Mittwoch, 29. Oktober 2025

Stadtbildschwur: Frühsport statt Mord

Haus- und Hofgemeinschaften besseres Stadtbild
Haus- und Hofgemeinschaften könnten die Kietze künftig sicher und lebenswert machen.

Früher war es der Benzin-Gipfel, der Euro-Gipfel, der Auto- und der Migrationsgipfel oder der wöchentliche Krisengipfel wegen des Corona-Virus. Zuletzt machten dann Stahl-, Energie- und Chemiegipfel Eindruck auf die Wählerinnen und Wähler, denn sie zeigten: Auch wenn die Regierung nichts tut, sie ist sich der unlösbaren Probleme durchaus bewusst und sie scheut sich nicht, das auch ganz offen zu zeigen.  

Die Geschichte lehrt, dass vieles sich von selbst klärt, wenn es gelingt, Zeit ausreichend verstreichen zu lassen - und sei es mit Hilfe eines Gipfels, dessen äußerte Konsequenz von vornherein im Raum steht. Ein Zehn-Punkte-Papier, das nach neuerer Rechtssprechung auch zwölf, 15 oder 44 Punkte haben darf. Anstriche, die eine beruhigende Medienwirkung erzeugen. Es fahren schwarze Limousinen durch die "Tagesschau", hinter dem Ansager vorbei. Es wird sich gekümmert, droben im Kanzleramt. Manchmal erscheinen die Gipfel sogar auf dem Balkon.

Große rote Gipfelerfahrung


Auch die SPD hat große Gipfelerfahrung. Kein Spitzentreffen weit nach Mitternacht, an dem in den zurückliegenden Jahrzehnten nicht einige Genossen teilgenommen haben, um sich neoliberalistischen, umweltschädlichen und unsozialen Lösungen in den Weg zu stellen. Parteiintern ist der Gipfel stets der Moment, an dem sich die Grundgesamtheit der Sozialdemokraten auf die Essenz dessen einigt, was den Traum vom Sozialismus am Leben hält: Der Klassenkampf unten gegen oben, das Stellungnehmen für die Ärmeren und das Wegnehmen von den Reichen. 

Dass Friedrich Merz von der von ihm selbst eingeleiteten Stadtbild-Diskussion nicht profitiert hat, heißt für die deutsche Sozialdemokratie nicht, dass sie selbst es nicht doch noch könnte. Bei den aktuellen Umfragedaten ist jedes Mittel recht, auch das verzweifelte. Die Aussichten mögen nicht rosig sein. Aber wer nichts macht, macht nichts verkehrt. 

Verständnis für krude Thesen 

Bis in die Arbeiterklasse hinein hat Merz Verständnis für seine kruden Thesen gefunden. Viele Bürgerinnen und Bürger lehnen die Verelendung der Innenstädte ab. Sie fühlen sich nicht wohl in vermüllten Parkanlagen und ihre Sympathien für Männergruppen, die eben noch friedlich rauchend vor einer Shisha-Bar stehen und am nächsten Tag schon als blutige Polizeimeldung im Lokalblatt, hält sich in Grenzen.

Sogar nach einer umfassenden Medien-Kampagne, die nahelegte, dass es entweder nirgendwo gar kein Stadtbild gibt oder eins, das nie anders aussah oder aber kaum jemals hübscher als heute, spüren die Genossen an der Basis ein gewisses Fremdeln der Bevölkerung mit denen, die sagen, das sei alles gut so. Warum also nicht einen Stadtbild-Gipfel? Jetzt, wo alle anderen großen Probleme gerade schon gelöst sind oder aber in Kommissionen verschoben, die frühestens im Januar mit wegweisenden Beschlüssen aus dem Hinterzimmer zurückkehren werden?

Kleingeister sind beunruhigt 

Mag auch eine schwere Strukturkrise der deutschen Industrie die Kleingeister beunruhigen, die Industrieproduktion schon im fünften Jahr schrumpfen und mögen die Unternehmen schneller Arbeitsplätze abbauen als der Staat neue schaffen kann. Das Stadtbild, das ist en vogue. Beim Stadtbild weiß niemand, das haben  viele Spitzenpolitiker, aber auch wichtige Kommentäter bestätigt, was gemeint ist. Aber so weiß auch keiner, wovon die Rede sein könnte.

