Montag, 23. Juni 2025

Die Völkerrechtler: Bewaffnet mit Illusionen

Völkerrecht, Urananreicherung, GBU-57, Tarnkappenbomber, Natanz, Revolutionsgarde, Atomwaffen
"Vorübergehend geschlossen": Die iranischen Atomanlage in Natanz.

Trump hat es getan, er informierte den deutschen Bundeskanzler zuvor nicht einmal. Auch die EU-Kommissionspräsidentin lag nichtsahnend im Bett, als die US-Air-Force mit einem Langstreckenflug Richtung Asien die Vorlage schuf für deutsche Fliegerromantik mit elegant gleitenden Tarnkappenbombern und Auslöschungsfantasien durch die "Tiefenbombe" GBU-57, deren prachtvolles Werk jedoch nur kurz vorbehaltlos bestaunt werden konnte.

Entsetzen und Bedenken 

Schnell waren sie wieder da, die Bedenken. Und am lautesten dort, wo  wie immer das schlimmsten betroffene Gebiet liegt: 2.000 Kilometer Luftlinie von den Anreicherungsanlagen in Natanz entfernt wuchsen die Sorgen von Kommentatoren, Völkerrechtlern und Aktivisten mit jeder Sekunde, in der sich der Staub über den Einschlagkratern nahe der Mahabad-Zavareh-Straße legte. Deutschland, gemeinsam mit seinen EU-Partnern noch 50 Minuten nach zwölf ein geduldiger, vor keinem Kompromiss zurückschreckender Partner des Mullah-Regimes in Teheran, war über die Angriffe der israelischen Luftwaffe auf die militärischen Kapazitäten der Revolutionsgarde entsetzt. Über den Angriffsbefehl des US-Präsidenten auf die Urananreichungsanlagen aber waren sie empört. 

 Eine Missachtung der Bedenken Europas, das noch wenige Stunde  vorher versucht hatte, bei einem Treffen mit dem iranischen Außenminister den Eindruck zu erwecken, zwischen "wir reichern Uran für eine Bombe an" und "wir reichern kein Uran an" gebe es eine Kompromissformel, die das eine zulässt, im gleichen Atemzug aber auch das andere garantiert. 

Getroffene Hunde 

Mit 408 Kilogramm auf 60 Prozent angereichertem Uran, wie die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) im Juni 2025 meldete, war Teheran nur noch einen kleinen Schritt von waffenfähigem Material entfernt. Dass Teheran hinter den Terrororganisationen Hamas, Hisbollah und auch hinter den Huthi im Jemen steht, zeigte sich, nachdem Israel die Hamas-Führer Ismail Haniyya in Teheran und den Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah in Beirut getötet hatte: Der Iran antwortete mit Raketenangriffen auf Israel, obwohl weder Haniyya noch Nasrallah iranische Staatsbürger waren.

Seit der Einschlag der GBU-57 den Träumen Europas von einem Alleingang ohne die Amerikaner ein Ende gesetzt haben, leidet Deutschland mehr denn je an Völkerrechtsbruch: Hätten die Israelis sich so früh schon wehren dürfen? Durften sie es überhaupt? Und wenn, dann so? Was ist mit Trump und dessen Versprechen, Amerika aus Kriegen herauszuhalten? Hat er das gebrochen? Ist das erlaubt?  Muss das Konsequenzen haben? Amtsenthebung? Haft? Müsste die UNO nicht jetzt? Der Sicherheitsrat? Oder der Internationale Gerichtshof?

Angst davor, der Nächste zu sein 

Völkerrechtler wie der bekannte ARD-Journalist Georg Restle, aber auch Friedenspolitiker der Linken, der SPD und aus anderen Parteien bis hin zur AfD haben gemeinsam gemahnt. Wer Trump diese Schläge durchgehen lasse, müsse damit rechnen, als nächster bombardiert zu werden, unkte Restle. Die moskautreue SPD-Fraktion schäumte, die revolutionäre Antifa suchte den Schulterschluss mit den totalitären Islamisten der antisemitischen Pro-Palästina-Bewegung. 

Die USA wollten verhindern, dass ein weiteres Land zur Atommacht wird, vermerkt die "Zeit" in großer Sorge, denn "Sie könnten das Gegenteil erreichen". Wäre es nicht besser gewesen, weiterhin so zu tun, als versuchten die schiitischen Islamisten im Iran nicht, sich nuklear zu rüsten, um unangreifbar zu werden? 

