Samstag, 27. April 2024

Wahlrecht erst ab 25: Reform wegen Rechtsruck

Verstörende Umfrageergebnisse unter Jüngeren zeigen beim Wahlrecht dringenden Veränderungsbedarf.

Wissenschaftler forderten es schon lange, weil Studien kein Risikopotential zeigten. Forscherfinnen bestätigten das: Je jünger Wählerinnen und Wähler seien, desto progressiver stimmten sie an der Wahlurne ab. Zudem bilde sich bei einer früheren Einbeziehung in die Entscheidung über gesellschaftliche Weichenstellung hin zu mehr Klimaschutz, zu kürzeren Arbeitszeiten und höheren Steuern und Abgaben eine festere Bindung zur Demokratie.  

Umdenken wegen Unzuverlässigkeit

Bei der oft als "Europawahl" bezeichneten Wahl zum EU-Parlament dürfen zumindest in Deutschland nun erstmals auch Minderjährige wählen, die noch nicht geschäftsfähig sind. Eine Geste, mit der Jugendliche ab 16 Jahren ein Inklusionsangebot gemacht wird. Zwar müssen sie die Disco weiterhin um Mitternacht verlassen und sich Getränke mit höherem Alkoholgehalt von Älteren kaufen lassen. Doch da eine Ausübung des Wahlrechts durch 16-Jährige keine wirklich wichtigen Entscheidungen betrifft, hatte der Gesetzgeber beschlossen, auch womöglich noch nicht reifen Nachwachsenden mit einer experimentellen Absenkung des Mindestwahlalters auf 16 Jahre die Gelegenheit zu geben, ihre Stimme abzugeben. 

Zumindest bei der nach den Regeln des "Demokratiedefizits der EU" (Bundeszentrale für politische Bildung) ohnehin nur eingeschränkt demokratischen EU-Wahl. Das ist wegen der gemeinsamen europäischen Lösungen zur gleichen, freien und geheimen Wahl in immerhin in elf der 27 EU-Staaten möglich.

Vertrauensvorschuss missbraucht

Ein Vertrauensvorschuss, den viele Jugendliche aber offenbar nicht zu schätzen wissen. Aktuelle Umfragen zeigen einen "Rechtsruck" (Taz), der Erreichtes aufs Spiel setzt: Statt sich der Ehre der früheren Einbeziehung ins demokratische Spiel würdig zu erweisen, enttäuscht ein großer Teil der Befragten der Studie "Jugend in Deutschland 2024" mit rechtspopulistischen Positionen und der offenen Ankündigung, bei nächster Gelegenheit demonstrativ die Falschen wählen zu wollen.

Es ist ein Verfall der politischen Überzeugungen, der gerade nach den von öffentlich vielbeachteten Teilen der Jugend getragenen Protesten gegen das Klima und die Potsdamer Remigrationspläne überraschend kommt. 22 Prozent der 14- bis 29-Jährigen würden demnach AfD wählen, wenn sie jetzt könnten, das sind mehr als doppelt so viele wie noch vor zwei Jahren, als nur neun Prozent auf die populistischen Parolen von rechts hereingefallen waren. Die Stimmen für die AfD kommen dabei auch aus einer vollkommen unerwarteten Richtung: Was die in Teilen als nachgewiesen verfassungsfeindlich beobachtete Partei gewann, haben vor allem die Grünen als ehemals beliebteste Partei junger Menschen abgeben müssen. 

Kein Verlass auf Jüngere

Bis ins Alter von 29 Jahren zeigt die Umfrage, dass kein Verlass mehr auf Winston Churchills Lehre ist, dass jeder, der mit 20 Jahren kein Kommunist sei, kein Herz habe, 40-jährige Kommunisten aber keinen Verstand besäßen. Augenscheinlich wegen wachsender Unzufriedenheit, der als bedrohliche empfundenen wirtschaftliche Lage, der Inflation, wegen hoher Mieten, der sich beständig verschärfenden Frontlage in der Ukraine und in Nahost wenden sich Nachwachsende denen zu, die die Zukunft bedrohen. Offenkundig sind sie eben doch noch nicht reif genug, um zu wählen. Kaum erfasst die junge Generation eine "tiefsitzende mentale Verunsicherung", obwohl Kanzler und Vizekanzler längst das Ende der Turnaround-Jahre ausgerufen haben, wenden sie sich von der Demokratie ab.

Selbst die Regel, dass bei den meisten politischen Wahlen in Deutschland nur mitentscheiden, wer 18 Jahre alt ist, steht nun infrage. Ist das gerecht? 18-Jährige werden vom Gesetzgeber in Strafrechtssachen einer Sondergerichtsbarkeit unterworfen, die bis zum Alter von 21 Jahren gilt, aber auch Älteren offensteht. Bis zum Alter von 25 Jahren sind Eltern einerseits unterhaltspflichtig, andererseits berechtigt, für ihre "Kinder" das staatliche Kindergeld in Anspruch zu nehmen. Auch hier gilt, dass das 25. Lebensjahr keine feste Brandmauer bildet, weil der Zeitpunkt der vollen Geschäftsfähigkeit jeweils individuell festgelegt werden muss.

Wenig gefestigte Überzeugungen

Angesichts der jüngsten Entwicklungen, die zeigen, wie wenig gefestigt die progressive und fortschrittliche Überzeugung bei einem viel zu großer Teil der Jüngere ist, steht nun nicht mehr nur die weitere Absenkung des Wahlalters zur Diskussion. Auch werden verschärfte Erziehungsmaßnahmen kaum reichen. Stattdessen schiebt sich eine Debatte um eine notwendige Erhöhung des Wahlalters auf die Tagesordnung: Wenn unter 30-Jährige dazu tendieren, rechte Parteien wie CDU, CSU und AfD zu wählen, zeigt das deutlich, dass sie noch nicht genug Wissen, Reife und Erfahrungen haben, um fundierte Entscheidungen zu treffen.

Dass eine Teilnahme an Wahlen zu mehr politischem Interesse und Partizipation führen könnte, wäre damit viel zu teuer erkauft. Schließlich geht es hier mit Blick auf die Bundestagswahl nicht nur um ein paar Stimmen, sondern um mehr als zwölf Millionen Wahlberechtigte, die mit über die Zusammensetzung des Parlaments bestimmen würden.

Um das zu verhindern, sind jetzt vor allem FDP, Grüne, SPD und Linke gefragt, die durch den Rechtsruck am deutlichsten verloren haben. Die Ampel-Regierung müsste das Mindestwahlalter für die kommende Bundestagswahl auf 25 oder besser noch 29 Jahre festlegen. Dazu wäre allerdings eine Grundgesetzänderung notwendig, für die eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich ist. Doch könnte sich die Union der Bitte aller anderen demokratischen Parteien verschließen, hier eine Brandmauer hochzuziehen? Sicherlich nicht, denn CDU und CSU wollen bestimmt nicht von Wahlentscheidungen profitieren, die Menschen treffen, die nicht wissen, was sie tun.


1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Es war einmal - Wahlrecht ab 26 - und die Geschlitzten gar überhaupt nicht - wer erkühnt sich, solches gering zu achten?