Das sind weit bessere Voraussetzungen für eine fruchtbringende Versammlung als bei Stahl- und Chemiegipfel. "Die Debatte um Sicherheit im öffentlichen Raum muss versachlicht werden", sagen zehn SPD-Abgeordnete, die mit einem Acht-Punkte-Papier in die langsam auslaufende Debatte um das Für und Wider von Stadtbildern eingestiegen sind. Alle sollen sie kommen, die Vertreter von Großstädten, kommunalen Verbänden und Fraktionen, die fern des Alltags der normalen Leute lebenden Gelehrten aus den Bionadevierteln, die Politiker aller Farben diesseits der Brandmauer und die Sicherheitsbehörden, von denen man sich Expertise erhofft.

Kanzleramt ist viel zu klein 

Das Kanzleramt ist natürlich viel zu klein für eine solche Vollversammlung aller Verantwortlichen. Das Treffen muss in einer Halle stattfinden, besser noch in einem Stadion, denn der sozialdemokratische Plan "für ein soziales, sicheres und solidarisches Stadtbild" enthält zahlreiche grundstürzende Transformationsvorschläge für ein sicheres Stadtbilderlebnis in Deutschland.

So haben die Initiatoren erstmals grundlegend herausgearbeitet, woran Medien und Oppositionsparteien bei der Entschlüsselung von Merz`Stadtbildbehauptungen bisher scheiterten. Ja, heißt es da, es gebe "Schwierigkeiten im Stadtbild". Und die hätten "vielfältige Ursachen". Unumwunden räumen die Autorend es acht-Punkte-Planes "soziale Missstände, Wohnungsnot, Verwahrlosung öffentlicher Räume, fehlende soziale Infrastruktur und unzureichende Prävention" ein. Bezahlbares Wohnen, stabile Renten und sichere Arbeit, die drei großen Versprechen der SPD im Jahr 2021, sie sind offenbar uneingelöst geblieben.

Verengte Debatte 

Asyl, Flucht und Migration, die Punkte, die bisher aus dem Begriff "Stadtbild" herausgelesen worden waren, kommen nicht vor. Wer sie nenne und die Debatte damit "verenge", verhindere Lösungen, schreibt die Gruppe der Initiatoren. Was es brauche, sei "Klarheit" darüber, wovon in diesem Zusammenhang geredet werden solle und worüber nicht: Man müsse sichere Wegekonzepte für Innenstädte schaffen, eine insgesamt bessere Beleuchtung in ganz Deutschland, in dem ja zusehends das Licht ausgehe. Auch die Videoüberwachung an Kriminalitätsschwerpunkten komme infrage. Denn was es brauche, seien "lebenswerte Innenstädte mit Zukunft". 

Die Vorstellungend er SPD-Arbeitsgruppe sind recht konkret. Das Stadtbild der Partei sei "Sozial. Sicher. Solidarisch." und begreife "unsere Innenstädte als das Herz unserer Gesellschaft". Dort, wo sich abends vielerorts niemand mehr hintraue, seien die Lebensräume, die als "Orte des Zusammenhalts, der 
Begegnung und der demokratischen Teilhabe" darüber entscheiden, "ob Menschen sich sicher fühlen, 
Gemeinschaft entsteht und Kultur, Arbeit und Wohnen zusammenfinden". Eine Herausforderung zweifellos – "aber Friedrich Merz benennt das falsche Problem". 

Verbalkampf auf höchstem Niveau 

Politischer Verbalkampf auf höchstem Niveau. Geschickt deuten die Verfasser des dreiseiten Stadtbild-Programms hier an, dass der Bundeskanzler durchaus ein Problem berührt habe. Nur eben eins, das besser unerwähnt bleiben sollte, weil es sich "nicht durch Ausgrenzung, sondern durch soziale Politik 
bewältigen" lässt. Ehe wegen des falschen Problems noch ein falscher Verdacht aufkommt, wird klargestellt: "Als Sozialdemokrat:innen bekennen wir uns zu Deutschland als Einwanderungsland." Staatsbürgerschaft sei nichts Sichtbares und jeder, der "in unseren Städten lebt, sich einbringt und engagiert ist Teil unseres gemeinsames Stadtbildes". 