Natürlich dürfe der Iran nicht in den Besitz von Atomwaffen kommen. Der Weg dahin aber müssten Verhandlungen sein wie noch immer in den zurückliegenden 25 Jahren, keine Bombardements. Die Zerstörung der Nuklearanlagen in Fordo, Natans und Isfahan, so schreibt das Blatt, sei wie schon Israels Luftschläge gegen den Iran ein "Bruch des Völkerrechts" gewesen, jener heiligen Kuh der regelbasierten Ordnung, an die sich alle immer genau so lange halten, wie sie glauben, davon zu profitieren. Wechselt der Bedarf, wechselt die Akzeptanz. 

Hauptsache beliebt 

Ruft das Volk, kann alles richtig sein: Gerhard Schröder wurde dereinst zum beliebtesten deutschen Politiker, als er dem amerikanischen Präsidenten beherzt mitteilte, dass keine deutschen Soldaten an der Seite der US-Armee ausrücken werden, um den Nahen Osten zu befreien. Boris Pistorius, Obergefreiter, Osnabrücker Oberbürgermeister und niedersächsischer Innenminister, gelingt dasselbe Kunststück, indem er das Gegenteil tut. 

Bis 2029, dem Jahr, in dem Putin seine "Krüppel-Bataillone" (n-tv) Richtung Westen in Marsch setzen wird, sollen Heer, marine und Luftwaffe kriegstüchtig genug sein, um die "schwerverletzten Soldaten in Rollstühlen und auf Krücken" zurückzuschlagen, die der Kreml heute schon ohne Gnade an der Front verheizt.

Die "Drecksarbeit" wie es Friedrich Merz genannt hat, wird außerhalb erledigt. Die Anklagen werden in Deutschland formuliert. Die Weltpolitik ist aus Berlin, München und Hamburg betrachtet kein Handwerkszeug, mit dem sich Staaten im Geschäftsverkehr Vorteile zu erwirtschaften hoffen, sondern ein absolut gesetztes Recht, das zu missachten nur den Stärkeren nützt, Deutschland aber schadet. 

Verboten und erlaubt 

Seit sich eine Bundesregierung Ende der 90er Jahre legitimiert sah, das  nach Artikel 2 Absatz 4 der UN-Charta geltende Verbot jeder "Androhung und Anwendung zwischenstaatlicher Gewalt"  eines höheren Zweckes wegen ignorieren zu dürfen, klingt die Klage hohl, dass das Völkerrecht immer zu respektieren sei. Gleichwohl sind es die, ausgerechnet die, die den Straftatbestand der Aggression unabhängig vom Deutschlandbezug vor deutschen Gerichte verhandeln lassen, die vom drohenden Flächenbrand, dem Völkerrecht als Bollwerk der Zivilisation und der Notwendigkeit barmen, dass nun erst recht jedes Unrechtsregime der Welt nach Atomwaffen streben werde.

Vorbild sein, die andere Wange hinhalten, den Frieden vorleben, das wäre Deutschlands Weg, hätte ein grausamer Gott die wirtschaftliche, demokratische und moralische Führungsmacht der EU an einen Ort auf der Erde gelegt, an dem sie ringsum von Feinden umgeben wäre, die kein Hehl daraus machen, dass sie es als ihre historische Aufgabe betrachten, ihren Nachbarn rückstandslos auszuradieren. 

Der Traum von der Operettenarmee 

Deutschlands Regierungen würden deeskalieren, sie hätten die Bundeswehr zu einer demonstrativ wehrlosen Operettenarmee gemacht und versucht, durch ausgestellte Wehrlosigkeit zu beweisen, dass es gemein wäre, ein so hilfloses Land zu vernichten. Das Völkerrecht, das immer so lange ohne die geringste Einschränkung gilt, wie sein Verteidiger es als Angriffswaffe nutzen können, wäre Deutschland einziger Schild. Die Hoffnung, genug Mitleid zu erregen, um Gnade zu finden, sein größter Schutz.

Diesen hohen moralischen Anspruch erhebt Deutschland naturgemäß auch gegenüber anderen, wenn auch nicht gegenüber allen. Die hitzige Debatte darüber, ob Israel durfte, was es tat, und ob den Vereinigten Staaten erlaubt war, was sie unternommen haben, ist zuvorderst dazu angetan, den Mantel des Schweigens über den vielen, vielen Jahren zu belassen, in denen die Verstöße des Iran gegen das Völkerrecht achselzuckend hingenommen wurden. Die Mullahs rüsteten Terrorgruppen aus? Die Mullahs finanzierten Armeen, die ganze Staaten übernahmen? Sie organisierten Terroranschläge, sabotierten den Welthandel, paktierten mit dem Kreml und verstießen gegen Verträge, an die die EU ihr ganzes Selbstbild als  bedeutsame Kraft auf globalen Bühne knüpfte. 

