Abglanz.

Am Abendbrotstisch der von von der Leyen Astrid geführten Gemeinschaft läuft nicht die "Tagesschau". Doch ein Vorleser predigt im selben Ton das Aktuellste von Klima, Dürre, Starkregen, Plastikschwemme und Erderhitzung. Eine brutale Maßnahme, die die Anwesenden nicht weniger leiden lässt als die realen Nutzer der Gemeinsinnsender und privatkapitalistischen Heuschreckenmedien. Die Gesichter sind leer, die Herzen sehnen sich sichtlich nach irgendetwas anderem. Die Angst aber, das offen auszusprechen und als Leugner das Bolzenschussgerät an die Stirn gesetzt zu bekommen, siegt. 

Sterne für die Folgsamen

Die, die folgsam sind, pflegen hingegen einen Lebensstil, der sehr nah an dem der echten EU-Kommission und ihrer Vorstellung vom Leben der Bürgerinnen und Bürger ist: Niemand sät hier, die jungen Menschen ernten nicht einmal. Doch es gibt immer - vegan - zu Essen, man trinkt Champagner und trägt Klamotten in Blau, die stets frisch gewaschen und gebügelt überzogen werden. Obwohl niemand jemals wäscht.

Willkommen in Europa. Auch auf Eden schreit das Wetter unablässig Klimakatastrophe, die Mädchen tragen bauchfrei, die Jungen kurze Hose. Augenzwinkernd haben die Serienmacher das EU-Logo mit den magischen zwölf Sternen, die für die 27 Mitgliedsstaaten stehen, in ein Signet aus nur einem Stern verwandelt, der aber besonders treuen Gefolgsleuten der "Stiftung" genannten Gemeinde gleich mehrfach durch Tätowierung verliehen werden kann. Die so Ausgezeichneten sind Astrids Kommissare, viel weniger als in Brüssel, aber nicht weniger durchdrungen vom festen Glauben an die gute Sache. 

Wie es ausgeht, ist offen. Ob Eden die EU überlebt oder die EU Eden oder ob beide sogar identisch sind, niemand weiß es im Moment.



3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Was macht die da für geheymbe Gesten? Zu zeigen, wie der Hase abbremst, geht doch ganz annersch? Nur mit einer Hand.

Was Ananas, beim Gurgeln gerade entdeckt, dass sich Frank Schäffler als (Selbstszensur) geoutet hat, nämlich: Klimaschutz ja natürlich, aber sooo doch nicht! Auch er nur ein Zwiespalt und Zwitter von Pflanze und von Gespenst. Was lernt uns das? FDP kannste knicken.

Anonym hat gesagt…

>>> „Am Pfingstwochenende Sonne pur – die Sonne scheint länger als in der Karibik.“

fOCUS online nimmt wahrscheinlich an, dass seine Leser ganz besonders dumm sind. <<<
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Hier irrt der Pipifax "ghazawat" insofern, dass Focus onlain das nicht "annimmt", sonder völlig zu recht davon ausgeht, dass dem eben so ist ...

Anonym hat gesagt…

>>> A. von Steinberg 27. Mai 2023 at 10:16

Herrn Dr. Maaßen ist beizupflichten!
... ... ... ... ... ...
Das „Werte-Gequassel“ ist eine dreiste Politiker-Lüge, um das Volk aufzuhetzen ...
Man rufe sich in Erinnerung*:
Es wurden durch das Dritte Reich etwa sechs Millionen Juden umgebracht. <<<

*False memory syndrome

Ihr werdet zurückkehren sechs Melonen weniger (nicht: "etwa" - sondern GENAU!)