Klare Kante. Landbewohner, die nur zu Besuch sind, Touristen, aber auch Stubenhocker und Egozentriker gehören nicht dazu. Damit ist die "Debatte über Stadtbilder" endlich bei einer "Präzision in der Analyse und Klarheit in den Antworten" angelangt, die es den Stadtbildsozialdemokraten möglich macht, "eine gemeinsame Position der Regierungskoalition zur "Zukunftsstrategie Innenstadt 2030+" zu fordern. Die sieht vor, Innenstädte zu betreiben, "die halten, was sie versprechen", in denen Leben pulsiert und Begegnung wie Gemeinschaft der Alltag sind. 

Ein wegweisender Acht-Punkte-Plan 

Um dahin zu kommen, schlägt der "Acht-Punkte-Plan für ein soziales, sicheres und solidarisches Stadtbild" ganz konkrete Schritte vor. Sicherheit müsse man "breiter denken", denn sichere Innenstädte bedeuteten "Freiheit innerhalb verlässlicher Strukturen – besonders für Frauen, Mädchen sowie Seniorinnen und Senioren". Großstadtjungs können oft schon früh auf sich selbst aufpassen, Kranke und andere Angehörige von vulnerablen Gruppen lernen meist schnell, das "echte Sicherheit durch Respekt und soziale Verantwortung" entsteht, nicht durch Angst oder Abschottung oder dadurch, dass junge Leute in der Bahn aufstehen.

Die SPD setzt eindeutig auf Prävention statt Ausgrenzung. Mehr aufsuchende Sozialarbeit, stationäre und mobile Beratungs- und Gesundheitsdienste, Antidiskriminierungsarbeit und Programme gegen rassistische Gewalt, um die marodierenden Nazi-Gruppen von den Straßen zu bekommen, das ist ein Teil der neuen Stadtbildstrategie. Der andere sieht nachhaltige Unterstützung für Drogensüchtige vor, mit niedrigschwelligen Hilfsangeboten, Drogenkonsumräumen, mobilen Gesundheitsdiensten und intensiver Sozialarbeit. Flankierden sollen neben Lampen und Notrufsystemen auch Bundes- und Landespolizei, kommunale Ordnungsdienste, Bahn-Sicherheitskräfte und Streetworker eingesetzt werden. Gebildet sollen zudem "Haus- und Hofgemeinschaften", die gemeinsam für ein besseres Stadtbild einstehen.

Kanten gegen Kriminalität 

Klare Kante gegen die, die es nicht verstehen wollen: "Gegen Kriminalität muss effektiv und im rechtsstaatlichen Rahmen vorgegangen werden", lässt die SPD keine Zweifel an ihrer Entschlossenheit zu, "Angsträume durch gepflegte, einsehbare und belebte Orte" zu ersetzen. Eine solche gesellschaftliche Präsenz schaffe Kontrolle - gewährleistet werden könnte etwa durch ein abendliche Ausgehpflicht für alle, organisiert als Gegenteil der in der Pandemiezeit exekutierten Ausgangssperren. 

Je nach Anfangsbuchstaben des Nachnamens wären Bürgerinnen und Bürger einmal wöchentlich and er Reihe, draußen vor der Tür nach den Rechten zu sehen und auf sogenanntes Catcalling zu achten. Um die Wege für die Spaziergangsstreifen kurz zu halten, plant die SPS das Wohnen und Arbeiten in der Innenstadt bezahlbarer zu machen. Dadurch könnten mehr Menschen direkt in der City wohnen, es kehre wieder Leben in die Zentren ein und kurze Wegen zwischen Arbeit, Freizeit und Alltag sorgten für soziale Vielfalt als "Grundlage für Sicherheit, Zusammenhalt und Lebensqualität".