Selbstgespräch in unserer Demokratie 

Empört reagierte in Deutschland niemand. Schurkenstaaten tun, was Schurkenstaaten tun. Wenn, dann war es immer das demokratische Israel, das kritisiert wurde. Jeder, der Honig aus Warnungen, Mahnungen und strategischen Hinweisen ziehen wollte, weiß zwar, dass weder in Teheran noch in Jerusalem noch in Washington irgendjemand zuhört, wenn "unsere Demokratie" ein Selbstgespräch darüber führt, was alles anders wäre, würde Deutschland endlich etwas zu sagen haben. Aber als Ablenkungsmanöver von der eigenen Irrelevanz ist ein lautes Nachdenken über Völkerrecht, die sagenhafte "regelbasierte Weltordnung" und eine dem US-Präsidenten womöglich drohende innenpolitische Krise die beste Art, im Spiel zu bleiben.

Oben, auf der Tribüne, kollidieren Doppelmoral und Ignorant mit der verrückten Vorstellung, es gebe jenseits der Macht, die aus Stärke kommt, eine Weltordnung, die auf Vertrauen in die Lauterkeit des anderen und dessen unbedingte Vertragstreue beruht. Wie noch jedes Mal, wenn die Politik an das Ende ihrer Mittel gekommen ist, übernimmt der Krieg. 

Ein Spielball für starke Teams 

Das Völkerrecht, theoretisch eine der größten Errungenschaften der Zivilisation, wird zum Spielball geopolitischer Interessen: Die UN-Charta verbietet die Anwendung von Gewalt gegen die territoriale Unversehrtheit eines anderen Staates. Artikel 51 aber erlaubt sie als Ausnahme, wenn es um die Selbstverteidigung geht. Die einen berufen sich auf dies, die anderen auf das. 

Einmal sind die US-Angriffe auf die Atomanlagen in Fordo, Natans und Isfahan ein neuer Tiefpunkt der Aushöhlung des Völkerrechts. Ein andermal zeigen sie, wie die Menschheit aus den Fehlern gelernt hat, die der britische  Premierminister Neville Chamberlain beging, als er glaubte, Hitlers Deutschland mit einer Beschwichtigungspolitik beruhigen und so einen Krieg vermeiden zu können.

Völkerrecht als Instrument 

Die 14 bunkerbrechenden Bomben, die nuklearen Kapazitäten Irans ganz oder teilweise zerstört haben - Donald Trump schwärmte von "monumentalen Schäden" und "Volltreffern" infolge der Operation "Midnight Hammer" - haben das Völkerrecht einmal mehr als ein Instrument enttarnt, das kaum mehr ist als eine Übereinkunft auf Benimmregeln für schöne Tage. Aus allen Ritzen kommen die Völkerrechtler gesprungen, die einen eklatanten Verstoß gegen die Vorschriften bemängeln. Ehemalige Bundesverfassungsrichter sirgen sich, weil präventive Angriffe völkerrechtlich kaum haltbar seien. So lange die Mullahs in Teheran es schaffen, Israel nur durch Stellvertreter anzugreifen und ihre Atombombe zu bauen, ohne dass es einen klaren Beweis dafür gebe, dass sie sie bauen, sei Selbstverteidigung nicht legitimiert.

Für Deutschland, aufgrund seiner außenpolitischen Unsichehreit einer der eifrigsten Verfechter einer regelbasierten Weltordnung, die Richtig und Falsch automatisch bestimmt, ist diese Position ein schöner Rückzugsort. Einerseits kann Bundeskanzler Friedrich Merz den Amerikanern fünf Prozent für Verteidigung zusagen. Andererseits nicht glücklich über Washingtons entschiedenes Vorgehen ohne Rücksprache mit seinen Verbündeten sein. Das Auswärtige Amt schickt vage Appelle zur Deeskalation an beide Seiten. Das Verteidigungsministerium vollendet den Kniefall vor Washington, indem es mindestens 220 Milliarden für Waffen, Soldaten und Stützpunkte zusagt - eine Summe, die etwa der Hälfte des gesamten Bundeshaushaltes entspricht.

Komplize und Gegner 

Die Bundesrepublik ist Komplize und Gegner in einem, sie liefert Waffen und warnt vor ihrer Anwendung, sie hat Verständnis und ist empört. In der traditionellen Doppelmoral des "Wehret den Anfängen" und "Nie wieder", kombiniert mit der Betonung, auch die Mullahs seien sicherlich mit vertrauensbildenden Maßnahmen vom Vorteil eines Atomverzichts zu überzeugen, fühlt sich Deutschland zu Hause und in Familie mit der EU. Bis heute haben weder Brüssel noch Berlin Irans Revolutionsgarden, die größte und mächtigste Terrororganisation der Welt, auf die offizielle Terrorliste gesetzt, aus Furcht davor, sich den Zorn der Mullahs zuzuziehen.

 


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