Parks, Bäume und Frühsport 

Ohne Parks, Bäume und Grünflächen als "sichere Orte des Miteinanders" ist das alles kaum denkbar. Die deutsche Sozialdemokratie will deshalb künftig nicht nur KI-Gigafabriken, Chipkonzerne, nachhaltige Energieerzeugung und Energieverbrauch durch E-Autos fördern, sondern auch Grünflächen, Wasserstellen, Sitzgelegenheiten, Märkte, Kultur- und Sportangebote im öffentlichen Raum. Anwohner, die freiwillig beim Frühsport vor dem Haus mitmachen, könnten prämiert werden. Der Staat würde dafür Sorge tragen, dass sie stets Wasser und eine Stuhl finden, wenn sie im großstädtischen Dschungel unterwegs sind, um den "stationären Handel" als "sozialen Treffpunkt und Versorgungsanker" zu erleben.

Das alles wird sehr sauber sein, denn auch ein "gepflegtes Stadtbild steht für Respekt". Erstmals regt die SPD-Arbeitsgruppe vor diesem Hintergrund "klare Regeln gegen Vermüllung, Pfandsysteme in der 
Außengastronomie und Programme für Stadtsauberkeit" an. Aus einem neuen Bundesprogramm, das sich an Maos 00-Blumen-Bewegung orientiert, sollen "fünf Millionen Stadtbäume für 
Deutschland" finanziert werden, die "Städte widerstandsfähig und lebenswert machen". 

Zwischen den Stämmen wird entsiegelt, das Schwammstadtprinzip durchgesetzt und mit Hitzeschutzmaßnahmen, Dach- und Fassadenbegrünung ein kühleres, lebenswertes Stadtklima geschaffen. damit das nicht von Vermietern missbraucht wird, die für ihre Gewerbeimmobilien keine Nutzer mehr finden, wird das Mietrecht so geändert, dass Eigentümer verpflichtet sind, Leerstand zu vermeiden. 

Mit digitalen Werkzeugen 

So könnten Handel, Gastronomie, Kultur und Handwerk dann gemeinsam darangehen, die Innenstädte beleben - auch mit "digitalen Werkzeugen", die kein Selbstzweck sein werden. Nein "digitale Stadtplattformen, Smart-City-Konzepte und lokale Innovationsnetzwerke" werden bundesweit 
ausgerollt. Anschließend sorgt ein "regelmäßiges Stadtbild-Monitoring" transparent dafür, dass der  Zustand und die Entwicklung der Innenstädte stets im Blick bleibt. Bis zum Jahresende soll sich die Regierungskoalition einheitlich zu diesem gemeinsamen Verständnis von "Stadtbilds" bekennen, das dann entweder durch einen parlamentarischen Beschluss im Bundestag oder durch einen feierlichen Stadtbildschwur auf einem "Stadt der Zukunft"-Gipfel im Berliner Olympiastadion beeidet wird.



3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Bei der Migration sind wir sehr weit. Wir haben in dieser Bundesregierung die Zahlen August 24, August 25 im Vergleich um 60 % nach unten gebracht, aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem, ...
(Merz)

'In dieser Bundesregierung' ist semantisch falsch, sei's drum.

10 SPDler:
Merz benennt das falsche Problem

Er hat überhaupt kein Problem benannt. Ist nicht so seine Art. Er hat nur 'Stadtbild' gesagt.

Wer sind denn die SPDler?
Ahmetovic, Cademartori, Abdi, Klose, Demir, Nasr, Roloff, Yüksel, Zorn, Özoğuz.

Sieben von denen fällt freilich nichts ungewöhnliches am Stadtbild auf. Der Rest ist froh, dabei sein zu dürfen.

Anonym hat gesagt…

Goldig: Mehr Sozialarbeit. Lasst und doch mal in Ruhe über eure Ängste reden / Du, das finde ich irgendwie total echt nicht gut, was ihr da macht ...

Anonym hat gesagt…

Noch goldiger: Die Bürgermeisterlein schreiben einen Brandbrief an FF - ich kann ni' mehr!